2009-12-29 17:25:31

Das war 2009 - aus Sicht des Vatikans


RealAudioMP3 2009 – das war in gewisser Weise das „annus horribilis“ für den Vatikan – das Jahr einer Entzauberung. In der deutschen Heimat von Papst Benedikt schlug das Grundgefühl um: von „Wir sind Papst“ zu „Wir waren Papst“. Eine Geste des Heiligen Vaters in die Richtung katholischer Fundamentalisten führte zu einer schrillen Debatte vielerorts, sogar zu einer Papst-Schelte aus dem Mund der deutschen Bundeskanzlerin: So etwas hat es seit Bismarck nicht mehr gegeben. Die „Williamson-Affäre“ hat in diesem Jahr viele Scherben hinterlassen, auch viele gute Katholiken verwirrt – und die eigentlichen Anliegen des Papstes überdeckt.

Aber 2009 war noch mehr: Benedikt XVI. kam als Pilger ins Heilige Land, betete an der Klagemauer von Jerusalem und auf Golgotha, tröstete Flüchtlinge hinter der Gefängnismauer, die die palästinensischen Gebiete umgibt, knüpfte in einer Moschee in Amman an seine „Regensburger Rede“ an. Und er versuchte, mit einer Sonder-Bischofssynode und einer Reise nach Afrika der Kirche dort neuen Mut und neuen Schwung zu geben: „Afrika, steh wieder auf!“ 2009, das war nicht zuletzt auch das Jahr der dritten großen Enzyklika von Papst Benedikt: „Caritas in veritate“, sein Durchbuchstabieren der katholischen Soziallehre in Zeiten von Globalisierung und Finanzkrise.

Blicken wir gemeinsam zurück auf dieses Jahr, das jetzt zu Ende geht.

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24. Januar 2009: Nur drei Tage vor dem UNO-Gedenktag an die Opfer des Holocaust hebt Papst Benedikt die Exkommunikation gegen vier Bischöfe der Piusbruderschaft auf. Er will die Traditionalisten, die das Zweite Vatikanische Konzil nicht anerkennen und in Riten und Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und vorher verhaftet sind, in ein theologisches Gespräch ziehen, um ihren endgültigen Bruch mit Mutter Kirche zu vermeiden. Was er in diesem Moment nicht weiß: Einer der vier Bischöfe, denen er da entgegenkommt, hat Dreck am Stecken. Der Brite Richard Williamson ist ein Leugner des Holocaust. Die Medien stellen einen (falschen, aber suggestiven) Zusammenhang her: Papst rehabilitiert Holocaust-Leugner. Die Verkürzung führt zu einer heftigen Debatte, und im Vatikan igelt man sich zunächst ein, um den Sturm über die Köpfe hinwegziehen zu lassen. „Der „Spiegel“ ist an allem schuld“, sagt ein hochrangiger Kurienkardinal einem deutschen Gesprächspartner unter vier Augen. „Kommunikationspannen“ werden auch der Sprecher von Papst Benedikt und schließlich – in einem Brief an alle Bischöfe – der Papst selbst einräumen. Das Kommunikations- und Abstimmungs-Wirrwarr, das angesichts der „Williamson-Affäre“ im Vatikan sichtbar wird, ist schon für sich genommen schlimm genug.

Doch in den folgenden Wochen und Monaten müssen sich der Papst, der Vatikan und Kirchenleute weltweit gegen den Verdacht wehren, sie relativierten Auschwitz oder wollten – wie die Piusbrüder – in die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil zurück. Auf einmal scheint, wenn man den Medien glaubt, alles, was die Kirche in den letzten Jahrzehnten erreicht hat, wieder zur Disposition zu stehen: der Dialog mit anderen Religionen vor allem. Dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel – Wahljahr ist Wahljahr – glaubt, sich in die Reihe der Papst-Kritiker einreihen zu müssen, sorgt am Tiber für anhaltende Verstimmung.

Was bleibt von der Affäre Williamson? Benedikt XVI. geht geschwächt aus ihr hervor; sein zentrales Anliegen, Brüche zu vermeiden und Dissidenten so weit wie möglich entgegenzukommen, geht unter oder wirkt desavouiert. Schnell bricht nun immer, wenn der Papst etwas tut, großes Mediengeschrei aus, wie auch der Zwist um die Ernennung eines Weihbischofs in Linz zeigt. Immerhin: Das theologische Gespräch mit den Piusbrüdern beginnt tatsächlich im Vatikan, es ist jetzt bei der Glaubenskongregation angesiedelt. Aber der Preis für diesen neuen Dialog war hoch: Benedikt hat sich von den Traditionalisten vorführen lassen, so sehen es viele. Dem Papst liegt nicht an seinem Image, sondern daran, seine Hirtenaufgabe ernst zu nehmen – und doch: Wenn es ihm nicht gelingt, zu vermitteln, was er eigentlich will, droht letztlich auch seine Mission Schaden zu nehmen. Dieser Papst war immer schon ein Mann der Zwischentöne und der leisen Gesten: Man muß genau hinsehen bei ihm und sich auf seine Argumentation einlassen, nicht nur auf den Augenschein vertrauen - das lehrt einmal mehr die Williamson-Affäre.

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Mai 2009: Der Papst im Heiligen Land. Benedikt folgt den Spuren von Johannes Paul; manchmal, auf dem Mosesberg Nebo oder an der Klagemauer, wirkt es fast, als wollte er die eindringlichen Bilder von der Reise des Vorgängers aus dem Heiligen Jahr 2000 nachstellen. In Amman hält er in der neuen König-Hussein-Moschee eine Rede zum Gespräch mit dem Islam; jetzt erst kann die letzte Irritation nach der kontroversen Regensburger Rede von 2005 wirklich für überwunden gelten. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in den Bergen bei Jerusalem sagt Benedikt nachdenkliche Worte, die sich den üblichen Selbstanklage- und Entschuldigungs-Ritualen entziehen. Teile der israelischen Presse schießen sich gleich auf diese Rede ein, zeigen dadurch auch ein gerüttelt Maß Unsicherheit, wie mit diesem Papst aus dem Land der Täter im Staat der Opfer denn umzugehen sei.

Doch während der Visite wird immer klarer, dass Benedikt XVI. sich guten Ratschlägen von allen Seiten verweigert und seinen eigenen Zugang zum Nahost-Komplex, zur Lage der Christen und zu den Religionen dort findet: Gerade weil er nicht nur diplomatisch Ausgewogenes verliest, sondern seine eigenen Gedanken äußert, wirkt er auf viele glaubwürdig. Den gebeutelten Christen des Heiligen Landes tut es gut, in der Region überhaupt mal als Gruppe wahrgenommen zu werden; doch bleibt der Besuch ihres Oberhaupts aus Rom nach erstem Augenschein ohne konkrete, gleich greifbare Wirkung. Der Exodus von Christen aus dem Nahen Osten geht weiter, die Verhandlungen zwischen Vatikan und Israel über den Status der Kirche im Heiligen Land schleppen sich weiter hin, und es bleibt schwierig für Priester, für Israel ein Visum zu bekommen. Nach Gaza, das im Frühjahr einer israelischen Offensive ausgesetzt war, reist Benedikt nicht. Für Herbst 2010 hat der Papst eine Nahost-Sondersynode in den Vatikan einberufen – dann wird man auch Bilanz ziehen, was seine Pilgerreise ins Heilige Land „gebracht“ hat.

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„Afrika, steh auf!“ Fast den ganzen Oktober über beraten im Vatikan rund 400 Bischöfe, Ordensleute und Laien über die Kirche in Afrika. Der Papst hat diese Bischofs-Sondersynode im Frühjahr durch eine Reise nach Kamerun und Angola vorbereitet. Die Synodenväter finden im Vatikan zu einer deutlichen Sprache: Nein zur Todesstrafe, Nein zum Waffenhandel, weg mit den drückenden Auslandsschulden vieler Länder, Ja zu einem flächendeckenden Kirchen-Engagement für Menschenrechte, und christliche Politiker, die durch Korruption oder Nepotismus auffallen, sollen doch bitte zurücktreten. Doch was die Bischöfe von all dem dann nach ihrer Rückkehr umsetzen werden, bleibt abzuwarten. Geradezu hymnisch klingen die Oberhirten aus allen Teilen des Schwarzen Kontinents, wenn sie vom neuen US-Präsidenten Barack Obama sprechen. Im Vatikan selbst scheint man diese Begeisterung nicht ganz zu teilen; zu groß ist die Sorge, dass Obamas Partei den Schutz des ungeborenen Lebens in den USA aufweicht, und einzelne Stimmen im Vatikan warnen gar vor einem falschen Messianismus, der zu einer Art Einheitsreligion des politisch Korrekten führen könnte. Mit dem Chef der UNO-Organisation für Landwirtschaft, Jaques Diouf aus dem Senegal, spricht erstmals ein Moslem vor einer Bischofssynode im Vatikan; zu früheren Synoden hatte Papst Benedikt schon einen Rabbiner und den orthodoxen Ökumenischen Patriarchen eingeladen.

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Auffallend häufig und pointiert äußert sich der Heilige Vater im Lauf des Jahres 2009 zum Einsatz für die Umwelt und das Weltklima sowie zum Kampf gegen Hunger: Er ist sich auch nicht zu schade, auf einem UNO-Gipfel gegen Hunger in Rom aufzutreten, obwohl sich ein Scheitern dieser Konferenz da schon abzeichnet. In seiner dritten großen Enzyklika „Caritas in veritate“ legt Benedikt sein Denken zur sozialen Frage von heute vor: Er zieht – so formuliert es Kardinal Cordes – die katholische Soziallehre, die bisher oft naturrechtlich argumentiert hat, ins Innere des Glaubens hinein und setzt sie in Zusammenhang mit dem Wort Gottes. Der Text ist allerdings, im Vergleich zu den zwei früheren Enzykliken Benedikts, spürbar nicht aus einem Guß: Viele Federn haben daran mitgeschrieben, darunter leidet etwas die Lesbarkeit. Jetzt erst wird deutlich, welche geniale Würfe die Enzykliken über Liebe und Hoffnung waren. Die Rezeption der Sozialenzyklika kommt nur etwas schleppend in Gang; auch wenn in der großen Finanz- und Wirtschaftskrise dieser Monate immer wieder nach einer ethischen Neubegründung von Markt und Handel gerufen worden ist, darf man schon fragen, wie groß die Bereitschaft ist, einen solchen Entwurf, wenn ihn der Papst dann vorlegt, auch tatsächlich aufzugreifen.

Was vielen entgeht, weil es dem eiligen Leser nicht auffällt: „Caritas in veritate“ ist auch in ökumenischer Hinsicht ein wichtiger Text. Er greift das sozialethische Denken der Protestanten auf – wie ja auch durch das Paulusjahr, das Benedikt im Juni 2009 zu Ende führt, eine fruchtbare Debatte mit den Protestanten einsetzt und der Völkerapostel, der dem Protestantismus so am Herzen liegt, gewissermaßen in die katholische Kirche „heimgeholt“ wird. Eine nicht unumstrittene ökumenische Entscheidung Benedikts ist im Herbst 2009 die Einrichtung eigener Strukturen für Anglikaner, die katholisch werden, aber einen Teil ihrer Traditionen behalten wollen. Wieder nur ein Signal an traditionellere Christen, monieren manche Beobachter; doch wieder ist es Hirtensorge, die den Papst treibt. Benedikt will vor allem ein Diener der christlichen Einheit sein, wie er auch in einer Botschaft an den ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel bekräftigt. Allerdings zeigt der theologische Dialog mit den Orthodoxen in diesem Jahr schmerzhaft, dass der Primat des römischen Bischofs weiterhin Stein des Anstoßes bleibt und ein Hindernis für die Ökumene.

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Der dialogbereite Benedikt – er würdigt in diesem Jahr 2009, das auch das Jahr der Astronomie ist, immer wieder Galileo Galilei. Und er sucht, in einer aufsehenerregenden Audienz in der Sixtinischen Kapelle, das Gespräch mit der Welt der Kunst und Kultur. Nach innen, in die Kirche hinein hingegen gibt er Signale, die die katholische Identität stärken sollen: Priester sollen den Wert ihres Dienstes neu entdecken, dem dient das Priesterjahr, und Skandale sollen nicht länger das prophetische Zeugnis der Kirche verdunkeln, dem dienen neue Regeln zur leichteren Rückversetzung von Priestern in den Laienstand.

Die Bereitschaft zum Dialog gehört für diesen Papst zu seinem Gottesbild. Dreifaltigkeit – das übersetzt er mit: Gott ist Gespräch. Und dem entspricht auch das Bild vom Menschen, das er hat. Er sieht sich nicht als Einzelkämpfer, sondern verläßt sich – manche sagen „zu sehr“ – auf seine Mitarbeiter. Er beruft immer wieder, sobald es nötig wird, Gesprächsrunden ein, um heikle aktuelle Fragen zu besprechen. Im Frühjahr sind österreichische Bischöfe bei ihm, um den heftigen Streit zu klären, der nach der Ernennung des Pfarrers Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz in Österreichs Gesellschaft ausgebrochen ist. Wagner verzichtet angesichts des Drucks auf ihn noch vor der Bischofsweihe – ein Vorgang fast ohne Beispiel. In jüngster Zeit – aus der Amtsperiode Benedikts – mag man höchstens die Wielgus-Affäre um den ernannten Warschauer Erzbischof heranziehen, der ebenfalls vor Amtsantritt aufgab. Die Schäden, die die bittere Debatte in Österreichs Kirche angerichtet hat, sind beachtlich; Kardinal Schönborn von Wien setzt sich für eine schnelle Lösung ein, und der Papst unterstützt ihn darin. Aber Angriffe auf ihn „mit sprungbereiter Feindseligkeit“ nicht nur aus Deutschland wegen der Piusbrüder-Krise, sondern jetzt auch aus Österreich wegen des Falles Wagner – das schmerzt Benedikt. Eine Zeitung behauptet, er habe auch im Sommer einen vertraulichen Kardinalsgipfel einberufen, diesmal zum Funktionieren der römischen Kurie; auch diesmal soll Schönborn dabei gewesen sein. Im Dezember sind es irische Bischöfe, die Benedikt zu einem Mini-Gipfel in den Vatikan bittet: wegen der Mißbrauchsskandale in Irlands Kirche. Wie schon in Sachen Piusbrüder, will er auch in dieser Angelegenheit einen Brief an seine Kirche schreiben.

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Was erwartet uns 2010 aus dem Vatikan? Anfang Mai betet Benedikt vor dem feierlich ausgestellten „Turiner Grabtuch“ – vielleicht eines der eindringlichsten Bilder des nächsten Jahres. An Auslandsreisen stehen Malta, Portugal und Zypern, eventuell auch Großbritannien auf dem Programm: keine Visite in Deutschland, immer noch nicht die große Asienreise. Auch mit dem zweiten Teil seines Buches über Jesus von Nazareth ist für 2010 zu rechnen – eventuell auch mit einer Enzyklika über den Glauben. Wichtig sind aber auch die bevorstehenden Wechsel in der römischen Kurie: Die Kardinäle Kasper, Re und Hummes werden im Lauf des Jahres wohl in Pension gehen. Mit der Ernennung ihrer Nachfolger wird Benedikt wichtige Weichenstellungen treffen, was die Ökumene, das Verfahren der Auswahl von Bischöfen und was die Priester betrifft.
Stefan Kempis, Radio Vatikan







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