Nach dem Untersuchungsausschuss: „Irak braucht Diplomaten, keine Soldaten!“
Der ehemalige britische
Premierminister Tony Blair sollte schwitzen: An diesem Freitag musste er sich vor
dem Irak-Untersuchungsausschuss in London verantworten. Ohne UNO-Mandat und auch ohne
den Rückhalt der britischen Bevölkerung entsendete er als enger Verbündeter der USA
2003 45.000 Soldaten in den Irak – und entflammte damit die Diskussion um einen Verstoß
gegen internationales Recht. Erwartungsgemäß habe Blair den Irak-Einmarsch als Notwehr
gegen die in der Hand des Regimes vermuteten Massenvernichtungswaffen verteidigt,
meint der Länderfachmann von Kirche in Not, Berthold Pelster. Im Gespräch mit Radio
Vatikan sagt er, welche Frage im Untersuchungsausschuss gefehlt habe:
„Ich
hätte die Frage gestellt, ob er sich die Verhältnismäßigkeit der Mittel gut überlegt
hat. Toni Blair ist ja davon ausgegangen, dass es eine hypothetische Gefahr von Terroranschlägen
gegeben hat. Er hat gesagt: Fanatiker und Terroristen wie diejenigen, die in New York
2001 das World Trade Center vernichtet und dabei 3000 Tote in Kauf genommen haben,
wären auch jederzeit dazu bereit, 30.000 Menschenleben zu opfern. Das waren allerdings
hypothetische Überlegungen. Dieser „Befreiungskrieg“ hat aber tatsächlich dazu geführt,
dass es weit über 100.000 Tote im Irak gegeben hat - und das sind reale, faktische
Tote. Papst Johannes Paul II. zum Beispiel war ein heftiger Gegner dieses Irakkriegs:
Er hat immer warnend seine Stimme erhoben und gesagt, bei solch einem Krieg kann es
nur Verlierer geben, wir müssen nach anderen, diplomatischen Mitteln suchen. Und da
sind möglicherweise Chancen vertan worden!“
Die menschenrechtliche Situation
und auch die Sicherheitslage im Irak seien weiterhin prekär, so Pelster. Der gegenwärtige
Zustand belege, dass der militärische Einmarsch der US-amerikanischen und britischen
Truppen nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei. Künftig hätten Bemühungen um Stabilität
und Frieden anders auszusehen:
„Ich denke, dass die internationale Weltgemeinschaft
noch stärker darauf drängen muss, dass allgemeine Menschenrechtsstandards auch im
Irak durchgesetzt werden. Dass Minderheiten geschützt werden, egal, ob das ethnische
Minderheiten sind wie etwa die Kurden oder die Turkmenen, oder religiöse Minderheiten
wie insbesondere die Christen oder die Jesiden. Dass das noch stärker durchgesetzt
wird - da muss die internationale Gemeinschaft noch stärkeren Druck ausüben. In den
außenpolitischen Beziehungen und möglicherweise auch bei wirtschaftspolitischen Gesprächen!“
Doch
ein Großteil der Friedensarbeit müsse von der irakischen Bevölkerung selbst geleistet
werden – mit Hilfe der moderaten Kräfte im Land. Und auch die Christen vor Ort könnten,
obwohl nur als kleine Minderheit vertreten, dazu beitragen, wie der Länderexperte
an einem konkreten Beispiel deutlich macht:
„Es geht hier um den neu eingeführten
Erzbischof von Mossul, Emil ShimounNona. Er ist der jüngste Erzbischof
der katholischen Weltkirche - gerade mal 42 Jahre alt. Dieser junge Erzbischof hat
jetzt die immense Aufgabe, den Christen Hoffnung zu vermitteln. Er lebt in Mossul,
wo es um Weihnachten und in den vergangenen Tagen immer wieder zu Anschlägen gekommen
ist, mit mehreren Toten! Das zeigt die Schwierigkeit seiner Aufgabe. Er muss die Christen
dazu motivieren, im Land zu bleiben, dass sie nicht völlig verzweifeln an ihrer Lage.“
Auch
am Tag der Amtseinführung des jungen Erzbischofs ist ein christlicher Geschäftsmann
bei einem Anschlag in Mossul erschossen worden. Nona ist der Amtsnachfolger von Paulos
Faradsch Raho, der vor zwei Jahren entführt und tot aufgefunden worden war. Als westliche
Christen unsere Verbundenheit mit den verfolgten Christen im Irak zum Ausdruck zu
bringen: Das sei unsere Aufgabe, betont Pelster. Vor diesem Hintergrund, und auch,
weil der Untersuchungsausschuss in London dieses Thema ausgeklammert habe, freue ihn
die Initiative Kardinal Christoph Schönborns, der in diesen Tagen als Fürsprecher
der irakischen Christen in die USA reisen will:
„Zunächst einmal ist es
sehr zu begrüßen, dass Kardinal Schönborn in diesem Zusammenhang die dramatische Lage
der Christen ansprechen will. In den 80er Jahren gab es noch ungefähr 1,4 Millionen
Christen im Irak. Heute sind es deutlich weniger als 400.000. Das ist sicherlich von
der Weltöffentlichkeit in den vergangenen Jahren zu wenig beachtet worden.“
Hoffnung
auf mehr Aufmerksamkeit für das Drama der irakischen Christen bestehe aber dennoch
– auch, oder vielleicht sogar besonders nach dem Untersuchungsausschuss vom Freitag:
„Zum
Glück ändert sich dieser Trend! So gab es ja in den vergangenen ein, zwei Jahren die
Diskussion, inwieweit irakische Flüchtlinge auch in der Europäischen Union aufgenommen
werden sollen. Es ist auf jeden Fall gut, dass es diesen Untersuchungsausschuss gibt.
Er kann vielleicht zu mehr Klarheit in diesem Sachverhalt beitragen. Und vielleicht
kommen die Politiker ja dadurch dazu, künftig mehr über diplomatische und friedliche
Konfliktlösungsstrategien nachzudenken.“