2009-12-12 16:37:04

„Toleranz ist Grundstein des Dialogs“ – unser Kommentar der Woche


RealAudioMP3 Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Eine der Herausforderungen unserer Generation ist, wie die Kulturen und Religionen im 21. Jahrhundert zusammenleben. Ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Identität ist notwendig und möglich und von größter Bedeutung für unsere gemeinsame Zukunft. Ich glaube nicht an den „Clash of Civilizations“, den Zusammenprall der Kulturen. Notwendig ist das Bauen einer geistigen und kulturellen Brücke, zum Beispiel über das Mittelmeer zu den islamischen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens, einer Brücke, die auf gegenseitigem Verständnis und – so weit möglich – gemeinsamen Werten beruht.
Der Grundstein des interkulturellen Dialogs ist die Toleranz. Toleranz bedeutet nicht Beliebigkeit, sondern vielmehr eigene Überzeugungen zu haben und zu vertreten, und die Überzeugungen des Anderen zu hören und zu respektieren. Dort wo es nicht möglich ist, den anderen Standpunkt zu akzeptieren ist es gleichwohl notwendig, den Auffassungen mit Respekt zu begegnen und sich friedlich auszutauschen, um wo immer es geht, gemeinsames Handeln zu ermöglichen.
Die europäische Union setzt sich mit Verantwortung für die Verteidigung der fundamentalen Prinzipien der Würde des Menschen und der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechts der Freiheit und des Friedens sowie der Solidarität innerhalb und außerhalb der Grenzen der europäischen Wertegemeinschaft ein. Neben der Politik können und müssen auch die Kirchen eine entscheidende Rolle in diesem Dialog wahrnehmen und wichtige Zeichen der Verständigung geben. Sie können deutlich machen, dass die Vorstellung von einer Konfrontation zwischen Christentum und Islam irreführend ist und dass ein Kampf der Kulturen keinesfalls zwangsläufig droht. Nicht zwischen den Religionen verläuft die Trennlinie, sondern vielmehr zwischen denjenigen, die sich der Achtung der Identität und der Personalität des Menschen verpflichtet fühlen und anderen, die dies nicht tun. Ich möchte daher die Vertreter der Kirchen ermutigen, sich nachdrücklich im interreligiösen Dialog zu engagieren, der ein wichtiger Bestandteil des Austausches der Kulturen ist.
In Europa sind Muslime zur zweitgrößten Religionsgemeinschaft geworden. Es ist daher berechtigt zu hinterfragen, ob genug getan wird, damit sie und Andersgläubige sich in einer mehrheitlich christlich oder säkular geprägten Umwelt wohl fühlen. Wenn wir Toleranz gegenüber kulturellen und religiösen Minderheiten in Europa vorleben, dann können wir auch mit Berechtigung fordern, dass andere Länder uns dies gleichtun und christliche Minderheiten respektieren. Dies ist bislang nicht in allen Teilen der Welt der Fall. In Saudi-Arabien etwa existiert bis heute keine christliche Kirche, obwohl dort viele Christen vor allem als Gastarbeiter leben. In der islamischen Welt muss es ebenso selbstverständlich sein, dass christliche Minderheiten ihren Glauben leben und bezeugen können, wie es überwiegend für Moslems in Europa der Fall ist. Das gilt auch in besonderer Weise für die Türkei, dass die christlichen Minderheiten dort unbeeinträchtigt ihren Glauben leben können.
Daher setzt sich die europäische Union auch für einen interkulturellen Dialog besonders im Nahen Osten ein. Die Würde eines Palästinensers ist die gleiche wie die eines Israelis und umgekehrt. Daher setzt sich die Europäische Union für eine Zweistaatenlösung mit einem sicheren Israel und einem freien und sicheren palästinensischen Staat ein. Weder durch Gewalt von palästinensischer Seite, noch durch fortgesetzten Siedlungsbau durch die Israelis in den palästinensischen Gebieten oder in Ostjerusalem darf diese Zweistaatenlösung unterlaufen und damit verhindert werden. Die europäische Union muss als ehrlicher Makler hierzu Stellung beziehen und wir sollten die Bemühungen des amerikanischen Präsidenten, Barack Obama, für eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten nachdrücklich unterstützen.
Der Dialog der Kulturen ist nichts Abstraktes, es geht nicht um schöne Worte. Der Dialog der Kulturen muss sich in der praktischen, politischen Wirklichkeit bewähren. Eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten ist eine Bedingung, dass der Dialog der Kulturen gelingt. Er ist die Voraussetzung, um in Frieden und gegenseitigem Respekt im 21. Jahrhundert zusammenzuleben. Wir alle tragen hierfür gemeinsam Verantwortung.

Dr. Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments.

(rv 12.12.2009 ad)







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