Menschen in der Zeit: Bruder Paulus Terwitte – ein Sprachtalent
Paulus Terwitte ist
ein bedeutender Fernseh- und Rundfunkmoderator sowie Buchautor. Jeder, der ihn einmal
gehört, gesehen oder gelesen hat, ist von seiner Sprache beeindruckt. Gleich nach
dem Abitur ist er in den Kapuzinerorden eingetreten und wählte sich den Ordensnamen
Paulus. Dann studierte er Philosophie und katholische Theologie. Er ist nicht nur
Ansprechpartner für kirchliche Fragen, sondern auch zu Fragen der Lebensgestaltung
unter besonderer Berücksichtigung der seelsorgerlichen Aspekte.
Bruder Paulus,
Sie sind einer der bekanntesten katholischen Ordensmänner in Deutschland. Ein charismatischer
Streiter und Denker für den Glauben, ein Kirchenmann, der fünf Jahre lang auf seiner
Homepage die morgendliche Top-Schlagzeile der meistgelesenen Tageszeitung in Deutschland,
die Bildzeitung, kommentierte, der eine eigene Fernsehsendung besaß, der viele Bücher
geschrieben hat, kurzum, der einem großen Publikum ein Begriff geworden ist.
Sie
sind in diesem Jahre 50 Jahre alt geworden, dazu unser herzlicher Glückwunsch. Sind
Sie mit Ihrem bisherigen Lebenslauf zufrieden?
„Ich bin sehr damit zufrieden,
weil sich eines nahtlos an das andere angeschlossen hat. Ich bin in den Orden eingetreten
und fand dort ein Leben vor, das mich begeistert hat. Ich konnte Theologie und Philosophie
studieren, vorher eine ordentliche Einweisung in die Ordensspiritualität erhalten,
Seelsorge im Kloster machen, durfte als Bürger, als franziskanischer Minderbruder
in Gera in Ostdeutschland leben, war dann in Frankfurt und habe die Medien entdeckt,
bin hier zur Berufungspastoral zuständig, bin in Fernsehstudios, in Radiosendungen
präsent und schreibe Bücher, also ich bin super zufrieden…“ Warum werden Sie
Bruder und nicht Pater Paulus genannt?
„Der Orden hat nach dem 2. Vatikanischen
Konzil die Einladung angenommen, zu den Quellen zurück zu finden, und die Konstitutionen
der Kapuziner, die 1983 dann endlich neu gestaltet waren, sehen vor, dass alle Brüder
zunächst einmal Brüder sind und wir uns so auch anreden lassen sollen und wollen.
Als ich eintrat 1978 hätte ich eigentlich Frater Paulus heißen müssen, das war also
schon damals irgendwie unüblich und als ich Priester wurde, merkte ich, dass ich viele,
viele Gottesdienste mit Menschen halte, die 50 Jahre älter sind als ich. Und wenn
die mich plötzlich mit Vater ansprechen, dass wollte ich dann doch auch nicht. Jetzt
mittlerweile merke ich, dass ich so vielen Menschen ein geistlicher Vater geworden
bin, dass mir das so auch sympathisch werden könnte, Pater Paulus zu heißen, aber
die Marke Bruder Paulus steht und die möchte ich auch nicht ändern.“ Welcher
war der frühe Impuls, der Sie dazu bewogen hat, in den Kapuzinerorden einzutreten?
„Ich
war mit Sechzehneinhalb bei einer Tagung für Jugendliche, wo es um Kirche ging. Dort
haben wir unser Kirchenbild gemalt als eine hierarchische Abstufung von Papst, Bischöfen,
Priestern, Laien. Und der damalige Priester des Bistums Münster hat uns gesagt: ‚Nein,
das Konzil sieht eigentlich die Kirche als lebendigen Leib Christi, in der alle ihr
Amt, und ihre Aufgabe haben. Alle nähren sich aus der Wurzel der Taufe, der Firmung
und wachsen aus Christus heraus in die Welt, sammeln sich in der Eucharistiefeier
und werden von dort ausgesandt in die verschiedenen Dienste und Ämter.‘ Und da hat
es bei mir irgendwie ‚klick‘ gemacht: Ich bin ja ein Getaufter und gehöre zu diesen
originalen Menschen, zu diesem Urmenschen von Jesus von Nazareth und ich möchte unbedingt
in meinem ganzen Leben allen Menschen erzählen, dass es einen Originalmenschen gibt,
diesen Jesus. Wenn man dem folgt, dann wird man selber auch ein Original vor Gott.
Und als ich dann ein Jahr später zufälligerweise die Kapuziner kennen lernte, habe
ich abends um halb zehn Uhr gesagt: Ich glaub’ hier bleibe ich!“ Was ist eigentlich
der Kapuzinerorden im Vergleich zum Franzikanerorden? Beide haben ja denselben Ordensgründer,
den Heiligen Franz von Assisi? Was ist den Kapuzinern besonders wichtig?
„Die
sind ein, wie Sie sagen, von Franz von Assisi selbst inspirierter und gegründeter
Orden. Unser Spezifikum ist die Kontemplation und das Herzensgebiet, mit Jesus in
der Stille zu leben – in Einsiedeleien oder in der Stille des Klosters –, aber dann
auch in die Welt hinauszugehen und stark aufzutreten, an die Ränder der Gesellschaft
zu gehen, zu den Armen zu gehen, mit ihnen zusammen zu sein. Das ist für uns eine
ganz starke Verbindung: Christus der sich hinein begibt in die Armut unserer Existenz,
in der Stille. Er gibt uns Kraft hinauszugehen, um dann zu den Rändern der Gesellschaft
zu gehen, die heute offensichtlich mitten in der Gesellschaft zu finden sind, wenn
wir nur an die große Religions- und Glaubenslosigkeit der Menschen denken. Da sind
Menschen wirklich bis an den Rand der Sinnverzweiflung gebracht und da gehe ich ja
genau hinein.“ Was ist Beruf, was ist Berufung für einen Kapuziner-Ordensmann?
„Die
Berufung ist ganz sicher das Leben, in Brüderlichkeit mit den Armen und im Gebet zu
leben, in der Gemeinschaft der Brüder zu sein, durch diese Welt zu ziehen als Brüdergemeinschaft.
Das ist unsere Urberufung und in dieser Berufung hat jeder auch seinen Beruf. Die
einen sind Schneider, die anderen sind Gärtner, die dritten Krankenpfleger oder studierte
Chemiker und eben auch Priester. Die meisten sind Priester, und die haben dann diese
Berufung auch zum priesterlichen Dienst.“ Wann haben Sie zum ersten Mal gespürt,
dass Sie – außer Ihrem priesterlichen Beruf – ein bemerkenswertes Talent für Sprache,
für Öffentlichkeitsarbeit besitzen?
„Das fing eigentlich schon damit an,
dass ich mich in der Nacht, nach der Diakonenweihe so überwältigt fühlte vom Heiligen
Geist und von der Wendung, die die Kirche mir gegeben hat, dass ich am nächsten Tag
wusste: Ich brauche nie mehr ein Blatt Papier, um zu predigen. Ich kann die Begegnung
mit Christus in der Gemeinde wagen und dort versuchen, das Wort zu fassen. Das war
für mich eine Ur-Erfahrung für den kirchlichen Dienst. Später habe ich dann in Gera
zum ersten Mal ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit gemacht mit Obdachlosen und dann
anschließend auch öffentliche Pressekonferenzen gegeben.“ Aber so richtig
kam es erst ins Rollen, als er nach Frankfurt am Main kam. Dort steht die Liebfrauenkirche
am Marktplatz mitten im Zentrum und dort war er entdeckt worden von jemandem, der
für die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche zuständig ist. Und von da an ging es erst
so richtig los. Er wurde zu einem der gesuchtesten Moderatoren bei vielen Rundfunk-
und Fernsehsendungen, wenn es um ethische und moralische Zeitfragen geht.
Welche
sind Ihrerseits dabei die wichtigsten Ratgeber? Kommt das alles von Innen?
„Aus
dem Inneren des Menschen kommen ja viele Sachen, die gar nicht so toll sind, wie Jesus
selber sagt. Man lebt eigentlich von den Lehrern, die man gehabt hat. Ich habe tolle
philosophische Lehrer gehabt, ich habe Mitbrüder gehabt, die durch ihre Lebensweise
gezeigt haben, was es heißt, fest in den ‚Pantoffeln Jesu‘ zu stehen, in der Nachfolge
Jesu zu leben. Und ich lasse mich sehr gerne anregen durch Exegeten, die mir zeigen,
wie die biblischen Bücher zu verstehen sind. Wir hatten auch eine starke und gute
Ausbildung in der katholischen Soziallehre, die mir doch sehr viele Impulse gegeben
hat. Und jetzt ist es für mich so, dass ich gerne ins Theater gehe, oder Zeitungen
lese, Zeitschriften lese, aber auch mal ein theologisches Buch, um immer wieder neue
Anregungen zu erhalten.“ Sind die sogenannten neuen Medien, das Internet in
erster Linie, als Zeichen unserer Zeit zu betrachten?
„Da bin ich ein bisschen
skeptisch, ob es die Zeichen der Zeit sind. Wenn überhaupt, dann zeigt das Internet
seltsamerweise als Kommunikationsmittel vor allen Dingen die Einsamkeit der Menschen
auf. Denn vor dem Internet-Bildschirm sitzt jeder alleine. Für mich ist zunächst einmal
das Internet das Zeichen dafür, dass die Menschen total in die Versuchung hinein gestiegen
sind, alleine glücklich werden zu können: Ich kann sehen was ich will, ich kann machen
was ich will. Und die Vernetzung, die dann virtuell stattfindet, findet ja eigentlich
nur in der Phantasie statt. Und das merkt man, wenn man dann plötzlich jemanden sieht,
mit dem man per Twitter oder bei Facebook Kontakt hat, da merkt man: Oh Gott, der
sieht ja ganz anders aus, als ich mir das vorgestellt habe. Von daher ist das Internet
tatsächlich ein Zeichen, dass die Gesellschaft sich entsolidarisiert und die Menschen
wieder das werden, was die mittelhochdeutsche Sprache einen Sünder nennt: Nämlich
jemand, der in sich gekehrt ist, zunächst einmal ganz für sich alleine leben will.
Bei mir ist dagegen wirklich jede Begegnung möglich und letztlich auch erforderlich.“ Sie
sind aber nicht nur religiöser Ratgeber, Sie werden auch zu wirtschaftlichen Tagungen
ebenso wie zu politischen Kongressen eingeladen. Sind Sie ein Allround-Mensch?
„Ich
glaube, dass viele Menschen mich einladen, weil sie sich freuen, dass da vorne ein
wirklicher Mensch und Mann Gottes steht, also, nicht so eine – mit Verlaub gesagt
– Sprechmaschine, die irgendwelche Dogmen oder Paragrafen herunterredet, sondern ich
versuche, was wir in der katholischen Dogmatik von der Eucharistie sagen, real präsent
zu sein. Was bei Jesus so faszinierend war: Er war so real präsent am Menschen, der
mit Gott und dem Menschen verbunden leben wollte, und zwar jenseits aller von Menschen
aufgestellten Regeln. Ich denke, dass ich schon deshalb eingeladen werde, weil viele
Menschen das offensichtlich in der Begegnung mit mir erfahren. Sie merken, dass ich
zu ihren Herzen spreche, dass ich das bin, was den Kapuzinern auch nachgesagt wird:
volksverbunden. Ich schaue den Leuten aufs Maul, auf Sachen, die den Menschen wichtig
sind. Und ich kitzle das aus ihnen heraus, was ihnen selber eigentlich klar ist, was
sie aber leider vergessen haben.“ Im Internet wird alles angeboten: Kultur,
Unkultur, Bildung, Unbildung. Welches Tabu ist heute noch ein Tabu?
„Das
erste Tabu heißt Religion. Menschen sprechen nicht über Religion in ihrem Alltag.
Wir sind eine religionsfreie Gesellschaft geworden, zumindest in Deutschland. Da darf
man nicht sagen: ‚Ich glaube an Gott. Ich glaube an die Auferstehung!‘ Da geht es
einem wie Paulus auf dem Aeropag, das ist dann Privatsache, da redet man nicht drüber.
Und ein anderes Tabu ist natürlich Erotik, Sexualität und Beziehung. Niemand redet
wirklich darüber, dass er Schwierigkeiten hat, in jeder Beziehung und mit jeder Form
von Sexualität. Keiner gibt zu, dass es nirgendwo so etwas gibt wie eine Supererfüllung,
die einem die Medien ständig vorgaukeln. Und der dritte Punkt ist die körperliche
Unversehrtheit: Über Krankheit wird kaum gesprochen, dass wir behinderte Menschen
sind und dass jeder sein Päckchen zu tragen hat. Auch das versuche ich, den Menschen
begreiflich zu machen, dass sie mal darüber reden sollen, was sie nicht können, wo
sie keinen Erfolg haben. Dann würde ein viel schöneres Gespräch stattfinden, als ständig
vor sich herzutragen, was man alles geschafft hat.“ Priester sind ein Geschenk
des Himmels, aber sie fallen nicht vom Himmel. Priester sein ist heute ein Drahtseilakt
und nicht selten ein Gang über vermintes Gelände. Das sagte vor kurzem Erzbischof
Robert Zollitsch. Sind Sie damit einverstanden?
„Hm, also ich kann jetzt
als Ordenspriester sagen, dass ich durchaus weiß, dass es da theologische Fragen gibt.
Denn Priester und kirchliche Gemeinde, das gehört schon zusammen. Ich melde mich bei
jedem Bischof an und sage: ‚Hallo, ich bin Priester und ich bin jetzt in ihrem Bistum
und ich möchte für sie tätig sein.‘ Ich habe aber leider erst von einem Bischof ein
wirklich schönes Willkommenschreiben erhalten. Da denkt man dann offensichtlich: ‚Der
Ordenspriester, der soll mit seinem Orden irgendwie zurechtkommen.‛ Nein! Für mich
ist die Beziehung zum Bischof sehr wichtig. Die Bischöfe selber sollten es als Herzensangelegenheit
betrachten, mit ihren Priestern zusammen in der Welt zu sein. Das ist das eine. Das
zweite ist: Die Zeit braucht gute Priester. Wir müssen deutlich machen, dass der Priester
wirklich einer ist, der das Mysterium Jesu Cristi, das Mysterium von Tod und Auferstehung
Jesu in dieser Welt lebendig erhält. Da muss man manchmal genau hingucken. In Deutschland
zumindest mussten die Priester so viele Unterschriften leisten, Rechtsakte und Verträge,
müssen so viele Gebäude in Schuss halten, dass man nicht mehr genau sehen kann, dass
das wirklich etwas mit dem Mysterium von Christi Auferstehung zu tun hat. An dieser
Stelle wünschte ich mir, dass wir wieder viel, viel deutlicher davon sprechen, dass
die Kirche kein Selbstzweck ist, sondern nur Sakrament, nur Werkzeug der innigsten
Vereinigung zwischen Gott und den Menschen.“ Bruder Paulus: wir befinden uns
in der Weihnachtszeit. Was ist Weihnachten, heute?
„Weihnachten heute ist
für mich ein Fest und eine Feier von wenigen Menschen, die begriffen haben, dass Gott
eine Bruchlandung gemacht hat. Er wird in die Brüche dieser Welt hinein, am Rande
der Stadt, geboren von einem Pärchen, das nicht so recht weiß, wie es mit diesem Kind
umgehen soll, dass Hirten zuerst da waren, dass Gott in diese Zeit kommt und sich
den Armen zuwendet. Das feiert die Kirche, das feiern wir, das ist unsere Hoffnung,
dass der Glanz der Ewigkeit in die Zeit hineingekommen ist. Allerdings – ganz vielen
Menschen, denen ist das ein bisschen zu nah. Die möchten nicht, dass Gott einem zu
nahe tritt. Darum macht man daraus eben ein Stressfest, wo es eine Gefühlsskala gibt,
die irgendwie zu erreichen ist und am Ende wird das dann eine Bruchlandung, weil die
Menschen nicht selber den Himmel auf Erden machen können. Was wir tun können? Wir
können feiern, dass der Himmel sich zur Erde hinunterneigt, um in einer weihnachtlichen
Verkündigung den Menschen zu sagen: Macht euch doch bitte nicht so einen Weihnachtsstress.
Gott kommt euch allen auch ohne Stress entgegen, macht doch Mal die Hände auf! In
leere Hände will sich der Himmel begeben.“ Welcher besondere Wunsch steht
auf der Weihnachtswunschliste für Bruder Paulus ganz oben?
„Ganz oben steht,
dass ich mich endlich bekehre zu den einfachen Dingen des Lebens. Ich bin so viel
angefragt und mache so viele Sachen, dass ich bemerke, mein Terminkalender wird sehr
viel von Anfragenden bestimmt. Ich möchte im nächsten Jahr mehr Zeit haben für Freunde,
mehr Zeit haben für meine Brüder, mehr Zeit haben, meine alte Mutter einmal zu besuchen
und wirklich bei ihr zu sein. Ich will nicht immer denken, naja, die schafft das schon
irgendwie. Ich möchte mehr Privatleben entfalten. Ich glaube, wir brauchen unsere
Quellen im Kloster und im Freundeskreis. Die müssen wir pflegen, um gesundet wieder
hinausgehen zu können.“ Verraten Sie uns abschließend bitte noch,
welches Ziel Sie für die nächsten 50 Jahre anpeilen?
„Also, wenn Sie mich
das so ganz offen fragen, werde ich Ihnen das auch so ganz offen sagen. Ich wünsche
mir wirklich,….. mein Ziel wäre, dass ich der Stimme der Kirche und der Stimme der
Hoffnungsträger, was die Gläubigen sind, in der Gesellschaft noch größeres Gewicht
geben kann. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir in Deutschland ein mediales Fernsehfenster
öffnen könnten für die Leute, die so oft vor verschlossenen Kirchentüren stehen. Damit
sie hineinschauen und sehen können, wie wunderbar die Glieder am Leibe Cristi dieser
Welt dienen und auch Gott dienen. Damit sie sehen, was das für eine wunderschöne Berufung
ist, ein Kind Gottes zu sein und Christ zu sein in der katholischen Kirche.“ (rv)