Johannes Paul II.
und – das war die Überraschung vergangenen Samstag – Pius XII. sind der Seligsprechung
einen Schritt näher gekommen. Kritik am Verfahren für Pius XII. wies der Vatikan zurück.
Hintergründe und Argumente in diesem Beitrag von Birgit Pottler:
Die Verleihung
des heroischen Tugendgrades für den umstrittenen Papst Pius XII. am vergangenen Samstag
hat für kritische Reaktionen in der jüdischen Welt gesorgt. Diese Ehrung für den Pacelli-Papst
– wichtiger Schritt im laufenden Seligsprechungsverfahren – zeuge nicht von „großer
Sensibilität“. Das äußerte zum Beispiel Rabbiner David Rosen, bis vor kurzem noch
Vorsitzender des Internationalen Jüdischen Komitees für interreligiöse Gespräche und
ein geschätzter Dialogpartner im Vatikan. Auch Italiens Jüdische Gemeinschaft äußerte
Kritik an der historischen Einschätzung dieses Papstes. Warum wurde nicht die Öffnung
aller Vatikanarchive abgewartet? So die Frage – auch aus dem israelischen Außenministerium.
Vatikansprecher
Pater Federico Lombardi wies Kritik am Seligsprechungsverfahren und den Vorwurf der
Geheimhaltungstaktik seitens des Vatikans zurück. Es ist nicht die Absicht des Vatikans,
Dokumente aus dem Pontifikat Pius XII. zurückzuhalten. Vielmehr verstehe man die Forderungen
der Wissenschaftler. Nach Interviews in italienischen Medien veröffentlichte der Pressesprecher
des Papstes an diesem Mittwoch eine eigene Note zum kontrovers diskutierten Thema:
Wörtlich
heißt es: „Paul VI. wollte die Forschung zu Pius XII. anhand der Dokumente bereits
beschleunigen und hat die Bände Actes et Documents (Akten und Dokumente des Heiligen
Stuhls in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, Anm.d.R) veröffentlicht. Wie schon mehrmals
gesagt wurde, muss für die vollständige Öffnung der Archive eine riesige Zahl von
Dokumenten geordnet und katalogisiert werden. Diese Arbeit wird noch einige Jahre
in Anspruch nehmen.“
„Kein historisches Urteil“ Die Verleihung
des heroischen Tugendgrades für Eugenio Pacelli bedeute kein historisches Urteil,
stellte Vatikansprecher Federico Lombardi klar. Die Kirche sage damit aus, dass er
die christlichen Tugenden in vorbildlicher Weise gelebt habe.
Lombardi: „Wenn
der Papst ein Dekret über die heroischen Tugenden eines Dieners Gottes unterschreibt,
bestätigt er die bereits erfolgte positive Beurteilung seitens der Kongregation für
Heiligsprechungen. Vorausgegangen ist dann bereits eine genaue Prüfung der schriftlichen
Dokumente und Zeugenaussagen. … Natürlich hält sich diese Untersuchung an die Lebensumstände.
Man muss folglich eine Prüfung unter historischem Gesichtspunkt vornehmen. Aber im
Wesentlichen bezieht sich die Beurteilung auf das Zeugnis christlichen Lebens. Auf
die intensive Beziehung zu Gott und die fortdauernde Suche nach evangeliumsgemäßer
Vollkommenheit, sagte der Papst vergangenen Samstag. Es geht nicht um eine Bewertung
der historischen Tragweite aller seiner Entscheidungen.“
Der Vatikan habe
also nicht die geringste Absicht, die Diskussion über die einzelnen Entscheidungen
Pius XII. und ihre Bewertung in der konkreten Situation zu beschränken. „Die
Kirche bestätigt ihrerseits, dass Pius XII. stets die klare Intention verfolgt hat,
den Dienst des Papstes mit dieser hohen Verantwortung bestmöglich zu erfüllen. Seine
Sorge um das Schicksal der Juden ist mit Sicherheit relevant für die Bewertung seiner
Tugenden. Sie ist auch von vielen Juden breit bezeugt und anerkannt.“
„Gegen
die katholische Kirche, nicht gegen Pius“ „Pius XII. war sicher kein Antisemit.“
Das betont der Jesuitenpater Peter Gumpel. Seine Familie wurde selbst von den Nationalsozialisten
verfolgt. Er ist Relator im Seligsprechungsverfahren für Eugenio Pacelli und übernimmt
die Funktion eines Untersuchungsrichters. Das Verfahren läuft seit 1983. Kurz nach
der Bekanntgabe des wichtigen Etappensieges „heroischer Tugendgrad“ hat Anne Preckel
mit Pater Gumpel gesprochen.
Was bedeutet diese Entscheidung des Papstes
heute? Kann man sie als Versuch einer Rehabilitierung des umstrittenen Papstes Pius
XII. deuten? „Ich würde den Begriff Rehabilitierung in dieser Form nicht gebrauchen.
Zeit seines Lebens wurde Pius XII. von allen hoch gelobt und sehr zu Recht. Ich denke
daran, als fast ganz Rom sich nach Kriegsende auf dem Petersplatz versammelte, um
ihm zu danken. Ich denke auch an alles, was er getan hat, um die Härte des Krieges
und seine Folgen zu vermindern... Aber auch alles, was er für die Juden getan hat. Ich
bin ja noch ein Zeitgenosse. Man weiß doch, was man in einer derartigen Situation
tun kann oder besser unterlässt. Es wäre völlig falsch gewesen, wenn dieser Papst
flammend protestiert hätte. Das hätte nichts geholfen. Zum Beispiel haben die polnischen
Bischöfe, nachdem Radio Vatikan die Verbrechen der Nationalsozialisten in Polen angeprangert
hatte, den Papst beschworen, damit aufzuhören, da dies ihre Lage noch verschlimmert
hätte.“
Welches Zeichen will Papst Benedikt mit der Entscheidung setzen? „Ich
glaube, dass der Heilige Vater seinen Vorgänger sehr verehrt. Alles andere würde mich
wundern. Diese so genannte Positio von mehr als 3500 Seiten wurde zunächst einmal
von Historikern, dann Theologen und zuletzt von 13 Kardinälen und Bischöfen am 8.
Mai 2007 beurteilt. Das Urteil war einstimmig positiv. Es ist also nicht verwunderlich,
dass der Heilige Vater nach Gebet und Konsultationen sich zu diesem Schritt entscheidet.
Natürlich war die Entscheidung in diesem Fall besonders schwierig, weil eben immer
noch Stimmen laut werden, die gegen den heiligen Vater agieren. Vor allem Kommunisten,
Freimaurer, kirchenfeindliche Leute. Wenn heute gegen Pius XII. so fanatisch geschrieben
wird, dann geht es in erster Linie nicht um seine Person, sondern es geht gegen die
katholische Kirche. Dass der Heilige Vater sich Zeit genommen hat, ist verständlich.
Manche haben gedacht, er würde warten, bis die Geheimarchive des Vatikans geöffnet
sind.“
Freundschaft zu Juden bleibt Die Freundschaft und
der Respekt Benedikts XVI. für die Juden, so Lombardi weiter, seien bereits mehrmals
bezeugt worden, nicht zuletzt unwiderlegbar im theologischen Schaffen des Papstes.
Der anstehende Besuch Benedikts XVI. in der römischen Synagoge könne diese Bande erneut
zeigen und festigen. Polemik, die Ehrung für den Pacelli-Papst sei ein Rückschritt
im jüdisch-katholischen Dialog, wies der Vatikansprecher entschieden zurück.
„Es
ist klar, die Unterzeichnung des Dekrets darf in keiner Weise als feindseliger Akt
gegen das jüdische Volk gelesen werden. Es ist zu wünschen, dass sie nicht als Hindernis
auf dem Weg der Freundschaft zwischen Judentum und katholischer Kirche gesehen wird.“ Der
deutsche Kurienkardinal Walter Kasper sieht den Besuch Benedikts in der römischen
Synagoge trotz jüdischer Kritik am Tugendgrad für Pius XII. nicht gefährdet. Es wäre
eine Absurdität, würde die für den 17. Januar geplante Visite aus diesem Grund abgesagt,
erklärte der vatikanische „Ökumeneminister“, in dessen Zuständigkeit auch der Dialog
mit dem Judentum fällt im Interview mit der Turiner Tageszeitung „La Stampa“. Es handele
sich um emotionale Polemiken, insgesamt gebe es gegenwärtig jedoch nur wenig Widerstand
gegen eine Seligsprechung Pacellis.
Holocaust erneut verurteilt Benedikt
XVI. hat Anfang dieser Woche die Haltung der Kirche zum Holocaust und den antisemitischen
Verbrechen der Nationalsozialisten erneut verurteilt. In einer Rede vor Vertretern
der Kurie erinnerte der Papst an seinen Besuch der israelischen Holocaust-Gedenkstätte
Jad Vashem im Mai dieses Jahres. „Der Besuch in Jad Vashem war eine erschütternde
Begegnung mit der Grausamkeit des menschlichen Fehlens, mit dem Hass einer verblendeten
Ideologie, die ohne jede Rechtfertigung Millionen dem Tod ausgeliefert hat und in
letzter Konsequenz Gott aus der Welt vertreiben wollte; den Gott Abrahams, Isaaks
Jakobs und den Gott Jesu Christi.“
Johannes Paul II.: Priester,
Bischof, Mystiker Neben Pius XII. hat Papst Benedikt XVI. am vergangenen
Samstag auch seinem Vorgänger Papst Johannes Paul II. den heroischen Tugendgrad zuerkannt.
In Polen wurde Karol Woityla schon zu Lebzeiten als Heiliger verehrt, meint sein ehemaliger
Privatsekretär Stanislaw Dziwisz. Doch die Prozedur für die Seligsprechung von Johannes
Paul II. lief und läuft weiterhin gemäß dem Kirchenrecht. Das präzisierte der Pro-Präfekt
der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Kurienerzbischof Angelo
Amato. Eröffnet wurde der Prozess in Rekord-Schnelle nur knapp drei Monate nach dem
Tod Johannes Pauls. Die Seligsprechung werde vielerorts mit Spannung erwartet, doch
der Weg zu ihr sei noch lang, so Amato.
Johannes Paul II. sei ein wundervoller
Priester gewesen, betont der Postulator des Seligsprechungsverfahrens, der polnische
Priester Slawomir Oder. „Johannes Paul II. handelte sein ganzes Leben lang
– als Priester, als Bischof und als Papst – in Übereinstimmung mit Jesus Christus.
Er war ein heiliger Priester. Doch dann war er auch ganz sicher ein Mystiker. Mystik
nicht verstanden als ein Zusammenspiel seltsamer Ereignisse, auch wenn es an denen
in Johannes Pauls Leben sicher nicht gefehlt hat, sondern verstanden als Bewusstsein,
dass das Leben hier und jetzt ein Dialog mit Gott ist und dass im Leben Gott immer
gegenwärtig ist.“
Keine Doppelseligsprechung Dass
Benedikt XVI. den Päpsten Pius XII. und Johannes Paul II. gleichzeitig den heroischen
Tugendgrad verliehen habe, erlaube keine Schlussfolgerungen für einen Seligsprechungstermin.
Die beiden Verfahren würden nicht weiterhin gemeinsam verhandelt, unterstrich Vatikansprecher
Lombardi.
„Die beiden Fälle sind komplett unabhängig voneinander und nehmen
beide ihren jeweils eigenen Lauf. Für die Hypothese einer eventuellen gemeinsamen
Seligsprechung gibt es keinen Grund.“ (rv 23.12.2009 bp)