Die Kirchen in Deutschland und Österreich haben zum Jahreswechsel dazu ermuntert,
die Wirtschaftskrise zur Erneuerung zu nutzen. Sie riefen die Bundesbürger zugleich
zu mehr Umweltschutz und gesellschaftlichem Engagement auf. Der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, forderte größere
Anstrengungen, um den Zusammenhalt der Gesellschaft auch in der Wirtschaftskrise zu
gewährleisten. Egoismus habe zu ihrer Entstehung geführt, deshalb sei jetzt jeder
Einzelne dazu aufgerufen, mehr Rücksichtnahme gegenüber dem anderen zu üben, forderte
Zollitsch am Silvesterabend im Freiburger Münster. Das neue Jahr solle Anlass sein,
den eigenen Lebensstil auf Maß und Verantwortung hin zu überdenken. Es dürfe nicht
zur Zerstörung der Lebensgrundlagen kommen, warnte Zollitsch mit Blick auf Klimawandel
und Umweltzerstörung. Umso schmerzlicher sei es, dass es auf dem Klimagipfel in Kopenhagen
nicht gelungen sei, ein verbindliches Nachfolgeabkommen für Kyoto zu beschließen,
beklagte Zollitsch. „Es scheint nach wie vor der Grundsatz zu gelten: Nachhaltiges
Wirtschaften und ökologisches Handeln haben nur dann eine Chance, wenn es sich auch
ökonomisch rechnet!“ Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland,
Margot Käßmann, rief zu mehr Wagemut auf. Chancen und Herausforderungen machten
nicht vergessen, dass es auch Schwieriges zu bewältigen gebe, schreibt sie in ihrer
Neujahrsbotschaft. Doch wer neue Wege gehen wolle, dürfe nicht vor allem zurückschrecken. Der
Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann mahnte zu weniger Hast im täglichen Leben.
„Wir können zwar den Lauf der Zeit nicht anhalten, aber es kommt darauf an, wie wir
mit ihr umgehen“, sagte Lehmann in seiner Neujahrspredigt am Donnerstag in Mainz.
Angesichts der Hektik des modernen Lebens sprächen viele Menschen davon, dass sie
ihr Leben „entschleunigen“ wollten. Eine Entschleunigung bringe es mit sich, dass
Menschen mehr Zeit füreinander hätten. Es gebe aber auch Zeiten, in denen sei Eile
unvermeidlich, räumte der Kardinal ein. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner
hat die weltweite Verfolgung von Christen verurteilt. Wie andere Kirchenvertreter
ermunterte er in seiner Predigt zum Jahreswechsel dazu, die Wirtschaftskrise zur Erneuerung
zu nutzen. Gemeinsam riefen sie die Bundesbürger zugleich zu mehr Umweltschutz und
gesellschaftlichem Engagement auf. Meisner kritisierte
außerdem ein unverantwortliches Handeln von Verantwortlichen in der Wirtschaft und
auf dem Finanzsektor. Vielen Menschen sei in den vergangenen Monaten großer Schaden
zugefügt worden. Mit Sorge blicke er auch auf den weltweiten Terrorismus, bei dem
Menschen in Selbstmordattentaten missbraucht und benutzt würden. Der Erzbischof
von München und Freising, Reinhard Marx, hat vor einem Verlust der Kultur durch
die Ökonomisierung aller Lebensbereiche gewarnt. Unsere Kultur werde „dominiert von
der Ideologie des ständig wachsenden materiellen Reichtums“. Diese Dominanz löse letztlich
den Begriff der Kultur selbst auf, kritisierte Marx in seiner Silvesterpredigt im
Münchner Liebfrauendom. Kultur lebe aber von der Orientierung an dem, was bleibe,
von der Suche nach dem Guten und der Wahrheit, so der Erzbischof weiter. Marx appellierte
an die Gläubigen, sich frei zu machen von subjektiven Zwängen. „Um unsere Zeit wirklich
verstehen zu können, brauchen wir einen möglichst objektiven Standpunkt, einen Ort,
wo Interessen und Vorurteile keinen Raum haben.“ Dieser Ort sei für Christen das Gebet,
sagte der Erzbischof. Die Botschaft und die Realität des Glaubens sei kein Relikt
aus vormodernen Zeiten, sondern notwendige Quelle, die nicht durch Unterhaltungsindustrie,
Sport oder materiellen Wohlstand ersetzt werden könne. Der Rottenburg-Stuttgarter
Bischof Gebhard Fürst rief die Gläubigen zum Jahreswechsel zu Zuversicht im
Glauben und verantwortlichem Handeln. Christen dürften sich trotz der gegenwärtigen
Krisen nicht entmutigen lassen, sagte Bischof Fürst am Silvestertag beim Jahresschlussgottesdienst
in Ludwigsburg. „Wir dürfen in dem Vertrauen leben, dass nichts uns von der Liebe
Gottes trennen kann“, betonte er. Enttäuscht äußerte sich Fürst über den gescheiterten
Weltklimagipfel von Kopenhagen. Christen seien zu einem verantwortungsvollen Umgang
mit der Natur aufgerufen. Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen rief dazu
auf, den Sonntag als Weltkulturerbe zu schützen. Er sei ein Entschleuniger in einem
Zeitalter der Beschleunigung. „Wir brauchen den Sonntag als Kontrapunkt gegen Flexibilisierung
und Ökonomisierung“, so Thissen. Wenn dieses Erbe verschleudert werde, müsse sich
niemand wundern, wenn andere Kulturen und Religionen diesen Platz einnähmen. „Die
Kirche in Deutschland ist keine Randerscheinung“. Das hat der Trierer Bischof Stephan
Ackermann am Donnerstagabend im Trierer Dom betont. Ackermann warnte hat die Kirche
vor einer „selbst gewählten Emigration“. Allerdings falle es auch schwer, ein visionäres
Bild von der Kirche der Zukunft zu entwerfen. Ackermann wandte sich gegen das Bild
einer Kirche als „Kirche des Exils“. Zwar gebe es Parallelen zwischen einer Exilsituation
und heutigen Kirchenerfahrungen, doch sei dieses Bild zu düster und überzeichnet.
Dabei werde das vielfältige Engagement, die Kreativität und die Vitalität kirchlichen
Lebens übersehen. Allerdings scheine es auch übertrieben, „pastorale Entdeckerfreude
und die Lust zum Aufbruch als die vorherrschende Grundstimmung in unseren Pfarreien
zu bezeichnen“, sagte er. Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker hat
zum Jahreswechsel die Menschen aufgerufen, 2010 zu einem Jahr des Dialogs zu machen.
Dazu müsse die „Sprachlosigkeit im zwischenmenschlichen Bereich“ überwunden werden,
sagte er in seiner Predigt am Silvesterabend im Dom zu Paderborn. „Worte werden missbraucht
und trennen, Worte verbinden nicht unbedingt mehr. Der Dialog droht zu sterben“, so
Beckers Analyse der modernen Gesellschaft. Um den Dialog wieder möglich zu machen,
müssten „sich alle Menschen wie Brüder und Schwestern wissen“ und sich bewegen lassen
vom Geist Jesu Christi. Der Aachener katholische Bischof Heinrich Mussinghoff
hat zum Jahreswechsel eine Rückbesinnung auf das Gemeinwohl gefordert. Gleichzeitig
würdigte er die Sozialenzyklika Papst Benedikt XVI. „Caritas in veritate“ (Die Liebe
in der Wahrheit). Dieses Lehrschreiben greife die Realität der Globalisierung auf
und nehme „zu aktuellen Themen wie der Finanzkrise, der Wirtschaftsethik, der weltweiten
Migration, Technisierung und Ökologie kritisch Stellung“, sagte er am Silvesterabend
im Aachener Dom. Dabei durchziehe das Prinzip des Gemeinwohls, festgemacht am Faktum
der Liebe, die Enzyklika wie ein roter Faden. Christen sollten ihren Glauben im
Alltag „persönlich und missionarisch“ bekennen. Dazu hat der Augsburger Bischof Walter
Mixa bei seiner Jahresabschlusspredigt in der Marienkathedrale aufgerufen. Jeder
könne seinen Glauben konkret weitergeben, etwa indem er andere zum Gottesdienstbesuch
ermuntere oder auch mit Anders-oder Nichtglaubenden über sein Christsein spreche,
sagte der Bischof. Christen sollten sich auch in Leserbriefen und Diskussionsbeiträgen
zu Wort melden, wenn der Glaube oder die Kirche angegriffen würden. „Als Christen
haben wir von unserem Herrn einen klaren Sendungsauftrag erhalten, die Botschaft Jesu
weiter zu tragen und gemeinsam missionarisch Kirche zu sein“, sagte Mixa. Die Finanzkrise
ist nur die Spitze einer viel größeren Wertekrise. Das sagte der Limburger Bischof
Franz-Peter Tebartz-van Elst in einem Pontifikalamt zum Jahreswechsel im Frankfurter
Bartholomäus-Dom. Zwar hätten sich viele düstere Prognosen zum Jahresbeginn 2009 nicht
verwirklicht. Jedoch dürfe man sich damit nicht zufrieden geben, warnte der Bischof.
Es sei falsch, dass Vielerorts in der Finanz- und Wirtschaftswelt wie auch in der
Gesellschaft so weiter gemacht werde wie bisher. „Wir dürfen die Augen nicht davor
verschließen, das Abwrackprämien Entsorgungs- und Konsum-Mentalitäten fördern, die
aber noch keine Umkehrbereitschaft bewegen“, erklärte Tebartz-van Elst. Sorge
über die Finanz- und Wirtschaftskrise drückte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph
Schönborn, in seiner TV-Silvesteransprache aus. Dabei rief er zu mehr Solidarität
mit sozial Schwachen und Ausgegrenzten auf. „Es ist Zeit, dass wir nicht wegschauen
von der Not des Nächsten, denn sie kann auch uns treffen“, sagte der Kardinal am Donnerstag
im ORF. Immer mehr Menschen in Österreich rutschten in die Armut ab und hätten zu
wenig für das tägliche Leben, beklagte Schönborn. Auch ging der Kardinal auf das enttäuschende
Ergebnis der Kopenhagener Klimakonferenz ein. Angesichts der Krisen befalle viele
Menschen ein Gefühl der Ohnmacht. Doch „wir dürfen darauf vertrauen“, so Schönborn
wörtlich, „dort wo die Hoffnung ist, dort gibt es auch eine Zukunft“. Zum neuen Jahr
lade er deshalb alle Gläubigen dazu ein „nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern
zuversichtlich aufeinander zuzugehen“. Der Linzer Bischof Ludwig Schwarz,
rief Christen dazu auf, den heiklen gesellschaftlichen und sozialen Fragen zu begegnen.
Dabei sollten sie Mut und Kraft aus der Bibel schöpfen. Im Mittelpunkt seiner Predigt
standen die sozialen und klimapolitischen Ereignisse des vergangenen Jahres. „Die
Wirtschafts- und Finanzkrise fiel nicht vom Himmel. Sie wurde durch menschliche Schuld
verursacht“, mahnte Schwarz. Die armen Länder der Welt seien von der Krise am stärksten
betroffen. Auch blickte der Bischof in seiner Predigt auf das ausklingende Kulturhauptstadtjahr
in Linz 2009 zurück: „Von kirchlicher Seite wurden wertvolle Projekte durchgeführt.
Die Turmeremitage zum Beispiel wurde weit über die Grenzen des Landes berühmt“, so
Schwarz.