Wer kennt schon Bhutan? Ein kleines Königreich – weniger als 1 Million Einwohner. hoch
oben in den Hochtälern des Himalaja – benachbart zu Indien und Nepal, ein armes Land. Nur
schwer erreichbar – noch nicht überschwemmt von Touristen – hoch oben in den Bergen,
kaum auszumachen mit dem bloßen Augen, kleine Punkte – Klöster des Buddhismus – Orte
der Meditation. Nahezu aus jeder Familie stammt ein Mönch.
Die Natur in phantastischer
Pracht – auf den Hochebenen der Nachbarschaft zu Tibet: Dort habe ich den Schwarzhalskranich
beobachten können – ein herrlicher Vogel, nahezu überall vom Aussterben bedroht.
In
der Hauptstadt habe ich eine Audienz bei dem König. Der noch recht junge Monarch hat
abgedankt, hat für seine Bevölkerung den Weg zur Demokratie geöffnet. Das Gespräch
konzentriert sich schnell auf Entwicklung – auf wirtschaftliche Entwicklung, auf Steigerung
des Wohlstandes, auf Überwindung von Armut. Ich verweise darauf, dass das Bruttosozialprodukt
pro Kopf bei nur rund 2.000 Dollar liegt – bei uns in den ach so hoch entwickelten
Ländern sind es fast 30.000 Euro.
Dann die Überraschung in diesem Gespräch:
Nicht um das Bruttosozialprodukt, im Englischen GNP (Gross National Product), ginge
es ihm, argumentiert der König, sondern um die GNH (Gross National Happiness), also
die Steigerung des Glücks der Bürger dieses Landes. Das Glück, eben nicht nur abhängig
von der Menge der erzeugten Güter und Dienstleistungen, bewertet jeweils über ihren
Marktpreis. Das Glück vielmehr: abhängig von vielen immateriellen Größen – von der
Intaktheit der Gesellschaft, dem Zusammenhalt in den Familien und der Nachbarschaft,
der Intaktheit der Natur, des Bewusstseins religiöser Werte und deren Bedeutung für
das tägliche Leben.
Eine lächerliche, verschrobene Idee – halt nur denkbar
oben weitab von dem pulsierenden Leben der Weltwirtschaft? Die Steigerung des Bruttosozialprodukts
– mindestens 2% brauchen wir in Deutschland jährlich, um rechnerisch die massive Verschuldung
abzutragen, die nicht zuletzt dadurch entstanden ist, dass der Staat, dass wir alle
als Steuerzahler die Schulden in Zukunft abtragen müssen, die durch Bankenchaos und
Wirtschaftskrise entstanden sind. Ganz zu schweigen von den Verschuldungen, die wir
in der Übernutzung des Naturkapitals, der Schöpfung angehäuft haben – die Rote Liste
der vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen wird weiterhin länger und länger –
weggeworfene Natur, missachtete Schöpfung. Dieses Jahr ist das Jahr der Artenvielfalt.
Wer weiß schon, was der Verlust von Vielfalt wirklich bedeutet, was Rücksichtslosigkeit
gegen Schöpfung in unseren Köpfen anrichtet? Das Grundgesetz kennt neuerdings auch
ein Verschuldungsverbot. Eine Überschuldung gegenüber der Natur ist dort nicht erfasst.
Die Ausbeutung der Leistungen der Natur schreitet voran – die Atmosphäre, die Ozeane,
die großen Waldgebiete der Welt: überlastete, übernutzte Zeugen für einen Wohlstandes,
der bestenfalls das Bruttosozialprodukt steigert, keineswegs aber gleichzeitig das
Glück der Menschen, die Verantwortung für Zukunft.
Nachdenken über die richtigen
Stellgrößen für den Wohlstand der Menschen – keineswegs also nur eine verschrobene
Idee fernab bei den Himalaja-Gipfeln. Vor kurzem hat Präsident Sarkozy das Ergebnis
einer von ihm eingesetzten Expertenkommission vorgestellt. Geleitet von Nobelpreisträgern
für Wirtschaft – Professor Stieglitz etwa, früherer Chefvolkswirt der Weltbank und
der Inder Amartai Sen. Ihr Auftrag: zu ergründen, ob dieses Bruttosozialprodukt wirklich
Wohlstand widerspiegelt. Die Wirtschaftswissenschaftler sind da ebenfalls mehr und
mehr skeptisch. Wohl bekannte Argumente aus den vergangenen Jahrzehnten werden wieder
aktuell – die Qualität des Wachstums etwa. Die Frage, inwieweit wir nur an der Beseitigung
der negativen Folgen bisherigen Wachstums das Bruttosozialprodukt steigern. Die Frage
auch, wie dieses wirtschaftliche Wachstum in unserer Gesellschaft verteilt wird –
ob dadurch die Kluft zwischen arm und reich weiter gesteigert wird. Vor allem aber
führt nicht diese Fixierung auf diesen Wohlstandsindikator zu einer laufenden Prämie
auf die Kurzfristigkeit unserer Entscheidungen? Die Wirtschaftskrise, unter deren
Folgen wir nach wie vor massiv leiden – und die Ärmsten der Armen der Welt am meisten: Ist
sie nicht ein Offenbarungseid der Kurzfristigkeit, wurden und werden die vollen Kosten
des Wohlstandes verdrängt, abgeschoben auf die Zukunft, auf Menschen in anderen Regionen
– auf die Natur? Das kleine Ländchen Bhutan – nicht schlicht zu belächeln, wenn
nach dem Glück der Menschen gefragt und gesucht wird, wenn darauf hin gearbeitet wird.
Sicherlich auch eine Rückfrage an einen jeden von uns, sich der wirklichen Kosten
des Wohlstandes bewusst zu werden. Keine Aufgabe von jetzt auf gleich – aber wie lautet
die alte chinesische Spruchweisheit: Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.