Chile steht nach Ansicht
der Bischöfe des Landes vor einem Neuanfang. Der Präsident der Bischofskonferenz,
Bischof Alejandro Goic von Rancagua, forderte am Wahlsonntag mehr soziale Gleichheit,
mehr Teilhabe und wirtschaftlichen Ausgleich. – Die acht Millionen Einwohner Chiles
haben in den fünften allgemeinen Wahlen nach Ende der Pinochet-Diktatur über einen
neuen Präsidenten und die Zusammensetzung des Parlaments abgestimmt; am 17. Januar
kommt es zur Stichwahl.
Der konservative Großunternehmer Sebastián Piñera erreichte
nach Auszählung fast aller Stimmen amtlichen Angaben zufolge 44 Prozent. Ex-Präsident
Eduardo Frei von der regierenden linksdemokratischen Koalition kam auf knapp 30 Prozent.
Piñeira
galt vor der Wahl als Favorit. Doch die große Zustimmung für den Milliardär und der
damit verbundene Rechtsruck im Land kommt für den Lateinamerika-Experten von Radio
Vatikan, Louis Badilla, in dieser Höhe überraschend.
„Das viel niedrigere
Ergebnis für den Kandidaten der Linksdemokraten hat vielleicht eher persönliche Gründe.
Die Leute lehnen die Person, den Politiker ab: zu alt, zu traditionalistisch, nicht
auf der Höhe der Zeit und nicht der Richtige für den Wendepunkt, an dem Chile steht.“
Sollte
der „chilenische Berlusconi“ Piñeira – ihm gehören unter anderem ein Fernsehsender
und ein Fußballverein – wie erwartet die Stichwahl gewinnen, rechnen politische Analysten
mit einem verstärkten wirtschaftsliberalen Kurs und einem Kurswechsel in der Außenpolitik
mit Blick auf engere Kontakte zu den USA und dem konservativ regierten Kolumbien.
Die Schere zwischen Arm und Reich würde damit weiter auseinander klaffen, so die Befürchtungen.
Louis
Badilla: „Ich habe den Eindruck, dass – wenn erst einmal die Stichwahl überstanden
ist – die Koalition von Christdemokraten und Sozialisten in die Krise stürzen wird.
Das ist vielleicht die eigentliche Nachricht. Das bedeutet eine neue Etappe für Chile
und für ganz Lateinamerika. Hier finden im Jahr 2010 zahlreiche Wahlen statt - auch
in Brasilien, was für den Kontinent wegweisend ist.“
Die Kirche Chiles
– 70 Prozent der Einwohner sind katholisch – hatte stets zur Teilnahme an den Wahlen
aufgerufen. In bestimmter Weise sei Demokratie wie Liturgie, sagte am Sonntag der
Präsident der Bischofskonferenz. Sie folge bestimmten Riten. Wesentlich sei dabei,
dass das Volk seinen Willen frei zum Ausdruck bringe und die Gewählten als Diener
für alle arbeiteten.
Nicht müde werden Kirchenvertreter, die soziale Ungleichheit
im Land zu kritisieren. Wer Chile regieren wolle, dürfe die nicht übersehen. Badilla:
„Die
Kirche hat sich zu den Wahlen immer wieder geäußert, um zu betonen, dass es eine Pflicht
und eine patriotische Verantwortung ist, sich an den wichtigen Entscheidungen für
die Zukunft des Landes zu beteiligen. Wer auch immer gewinnt; muss den Gedanken der
Gleichheit im Herzen tragen. Das Land leidet unter einer enormen sozialen Ungerechtigkeit.“