2010-01-30 10:14:35

D/Schweiz: Jeder Missbrauchsfall ist einer zuviel


In den letzten Tagen sind wieder einige Fälle von sexuellem Missbrauch öffentlich geworden: in den Bistümern Berlin und Essen. In allen Fällen wird von den kirchlichen Stellen auf bestehende Verfahrensordnungen verwiesen. Wir geben hier einen kurzen Überblick, was es mit diesen Ordnungen auf sich hat.

Die deutsche und die schweizerische Bischofskonferenz haben sich unabhängig voneinander im Jahr 2002 Leitlinienpapiere gegeben, die beschreiben, wie in Missbrauchsfällen vorzugehen ist. Diese sind dann von den einzelnen Bistümern übernommen worden und dort auch erhältlich.

Einige wichtige Punkte dieser Leitlinien:

Im Papier der Schweizer Bischofskonferenz wird zuerst ganz deutlich hervorgehoben, dass bei den Vorgängen, die einem Missbrauch folgen, eine gewisse Dynamik zu Grunde liegt. Dazu gehört zum Beispiel eine Bagatellisierung: Es sei ja doch „nur harmlos“ gewesen. Dieser Dynamik ist durch Aufklärung entgegenzutreten. Wenn jemand Hilfe oder Rat sucht oder in einer Seelsorgsbeziehung wie etwa der Jugendseelsorge ist, ist diese Person in einer abhängigen Beziehung. Hier ist jede sexuelle Beziehung ein Missbrauch. Oft besteht die Meinung, dies sei erst bei handfester Gewalt der Fall - doch dem ist nicht so. Jedes Ausnützen einer Überlegenheit ist Gewalt und schafft Opfer. Auch wenn eine vermeintliche Zustimmung des Opfers vorliegt oder das Opfer angeblich die Beziehung selber gewollt hat: Dies alles kann die Tat des Missbrauchs nicht entschuldigen und dient nur der Bagatellisierung - und damit dem Schutz des Täters, nicht dem des Opfers.

Es ist in den Bischofskonferenzen bewusst die Entscheidung getroffen worden, keine allgemeine Regelung für alle Bistümer zu erlassen: Die Kirche will keine große Bürokratie schaffen, sondern den Opfern möglichst direkt zur Verfügung stehen. So sind die Bistümer auch frei, ihre Beauftragten für die Missbrauchsfälle zu benennen. Jedes Bistum soll sich eine eigene Struktur und eigene Verfahren geben und darin auch Beauftragte benennen. Zu dieser Struktur gehört auch die Verpflichtung, Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger unverzüglich dem Beauftragten anzuzeigen. Dieses Gebot ist stärker als die Verschwiegenheitspflicht, die das kirchliche Arbeitsrecht einräumt: Der Schutz des Opfers geht vor. Dies gilt allerdings nicht für ein Beichtgespräch: Das Beichtsiegel, also das Gebot, weder die Sünde noch den Sünder in irgendeiner Weise zu nennen, ist auf keinen Fall zu brechen. Hier besteht ein Konflikt, den der betroffene Priester mit dem Beichtenden zu lösen hat. Auch werden in der Regel anonyme Anzeigen gegen Mitarbeiter oder Priester nicht beachtet.

Die Bischofskonferenzen wollen Transparenz im Verfahren schaffen. Bei den Vertuschungen der Vergangenheit ist viel Leid entstanden, das zu dem Leid des Missbrauchs selber noch hinzu kommt. Darüber hinaus ist die Glaubwürdigkeit der Kirche und damit der Mitarbeiter, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, beschädigt worden. Dem soll mit dieser Transparenz entgegengewirkt werden. Aber bei aller Sorge um das Vertrauen, dass die Kirche genießt und für ihren Auftrag und Dienst braucht, gilt doch die Fürsorge der Kirche zuerst dem Opfer oder den Opfern. Die Schädigungen und Verletzungen müssen ernstgenommen werden und andere Erwägungen hintenan stehen.

Mit Blick auf die Behandlung, die diese Fälle in der Öffentlichkeit erfahren, wird in den verschiedenen Verfahrensordnungen der Bistümer aber auch betont, dass der Verdächtige ein Recht auf Schutz der Persönlichkeitsrechte hat, vor allem, wenn es sich tatsächlich nur um einen Verdacht, noch nicht um eine bewiesene oder gestandene Tat handelt.

Dieses Thema soll auch in der Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst, in der Ausbildung zum Priester und der Ordensausbildung einen gebührenden Platz bekommen. Psychologische und pädagogische Forschungen sollen hier verstärkt in Anspruch genommen werden, um präventiv in Zukunft diesen Fällen vorzubeugen.

Im Einzelnen werden in den Leitlinien weiter folgende Punkte geregelt: Erste Prüfung und Beurteilung, kirchliche Voruntersuchung, Information der römischen Glaubenskongregation, Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden, Hilfen für Opfer und Täter, kirchliche Strafmaßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit, Prävention. Dabei gilt, dass diese Richtlinien nicht nur für Geistliche gelten, sondern analog auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der haupt-, neben- und ehrenamtlichen Seelsorge und Arbeit.

Immer aber gilt: Jeder Fall ist einer zuviel.

(rv 30.01.2010 ord)







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