Tief getroffen hat sich Papst Benedikt XVI. von dem Missbrauchsskandal in Irlands
katholischer Kirche gezeigt. Beim Krisentreffen mit den irischen Bischöfen am vergangenen
Freitag im Vatikan kündigte er Konsequenzen an. Mehr Präventivmassnahmen sollen künftig
umgesetzt werden. Auch Umstrukturierungen seien möglich, sagte der Dubliner Erzbischof,
Diarmuid Martin. Für Veränderung ist es wohl auch höchste Zeit. Bereits im Sommer
dieses Jahres geriet die irische Kirche wegen Missbrauchs in kirchlichen Heimen in
negative Schlagzeilen. Die jahrzehntelange Vertuschung der Verbrechen in der Diözese
Dublin kam jetzt heraus – Irlands Kirche in der Krise. Schutz der Kirche auf Kosten
der Opfer – dieses bittere Fazit lässt sich aus dem 720-Seiten langen Bericht der
so genannten „Murphy-Kommission“ zu den Missbrauchsfällen in der Erzdiözese Dublin
ziehen. Mehrere Kirchenmänner haben über Jahrzehnte hinweg Kinder missbraucht, die
Kirche hat diese pädophilen Priester systematisch geschützt. Maree Collins ist eines
der Missbrauchsopfer. 1960 wurde sie von einem Priester sexuell belästigt. Als sie
das öffentlich machte, versetzte das Bistum den Priester einfach in eine andere Pfarrei
– damals offenbar eine geläufige Praxis. Collins:
„Das war eine Politik,
ein System, das die Institution Kirche schützte. Das gab es in der ganzen Kirche Irlands.
Und wo die katholische Kirche ist, da wird dasselbe passieren!“
„Zutiefst
schockiert von Ausmaß und Verdorbenheit“ der im Bericht beschriebenen Missstände zeigte
sich die irische Bischofskonferenz. Der Murphy-Report habe eine in der Kirche „weit
verbreitete“ Kultur aufgezeigt, in der man den eigenen Ruf „vor die Sicherheit und
das Wohl“ der Kinder gestellt habe. In einer Stellungnahme baten die Oberhirten deshalb
um Vergebung. Der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin: „Als Erzbischof von
Dublin und als Mensch will ich jedem einzelnen Opfer meine Entschuldigung, meine Sorge
und meine Scham über das Vorgefallene mitteilen.“ Es geht um Missbrauch
nicht nur des Körpers, sondern auch des Vertrauens in eine Institution, die doch in
besonderer Weise für Schutz, Fürsorge und Hoffnung steht. Der Papst kommentierte
die Vorfälle als „Verrat“ – der „ernsten Versprechen an Gott“ sowie des Vertrauens,
das die Opfer, ihre Familien und die Gesellschaft überhaupt den Priestern entgegenbrachten.
Gerade für die Betroffenen hat der Umgang der Kirche mit dem Debakel deshalb so großes
Gewicht, weiß Renate Blum-Maurice. Sie ist Fachleiterin des Kinderschutzbundes in
Köln. Im Gespräch mit dem Kölner Domradio sagte sie:
„Wir haben in der
Vergangenheit mit Missbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen ja viel zu tun gehabt:
Amerika, Deutschland, Österreich. Es gibt in Irland ja auch Opferverbände, also Erwachsene,
die das als Kinder erlebt haben. Diese Menschen beobachten offensichtlich sehr genau,
wie gesellschaftlich und in der Kirche damit umgegangen wird. Insofern ist es gut,
wenn der Papst da deutliche Worte findet. Die Betroffenen und Opfer beobachten sehr
genau, wie sich die Kirche dazu verhält.“
Enttäuscht haben in Irland unterdessen
die Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester auf die Stellungnahme des Papstes reagiert.
Das von Benedikt XVI. ausgedrückte „Bedauern“ sei ohne personelle Konsequenzen „bedeutungslos“
und „bestenfalls unaufrichtig“, zitiert eine irische Zeitung die Vorsitzende der Opfergruppe
„One in Four“, Maeve Lewis. Informationen über die Täter seien doch über die Jahre
hinweg „routinemäßig“ an den Vatikan gesandt worden, so Lewis weiter. Die Prävention
in den eigenen Reihen sei bisher vernachlässigt worden, gab Kardinal Brady nach dem
Krisentreffen selbstkritisch zu. Der Kardinal:
„Es gibt gut ausgebildete
Leute, die ihre Verantwortung wahrnehmen, etwa in Pfarreiräten und Finanzausschüssen
und solchen Dingen. Das alles haben wir seit dem 2. Vaticanum – aber Fakt ist, wir
haben das nicht allzu ernst genommen. Kleriker wurden dazu ausgebildet, eher Einzelstreiter
zu sein, und so mag da ein Widerwillen der Geweihten vorhanden sein, die Dinge aus
der Hand zu geben. In Zukunft müssen wir also die Priester mehr zur Zusammenarbeit
anregen, sei es mit anderen Klerikern, mit den Bischöfen, aber auch mit Lehrern und
Erziehern und überhaupt mit Laien.“
Von Pädophilie ist natürlich nicht
nur die Kirche, sondern die ganze Gesellschaft betroffen. Vorsichtige Schätzungen
gehen in Deutschland zum Beispiel von 50.000 bis 200.000 pädophilen Menschen aus (Kinderschutz
e.V.). Inzwischen gibt es auch Hilfsprogramme für betroffene Männer, die sich ihrem
Problem aktiv stellen wollen, bevor es zum Missbrauch kommt. Ein erster Schritt der
Prävention sei nämlich, das Phänomen überhaupt einzugestehen. Frau Blum-Maurice vom
Kölner Kinderschutzbund:
„Wir müssen in Einrichtungen und Team-Beziehungen
davon ausgehen, das so etwas geschehen kann. Wir müssen Regelungen haben und dürfen
das Problem nicht verdecken. Heutzutage muss man sagen, dass es die Qualität einer
Einrichtung ausmacht, offensiv mit so etwas umzugehen und nicht zu sagen: Bei uns
kann so etwas nicht vorkommen. Das kann überall vorkommen!“
Wie jede Institution,
die Pädophilie ernsthaft verhindern will, müsse sich auch die Kirche stärker der Gesellschaft
öffnen, so Blum-Maurice. Ansätze dazu seien unabhängige Kontrollen, die Stärkung der
Laienarbeit und die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten. Doch auch Gewissensbildung
sei jetzt wichtig, so der irische Erzbischof Diarmuid Martin. Der angekündigte Hirtenbrief
des Papstes, der schon in wenigen Wochen erscheinen soll, hätte vor diesem Hintergrund
eine wichtige Funktion. Er könne „bedeutende Umstrukturierungen in der Kirche Irlands“
nach sich ziehen, so der Erzbischof:
„Ich habe klar gesagt, Leute müssen
zu ihrer eigenen Verantwortung stehen. Es ist gut zu sehen, dass dieser Prozess schon
begonnen hat – und dass die Betreffenden das auch in der Öffentlichkeit tun. Das ist
ziemlich neu in der Kirche in Irland.“