Mit einer feierlichen Messe in St. Peter hat Papst Benedikt am Freitag das neue Jahr
eröffnet. In seiner Predigt zum Hochfest der Gottesmutter Maria und zum kirchlichen
Weltfriedenstag, der an Neujahr begangen wird, rief der Papst eindringlich zum Frieden
auf. Wir dokumentieren hier die Papst-Predigt in einer deutschen Arbeitsübersetzung.
„Verehrte
Brüder, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern!
Am ersten
Tag des Jahres haben wir die Freude und die Gnade, gleichzeitig die allerheiligste
Muttergottes und den Weltfriedenstag zu feiern. Zu beiden Anlässen feiern wir Christus,
den Sohn Gottes, geboren von der Jungfrau Maria und unser wahrer Frieden! Vor Ihnen
allen, die Sie hier zusammengekommen sind: Gesandte der Völker der Welt, der römischen
und Weltkirche, Priester und Gläubige; und vor allen, die über Radio und Fernsehen
mit uns verbunden sind, wiederhole ich die alten Segensworte: Der Herr wende sein
Angesicht dir zu und schenke dir Heil (Nm 6,26). Eben das Thema des Gesichtes und
der Gesichter möchte ich heute im Licht des Wortes Gottes vertiefen - das Gesicht
Gottes und die Gesichter der Menschen. Ein Thema, das uns auch einen Schlüssel bietet
zu den Problemen des Friedens auf der Welt.
In der ersten Lesung – aus dem
Buch Numeri – und im Antwortpsalm haben wir einige Ausdrücke gehört, die die Metapher
des Gott zugewandten Angesichts beinhalten: “Der Herr lasse sein Angesicht über dich
leuchten und sei dir gnädig “(Nm 6,25); “Gott sei un gnädig und segne uns. Er lasse
über uns sein Angesicht leuchten, damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter
allen Völkern sein Heil.” (Ps 67, 2-3). Das Gesicht ist der Ausdruck schlechthin der
Person, das, was sie wiedererkennbar macht, das, worin sich ihre Gefühle, Gedanken,
Herzensabsichten spiegeln. Gott ist von seiner Natur her unsichtbar, und doch ordnet
die Bibel auch Ihm dieses Bild zu. Zeigt Er sein Gesicht, ist das Ausdruck Seines
Wohlwollens; versteckt Er es dagegen, drückt das Zorn und Geringschätzung aus. Das
Buch Exodus sagt: “Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen
miteinander reden” (Ex 33,11), und ebenfalls dem Mose verspricht der Herr seine Nähe
mit einer einzigartigen Ausdrucksweise: “Mein Angesicht wird mitgehen, bis ich dir
Ruhe verschafft habe” (Ex 33,14). Die Psalmen präsentieren uns die Gläubigen als jene,
die das Antlitz Gottes suchen (Ps 27,8; 105,4), die im Kult sich bemühen, es zu sehen
(Ps 42,3), und sie sagen uns, dass diejenigen, die Rechtschaffenen “sein Angesicht
schauen” dürfen (Ps 11,7).
Die gesamte biblische Erzählung lässt sich lesen
als ein fortschreitendes Enthüllen des göttlichen Antlitzes, bis es seinen vollen
Ausdruck in Jesus Christus findet. “Als aber die Zeit erfüllt war”, so erinnert uns
auch heute der Apostel Paulus, “sandte Gott seinen Sohn” (Gal 4,4), und er fügt sogleich
hinzu: “geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt”. Das Antlitz Gottes hat
das Aussehen eines Menschen angenommen, es ließ sich schauen und wiedererkennen im
Sohn der Jungfrau Maria, die wir deshalb mit dem hohen Titel der “Muttergottes” verehren.
Sie, die im Herzen das Geheimnis der Mutterschaft Gottes bewahrte, war die erste,
die das Antlitz des Mensch gewordenen Gottes in der Frucht ihres Leibes sah. Die Mutter
hat eine ganz besondere, einzigartige und gleichsam exklusive Bindung zu ihrem Neugeborenen.
Das erste Gesicht, das ein Kind sieht, ist das der Mutter, und dieser Anblick ist
entscheidend für seine Verbindung zum Leben, zu den anderen, zu Gott; er ist auch
enscheidend, damit es ein “Kind des Friedens” (Lk 10,6) werden kann. In der byzantinischen
Tradition gibt es unter den zahlreichen Typologien von Ikonen der Jungfrau Maria jene
der “Gottesmutter der Zärtlichkeit”; sie zeigt das Jesuskind Wange an Wange mit der
Mutter. Das Kind sieht die Mutter an, und diese sieht uns an, als wollte sie dem betenden
Beobachter die Zärtlichkeit Gottes spiegeln, der vom Himmel in sie herabgestiegen
und Fleisch geworden ist in jenem Menschensohn, den sie in Armen hält. In dieser Marienikone
können wir etwas von Gott selbst betrachten: Ein Zeichen der unauslöschlichen Liebe,
die ihn dazu brachte, “seinen einzigen Sohn hinzugeben” (Joh 3,16). Doch dieselbe
Ikone zeigt uns in Maria auch das Antlitz der Kirche, die uns und der ganzen Welt
das Licht Christi spiegelt, jener Kirche, durch die die Frohe Botschaft jeden Menschen
ereicht: “Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn” (Gal 4,7) – wie wir wiederum
bei Paulus lesen.
Brüder im Bischofs- und im Priesteramt, Botschafter, liebe
Freunde! Über das Geheimnis des göttlichen und des menschlichen Antlitzes nachzudenken,
ist ein privilegierter Weg zum Frieden. Dieser beginnt ja in der Tat mit einem respektvollen
Blick, der im Gesicht des Anderen eine Person erkennt, was auch immer seine Hautfarbe
ist, seine Nationalität, seine Sprache, seine Religion. Wer aber, wenn nicht Gott,
kann sozusagen für die “Tiefe” des menschlichen Antlitzes einstehen? In Wirklichkeit
sind wir nur dann, wenn wir Gott im Herzen haben, dazu fähig, im Gesicht des anderen
einen Bruder in der Menschlichkeit zu erkennen, kein Mittel, sondern ein Ziel, keinen
Rivalen und keinen Feind, sondern ein anderes Ich, eine Facette des unendlichen Geheimnisses
des menschlichen Wesens. Unsere Wahrnehmung der Welt und besonders unserer Mitmenschen
hängt wesentlich ab von der Anwesenheit des Geistes Gottes in uns. Es ist eine Art
Resonanz: Wer ein leeres Herz hat, nimmt nur flache Bilder ohne Tiefe wahr. Je mehr
wir dagegen von Gott bewohnt sind, umso empfänglicher sind wir auch für seine Gegenwart
in allem, was uns umgibt: in allen Kreaturen, besonders in den anderen Menschen. Dennoch
ist es manchmal schwer, gerade das menschliche Gesicht, wenn es von der Härte des
Lebens und des Bösen gezeichnet ist, wertzuschätzen und es wahrzunehmen als Epiphanie
Gottes. Wenn wir einander anerkennen und respektieren wollen als das, was wir sind,
nämlich Brüder, sind wir also umso mehr darauf angewiesen, uns auf das Antlitz eines
gemeinsamen Vaters zu berufen, der uns alle liebt, trotz unserer Grenzen und unserer
Fehler.
Von klein auf ist es wichtig, erzogen zu werden zum Respekt für den
Nächsten, auch wenn er anders ist als wir. Immer alltäglicher wird heute die Erfahrung
von Schulklassen, die aus Kindern verschiedener Nationalitäten bestehen. Aber selbst
wenn das nicht der Fall ist, sind die Gesichter dieser Kinder wie eine Weissagung
der Menschheit, die wir berufen sind zu bilden: eine Familie aus Familien und aus
Völkern. Je kleiner diese Kinder sind, umso mehr lösen sie in uns die Zärtlichkeit
und die Freude über eine Unschuld und eine Geschwisterlichkeit aus, die uns offensichtlich
erscheinen: Trotz ihrer Unterschiedlichkeit weinen und lachen sie auf die selbe Art,
haben die selben Bedürfnisse, kommunizieren spontan, spielen miteinander... die Gesichter
der Kinder sind wie ein Abglanz der Sicht Gottes auf die Welt. Warum also ihr Lächeln
auslöschen?Warum ihre Herzen vergiften? Leider findet die Ikone der Muttergottes der
Zärtlichkeit ihr tragisches Gegenstück in den schmerzvollen Bildern vieler Kinder
und ihrer Mütter, die Krieg und Gewalt ausgesetzt sind: Flüchtlinge, Vertriebene,
Migranten. Gesichter, die gezeichnet sind vom Hunger und von Krankheiten, entstellt
von Schmerz und Verzweiflung. Die Gesichter der unschuldigen Kinder sind ein stiller
Appell an unsere Verantwortung: Gegenüber ihrer Wehrlosigkeit fallen alle falschen
Rechtfertigungen des Kriegs und der Gewalt in sich zusammen. Wir müssen uns einfach
bekehren zu Projekten des Friedens, müssen Waffen jeder Art niederlegen und uns alle
zusammen einsetzen für eine Welt, die des Menschen würdiger ist.
Meine Botschaft
zum heutigen 43. Weltfriedenstag: “Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung”
stellt sich mitten in die Perspektive des Antlitzes Gottes und der Gesichter der Menschen.
Wir können in der Tat bestätigen, dass der Mensch dazu in der Lage ist, die Kreaturen
zu achten, in dem Maß wie er in seinem Geist einen vollen Lebenssinn trägt. Andernfalls
wird er dazu neigen, sich selbst und seine Umgebung gering zu schätzen und keinen
Respekt für die Umwelt und die Schöpfung zu haben. Wer im Kosmos den Abglanz des unsichtbaren
Antlitzes des Schöpfers zu erkennen vermag, neigt dazu, mehr Liebe für die Kreaturen
zu empfinden, mehr Sensibilität für ihren symbolischen Wert. Besonders das Buch der
Psalmen ist reich an Zeugnissen dieser wirklich menschlichen Art, sich zur Natur in
Beziehung zu setzen: Mit dem Himmel, dem Meer, den Bergen, den Hügeln, Flüssen, Tiefen...
“Herr, wie zahlreich sind deine Werke!”, ruft der Psalmist aus. “Mit Weisheit hast
du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.” (Ps 104,24).
Besonders
die Perspektive des “Antlitzes” lädt dazu ein, nachzudenken über das, was ich, auch
in dieser Botschaft, “menschliche Ökologie” genannt habe. Tatsächlich besteht ein
enger Zusammenhang zwischen dem Respekt des Menschen und dem Schutz der Schöpfung.
“Die Pflichten gegenüber der Umwelt leiten sich aus jenen gegenüber der Person her,
die in sich selbst in Beziehung zu den anderen steht” (ebd, 12). Wenn der Mensch sich
erniedrigt, erniedrigt sich die Umwelt, in der er lebt; wenn die Kultur einem Nihilismus
zuneigt, kann die Natur nicht anders als die Konsequenzen tragen. Es ist ein gegenseitiger
Einfluss erkennbar zwischen dem Antlitz des Menschen und dem “Antlitz” der Umwelt:
“Wenn die menschliche Ökologie in der Gesellschaft respektiert wird, zieht auch die
Ökologie der Umwelt Nutzen daraus” (ebd.; vgl. Enz. Caritas in veritate, 51). Ich
erneuere deshalb meinen Appell, in die Erziehung zu investieren und, über die notwendige
Übermittlung technisch-wissenschaftlicher Begriffe hinaus, auf ein erweitertes und
vertieftes “ökologisches Verantwortungsbewusstsein” abzuzielen, das sich gründet auf
dem Respekt des Menschen und seiner grundlegenden Rechte und Pflichten. Nur so kann
der Einsatz für die Umwelt wirklich eine Erziehung zum Frieden und ein Bauen am Frieden
werden.
Liebe Brüder und Schwestern, in die Weihnachtszeit fällt ein Psalm,
der unter anderem ein großartiges Beispiel darüber enthält, wie das Kommen Gottes
die Schöpfung verwandelt und eine Art kosmisches Fest auslöst. Diese Hymnus beginnt
mit einer universellen Einladung zum Gotteslob: “Singt dem Herrn ein neues Lied, singt
dem Herrn, alle Länder der Erde! Singt dem Herrn und preist seinen Namen” (Ps 96,1-2).
An einer bestimmten Stelle dann erweitert sich dieser Aufruf zum Jubel auf die gesamte
Schöpfung: “Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke, es brause das Meer und alles,
was es erfüllt. Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst. Jubeln sollen alle Bäume
des Waldes (Ps 96,11-12). Das Fest des Glaubens wird ein Fest des Menschen und der
Schöpfung: Jenes Fest, das man zu Weihnachten auch mit dem Schmücken der Bäume, der
Straßen, der Häuser zum Ausdruck bringt. Die Jungfrau Maria zeigt das Jesuskind den
Hirten von Betlehem, die Gott rühmen und preisen (vgl. Lk 2,20); die Kirche erneuert
das Geheimnis für die Menschen jeder Generation und zeigt ihnen das Antlitz Gottes,
damit sie, mit Seinem Segen, auf dem Weg des Friedens voranschreiten können.“
Hinweis: Dies ist eine Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan. Sie ist ausschließlich
zur privaten Nutzung bestimmt und darf aus rechtlichen Gründen nicht weiter verbreitet
werden, auch nicht auf anderen Webseiten. Die autorisierte Übersetzung der Predigt
erscheint in Kürze in der deutschen Ausgabe des „Osservatore Romano“.