2009-12-18 16:51:35

„White Christmas“ – Rassistische Kampagne empört Kirche


RealAudioMP3 Weiße Weihnacht, da denkt man erstmal an weiße Baumwipfel, Schneeflocken vor dem Fenster, an Plätzchen, die mit Puderzucker bestäubt sind, Ruhe, Frieden, kurzum an alles, was zu einem besinnlichen Weihnachtsfest so dazu gehört.
Anders in Italien: Unter dem Titel „White Christmas“ macht dort seit Wochen eine umstrittene Kampagne Schlagzeilen. Gestartet wurde sie von der Gemeindeverwaltung einer Kleinstadt bei Brescia in Norditalien. Bis zum 25. Dezember will der Bürgermeister des 8000-Einwohner-Ortes Coccaglio unter dem Motto „White Christmas“ alle „illegalen“ Einwanderer ausweisen. Die Kommunalverwaltung unter der rechtskonservativen Partei Lega Nord rechtfertigt die Aktion als „normale“ administrative Angelegenheit. Die Opposition, aber auch weite Teile der Bevölkerung und die katholische Kirche kritisieren die Initiative als rassistisch. Der Pfarrer von Coccaglio, Don Giovanni Gritti:

„Dieser Slogan ist totaler Blödsinn – das ist ja wohl völlig klar. Wenn man mit „White Christmas“ ein Weihnachten ohne Ausländer meint – gerade zu der Zeit, in der Gott uns dazu aufruft, alle aufzunehmen – dann ist das nicht nur Blödsinn, sondern Gotteslästerung.“ 
Er wolle jetzt endlich mal mit dem Saubermachen beginnen, rechtfertigte Bürgermeister Franco Claretti im Interview mit der Tagezeitung „Repubblica“ die Initiative und weckt mit dieser Wortwahl auch Assoziationen vom schmutzigen, per se illegalen, kriminellen Ausländer. Don Gritti ist empört:

„Man kann doch nicht von Saubermachen reden, wenn man von Personen spricht. Diese Begriffe sind in diesem Zusammenhang völlig unangebracht, oder besser gesagt unmenschlich und antichristlich. Also wirklich – wir haben es hier mit Menschen zu tun und nicht mit Abfall.“ 
Seit dem 25. Oktober statten Polizisten in Coccaglia ausländischen Bewohnern Hausbesuche ab. 1600 Einwanderer leben in Coccaglia. Die meisten von ihnen sind junge Arbeiter und damit ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Region. Bei rund 400 läuft demnächst die auf ein Jahr begrenzte Aufenthaltserlaubnis ab oder ist kürzlich verfallen. Es handele sich um eine jährliche Routinekontrolle, heißt es aus der Stadtverwaltung. Das sei auch unter dem Bürgermeister der linken Opposition so gewesen. Das stimmt nicht ganz. Zwar nimmt die Aktion auf ein Gesetz Bezug, dass es schon seit 20 Jahren gibt. Die polizeilichen Hausbesuche sind jedoch neu. Eine betroffene Bürgerin macht sich im italienischen Fernsehen Luft:

„Ich lebe seit sieben Jahren in Chiari und habe immer eine ehrliche Arbeit verrichtet. Ich musste auch schon als Putzfrau arbeiten, weil wir nicht genug Geld hatten. Es ist vorher nie vorgekommen, dass Polizisten vor unserer Haustür standen. Als das jetzt meine Kinder sahen, fragten sie mich, ob wir nun aus Italien rausgeworfen werden. Das ist nicht gerecht, das ist eine Schande.“ 
Rund ein Fünftel der Bevölkerung Coccaglios sind Einwanderer. Die meisten von ihnen kommen aus Albanien, Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien. Viele stammen aus Afrika. Die Aktion „Weiße Weihnacht“ wird damit auch zu einer Frage der Hautfarbe. Der örtliche Stadtrat für Sicherheit, Claudio Abiendi, findet das Motto völlig okay. Weihnachten sei für ihn, so Abiendi wörtlich, „kein Fest der Aufnahme, sondern der christlichen Tradition, ein Fest unserer Identität“. Anders sieht das Pater Manfredo Toffari, der im Bistum Brescia für Ausländerfragen zuständig ist:

„Was diese Erklärung von Stadtrat Abiendi angeht, Weihnachten sei kein Fest der Aufnahme, sondern unserer christlichen Identität, da frage ich mich, von welcher Identität er spricht. Denn zur christlichen Identität gehört es sicherlich nicht, Leute zu verjagen. Das einzige Weihnachten, das ich kenne, ist das aus dem Lukasevangelium, wonach Jesus in einem Stall geboren wird, weil es keinen Platz in der Herberge gab. Und es waren genau diejenigen, die ihn damals wegschickten, die dann nicht an der Weihnachtsfreude Teil hatten, den Herrn zu empfangen. Für uns Katholiken bedeutet Weihachten aber genau das, nämlich, den Herrn aufzunehmen, der sich auch in Gestalt des Armen und Hilfebedürftigen zeigt.“ 
Das war doch alles nicht so gemeint. Lega-Bürgermeister Claretti ist sichtlich um Schadensbegrenzung bemüht, nachdem „White Christmas“ auch im Ausland für Entrüstung sorgte. Auf unsere Nachfrage, wie es zu dem fragwürdigen Titel kam, wollte der Bürgermeister nicht antworten. Im italienischen TV-Sender Canale 5 sagte er:

„Ich wiederhole meinen Standpunkt, es gibt keinen Gemeindeerlass namens „White Christmas.“ 
Und auch eine Sprecherin der Kommunalverwaltung relativiert:

„Wir haben zwar diese Bezeichnung verwendet, aber ohne einen religiösen oder rassistischen Bezug herzustellen. Das wollten wir auf keinen Fall. Uns ging und geht es nur darum, die gegenwärtigen Gesetze umzusetzen. Und diese Bestimmungen besagen, dass es unsere Pflicht ist, die Menschen in Coccaglio zu kontrollieren.“ 
Einen wirklichen Grund für die verschärfte Einwanderer-Kontrolle konnte Bürgermeister Claretti allerdings nicht nennen. „Wir haben hier kein Kriminalitätsproblem“, sagte er der „Repubblica“.

„Mir scheint, dass die ganze Diskussion mit einigen innenpolitischen Auseinandersetzungen zu tun hat.“ 
“Die Lega nährt Ängste, um mit dem Thema Sicherheit punkten zu können“, sagt der Migrationsbeauftragte der italienischen Caritas, Oliviero Forti. Die große Mehrheit der Einwanderer lebe legal in Italien und wolle sich positiv in die Gesellschaft einbringen. Aktionen wie „White Christmas“ schürten unnötig Misstrauen und Unsicherheiten:

„Die Konsequenz ist, dass nun auch die Ausländer Angst haben müssen, die eigentlich nichts zu befürchten hätten. Denn wir haben festgestellt, dass die Migranten, die eine Aufenthaltsbewilligung haben, sich immer mehr verschließen. Das ist unserer Meinung nach einer zivilisierten Gesellschaft nicht würdig.“ 
Seit der Antike wurde Italien durch unterschiedlichste Völker und Kulturen geprägt. Doch tut sich das Land heute schwer mit der Einwanderungswelle, die sich seit Beginn der Achtziger Jahre verfünffacht hat. Damals noch wanderten viele Italiener selbst in alle Welt aus, auf der Suche nach größerem Wohlstand. Wieso also häufen sich jüngst Attacken auf Ausländer? Läuft Italien Gefahr in den Rassismus abzugleiten? Dazu Forti:

„Ich glaube nicht, dass die Italiener plötzlich Rassisten geworden sind. … Es ist aber klar, dass hier mit dem Feuer gespielt wird, weil viele falsche Meldungen verbreitet werden. Der Durchschnittsitaliener wird mit so vielen Nachrichten bombardiert, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben.“ 
In Zeiten von Globalisierung und internationalem Terrorismus nehmen viele Italiener Ausländer als Sicherheitsproblem war. Die Politik sei maßgeblich mit Schuld am ausländerfeindlichen Klima, kritisiert Forti:

„Die Politik trägt dazu bei, dass die Lage nicht besser wird. Es bräuchte aber unbedingt ein Verständnis aller Menschen guten Willens. Die Bürger dieses Landes müssen verstehen, was die Tatsachen sind. Diese politischen Beschlüsse finden zwar einen Anklang bei vielen Menschen; das Ziel der Politiker, die das wollen, ist aber vor allem Eines: Sie sind auf Stimmenfang. Das kümmert uns von der Caritas wenig. Wir möchten aber, dass man über dieses Thema gerecht und fair spricht. Es ist eine schwierige Zeit für die Migranten, vielleicht ist es sogar die schlimmste Zeit, die wir in den vergangenen 30 Jahren erlebt haben.“ 
Auch Jesus war ein Migrantenkind, betonte sogar der Papst Anfang November in seiner Botschaft zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge, den der Vatikan am 17. Januar begeht. Er forderte mehr Achtung vor ihren Rechten. Italienische Medien werteten das als Mahnung an die Lega Nord. Verstärkt hatten in letzter Zeit auch die italienischen Bischöfe den Kurs der Regierungspartei kritisiert. Als absurd bezeichnete der Präsident des Päpstlichen Rates für die Migranten und Menschen unterwegs die Initiative „White Christmas“. Sie sei gegen den Geist von Weihnachten als Fest der Nächstenliebe und des Teilens.

Weihnachtsstimmung herrscht derzeit auf den festlich dekorierten Straßen der italienischen Hauptstadt – auch ohne Schnee. Nach Feierabend drängen sich dort die Römer, um Geschenke und feine Speisen für das Fest zu kaufen. Feiern werden es die meisten wohl im Schoße der Familie. Einige gehen bestimmt in die Christmette, wo sie wie jedes Jahr das Weihnachtsevangelium hören. „Kein Platz in der Herberge!“ – bei diesem Satz regt sich dann vielleicht bei manchem Empörung. Wie? Maria und Jospeh auf der Flucht vor Herodes, sie ist schwanger mit Jesus und da soll kein Platz in der Herberge sein? Unverschämtheit, denken wohl die meisten… Aber wie viele würden am Weihnachtsabend denn selbst Fremde zu sich herein bitten? Hören wir doch mal nach...

„Certo!“ – „Ja sicher“, sagt diese Römerin… „No! No! Ni!“, die meisten verneinen. „Eher nicht“, sagt eine Studentin, „ich würde ihm vielleicht etwas zu Essen mitgeben, aber hereinlassen? Nein, da bin ich zu misstrauisch!“ „Nein“, sagt auch ihre Freundin. Letzte Hoffnung, ein Kind: „Ja, aber nur, wenn meine Mutter es erlaubt.“

Zehntausende Bootsflüchtlinge aus den afrikanischen Ländern kamen in den letzten Jahren über das Mittelmeer nach Italien. Jeder kennt die dramatischen Bilder der Gestrandeten in den Auffanglagern auf Lampedusa. Wie aber geht ihr Weg von dort aus weiter? Die Bürokratie führt viele nach Rom, wo sie sich bei Botschaften und Konsulaten Papiere beschaffen müssen – meist völlig auf sich allein gestellt. Auf offene Türen und Ohren stoßen sie jedoch in der Via delle Zoccolette, wo das Caritas-Beratungszentrum für Migranten seinen Sitz hat.

Schon früh morgens ist der Wartesaal voll. Es murmelt in allen möglichen Sprachen. Frauen, Männer, Kinder jeden Alters. 40 Freiwillige bemühen sich hier um eine Komplettbetreuung der Einwanderer. Die Caritas leistet in diesem Bereich Pionierarbeit, schon seit 1981. Die Gemeinde Rom richtete dagegen erst 1990 ein Migrationsbüro ein. Circa 25.000 Einwanderern wird jährlich in der Via delle Zoccolette geholfen, rund 100 Menschen am Tag. Jedes Jahr steigt die Zahl um 4000 bis 6000, berichtet der Leiter des Zentrums, Alessandro Agostinelli:

„Früher kamen die meisten aus Rumänien. Das hat sich aber seit dem EU-Beitritt des Landes geändert. Heute sind es meistens Asylsuchende aus Eritrea und gerade in den letzten drei Jahren kommen immer mehr aus Afghanistan.“ 
Die Situation der Einwanderer in Italien habe sich in den letzten zehn Jahren massiv verändert:

„Während früher die Meisten einfach nur nach bürokratischen Informationen fragten, gibt es immer mehr, die unsere konkreten Angebote wahrnehmen, die wir auch immer weiter ausgebaut haben. Vom Mensa- über Wohnungsangebot bis zu Sprachkursen. Wir haben auch eine Anwältin, die rechtliche Beratung in Asylfragen gibt oder bei der Beschaffung von Dokumenten hilft. Dann helfen wir auch bei der Arbeitssuche, suchen Praktikumsplätze oder stellen eigene Projekte auf die Beine, um Ausbildungsplätze zu schaffen. Wir betreiben Kindergärten, organisieren Gratis-Arztbesuche und bieten auch psychologische Beratung an – eine Art Rundumbetreuung.“ 
Das sei nicht immer einfach, denn jeder habe einen ganz anderen Hintergrund und in seinem Heimatland die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht:

„Es kommen Menschen zu uns, die das erlebt haben, was wir im Fernsehen sehen: die mit dem Boot gestrandet sind, dem Tod ins Gesicht gesehen haben, Angehörige oder Freunde verloren haben. Wieder andere fliehen aus wirtschaftlichen Gründen, kommen mit dem Flugzeug und merken dann, das ein Neuanfang nicht so einfach ist.“

So auch der 18-jährige Mohammed.

„Ich bin zum Arbeiten nach Italien gekommen und mache hier jetzt das Integrationsprogramm der Caritas mit. Sie helfen mir dabei, einen Job zu finden. Ich bin schon seit einem Jahr in Italien. Ich bin als Bootsflüchtling über Lybien hierhergekommen, war zuerst im Auffanglager in Lampedusa, dann in Sizilien und bin jetzt hier in Rom. Ich hatte zuerst keine Aufenthaltserlaubnis. Jetzt schon, deshalb muss ich jetzt einen Job finden, sonst verliere ich den Status wieder. Sechs Monate habe ich Zeit. Ich hoffe, das klappt. Momentan habe ich gar nichts, bekomme alles von der Caritas, Essen, einen Schlafplatz....“ 
Die Hilfe steht grundsätzlich allen zur Verfügung, auch denen, die kein Anrecht auf Asyl haben oder keine Aufenthaltsgenehmigung. Doch auch, wenn alle rechtlichen Hürden genommen sind, gestaltet sich die Integration schwierig. Dazu Agostinelli:
„Erstmal ist da das Sprachproblem und dann gibt es speziell hier in Rom ein großes Wohnungsproblem. Es gibt einfach nicht genügend Wohnraum, die Mieten sind horrend und schon für einen italienischen Durchschnittsverdiener kaum erschwinglich. Zwar stellt die Stadt einige Wohnungen und Schlafplätze für Flüchtlinge mit Aufenthaltsgenehmigung zur Verfügung. Aber die sind gerade jetzt im Winter total überfüllt und die Warteliste ist lang. Viele kommen dann zu uns und sagen: Italien gibt mir zwar Dokumente, aber dann lässt mich der Staat auf der Straße sitzen. Wir versuchen dann zu helfen, aber auch unsere Zentren sind voll.“

Das weiß auch Abdrahim, politischer Flüchtling aus Ghana. Er ist seit März in Italien. Vom Auffanglager auf Lampedusa kam er nach Rom, um Asyl zu beantragen.

„Ich habe zwar Dokumente, aber schlafe auf der Straße. Hier im Centro bekomme ich wenigstens etwas zu essen und in ein zwei Wochen wahrscheinlich auch eine Unterkunft. Dann will ich unbedingt Arbeit finden. Das schlimmste ist, auf der Straße zu schlafen. Mit einem Freund laufe ich abends so lange wie möglich durch die Stadt und dann suchen wir uns irgendwann einen möglichst geschützten Platz wo wir schlafen können. Ich bin hierhergekommen, um mein Leben zu retten, in meiner Heimat Boku ist Krieg. Und für einen Neustart bin ich auch bereit, Probleme in Kauf zu nehmen.“
 
Die Immigranten stehen unter großem Druck – verlieren sie ihre Arbeit, droht ihnen die Ausweisung. Seit eineinhalb Jahren, berichtet Agostinelli, kommen auch immer mehr Männer und Frauen ins Caritaszentrum, die schon seit Jahren in Italien leben und arbeiten:

„Mir fallen immer öfter Karteien von Leuten in die Hände, die sich vor 15 Jahren schon einmal an uns gewandt hatten und völlig normal und integriert hier gelebt haben, sogar einen gewissen Wohlstand erreicht hatten. Viele haben jetzt durch die Wirtschaftskrise ihre Arbeit verloren und kommen zurück – und das macht uns große Sorgen.“ 
Zu Weihnachten versucht die Caritas so vielen Menschen wie möglich ein Dach über dem Kopf anzubieten. Freiwillige Mitarbeiter, Pfarreien und Jugendgruppen helfen mit, die Weihnachtsabende zu gestalten. Doch leider ist nicht für alle Platz in der Herberge, sagt Agostinelli. Grund genug darüber nachzudenken, ob man nicht doch die eigene Haustüre öffnen würde…
 
(rv 17.12.2009 ad) 







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