In den letzten Tagen sind wieder einige Fälle von sexuellem Missbrauch öffentlich
geworden: in den Bistümern Berlin und Essen. In allen Fällen wird von den kirchlichen
Stellen auf bestehende Verfahrensordnungen verwiesen. Wir geben hier einen kurzen
Überblick, was es mit diesen Ordnungen auf sich hat.
Die deutsche und die schweizerische
Bischofskonferenz haben sich unabhängig voneinander im Jahr 2002 Leitlinienpapiere
gegeben, die beschreiben, wie in Missbrauchsfällen vorzugehen ist. Diese sind dann
von den einzelnen Bistümern übernommen worden und dort auch erhältlich.
Einige
wichtige Punkte dieser Leitlinien:
Im Papier der Schweizer Bischofskonferenz
wird zuerst ganz deutlich hervorgehoben, dass bei den Vorgängen, die einem Missbrauch
folgen, eine gewisse Dynamik zu Grunde liegt. Dazu gehört zum Beispiel eine Bagatellisierung:
Es sei ja doch „nur harmlos“ gewesen. Dieser Dynamik ist durch Aufklärung entgegenzutreten.
Wenn jemand Hilfe oder Rat sucht oder in einer Seelsorgsbeziehung wie etwa der Jugendseelsorge
ist, ist diese Person in einer abhängigen Beziehung. Hier ist jede sexuelle Beziehung
ein Missbrauch. Oft besteht die Meinung, dies sei erst bei handfester Gewalt der Fall
- doch dem ist nicht so. Jedes Ausnützen einer Überlegenheit ist Gewalt und schafft
Opfer. Auch wenn eine vermeintliche Zustimmung des Opfers vorliegt oder das Opfer
angeblich die Beziehung selber gewollt hat: Dies alles kann die Tat des Missbrauchs
nicht entschuldigen und dient nur der Bagatellisierung - und damit dem Schutz des
Täters, nicht dem des Opfers.
Es ist in den Bischofskonferenzen bewusst die
Entscheidung getroffen worden, keine allgemeine Regelung für alle Bistümer zu erlassen:
Die Kirche will keine große Bürokratie schaffen, sondern den Opfern möglichst direkt
zur Verfügung stehen. So sind die Bistümer auch frei, ihre Beauftragten für die Missbrauchsfälle
zu benennen. Jedes Bistum soll sich eine eigene Struktur und eigene Verfahren geben
und darin auch Beauftragte benennen. Zu dieser Struktur gehört auch die Verpflichtung,
Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger unverzüglich dem Beauftragten anzuzeigen.
Dieses Gebot ist stärker als die Verschwiegenheitspflicht, die das kirchliche Arbeitsrecht
einräumt: Der Schutz des Opfers geht vor. Dies gilt allerdings nicht für ein Beichtgespräch:
Das Beichtsiegel, also das Gebot, weder die Sünde noch den Sünder in irgendeiner Weise
zu nennen, ist auf keinen Fall zu brechen. Hier besteht ein Konflikt, den der betroffene
Priester mit dem Beichtenden zu lösen hat. Auch werden in der Regel anonyme Anzeigen
gegen Mitarbeiter oder Priester nicht beachtet.
Die Bischofskonferenzen wollen
Transparenz im Verfahren schaffen. Bei den Vertuschungen der Vergangenheit ist viel
Leid entstanden, das zu dem Leid des Missbrauchs selber noch hinzu kommt. Darüber
hinaus ist die Glaubwürdigkeit der Kirche und damit der Mitarbeiter, die sich nichts
haben zuschulden kommen lassen, beschädigt worden. Dem soll mit dieser Transparenz
entgegengewirkt werden. Aber bei aller Sorge um das Vertrauen, dass die Kirche genießt
und für ihren Auftrag und Dienst braucht, gilt doch die Fürsorge der Kirche zuerst
dem Opfer oder den Opfern. Die Schädigungen und Verletzungen müssen ernstgenommen
werden und andere Erwägungen hintenan stehen.
Mit Blick auf die Behandlung,
die diese Fälle in der Öffentlichkeit erfahren, wird in den verschiedenen Verfahrensordnungen
der Bistümer aber auch betont, dass der Verdächtige ein Recht auf Schutz der Persönlichkeitsrechte
hat, vor allem, wenn es sich tatsächlich nur um einen Verdacht, noch nicht um eine
bewiesene oder gestandene Tat handelt.
Dieses Thema soll auch in der Ausbildung
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst, in der Ausbildung zum
Priester und der Ordensausbildung einen gebührenden Platz bekommen. Psychologische
und pädagogische Forschungen sollen hier verstärkt in Anspruch genommen werden, um
präventiv in Zukunft diesen Fällen vorzubeugen.
Im Einzelnen werden in den
Leitlinien weiter folgende Punkte geregelt: Erste Prüfung und Beurteilung, kirchliche
Voruntersuchung, Information der römischen Glaubenskongregation, Zusammenarbeit mit
den staatlichen Strafverfolgungsbehörden, Hilfen für Opfer und Täter, kirchliche Strafmaßnahmen,
Öffentlichkeitsarbeit, Prävention. Dabei gilt, dass diese Richtlinien nicht nur für
Geistliche gelten, sondern analog auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
der haupt-, neben- und ehrenamtlichen Seelsorge und Arbeit.