Afghanistan hat an
diesem Donnertag einmal mehr das besondere Augenmerk der Politik. Die internationale
Gemeinschaft tagt in London zu der Frage, wie Befriedung und Stabilisierung in dem
vom Krieg gezeichneten Land möglich sind. Die bisherige Afghanistan-Strategie, die
auf starke internationale Militärpräsenz gesetzt habe, hat ausgedient, erklärt der
Länderexperte von misereor, Herrmann Rupp, gegenüber Radio Vatikan: „Weil der
offensive Kampf gegen die Taliban sich erwartungsgemäß als kontraproduktiv herausgestellt
hat. Aus unserer Perspektive dreht sich die Spirale der Gewalt immer weiter. Die Diskussion
um eine Strategie für Afghanistan sollte nicht weiter aus militärischer Logik heraus
geführt werden. Vielmehr muss der Unterstützung der zivilen Entwicklung unbedingter
Vorrang eingeräumt werden. Das heißt Aufbau von tragfähigen Verwaltungsstrukturen
bis in die Distrikte hinein, Korruptionsbekämpfung durch angemessene Bezahlung von
Staatsdienern in Polizei, Verwaltung, Justiz etc. Und in Verbindung mit einer ordentlichen
Rechenschaftsablegung für die Verwendung von Hilfsgeldern.“ Eine Tendenz in
diese Richtung lasse sich auch aus der öffentlichen Diskussion der vergangenen Wochen
und Monate in Deutschland ablesen. Nicht nur die Kirchen hätten den Bundeswehreinsatz
scharf kritisiert und damit zu einem ehrlicheren Gespräch über Afghanistan beigetragen.
Auch politische Stimmen, die in London entsprechendes Gewicht besäßen, hätten diesbezügliche
Signale gesendet, betont Rupp: „Das waren vor allen Dingen Signale dahingehend,
dass das militärische Engagement nicht weiter in Richtung Kampfhandlung gehen soll,
sondern in Richtung von lokalen, friedenserhaltenden Gewaltstrukturen, also Militär
und Polizei. Und dass die Bundesregierung versucht, sich nicht dem Druck der Amerikaner
zu beugen, mehr Truppenkontingente nach Afghanistan zu entsenden.“ Grundsätzlich
sei es in der politischen Diskussion sinnvoller, nach neuen Begriffen für die Aufbauarbeit
zu suchen und nicht vom „Wiederaufbau“ im Land zu sprechen, meint der Afghanistan-Experte: „Weil
dies eine Situation impliziert, wo man einen Status quo wiederherstellt, wie er zu
einem früheren Zeitpunkt bereits bestanden habe. Wenn man aber bedenkt, dass 90 Prozent
dessen, was derzeit an Strukturen in Afghanistan aufgebaut wird, bislang in dieser
Form zumindest nicht vorhanden war, ist vielmehr von einer Entwicklung und einem Neuaufbau
zu sprechen. Und das impliziert auch, dass man in wesentlich längeren Kontexten denken
muss.“ Delegationen aus knapp 70 Ländern kommen in London zusammen, um über
die Zukunft von Afghanistan zu beraten und einen Grundstein für den späteren Abzug
der internationalen Truppen zu legen. An der Londoner Konferenz nehmen auch UNO-Generalsekretär
Ban Ki-Moon und der afghanische Präsident Hamid Karzai teil. (rv 28.01.2010 vp)