D/Afghanistan: „Wenn viele Kerzen brennen ist die Lage angespannt“
Der deutsche Verteidigungsminister
Karl Theodor zu Guttenberg hat an diesem Freitag überraschend deutsche Soldaten in
Afghanistan besucht. Er sprach mit ihnen über den verheerenden Luftangriff nahe Kundus
und sagte ihnen umfassende Aufklärung zu. Bei dem von der Bundeswehr veranlassten
Nato-Luftschlag waren Anfang September bis zu 142 Menschen getötet worden, darunter
auch viele Zivilisten. Guttenberg bezeichnete das Bombardement inzwischen als militärische
„Fehleinschätzung“. Neben den militärischen und politischen Entscheidungsträgern sind
es jetzt aber vor allem die bei Kundus stationierten Soldaten, die mit dieser „Fehlentscheidung“
fertig werden müssen. Militärseelsorger rechnen mit schweren psychischen Folgen.
„Die
Erfahrung aus dem Einsatz in Kundus wird die Soldaten nicht so einfach loslassen,
das wird sie weiter begleiten“, sagt Militärseelsorger Pater Jonatahn Göllner im Kölner
domradio. Der 43-jährige Benediktiner war bis Ende November in Kundus im Einsatz.
„Viele Soldaten beschreiben das so: Man wird grau an der Seele. So wie man graue Haare
kriegt nach manchen Erfahrungen, so hinterlässt das auch Spuren auf der Seele.“
Die
Bombardierung zweier von den Taliban gekaperter Tanklastzüge bei Kundus am 4. September
2009 gilt als einer der bisher blutigsten Einsätze in der Geschichte der Bundeswehr.
In den Tagen unmittelbar nach dem Angriff habe großer Gesprächsbedarf seitens der
in Kundus stationierten Soldaten bestanden, berichtet Militärseelsorger Göllner:
„Zunächst
gab es da einen Moment der Starre. Man fragte sich: Was ist da eigentlich passiert?
Die ersten Reaktionen aus Afghanistan waren ja gegenüber den Soldaten sehr positiv.
Der Gouverneur und die Distriktmanager sagten den Soldaten das sei eine gute Aktion
gewesen. Umgekehrt kam aber aus Deutschland sehr massive Kritik - in den Medien und
in der Öffentlichkeit. Und plötzlich in diesem Zwiespalt zu stehen zwischen Lob und
Tadel, das war eine fast schon schizophrene Situation.“ Der Einsatz deutscher
Soldaten in Afghanistan beschränke sich längst nicht mehr auf „Brunnenbauen in Uniform“,
bestätigte Göllner im domradio-Interview:
„Seit Mitte dieses Jahres hat
sich die Situation in Kundus grundlegend geändert. Für die Soldaten ist das wirklich
eine kriegerische Auseinandersetzung und man merkt dort diesen Unterschied. Wir wechseln
ja alle vier Monate die Kontingente. Für Soldaten die jetzt unten in Kundus sind,
ist es ganz klar ein Kampfeinsatz.“ Bei seinem Einsatz als Seelsorger in Kundus
sei es vor allem darum gegangen zuzuhören, erzählt Göllner. Die Soldaten stünden unter
großem psychischen Stress, den viele bei ihm abladen würden: Einige hätten eine
ganz schlichte, fast wortlose Form gefunden, mit der seelischen Belastung umzugehen:
„Wir
haben einen Kerzenleuchter in Kundus und dort sehe ich immer an der Anzahl der Kerzen
die brennen, wie die Stimmung ist: Wenn viele Kerzen brennen ist die Lage äußerst
angespannt.“