D: „Heil kannte ich nur aus der Kirche" – Prälat Scheipers überlebte das KZ
„Weil man die Heiligkeit
Gottes nicht mehr anerkannte, wurde auch die Heiligkeit menschlichen Lebens mit Füßen
getreten.“ Diese Worte sagte Papst Benedikt im August 2005 bei seinem Besuch in der
Kölner Synagoge. Am kommenden Mittwoch, dem 27. Januar, wird weltweit erneut an die
Opfer des Nationalsozialismus erinnert - beim UNO-Gedenktag für die Opfer des Holocaust.
Dass diesem Regime Menschen auch wegen ihres Glaubens zum Opfer fielen, wissen heute
nur wenige. Der römisch-katholische Priester Hermann Scheipers war aus diesem Grund
im Konzentrationslager Dachau interniert. Er überlebte die NS-Zeit und die SED-Diktatur
in der ehemaligen DDR. Im Gespräch mit Radio Vatikan blickt er zurück. Scheipers:
„Das
waren zwei Diktaturen, die unvereinbar waren mit dem christlichen Glauben. Sie haben
es beide verstanden zu täuschen. Hitler war Meister im Taktieren und Täuschen, zeigte
sich nach außen hin als gottgläubig. Das Hauptziel war aber die Ausrottung des Glaubens
überhaupt. 1934 hat Hitler bereits bei Tischgesprächen gesagt: Man ist entweder ein
Christ oder ein Deutscher. Ebenso dann später die Kommunisten in der SED-Diktatur.
Sie haben zum Atheismus und Kommunismus erzogen. Im Endziel waren beide Diktaturen
gleich! Es fiel mir als Schüler schon auf, dass es unter den vielen Parteien in der
Weimarer Zeit nur zwei gab, die das Heil versprachen: Heil Hitler und die Kommunisten
mit geballter Faust Heil Moskau. Das Wort Heil hatte ich bisher nur in der Kirche
gehört.“
Als „fanatischer Verfechter der Kirche“ trage Scheipers „Unruhe
in die Bevölkerung“, so das Todesurteil der Nationalsozialisten für den standhaften
Seelsorger. Im KZ Dachau war Scheipers mit evangelischen und katholischen Geistlichen,
darunter dem Dresdner Märtyrer Paul Richter, im so genannten „Priesterblock“ untergebracht.
Diese Unterbringung hatte die katholische Kirche in Verhandlungen mit den Nationalsozialisten
für die Pfarrer in Dachau bewirkt.
„Durch die Verhandlungen mit Bischof
Wienken durften alle Priester und Geistliche verschiedener Konfessionen aus verschiedenen
Gefängnissen in den Priesterblock nach Dachau. Das war eine große Erleichterung. Es
gab sogar eine Kapelle, das hat uns sehr geholfen.“
In dieser Kapelle
feierten die Priester die wohl erste und einzige Priesterweihe im KZ – die des jungen
und sterbenskranken Diakons Karl Leisner am dritten Adventssonntag 1944. Heimlich
und unter lebensgefährlichem Einsatz wurden nicht nur ein internierter Bischof für
die Zeremonie gewonnen, sondern auch die nötigen Utensilien und Genehmigungen organisiert.
Für Scheipers, der kurz vor dem Abtransport in die Gaskammer stand, war die Begegnung
mit Leisner ein Hoffnungszeichen.
„Karl Leisner war auch damals für mich
fast prophetisch. Er war auf dem Krankenrevier und ich im Invalidenblock. Er sah mich
und sagte mir: Denk an die drei Jünglinge im Feuerofen im Buch Daniel. Gott schickt
einen Engel und rettet sie. Genauso wie Gott diese drei gerettet hat, so kann er auch
dir einen Engel schicken. Ja und der Engel – das war dann meine Schwester!“ Acht
Mal schwebte Hermann Scheipers in Dachau in Lebensgefahr, doch überlebte „wie ein
Wunder“ und - dank seiner Schwester. Anna Scheipers, durch Briefe über das Schicksal
ihres Bruders informiert, sprach bei der Berliner Gestapo vor. Sie behauptete wagemutig,
das ganze Münsterland ginge wegen der KZ-Priester auf die Barrikaden. Vermutlich lagen
den Nationalsozialisten noch die unbequemen Predigten des Bischofs von Galen im Ohr,
der gegen die Tötung „unwerten Lebens“ wetterte. Sie wollten keinen Aufstand. Und
so ließen sie Scheipers und andere Dachauer Priester tatsächlich am Leben. Auf einem
Todesmarsch am 27. April 1945, zwei Tage vor der Befreiung Dachaus durch amerikanische
Streitkräfte, gelang Scheipers dann endgültig die Flucht. Über seine schlimmen Erlebnisse
konnte der Geistliche 20 Jahre lang nicht sprechen.
„Da saß der Schock
noch zu tief. Und außerdem hatte ich keine Zeit. Ich kam ja dann 1946 schon wieder
zurück in die Sowjetzone, zum Ärger meiner Eltern, die sagten: Fünf Jahre haben wir
um dich Angst gehabt, jetzt gehst du zu den Russen. Da musste ich laufend tätig sein
für die Heimatvertriebenen in Hubertusburg, die kamen aus Schlesien, Böhmen, Sudetendeutschland,
Ostpreußen, später auch Ungarn. Ich war ein Sonderfall in dieser zweiten Diktatur.
Ich war ein Opfer des Faschismus, wie sie das nannten.“
Und zum „Opfer“
wurde der Priester auch fast in der SED-Diktatur. In der atheistischen DDR deckte
Scheipers in seinen Predigten die „faschistischen Züge“ dieses angeblich so „antifaschistischen
Staates“ auf. Er unterstützte den Bau von Kirchen und sozialen Einrichtungen, engagierte
sich in der Jugendarbeit. Und geriet damit ins Visier der Staatsmacht. Vier Jahre
lang wurden 15 Stasi-Spitzel auf ihn angesetzt, mit dem Ziel, ihn wegen „staatsfeindlicher
Hetze“ verurteilen zu können. Der Glaube – auch hier wurde er zum Widerstand gegen
das totalitäre Regime. „Ich hatte immer die Idee: Je mehr du die Jugend und
die Gemeinde im Glauben befestigst, desto mehr werden die immun gegen das Gift des
Nationalsozialismus. Das war also meine Aufgabe. Und es war in der DDR dieselbe Aufgabe.
Die Kirche hat ja nicht die Aufgabe, politisch gegen irgendein Regime zu kämpfen,
aber sie muss den Glauben verkündigen – gelegen oder ungelegen.“
Aus taktischen,
kirchenpolitischen Erwägungen kam der SED-Prozess gegen Scheipers letztlich nicht
zustande. Wieder einmal hatte er „wie ein Wunder“ überlebt. Im Brennglas seines Lebens
zwischen zwei Diktaturen, dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus, zieht der heute
96-jährige „Ideologieexperte“ folgende Bilanz:
„Den ersten Diaktaturen,
die ich als Schüler kennengelernt habe - Mussolini in Italien, Franco in Spanien -,
war es völlig egal, ob einer in die Kirche ging oder nicht, ob einer Jude war oder
nicht. Die wollten nur die äußere Macht: Finanzen und die Arbeitskraft des Volkes.
Die beiden Diktaturen Kommunismus und Nationalsozialismus wollten mehr als die äußere
Macht, sie wollten den ganzen Menschen, seine Seele, dass man an sie glaubt. Sie haben
das von uns verlangt, was nur Gott verlangen kann: Den Glauben an ihre Ideologie und
totale Hingabe."
Totale Hingabe an Gott, davon erzählt Scheipers Leben.
Von der vitalen Kraft eines Menschen, der noch im Schlimmsten - so sagt er selbst
- die „Geborgenheit Gottes“ zu fühlen verstand.