Diplomat Horstmann: „Shoah-Gedenken nicht auf einen Tag beschränken“
Der deutsche Botschafter
beim Heiligen Stuhl, Hans Henning Horstmann, fordert dazu auf, das „Erinnern und Gedenken“
an die Judenvernichtung im Dritten Reich „nicht auf einen Tag im Jahr“ zu beschränken.
In seiner Monats-Kolumne für Radio Vatikan nimmt Berlins Mann fürs Päpstliche mit
Genugtuung die deutlichen Worte zum Thema Shoah zur Kenntnis, die Papst Benedikt an
diesem Mittwoch bei seiner Generalaudienz gefunden hat. Hier können Sie den Beitrag
von Dr. Horstmann lesen und hören. Beitrag für Radio Vatikan 28. Januar 2010 Das
Erinnern und Gedenken kann nicht auf einen Tag im Jahr beschränkt bleiben.
Sehr
verehrte Hörerinnen, sehr verehrte Hörer,
gestern, am 27. Januar, wurde in
Deutschland, in Israel, in Italien, in Großbritannien und anderen Staaten der Opfer
des Nationalsozialismus gedacht. Papst Benedikt XVI. erinnerte bei der Generalaudienz
an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor
65 Jahren mit bewegenden Worten. Zur selben Stunde bekräftigten der Papst eindringlich
in Rom, der israelische Staatspräsident Peres vor dem Deutschen Bundestag in Berlin
: "Nie wieder!"
Für die Menschen guten Willens ist die Erinnerung und das Gedenken
an die zentral organisierte und systematische Vernichtung der jüdischen Kinder, Männer
und Frauen, der Vernichtung von Sinti und Roma, der Homosexuellen, politisch Unbequemen
und der Kranken voll Schmerz und Mitgefühl. Und: diese Erinnerung ist eine die klare
Aufforderung an sich selbst und an andere, blutrünstige Diktatoren nicht zu ignorieren.
Bundespräsident
Horst Köhler sagte am 26. Januar zu Präsident Shimon Peres: "Die Verantwortung aus
der Shoah ist und bleibt Teil der deutschen Identität". Wir Deutschen stellen uns
unserer Verantwortung für die Taten von Deutschen. 1952 wurde in Luxemburg mit dem
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel die Grundlage
für die Gestaltung der einzigartigen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Staat
Israel gelegt. Vielfach wird seit 1952 von Wiedergutmachung gesprochen. Wir können
nicht wieder gut machen was geschehen ist. Wir können helfen, Leiden zu mindern.
Die
deutsche Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" hat in diesem Bemühen einen
wichtigen Platz. Wir erinnern, stellen uns unserer Verantwortung und versuchen gemeinsam
mit Israel und den jüdischen Organisationen in den USA aber auch in Europa und in
unserem eigenen Land aus unserer Verantwortung heraus Zukunftsprojekte zu finanzieren.
Wir verdanken es der Initiative wahrhaftiger und großer Persönlichkeiten wie
Ben Gurion und Adenauer, dass wir nach den Verbrechen des Nationalsozialismus die
Beziehungen zu Israel und die Annäherung an die Überlebenden der Shoah gestalten konnten.
Deutschland
ist heute ein wichtiger Partner für Israel in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und
kulturellem Austausch. So haben wir zum Beispiel mit Israel regelmäßige Regierungskonsultationen
vereinbart. In Deutschland wachsen die jüdischen Gemeinden und heute leben ca. 140.000
Bürger jüdischen Glaubens in unserem Land. In Deutschland werden heute wieder Rabbiner
in Potsdam ausgebildet. Dieses Vertrauen in die Deutschen und ihre seit 1949 gewachsene
Demokratie ist ein Gut, mit dem wir behutsam und einfühlsam umgehen werden.
Die
Erklärung "Nostra aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils im Oktober 1965 hat die
Grundlage für einen institutionalisierten Dialog zwischen der römisch-katholischen
Kirche und den Juden gelegt. Heute ist es der deutsche Kurienkardinal Kasper, der
diesen Dialog mit hohem persönlichen Einsatz erfolgreich führt.
"Nostra aetate"
enthält mit seinem Appell an die Anerkennung des Anderen auch die universelle Aufforderung,
gegen Rassenhass und Antisemitismus vorzugehen.
Deshalb ist das Erinnern und
das Gedenken so wichtig. Es kann nicht auf einen von den Vereinten Nationen in einer
Resolution festgelegten Tag im Jahr beschränkt bleiben. Die Sondergleise auf den Bahnhöfen
in Berlin-Grunewald, Paris-Bobigny und das Gleis 21 in Mailand, die sämtlich in Vernichtungslager
führten, sind tägliche Mahnung.
Mir liegen die vielen staatlichen und privaten
Initiativen am Herzen, die aus den ehemaligen Mordstätten Gedenkstätten und Lehrstätten
gestaltet haben. Schloss Hartheim in Oberösterreich ist ein Beispiel von vielen: zwischen
1940 und 1944 wurden in Schloss Hartheim über 70.000 Menschen vor allem wegen geistiger
und körperlicher Behinderung ermordet. Heute ist Schloss Hartheim ein Musterprojekt
für Aufklärung und Jugendarbeit, die weit in den deutschsprachigen Raum hinein strahlt.
In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Schulprojekten, in denen Jugendliche jüdische
Gräber pflegen, jüdische Lebensläufe recherchieren und durch das Studium der Vergangenheit
konkrete Arbeitsprojekte für die Zukunft gestalten.
Die lokalen Kirchen sind
oft in diese Arbeit eingebunden. Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit
leisten seit Jahrzehnten wertvolle Beiträge zu Verständnis und Versöhnung.
Der
französische Priester Patrick Desbois und seine Organisation Yahad-in Unum reisen
seit sechs Jahren auf der Suche nach Zeitzeugen des Holocaust durch die Ukraine, Weißrussland
und Teilen von Russland, um den Massenmord an den Juden aufzuklären. Er hat gemeinsam
mit seinem kleinen Team Großartiges geleistet und versucht unermüdlich, die Massengräber
durch die Befragung von Zeitzeugen zu entdecken, sie freizulegen und den Ermordeten
eine würdige Ruhestätte zu geben. Patrick Desbois hat seine rastlose Arbeit mit dem
Ruf begründet "Wir können Europa nicht auf unbekannten Massengräbern aufbauen". Das
sieht die deutsche Bundesregierung genauso und unterstützt daher tatkräftig die Arbeit
von Patrick Desbois.
Die finanziellen Leistungen und das stete Erinnern sind
fruchtbringende Investitionen für gegenseitige Achtung, besseres Verstehen und konkrete
Zusammenarbeit. In einer Welt, die nach Orientierung sucht, sind Mahnzeichen auch
Wegweisungen in die Zukunft. Papst Benedikt XVI. hat gesagt: "Die Erinnerung an diese
Ereignisse muss uns dazu anspornen, die Bande, die uns einen, zu stärken, damit immer
mehr Verständnis, der Respekt und die gegenseitige Annahme wachsen." Dies ist für
mich eine ermutigende Aufforderung, in unseren Anstrengungen für eine gemeinsame Zukunft
von Christen und Juden nicht nachzulassen.