Vatikan/D: Das Motu Proprio und seine Folgen. Interview mit Erzbischof Schick
Die diese Woche veröffentlichten
Änderungen im Kirchenrecht bezüglich Diakonen-Amt und Eherecht sind angebracht und
richtig. So fasst es der Bamberger Erzbischof und Kirchenrechtler Ludwig Schick zusammen.
Teilweise würden so Fakten wieder hergestellt, die „vor 1983 und mindestens seit dem
Konzil von Trient gegolten“ haben. Gleichzeitig verweist Schick den Gedanken an das
Diakonat der Frau keineswegs ins Reich der Phantasie. – Das päpstliche Motu Proprio
„Omnium in mentem“ hatte eine seit 1983 geltende Ausnahme im Eherecht zurückgenommen
und den Dienst des Diakons wieder klarer vom Priester- und Bischofsamt unterschieden.
Die Bestimmungen treten in drei Monaten in Kraft. Birgit Pottler hat mit Erzbischof
Ludwig Schick über das Motu Proprio und seine Folgen gesprochen. Im Interview ging
es auch um Grundsatzfragen: Was heißt, „von der Kirche abfallen“? Sind Glaubensgemeinschaft
und Körperschaft teilbar?
Lesen und hören Sie das ganze Gespräch: Birgit
Pottler: In medias res: Eine Ehe zwischen getauften Katholiken, egal ob Kirchensteuer
zahlend oder nicht, und Ungetauften oder Andersgläubigen ist für die katholische Kirche
ungültig, sofern vorher keine ausdrückliche Genehmigung eingeholt wurde. Will das
Motu Proprio und die damit verbundene Änderung des Eherechts im Grunde einen kirchenrechtlichen
Grundsatz wieder stärker und zweifelsfrei betonen? Semel catholicus, semper catholicus
– einmal katholisch, immer katholisch? Erzbischof Schick: „Ja. Der Grundsatz
,Einmal katholisch, immer katholisch’ hat ja immer gegolten. Durch dieses neue Motu
Proprio wird die Ausnahme von diesem Grundsatz für die Eheschließung und das Eherecht
zurückgenommen. Deshalb wird durch das Motu Proprio dieser Grundsatz wieder neu bestärkt
und ins Bewusstsein gehoben. Man kann nur sagen, das ist auch richtig so.“
Nach
dem seit 1983 geltenden Kirchenrecht waren Katholiken, die durch einen so genannten
formalen Akt von der Kirche abgefallen sind, nicht an die rechtlich vorgeschriebene
Form der Eheschließung gebunden. Ihre Ehe mit einer ungetauften Person galt als gültig.
Bleiben wir zunächst „formal“: Der Kirchenaustritt wie wir ihn in Deutschland kennen,
ist in den wenigsten Ländern möglich, altes wie neues Kirchenrecht und das der Ostkirchen
können sich also nicht nur darauf beziehen. Was ist gemeint mit dem „actus
formalis defectionis ab Ecclesia catholica“, dem formalen Abfall von der katholischen
Kirche? „Wenn ein Katholik sich aus der Gemeinschaft der Kirche abmeldet,
wirklich sagt, ich gehöre nicht mehr dazu, weil er mit Papst, den Bischöfen und der
Gemeinschaft nicht mehr verbunden sein will, weil er Glaubensgeheimnisse leugnet oder
den Glauben gänzlich abgelegt hat, dann ist er von der Kirche abgefallen. Das kann
in Deutschland durch den Kirchenaustritt geschehen. Seit über hundert Jahren wird
in Deutschland angenommen, wer durch diesen zivilrechtlich so genannten Kirchenaustritt
beim Standesamt oder Amtsgericht seinen Austritt erklärt, ist kirchenrechtlich von
der Kirche abgefallen. Da gibt es gute Gründe, und das ist immer wieder so gesagt
worden. Natürlich gibt es Abfall von der Kirche auch in anderen Ländern, zum Beispiel
in Afrika oder Lateinamerika. Wenn ein Katholik dort sagt, ich will nicht mehr zur
katholischen Kirche gehören, sondern zu einer Sekte, und er tut das willentlich, bewusst
und eben öffentlich, dann ist er auch abgefallen. Diese Ausnahme im Eherecht hat etliche
Probleme mit sich gebracht, und die ist jetzt zurück genommen worden. Aber der Abfall
von der Kirche ist auch weiterhin ein Faktum, und das bleibt.“ Das Gesetzbuch
der katholischen Ostkirchen von 1990 kennt die Ausnahme im Eherecht nach dem formalen
Abfall von der Kirche nicht. Ist die Streichung dieser Klausel in gewissem Sinn auch
ein Akt innerkatholischer Ökumene? „Ich würde nicht so weit gehen. Das Faktum
ist, dass die katholische Kirche mit dem Motu Proprio einen Zustand hergestellt hat,
der vor 1983 und zwar mindestens seit dem Konzil von Trient gegolten hat. Diese Ausnahme
hat der Codex für die orientalischen Kirchen von 1990 nicht mitgemacht. Von daher
ist einfach ein ursprünglicher Zustand wieder hergestellt, der für die Ostkirche und
die Westkirche der katholischen Kirche gültig ist.“
Eingeführt wurde die
so genannte Befreiung von der Formpflicht – also Eheschließung vor geistlichem Amtsträger
und zwei Zeugen – 1983 aus pastoralen Gründen, ebenfalls aus vorwiegend pastoralen
Gründen wird diese Ausnahme jetzt zurückgenommen. Sie stiftete Verwirrung. Viele Paare
wussten nicht, dass ihre Standesamtliche Trauung dennoch kirchlich gültig war. Was
ist ihre Erfahrung als Kirchenrechtler und Seelsorger? Welche Rechtslage entspricht
eher der Situation der Menschen? „Zunächst einmal ist es so, dass es der katholischen
Kirche entspricht, dass einer oder eine, die katholisch getauft wurde, immer katholisch
bleibt und von daher auch an die Regeln der katholischen Kirche gebunden ist. Es gibt
Dispensen, da wirkt aber die Kirche dann mit. Aber dass jemand von der Kirche abfällt
und dann eine kirchlich gültige Ehe schließt, das hat ja auch theologische Schwierigkeiten.
Diese Regel hat dann auch praktische Schwierigkeiten gebracht, dass Leute, die lange
von der Kirche weg, wirklich von ihr abgefallen waren, geheiratet haben, zurückkehren
und plötzlich feststellen, dass sie kirchlich gültig verheiratet sind, obwohl sie
annahmen gar nicht zur Kirche zu gehören. Das hat Verwirrung gestiftet und auch Unverständnis. Es
ist jetzt klar, dass jemand, der zur katholischen Kirche gehört, an die Regeln gebunden
ist. Wenn er sich davon befreien lassen will, sind Dispensmöglichkeiten vorhanden.
Aber er muss mit der Kirche mitwirken und nicht ohne die Kirche etwas unternehmen. Natürlich
muss das jetzt erklärt werden, aber auf längere Sicht schafft das mehr Klarheit und
auch mehr Kirchenbindung, als das in der Regel von 1983 bis heute der Fall war.“
Ganz
konkret: Was ändert sich für die Paare vor der Eheschließung? Unter welchen Bedingungen,
um nicht kirchenrechtlich zu sprechen bei welchen „Formfehlern“, ist künftig eine
kirchliche Trauung nach einer zivilrechtlichen Scheidung möglich? „Wenn jemand
heiratet muss ein so genanntes Brautprotokoll aufgenommen werden. Das war immer so
und bleibt auch so. Man geht zum Pfarrer und sagt, ich will heiraten. Dann muss der
Pfarrer feststellen, ob die beiden schon einmal verheiratet waren, also eine Vor-Ehe
vorliegt. Dann muss der Pfarrer sehen, ob diese Vor-Ehe kirchlich gültig war oder
nicht kirchlich gültig war. Wenn sie nicht gültig war, kann er zur Trauung schreiten.
Wenn sie gültig war, dann gibt es nur die Möglichkeit, dass ein Eheprozess geführt
wird. In der eigentlichen Prozedur ändert sich nichts Besonderes. Aber es ändert sich
etwas darin, wie der Pfarrer vorzugehen hat. Das müssen die Pfarrer wissen. Das müssen
sie dann mit den Paaren kommunizieren und müssen helfen, dass ihre jetzt beabsichtigte
Ehe möglich wird. Es kann aber natürlich auch sein, dass die erste Ehe gültig ist,
dann kann keine zweite Ehe geschlossen werden. Es ist eher eine Aufgabe für die Pfarrer
als für die Brautpaare. Die Pfarrer müssen das natürlich den Paaren kommunizieren.“
Ob
eine Ehe gültig ist, hat weit reichende Konsequenzen gerade in den Ländern, in denen
die kirchliche Trauung auch zivilrechtlich anerkannt werden kann, beispielsweise in
Italien. Auch die Erklärungen zum Motu Proprio verweisen darauf. In Deutschland ist
das noch nicht der Fall, aber Sie wollen ja seitens der Bischofskonferenz Stück für
Stück in diese Richtung gehen. Was bedeutet hier diese neue Rechtslage? „Bei
uns ist es ja zunächst so, dass es eine Ziviltrauung vor der kirchenrechtlichen Trauung
geben muss. Das ist eine Praxis, die sich auch gegen den Willen der Kirche in Deutschland
so rechtlich etabliert hat, aber wir kommen mit dieser Praxis eigentlich auch ganz
gut zurecht. Sie hat auch manche Vorteile: Sie schafft Rechtssicherheit für die Eheleute
auch hinsichtlich des Staates. Dennoch: Die Auffassung der Kirche war immer, dass
es nur eine Trauung geben soll, und diese Trauung liegt in den Händen der Kirche.
Die kirchliche Trauung soll vom Staat akzeptiert werden und Rechtswirkungen für den
staatlichen Bereich bekommen. Da ist eine entsprechende gesetzliche Regelung in Deutschland
nötig. Wenn sie gemacht wird, dann ist das für uns als Kirche die richtigere Lösung
und wir wünschen sie.“
„Abgefallene“ Katholiken, also für Deutschland gesprochen,
zum Beispiel solche, die keine Kirchensteuer mehr zahlen, stehen für das Eherecht
des CIC auf einer Stufe mit anderen „kirchensteuerpflichtigen“ Gläubigen. Inwiefern
tangiert diese Einschätzung die Debatte um die Kirchensteuer in Deutschland und die
Trennung zwischen Glaubensgemeinschaft und Körperschaft? „Der Abfall von
der Kirche wie ich ihn eben schon geschildert habe, dass jemand bewusst, willentlich
und öffentlich die Gemeinschaft mit der Kirche aufkündigt, das ist nicht einfach identisch
mit der Einstellung, ,ich will keine Kirchensteuer mehr zahlen’. Da muss ein wirklicher
Abfall von der Kirche statt finden. In Deutschland, seit hundert Jahren, wird der
zivilrechtliche Austritt als dieser Abfall von der Kirche verstanden – willentlich,
bewusst, öffentlich. Wir müssen ja auch sagen, dass die Erfahrung lehrt, dass die,
die aus der Kirche zivilrechtlich austreten, auch diesen kirchenrechtlichen Abfall
machen, denn wenn wir die Leute anschreiben, die aus vor dem Standesamt oder dem Amtsgericht
aus der Kirche ausgetreten sind, antworten 80 Prozent nicht und wollen die Gesprächsangebote
der Pfarrer nicht wahrnehmen. Wir müssen also davon ausgehen, dass hier schon ein
Abfall von der Kirche geschehen ist.
Im Fall des formellen Austritts des
Freiburger Kirchenrechtlers Hartmut Zapp wartet die Deutsche Bischofskonferenz ja
das Revisionsurteil ab; scheitert die Revision, steht die staatskirchenrechtliche
Grundsatzdebatte endgültig ins Haus.
„Bei Zapp soll getrennt werden zwischen
Kirche als geistlicher Gemeinschaft und Kirche als Körperschaft. Das widerspricht
klar dem Zweiten Vatikanischen Konzil und unserer ganzen Tradition. Wir haben in der
katholischen Theologie immer gesagt, dass die Kirche wie der Leib Jesu Christi selber
verfasst ist: Es gibt in ihm Geist und Körper, es gibt in ihm die geistliche Gemeinschaft
und die Körperschaft. Protestantische Theologen haben das getrennt, die katholische
Kirche nie. Deshalb kann es einen Abfall von der Kirche geben nur von beidem. Wenn
man von der Körperschaft abfällt, fällt man auch von der geistlichen Gemeinschaft
ab. Da muss Klarheit sein, und das müssen auch alle akzeptieren. Das gilt auch für
Zapp und für den ein oder anderen. Einen wirklichen Abfall von der Kirche im strengen
Sinn, also eine Trennung von der Kirche gibt’s ja gar nicht. Das ist wie bei einer
Familie. In eine Familie wird man hineingeboren, und dann bleibt man Familienglied,
selbst wenn man sich von dieser Familie entfernt. So ist es auch in der Kirche.
Geben
die Überlegungen der Glaubenskongregation, die jetzt zur Änderung des CIC geführt
haben, Aufschluss über die Sichtweise des Vatikans? Ein Papier des Rats der Gesetzestexte
aus dem Jahr 2006 ließ ja eher die Schlüsse zu, ein formeller Austritt beende nicht
auch die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft. „Das glaube ich nicht. Im
neuen Codex von 1983 steht ja bezüglich Kirchensteuer und Körperschaft, dass es zur
Gemeinschaft mit der Kirche gehört, dass man auch für die finanziellen Notwendigkeiten
der Kirche sich einsetzen muss und da auch seinen Beitrag leisten muss. Wie dieser
Beitrag zu leisten ist, das kann die Bischofskonferenz festlegen. Die Deutsche Bischofskonferenz
hat damals gesagt, das ist festgelegt durch unser Kirchensteuersystem. Der Apostolische
Stuhl hat diese Partikularnorm für Deutschland ausdrücklich bestätigt. Der Brief
aus dem Jahr 2006, definiert neu, wie dieser öffentliche Akt zu Stande kommen muss,
damit die Rechtssicherheit da ist, dass der Abfall von der Kirche von der Formpflicht
befreit. Jetzt ist diese Klausel weg gefallen und damit ist im Grunde auch der Grund
dafür weg gefallen. Man muss auch hier darüber sprechen, wie dieser Abfall von
der Kirche sich vollzieht. Wie schon gesagt, die alte und neue Regel ist: bewusst,
willentlich und öffentlich. Wie das geschieht, spielt keine Rolle. Es muss nachweisbar
sein. Wenn einer sich willentlich und bewusst öffentlich sagt, ich gehöre nicht mehr
zur katholischen Kirche, dann war das immer Abfall von der Kirche.“
Eine
Nachfrage zu den Klarstellungen im Profil des Diakons: Priester und Bischöfe handeln
„als Vertreter Christi, des Hauptes“, Diakone dienen dem Volk Gottes. Nun ist das
keine Neuerung, sondern eine Angleichung an den Weltkatechismus, die schon Johannes
Paul II. nahe gelegt hat; aber: Ergibt sich damit nicht eine Öffnung des Diakonats
für die Frau? Wenn sie nicht mehr als Vertreterin Christi zu verstehen ist? Ist diese
Überlegung ernst zu nehmen, ist sie zumindest kirchliche Zukunftsmusik oder gehört
sie ins Reich der unangemessenen Wünsche ans Christkind? „Über das Diakonat
der Frau darf natürlich nachgedacht werden. Aber wichtig ist, dass man die ganze Geschichte
dabei im Kopf und im Blick hat. Es hat Diakoninnen in der frühen Kirche gegeben. Das
ist nicht zu bestreiten. Diese hatten ganz bestimmte Aufgaben, und wenn man Frauen,
die heute diese Aufgaben haben, wieder Diakoninnen nennen will, dann ist das eine
Sache. Das Motu Proprio hat aber auch wieder ins Bewusstsein gebracht und geklärt,
was in den letzten Jahren durch verschiedene Dokumente und auch durch den Codex sozusagen
unklar geworden war: Im Konzil und der vorhergehenden Tradition heißt es eindeutig,
dass die Priesterweihe und die Bischofsweihe für den priesterlichen Dienst befähigt;
dass die Diakonenweihe aber für den Dienst – zusammen mit dem Priestertum – zur Verkündigung,
in der Liturgie und der Caritas befähigt. Priester und Bischof handeln in persona
Christi. Die Diakone handeln mit den Priestern und zum Dienst der Priester und Bischöfe.
Dass diese Unterscheidung zwischen Priestertum und Diakonat wieder deutlich geworden
ist, ist auch eine Wiederbelebung der alten Auffassung. Ich habe das in meinem Studium
noch so gelernt, und wir waren erstaunt, dass diese jetzt aufgehobene Formulierung
in den Codex und andere Dokumente hineinkam.“