Scheidender ÖRK-Präsident: "Einheit ist größte Herausforderung"
Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Samuel Kobia, legt Ende des
Jahres sein Amt nieder. Ob Wahlbeobachtung in Kenia, Friedensgespräche im Sudan oder
die Gründung einer Nairobi-Friedensgruppe – der gebürtige Kenianer setzte sich vor
allem für Afrika ein. Bevor der Methodisten-Pfarrer im August 2003 zum Generalsekretär
des Gremiums gewählt wurde, war er schon ÖRK-Sonderbeauftragter für den Kontinent.
Der
Weltkirchenrat ist die wichtigste gemeinsame Plattform der evangelischen, anglikanischen
und orthodoxen Kirchen der Welt. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der wachsenden
Globalisierung ist er allerdings in die Krise geraten: Theologische Defizite und Unstimmigkeiten
der Mitglieder untereinander setzten ihm zu. Die konfessionsübergreifende Einheit
ist nach Ansicht des scheidenden Präsidenten deshalb nach wie vor das dringlichste
Problem. Kobia: „Eine der größten Herausforderungen, die ich heute für die
ökumenische Bewegung sehe, ist das nachlassende Engagement für die Einheit. Viele
unserer Mitgliedskirchen sind voll und ganz damit beschäftigt, den Herausforderungen
in ihren jeweiligen Ländern zu begegnen, wo viele Gläubige, die traditionell den großen
protestantischen Kirchen, wie Methodisten, Presbyterianern oder sogar den Anglikanern
angehörten, sich heute stärker zu Gemeinden hingezogen fühlen, die an keine bestimmte
Konfession gebunden sind. Wenn Kirchen auf lokaler oder nationaler Ebene mit einer
solchen Herausforderung konfrontiert sind, dann lässt ihr Engagement für die Einheit
nach. Ohne die volle Beteiligung und das tiefe Engagement der ÖRK-Mitgliedskirchen
für das Streben nach Einheit steht wiederum die ökumenische Bewegung vor einer immensen
Herausforderung.“ Die Beziehungen der katholischen Kirche zum Weltkirchenrat
sind freundschaftlich. Beobachter des Vatikans nahmen erstmals 1968, drei Jahre nach
Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, an einer der etwa alle acht Jahre stattfindenden
Vollversammlungen teil. Papst Paul VI. besuchte das Zentrum des Rates in Genf 1969,
Johannes Paul II. folgte ihm 1984. Als einen der letzten wichtigen Schritte des Dialogs
sieht Kobia das Globale Christliche Forum, das zuletzt im November 2007 stattfand.
Kobia: „Es war die breiteste Plattform christlicher Kirchen und christlicher
Führungspersönlichkeiten aus aller Welt, die zu diesem Forum zusammengekommen waren.
Mit seiner Hilfe treten wir als Mitglieder des ÖRK mit Nicht-Mitgliedern in Kontakt
– der römisch-katholischen Kirche, den Pfingstlern, der Internationalen Evangelischen
Allianz – und feiern gemeinsam die Gaben, die der Heilige Geist den Kirchen schenkt.
Das ist für mich ein immenser Fortschritt und ein ganz wichtiger Prozess. Natürlich
ist es noch keineswegs das, was wir mit „sichtbarer Einheit der Kirche, die wir suchen“
meinen, aber zumindest ist es doch ein großer Fortschritt auf dem Weg zur sichtbaren
Einheit.“ Die Mitgliedschaft des ÖRK umfasst mehr als 560 Millionen Christen
in 349 Kirchen und über 110 Ländern. Dazu gehören die Mehrzahl der orthodoxen Kirchen
sowie viele anglikanische, baptistische, lutherische, methodistische, reformierte,
vereinigte und unabhängige Kirchen. Über den alltäglichen Herausforderungen den Blick
für das Ganze nicht zu verlieren – das sei für ein vielfältiges Gebilde wie den ÖRK
genauso wichtig wie für jeden einzelnen Gläubigen, so Kobia. Du bist, weil du mit
anderen bist, sagt der gebürtige Kenianer über die Mentalität seines Heimatlandes.
Und so bleibt ihm im Rückblick vor allem die menschliche Kraft der Vergebung im Gedächtnis.
Kobia: „Wenn ich sagen sollte, welches meine schönste Erinnerung ist, dann
würde ich wohl meinen Besuch in Ruanda nennen. Es war im Jahr 2004. Ruanda beging
gerade den 10. Jahrestag des Völkermordes. Was mich damals zutiefst beeindruckte,
war die Fähigkeit ganz normaler Menschen, und insbesondere von Christen, zu vergeben.
Ein Volk, das so etwas erlebt hat wie das ruandische Volk im Jahr 1994, und dennoch
sagen kann „Wir sind bereit zu vergeben, weil es auch noch ein Leben nach dem Völkermord
gibt“, ist für mich zutiefst inspirierend. Und ich glaube, dass diese Fähigkeit das
Beste zum Ausdruck bringt, was dem menschlichen Geist gegeben ist – die Fähigkeit
zu vergeben, ohne natürlich das Geschehene zu vergessen.“ (örk 28.12.09 pr)