2010-01-01 10:39:00

Dokument: Papst-Predigt zu Neujahr


Mit einer feierlichen Messe in St. Peter hat Papst Benedikt am Freitag das neue Jahr eröffnet. In seiner Predigt zum Hochfest der Gottesmutter Maria und zum kirchlichen Weltfriedenstag, der an Neujahr begangen wird, rief der Papst eindringlich zum Frieden auf. Wir dokumentieren hier die Papst-Predigt in einer deutschen Arbeitsübersetzung.

„Verehrte Brüder, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern!

Am ersten Tag des Jahres haben wir die Freude und die Gnade, gleichzeitig die allerheiligste Muttergottes und den Weltfriedenstag zu feiern. Zu beiden Anlässen feiern wir Christus, den Sohn Gottes, geboren von der Jungfrau Maria und unser wahrer Frieden! Vor Ihnen allen, die Sie hier zusammengekommen sind: Gesandte der Völker der Welt, der römischen und Weltkirche, Priester und Gläubige; und vor allen, die über Radio und Fernsehen mit uns verbunden sind, wiederhole ich die alten Segensworte: Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil (Nm 6,26). Eben das Thema des Gesichtes und der Gesichter möchte ich heute im Licht des Wortes Gottes vertiefen - das Gesicht Gottes und die Gesichter der Menschen. Ein Thema, das uns auch einen Schlüssel bietet zu den Problemen des Friedens auf der Welt.

In der ersten Lesung – aus dem Buch Numeri – und im Antwortpsalm haben wir einige Ausdrücke gehört, die die Metapher des Gott zugewandten Angesichts beinhalten: “Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig “(Nm 6,25); “Gott sei un gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil.” (Ps 67, 2-3). Das Gesicht ist der Ausdruck schlechthin der Person, das, was sie wiedererkennbar macht, das, worin sich ihre Gefühle, Gedanken, Herzensabsichten spiegeln. Gott ist von seiner Natur her unsichtbar, und doch ordnet die Bibel auch Ihm dieses Bild zu. Zeigt Er sein Gesicht, ist das Ausdruck Seines Wohlwollens; versteckt Er es dagegen, drückt das Zorn und Geringschätzung aus. Das Buch Exodus sagt: “Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden” (Ex 33,11), und ebenfalls dem Mose verspricht der Herr seine Nähe mit einer einzigartigen Ausdrucksweise: “Mein Angesicht wird mitgehen, bis ich dir Ruhe verschafft habe” (Ex 33,14). Die Psalmen präsentieren uns die Gläubigen als jene, die das Antlitz Gottes suchen (Ps 27,8; 105,4), die im Kult sich bemühen, es zu sehen (Ps 42,3), und sie sagen uns, dass diejenigen, die Rechtschaffenen “sein Angesicht schauen” dürfen (Ps 11,7).

Die gesamte biblische Erzählung lässt sich lesen als ein fortschreitendes Enthüllen des göttlichen Antlitzes, bis es seinen vollen Ausdruck in Jesus Christus findet. “Als aber die Zeit erfüllt war”, so erinnert uns auch heute der Apostel Paulus, “sandte Gott seinen Sohn” (Gal 4,4), und er fügt sogleich hinzu: “geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt”. Das Antlitz Gottes hat das Aussehen eines Menschen angenommen, es ließ sich schauen und wiedererkennen im Sohn der Jungfrau Maria, die wir deshalb mit dem hohen Titel der “Muttergottes” verehren. Sie, die im Herzen das Geheimnis der Mutterschaft Gottes bewahrte, war die erste, die das Antlitz des Mensch gewordenen Gottes in der Frucht ihres Leibes sah. Die Mutter hat eine ganz besondere, einzigartige und gleichsam exklusive Bindung zu ihrem Neugeborenen. Das erste Gesicht, das ein Kind sieht, ist das der Mutter, und dieser Anblick ist entscheidend für seine Verbindung zum Leben, zu den anderen, zu Gott; er ist auch enscheidend, damit es ein “Kind des Friedens” (Lk 10,6) werden kann. In der byzantinischen Tradition gibt es unter den zahlreichen Typologien von Ikonen der Jungfrau Maria jene der “Gottesmutter der Zärtlichkeit”; sie zeigt das Jesuskind Wange an Wange mit der Mutter. Das Kind sieht die Mutter an, und diese sieht uns an, als wollte sie dem betenden Beobachter die Zärtlichkeit Gottes spiegeln, der vom Himmel in sie herabgestiegen und Fleisch geworden ist in jenem Menschensohn, den sie in Armen hält. In dieser Marienikone können wir etwas von Gott selbst betrachten: Ein Zeichen der unauslöschlichen Liebe, die ihn dazu brachte, “seinen einzigen Sohn hinzugeben” (Joh 3,16). Doch dieselbe Ikone zeigt uns in Maria auch das Antlitz der Kirche, die uns und der ganzen Welt das Licht Christi spiegelt, jener Kirche, durch die die Frohe Botschaft jeden Menschen ereicht: “Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn” (Gal 4,7) – wie wir wiederum bei Paulus lesen.

Brüder im Bischofs- und im Priesteramt, Botschafter, liebe Freunde! Über das Geheimnis des göttlichen und des menschlichen Antlitzes nachzudenken, ist ein privilegierter Weg zum Frieden. Dieser beginnt ja in der Tat mit einem respektvollen Blick, der im Gesicht des Anderen eine Person erkennt, was auch immer seine Hautfarbe ist, seine Nationalität, seine Sprache, seine Religion. Wer aber, wenn nicht Gott, kann sozusagen für die “Tiefe” des menschlichen Antlitzes einstehen? In Wirklichkeit sind wir nur dann, wenn wir Gott im Herzen haben, dazu fähig, im Gesicht des anderen einen Bruder in der Menschlichkeit zu erkennen, kein Mittel, sondern ein Ziel, keinen Rivalen und keinen Feind, sondern ein anderes Ich, eine Facette des unendlichen Geheimnisses des menschlichen Wesens. Unsere Wahrnehmung der Welt und besonders unserer Mitmenschen hängt wesentlich ab von der Anwesenheit des Geistes Gottes in uns. Es ist eine Art Resonanz: Wer ein leeres Herz hat, nimmt nur flache Bilder ohne Tiefe wahr. Je mehr wir dagegen von Gott bewohnt sind, umso empfänglicher sind wir auch für seine Gegenwart in allem, was uns umgibt: in allen Kreaturen, besonders in den anderen Menschen. Dennoch ist es manchmal schwer, gerade das menschliche Gesicht, wenn es von der Härte des Lebens und des Bösen gezeichnet ist, wertzuschätzen und es wahrzunehmen als Epiphanie Gottes. Wenn wir einander anerkennen und respektieren wollen als das, was wir sind, nämlich Brüder, sind wir also umso mehr darauf angewiesen, uns auf das Antlitz eines gemeinsamen Vaters zu berufen, der uns alle liebt, trotz unserer Grenzen und unserer Fehler.

Von klein auf ist es wichtig, erzogen zu werden zum Respekt für den Nächsten, auch wenn er anders ist als wir. Immer alltäglicher wird heute die Erfahrung von Schulklassen, die aus Kindern verschiedener Nationalitäten bestehen. Aber selbst wenn das nicht der Fall ist, sind die Gesichter dieser Kinder wie eine Weissagung der Menschheit, die wir berufen sind zu bilden: eine Familie aus Familien und aus Völkern. Je kleiner diese Kinder sind, umso mehr lösen sie in uns die Zärtlichkeit und die Freude über eine Unschuld und eine Geschwisterlichkeit aus, die uns offensichtlich erscheinen: Trotz ihrer Unterschiedlichkeit weinen und lachen sie auf die selbe Art, haben die selben Bedürfnisse, kommunizieren spontan, spielen miteinander... die Gesichter der Kinder sind wie ein Abglanz der Sicht Gottes auf die Welt. Warum also ihr Lächeln auslöschen?Warum ihre Herzen vergiften? Leider findet die Ikone der Muttergottes der Zärtlichkeit ihr tragisches Gegenstück in den schmerzvollen Bildern vieler Kinder und ihrer Mütter, die Krieg und Gewalt ausgesetzt sind: Flüchtlinge, Vertriebene, Migranten. Gesichter, die gezeichnet sind vom Hunger und von Krankheiten, entstellt von Schmerz und Verzweiflung. Die Gesichter der unschuldigen Kinder sind ein stiller Appell an unsere Verantwortung: Gegenüber ihrer Wehrlosigkeit fallen alle falschen Rechtfertigungen des Kriegs und der Gewalt in sich zusammen. Wir müssen uns einfach bekehren zu Projekten des Friedens, müssen Waffen jeder Art niederlegen und uns alle zusammen einsetzen für eine Welt, die des Menschen würdiger ist.

Meine Botschaft zum heutigen 43. Weltfriedenstag: “Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung” stellt sich mitten in die Perspektive des Antlitzes Gottes und der Gesichter der Menschen. Wir können in der Tat bestätigen, dass der Mensch dazu in der Lage ist, die Kreaturen zu achten, in dem Maß wie er in seinem Geist einen vollen Lebenssinn trägt. Andernfalls wird er dazu neigen, sich selbst und seine Umgebung gering zu schätzen und keinen Respekt für die Umwelt und die Schöpfung zu haben. Wer im Kosmos den Abglanz des unsichtbaren Antlitzes des Schöpfers zu erkennen vermag, neigt dazu, mehr Liebe für die Kreaturen zu empfinden, mehr Sensibilität für ihren symbolischen Wert. Besonders das Buch der Psalmen ist reich an Zeugnissen dieser wirklich menschlichen Art, sich zur Natur in Beziehung zu setzen: Mit dem Himmel, dem Meer, den Bergen, den Hügeln, Flüssen, Tiefen... “Herr, wie zahlreich sind deine Werke!”, ruft der Psalmist aus. “Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.” (Ps 104,24).

Besonders die Perspektive des “Antlitzes” lädt dazu ein, nachzudenken über das, was ich, auch in dieser Botschaft, “menschliche Ökologie” genannt habe. Tatsächlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Respekt des Menschen und dem Schutz der Schöpfung. “Die Pflichten gegenüber der Umwelt leiten sich aus jenen gegenüber der Person her, die in sich selbst in Beziehung zu den anderen steht” (ebd, 12). Wenn der Mensch sich erniedrigt, erniedrigt sich die Umwelt, in der er lebt; wenn die Kultur einem Nihilismus zuneigt, kann die Natur nicht anders als die Konsequenzen tragen. Es ist ein gegenseitiger Einfluss erkennbar zwischen dem Antlitz des Menschen und dem “Antlitz” der Umwelt: “Wenn die menschliche Ökologie in der Gesellschaft respektiert wird, zieht auch die Ökologie der Umwelt Nutzen daraus” (ebd.; vgl. Enz. Caritas in veritate, 51). Ich erneuere deshalb meinen Appell, in die Erziehung zu investieren und, über die notwendige Übermittlung technisch-wissenschaftlicher Begriffe hinaus, auf ein erweitertes und vertieftes “ökologisches Verantwortungsbewusstsein” abzuzielen, das sich gründet auf dem Respekt des Menschen und seiner grundlegenden Rechte und Pflichten. Nur so kann der Einsatz für die Umwelt wirklich eine Erziehung zum Frieden und ein Bauen am Frieden werden.

Liebe Brüder und Schwestern, in die Weihnachtszeit fällt ein Psalm, der unter anderem ein großartiges Beispiel darüber enthält, wie das Kommen Gottes die Schöpfung verwandelt und eine Art kosmisches Fest auslöst. Diese Hymnus beginnt mit einer universellen Einladung zum Gotteslob: “Singt dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn, alle Länder der Erde! Singt dem Herrn und preist seinen Namen” (Ps 96,1-2). An einer bestimmten Stelle dann erweitert sich dieser Aufruf zum Jubel auf die gesamte Schöpfung: “Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke, es brause das Meer und alles, was es erfüllt. Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst. Jubeln sollen alle Bäume des Waldes (Ps 96,11-12). Das Fest des Glaubens wird ein Fest des Menschen und der Schöpfung: Jenes Fest, das man zu Weihnachten auch mit dem Schmücken der Bäume, der Straßen, der Häuser zum Ausdruck bringt. Die Jungfrau Maria zeigt das Jesuskind den Hirten von Betlehem, die Gott rühmen und preisen (vgl. Lk 2,20); die Kirche erneuert das Geheimnis für die Menschen jeder Generation und zeigt ihnen das Antlitz Gottes, damit sie, mit Seinem Segen, auf dem Weg des Friedens voranschreiten können.“

Hinweis: Dies ist eine Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan. Sie ist ausschließlich zur privaten Nutzung bestimmt und darf aus rechtlichen Gründen nicht weiter verbreitet werden, auch nicht auf anderen Webseiten. Die autorisierte Übersetzung der Predigt erscheint in Kürze in der deutschen Ausgabe des „Osservatore Romano“.

(rv 01.01.2010 gs)







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