2010-01-28 15:43:42

Diplomat Horstmann: „Shoah-Gedenken nicht auf einen Tag beschränken“


RealAudioMP3 Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Hans Henning Horstmann, fordert dazu auf, das „Erinnern und Gedenken“ an die Judenvernichtung im Dritten Reich „nicht auf einen Tag im Jahr“ zu beschränken. In seiner Monats-Kolumne für Radio Vatikan nimmt Berlins Mann fürs Päpstliche mit Genugtuung die deutlichen Worte zum Thema Shoah zur Kenntnis, die Papst Benedikt an diesem Mittwoch bei seiner Generalaudienz gefunden hat. Hier können Sie den Beitrag von Dr. Horstmann lesen und hören.
Beitrag für Radio Vatikan 28. Januar 2010
Das Erinnern und Gedenken kann nicht auf einen Tag im Jahr beschränkt bleiben.

Sehr verehrte Hörerinnen, sehr verehrte Hörer,

gestern, am 27. Januar, wurde in Deutschland, in Israel, in Italien, in Großbritannien und anderen Staaten der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Papst Benedikt XVI. erinnerte bei der Generalaudienz an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 65 Jahren mit bewegenden Worten. Zur selben Stunde bekräftigten der Papst eindringlich in Rom, der israelische Staatspräsident Peres vor dem Deutschen Bundestag in Berlin : "Nie wieder!"

Für die Menschen guten Willens ist die Erinnerung und das Gedenken an die zentral organisierte und systematische Vernichtung der jüdischen Kinder, Männer und Frauen, der Vernichtung von Sinti und Roma, der Homosexuellen, politisch Unbequemen und der Kranken voll Schmerz und Mitgefühl. Und: diese Erinnerung ist eine die klare Aufforderung an sich selbst und an andere, blutrünstige Diktatoren nicht zu ignorieren.

Bundespräsident Horst Köhler sagte am 26. Januar zu Präsident Shimon Peres: "Die Verantwortung aus der Shoah ist und bleibt Teil der deutschen Identität". Wir Deutschen stellen uns unserer Verantwortung für die Taten von Deutschen. 1952 wurde in Luxemburg mit dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel die Grundlage für die Gestaltung der einzigartigen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Staat Israel gelegt. Vielfach wird seit 1952 von Wiedergutmachung gesprochen. Wir können nicht wieder gut machen was geschehen ist. Wir können helfen, Leiden zu mindern.

Die deutsche Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" hat in diesem Bemühen einen wichtigen Platz. Wir erinnern, stellen uns unserer Verantwortung und versuchen gemeinsam mit Israel und den jüdischen Organisationen in den USA aber auch in Europa und in unserem eigenen Land aus unserer Verantwortung heraus Zukunftsprojekte zu finanzieren.

Wir verdanken es der Initiative wahrhaftiger und großer Persönlichkeiten wie Ben Gurion und Adenauer, dass wir nach den Verbrechen des Nationalsozialismus die Beziehungen zu Israel und die Annäherung an die Überlebenden der Shoah gestalten konnten.

Deutschland ist heute ein wichtiger Partner für Israel in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und kulturellem Austausch. So haben wir zum Beispiel mit Israel regelmäßige Regierungskonsultationen vereinbart. In Deutschland wachsen die jüdischen Gemeinden und heute leben ca. 140.000 Bürger jüdischen Glaubens in unserem Land. In Deutschland werden heute wieder Rabbiner in Potsdam ausgebildet. Dieses Vertrauen in die Deutschen und ihre seit 1949 gewachsene Demokratie ist ein Gut, mit dem wir behutsam und einfühlsam umgehen werden.

Die Erklärung "Nostra aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils im Oktober 1965 hat die Grundlage für einen institutionalisierten Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und den Juden gelegt. Heute ist es der deutsche Kurienkardinal Kasper, der diesen Dialog mit hohem persönlichen Einsatz erfolgreich führt.

"Nostra aetate" enthält mit seinem Appell an die Anerkennung des Anderen auch die universelle Aufforderung, gegen Rassenhass und Antisemitismus vorzugehen.

Deshalb ist das Erinnern und das Gedenken so wichtig. Es kann nicht auf einen von den Vereinten Nationen in einer Resolution festgelegten Tag im Jahr beschränkt bleiben. Die Sondergleise auf den Bahnhöfen in Berlin-Grunewald, Paris-Bobigny und das Gleis 21 in Mailand, die sämtlich in Vernichtungslager führten, sind tägliche Mahnung.

Mir liegen die vielen staatlichen und privaten Initiativen am Herzen, die aus den ehemaligen Mordstätten Gedenkstätten und Lehrstätten gestaltet haben. Schloss Hartheim in Oberösterreich ist ein Beispiel von vielen: zwischen 1940 und 1944 wurden in Schloss Hartheim über 70.000 Menschen vor allem wegen geistiger und körperlicher Behinderung ermordet. Heute ist Schloss Hartheim ein Musterprojekt für Aufklärung und Jugendarbeit, die weit in den deutschsprachigen Raum hinein strahlt. In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Schulprojekten, in denen Jugendliche jüdische Gräber pflegen, jüdische Lebensläufe recherchieren und durch das Studium der Vergangenheit konkrete Arbeitsprojekte für die Zukunft gestalten.

Die lokalen Kirchen sind oft in diese Arbeit eingebunden. Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit leisten seit Jahrzehnten wertvolle Beiträge zu Verständnis und Versöhnung.

Der französische Priester Patrick Desbois und seine Organisation Yahad-in Unum reisen seit sechs Jahren auf der Suche nach Zeitzeugen des Holocaust durch die Ukraine, Weißrussland und Teilen von Russland, um den Massenmord an den Juden aufzuklären. Er hat gemeinsam mit seinem kleinen Team Großartiges geleistet und versucht unermüdlich, die Massengräber durch die Befragung von Zeitzeugen zu entdecken, sie freizulegen und den Ermordeten eine würdige Ruhestätte zu geben. Patrick Desbois hat seine rastlose Arbeit mit dem Ruf begründet "Wir können Europa nicht auf unbekannten Massengräbern aufbauen". Das sieht die deutsche Bundesregierung genauso und unterstützt daher tatkräftig die Arbeit von Patrick Desbois.

Die finanziellen Leistungen und das stete Erinnern sind fruchtbringende Investitionen für gegenseitige Achtung, besseres Verstehen und konkrete Zusammenarbeit. In einer Welt, die nach Orientierung sucht, sind Mahnzeichen auch Wegweisungen in die Zukunft. Papst Benedikt XVI. hat gesagt: "Die Erinnerung an diese Ereignisse muss uns dazu anspornen, die Bande, die uns einen, zu stärken, damit immer mehr Verständnis, der Respekt und die gegenseitige Annahme wachsen." Dies ist für mich eine ermutigende Aufforderung, in unseren Anstrengungen für eine gemeinsame Zukunft von Christen und Juden nicht nachzulassen.

(rv 28.01.2010 sk)







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