Italien: Oberrabbiner vor Papstbesuch, „Streit draußen austragen“
Den Streit zwischen
Juden und Katholiken „außen vor lassen“ – das möchte Roms Oberrabbiner Riccardo Di
Segni rund um den bevorstehenden Besuch Papst Benedikts in der römischen Synagoge.
Am Nachmittag des 17. Januar begibt sich das Kirchenoberhaupt auf die andere Tiberseite
zu dieser kurzen, aber bedeutungsvollen Visite, fast 24 Jahre nach seinem Vorgänger
Johannes Paul II., der das Gebetshaus der ältesten jüdischen Gemeinde Europas als
erster Papst besucht hatte. Er wünsche sich, dass rund um die interreligiöse Visite
allfälliger Streit in den „richtigen Foren, zum richtigen Zeitpunkt und mit der nötigen
Gelassenheit“ ausgetragen werde, sagte Oberrabbiner Di Segni im Gespräch mit Radio
Vatikan:
„Wir müssten eher an die Dinge denken, die
uns einen. Nun sind Divergenzen zwar wichtig, um miteinander voranzukommen, und Diskussion
ist willkommen, sofern sie nicht in Kampf und Überwältigung ausartet. Aber jenseits
dessen sollten wir Botschaften der Brüderlichkeit und des Engagements verbreiten.
Die Welt beobachtet uns dabei und will sehen, ob uns das gelingt. Das ist die Herausforderung,
mit der wir es im Moment bezüglich dieses Besuchs zu tun haben.“
Kurz
vor Weihnachten hatte Papst Benedikt einen wichtigen Schritt zur Seligsprechung seines
Vorgängers Pius XII. gesetzt: Er erklärte per Dekret den so genannten heroischen Tugendgrad
des Pacelli-Papstes und gab ihn damit zur Verehrung durch Gläubige frei. In der jüdischen
Welt hatte diese Entscheidung für Aufsehen gesorgt, weil manche in Pius XII. nach
wie vor jenen Papst sehen, der zum Holocaust „schwieg“. Wie der römische Oberrabbiner
nochmals betonte, schätzte er die umgehende diesbezügliche Erklärung von Vatikansprecher
P. Federico Lombardi.
„Diese Klarstellung war wichtig
in einem atmosphärischen Sinn. Sie war ein Zeichen der Sensibilität des Vatikans für
die jüdische Reaktion auf das Dekret. Der Vatikan beeilte sich, den Juden die Grenzlinien
dieses Problems darzulegen. Diese Klärung kam rasch – ob sie überzeugte, steht auf
einem anderen Blatt. Allerdings betrifft die Frage nicht nur die Juden. Mir scheint,
es gibt über Pius XII. tiefe Meinungsverschiedenheiten auch in der katholischen Welt.
Die jüdische Gemeinschaft hat auch unterstrichen, dass der Besuch des Papstes nicht
sozusagen aufgerechnet werden kann gegen den historischen Streit über das Schweigen
Pius XII. Dieser historische Streit bleibt klarerweise offen.“
Rund
ein Jahr vor dem nun bevorstehenden Synagogenbesuch Papst Benedikts hatten die italienischen
Rabbiner entschieden, ihre Teilnahme am traditionellen Tag des jüdisch-christlichen
Dialogs abzusagen. Sie protestierten damit gegen die Frage der Karfreitagsfürbitte
im alten römischen Messritus.
„Diese Angelegenheit ist,
sagen wir, auf einer diplomatischen Ebene abgeschlossen. Es gibt nach wie vor ein
Gebet „de conversione iudaeorum“, und da waren Klärungen auch auf lokaler Ebene nötig.
Kardinal Angelo Bagnasco, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, stellte
ja dann klar, dass die katholische Kirche keine Absicht zur Bekehrung der Juden hat.
Und damit können wir den Dialog gelassen betreiben, denn eine Bekehrungsabsicht ist,
offen gesagt, eine Mauer, die die Kommunikation unterbindet.“
Papst
Benedikts Pontifikat dauert bald fünf Jahre. Wie schätzt der römische Oberrabbiner
das bisherige Agieren des deutschen Pontifex in katholisch-jüdischen Fragen ein?
„Was
das theologische und historische Denken Papst Benedikts und auch sein praktisches
Vorgehen bezüglich der Juden angeht, handelt es sich um ein sehr komplexes und artikuliertes
Denken. Dieses Denken ist fähig zu radikalen Öffnungen, aber es kommt auch zu Momenten
der Härte und vielleicht sogar zu Unverständnis. Wir bewegen uns also gegenüber dieser
Komplexität.“
Hauptpunkt der Papstvisite am 17. Januar
sind die Ansprachen Benedikts sowie der jüdischen Würdenträger in der Synagoge selbst.
Es folgt ein Besuch im angeschlossenen kleinen Museum. Dort wird dem Papst ein kürzlich
entdecktes historisches Dokument präsentiert werden, wie der Oberrabbiner erklärt:
„Es handelt sich um Zeugnisse aus der Zeit der Besitzergreifung
durch die Päpste in Rom. Damals wurden Prozessionen durchgeführt, und die jüdische
Gemeinde musste zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt diese Prozessionen ausstatten.
Einige von diesen Tafeln haben wir nun wiederentdeckt und stellen sie aus. Abgesehen
vom historischen und künstlerischen Wert dokumentieren sie eine Vergangenheit, in
der die Juden, die ja auch Untertanen des Papstes waren, zu Akten der Ehrerbietung
angehalten waren. Diese Stücke auszustellen, bedeutet auch, die Unterschiede zwischen
damals und heute zu verdeutlichen.“