2009-12-14 15:39:01

Irlands Kirche in der Krise


Tief getroffen hat sich Papst Benedikt XVI. von dem Missbrauchsskandal in Irlands katholischer Kirche gezeigt. Beim Krisentreffen mit den irischen Bischöfen am vergangenen Freitag im Vatikan kündigte er Konsequenzen an. Mehr Präventivmassnahmen sollen künftig umgesetzt werden. Auch Umstrukturierungen seien möglich, sagte der Dubliner Erzbischof, Diarmuid Martin. Für Veränderung ist es wohl auch höchste Zeit. Bereits im Sommer dieses Jahres geriet die irische Kirche wegen Missbrauchs in kirchlichen Heimen in negative Schlagzeilen. Die jahrzehntelange Vertuschung der Verbrechen in der Diözese Dublin kam jetzt heraus – Irlands Kirche in der Krise.
Schutz der Kirche auf Kosten der Opfer – dieses bittere Fazit lässt sich aus dem 720-Seiten langen Bericht der so genannten „Murphy-Kommission“ zu den Missbrauchsfällen in der Erzdiözese Dublin ziehen. Mehrere Kirchenmänner haben über Jahrzehnte hinweg Kinder missbraucht, die Kirche hat diese pädophilen Priester systematisch geschützt. Maree Collins ist eines der Missbrauchsopfer. 1960 wurde sie von einem Priester sexuell belästigt. Als sie das öffentlich machte, versetzte das Bistum den Priester einfach in eine andere Pfarrei – damals offenbar eine geläufige Praxis. Collins:

„Das war eine Politik, ein System, das die Institution Kirche schützte. Das gab es in der ganzen Kirche Irlands. Und wo die katholische Kirche ist, da wird dasselbe passieren!“

„Zutiefst schockiert von Ausmaß und Verdorbenheit“ der im Bericht beschriebenen Missstände zeigte sich die irische Bischofskonferenz. Der Murphy-Report habe eine in der Kirche „weit verbreitete“ Kultur aufgezeigt, in der man den eigenen Ruf „vor die Sicherheit und das Wohl“ der Kinder gestellt habe. In einer Stellungnahme baten die Oberhirten deshalb um Vergebung. Der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin:
„Als Erzbischof von Dublin und als Mensch will ich jedem einzelnen Opfer meine Entschuldigung, meine Sorge und meine Scham über das Vorgefallene mitteilen.“
 
Es geht um Missbrauch nicht nur des Körpers, sondern auch des Vertrauens in eine Institution, die doch in besonderer Weise für Schutz, Fürsorge und Hoffnung steht.
Der Papst kommentierte die Vorfälle als „Verrat“ – der „ernsten Versprechen an Gott“ sowie des Vertrauens, das die Opfer, ihre Familien und die Gesellschaft überhaupt den Priestern entgegenbrachten. Gerade für die Betroffenen hat der Umgang der Kirche mit dem Debakel deshalb so großes Gewicht, weiß Renate Blum-Maurice. Sie ist Fachleiterin des Kinderschutzbundes in Köln. Im Gespräch mit dem Kölner Domradio sagte sie:

„Wir haben in der Vergangenheit mit Missbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen ja viel zu tun gehabt: Amerika, Deutschland, Österreich. Es gibt in Irland ja auch Opferverbände, also Erwachsene, die das als Kinder erlebt haben. Diese Menschen beobachten offensichtlich sehr genau, wie gesellschaftlich und in der Kirche damit umgegangen wird. Insofern ist es gut, wenn der Papst da deutliche Worte findet. Die Betroffenen und Opfer beobachten sehr genau, wie sich die Kirche dazu verhält.“

Enttäuscht haben in Irland unterdessen die Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester auf die Stellungnahme des Papstes reagiert. Das von Benedikt XVI. ausgedrückte „Bedauern“ sei ohne personelle Konsequenzen „bedeutungslos“ und „bestenfalls unaufrichtig“, zitiert eine irische Zeitung die Vorsitzende der Opfergruppe „One in Four“, Maeve Lewis. Informationen über die Täter seien doch über die Jahre hinweg „routinemäßig“ an den Vatikan gesandt worden, so Lewis weiter. Die Prävention in den eigenen Reihen sei bisher vernachlässigt worden, gab Kardinal Brady nach dem Krisentreffen selbstkritisch zu. Der Kardinal:

„Es gibt gut ausgebildete Leute, die ihre Verantwortung wahrnehmen, etwa in Pfarreiräten und Finanzausschüssen und solchen Dingen. Das alles haben wir seit dem 2. Vaticanum – aber Fakt ist, wir haben das nicht allzu ernst genommen. Kleriker wurden dazu ausgebildet, eher Einzelstreiter zu sein, und so mag da ein Widerwillen der Geweihten vorhanden sein, die Dinge aus der Hand zu geben. In Zukunft müssen wir also die Priester mehr zur Zusammenarbeit anregen, sei es mit anderen Klerikern, mit den Bischöfen, aber auch mit Lehrern und Erziehern und überhaupt mit Laien.“

Von Pädophilie ist natürlich nicht nur die Kirche, sondern die ganze Gesellschaft betroffen. Vorsichtige Schätzungen gehen in Deutschland zum Beispiel von 50.000 bis 200.000 pädophilen Menschen aus (Kinderschutz e.V.). Inzwischen gibt es auch Hilfsprogramme für betroffene Männer, die sich ihrem Problem aktiv stellen wollen, bevor es zum Missbrauch kommt. Ein erster Schritt der Prävention sei nämlich, das Phänomen überhaupt einzugestehen. Frau Blum-Maurice vom Kölner Kinderschutzbund:

„Wir müssen in Einrichtungen und Team-Beziehungen davon ausgehen, das so etwas geschehen kann. Wir müssen Regelungen haben und dürfen das Problem nicht verdecken. Heutzutage muss man sagen, dass es die Qualität einer Einrichtung ausmacht, offensiv mit so etwas umzugehen und nicht zu sagen: Bei uns kann so etwas nicht vorkommen. Das kann überall vorkommen!“

Wie jede Institution, die Pädophilie ernsthaft verhindern will, müsse sich auch die Kirche stärker der Gesellschaft öffnen, so Blum-Maurice. Ansätze dazu seien unabhängige Kontrollen, die Stärkung der Laienarbeit und die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten. Doch auch Gewissensbildung sei jetzt wichtig, so der irische Erzbischof Diarmuid Martin. Der angekündigte Hirtenbrief des Papstes, der schon in wenigen Wochen erscheinen soll, hätte vor diesem Hintergrund eine wichtige Funktion. Er könne „bedeutende Umstrukturierungen in der Kirche Irlands“ nach sich ziehen, so der Erzbischof:

„Ich habe klar gesagt, Leute müssen zu ihrer eigenen Verantwortung stehen. Es ist gut zu sehen, dass dieser Prozess schon begonnen hat – und dass die Betreffenden das auch in der Öffentlichkeit tun. Das ist ziemlich neu in der Kirche in Irland.“

(rv/domradio/am/kna 14.12.09 pr)







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