Fremdheit, Ökumene, Begeisterung - Evangelisches Sabbatjahr in Rom
Der Vatikan lockt
Pilger aus aller Welt nach Rom, darunter stets auch viele Geistliche. Besonders in
der Nähe von St. Peter sieht man zu jeder Tageszeit zahlreiche Priester und Ordensleute
– doch sind sie meist katholisch. Eine evangelische Schwester stellt da schon eine
Seltenheit dar. So etwa Schwester Adelheid aus der Nähe von Hannover. Sie ist Pfarrerin,
gehört seit 42 Jahren der Kommunität der Christusbruderschaft des alten Augustinerinnenklosters
Wülfinghausen an und verbringt eine spirituelle Auszeit, ein „Sabbatjahr“, in Rom.
Im Gespräch mit Radio Vatikan verrät sie, wie es dazu gekommen ist:
„Pfarrerinnen
und Pfarrer haben etwa alle zehn Jahre die Möglichkeit, ein Studiensemester zu machen.
Ich habe das noch nie in Anspruch genommen und darum meine Kirchenleitung gefragt,
ob ich nicht auch mal so ein Studiensemester bekäme, da ich mich nach sechzehn Jahren
Aufbauarbeit im Kloster erschöpft gefühlt habe und gerne mal wieder in Ruhe lesen,
nachdenken und mich vertiefen wollte. Zuerst habe ich daran gedacht, es in Deutschland,
in Münster zu machen. Dort gibt es ein Spiritualitätsinstitut. Aber dann haben mir
viele geraten, geh doch ins Ausland! Und da wir starke ökumenische Kontakte haben,
hat mich Rom gelockt - und ich bereue es auch nicht.“
Der ökumenische Gedanke
prägt die Arbeit der Pfarrerin in Deutschland nicht zufällig, sondern vor einem ganz
bestimmten Erfahrungshorizont:
„Ich habe bei Jesuiten eine Ausbildung für
geistliche Begleitung und Exerzitienbegleitung gemacht. Und dabei sind ganz tiefe
Freundschaften mit katholischen Freundinnen und Freunden entstanden. Wir arbeiten
stark ökumenisch in der Exerzitienbegleitung zusammen und begleiten einander auch
gegenseitig in Einzelbegleitung. Und das ist eine ganz schöpferische Arbeit, die beide
Seiten bereichert. Dafür haben wir sogar in Göttingen den Edith Stein-Preis erhalten
- für unser grenzüberschreitendes ökumenisches Engagement. Und von daher schlägt mein
Herz für die Ökumene, und ich habe mich gedacht: Ja, auf nach Rom! Da ist die Geschichte
der Christenheit greifbar. Steingewordene Geschichte... Und es ist schon stark, das
zu erleben.“
Aber auch die Ökumene zwischen den evangelischen Kirchengemeinschaften
erlebt Schwester Adelheid während ihres sechsmonatigen Romaufenthaltes hautnah:
„Ich
bin in der evangelischen Fakultät der Waldenser untergebracht. Das ist eine kleine
italienische Kirche, die Jahrhunderte lang verfolgt war und seit gut einhundert Jahren
hier in Rom eine Fakultät hat. Und da wohne ich im Studentenwohnheim mit Baptisten,
Methodisten, Waldensern, Lutheranern und einigen deutschen Studenten zusammen. Aber
ich habe ganz verschiedenen Kontakte hier in Rom.“
Diese Kontakte bringen
sie auch mit vielen Katholiken zusammen. Schwester Adelheid geht mit offenen Augen
durch die Ewige Stadt und sammelt ganz unterschiedliche Eindrücke:
„Ich
sehe auch die katholische Kirche noch einmal neu, ihre Größe und das Weltumspannende,
das Zentrale. Was sicherlich ein Schatz ist, aber zugleich auch eine Schwerfälligkeit
mit sich bringt. Ich merke hier vor Ort, dass die Dominanz der Katholischen auch etwas
Steriles hat. In Deutschland lässt sich jede Seite von der anderen befruchten und
herausfordern. Und das tut jeder Seite gut. Und das fehlt mir ein bisschen hier in
Rom. Jetzt verstehe ich diese Schwerfälligkeit mehr. Dennoch habe ich eine große Achtung
vor dem Reichtum des Ordenslebens hier. Ich habe schon viele schöne Begegnungen mit
ganz unterschiedlichen Orden gehabt. Es interessiert mich sehr, wie sie ihr Gründungscharisma
heute wieder zu verlebendigen versuchen, vor dem Hintergrund ihrer oft schon viele
Jahrhunderte alten Geschichte.“
Und auch zur Rolle der Frau in der katholischen
Kirche hat sich die evangelische Pfarrerin ihr eigenes Bild gemacht:
„Ich
denke, die Frau hat es schwerer in der katholischen Kirche als in unserer Kirche.
Ich freue mich, dass ich als Frau Pfarrerin sein kann und in vielen Dingen geistlich
handeln kann. Und da wünschte ich, es würden noch andere Wege gefunden. Ich habe die
Priesterweihe in Sant`Ignazio miterleben dürfen: Das war sehr beeindruckend, wie eine
Profess in unserem Kloster. Das war sehr schön, ich freue mich daran. Aber das ist
eine reine Männersache und für mich dadurch ungewohnt.“
Der spirituelle
Reichtum der katholischen Kirche, vor allem hinsichtlich ihrer Klostertraditionen,
sei allerdings ein Schatz, dessen Wert man gar nicht hoch genug einschätzen könne.
Das betont die Pfarrerin. Auch auf evangelischer Seite suche man nach Möglichkeiten,
einen solchen Reichtum für sich zu entdecken:
„Bei uns in der evangelischen
Kirche ist eine starke Suchbewegung nach Spiritualität aufgebrochen. Unsere evangelische
Frömmigkeit ist manchmal etwas wortlastig, etwas kopflastig. Und so wird nach Möglichkeiten
der Meditation und des Gebetes gesucht, um wieder tiefer aus Quellen schöpfen zu können.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind unabhängig voneinander einige evangelische Kommunitäten
entstanden; Taizé ist die bekannteste. Nach einer vierhundertjährigen Klostervergessenheit
hat man diese Berufung in unserer Kirche wiederentdeckt. Luther hatte das ja scharf
kritisiert und gesagt, das sei keine zweite Taufe und kein besseres geistliches Leben,
sicher mit Recht. Aber die Schärfe der Kritik hat sozusagen das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet und das Klosterleben in unserer Kirche ganz zum Erliegen gebracht. Und
das ist schade, weil es doch eine der vielen Möglichkeiten ist, Christ zu sein und
das Evangelium zu leben.“