Papst beim Konzert: „Menschen sollen Mittler sein“
An diesem Freitag erinnerte ein Konzert in der sixtinischen Kapelle an die friedliche
Revolution vor zwanzig Jahren. Papst Benedikt XVI. und der deutsche Bundespräsident
Horst Köhler kamen dazu in die Sixtinische Kappelle. Der Ehrenabend ist Teil der offiziellen
Feierlichkeiten „60 Jahre Bundesrepublik Deutschland und 20 Jahre Mauerfall“. Die
Augsburger Domsingknaben und das Residenz-Kammerorchester München brachten dabei das
Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach zur Aufführung.
Wir dokumentieren
hier die Papstansprache am Ende des Konzertes.
„Liebe Freunde! Noch
ganz erfüllt von den zu Herzen gehenden Weisen des Bachschen Weihnachtsoratoriums
grüße ich Sie alle hier in der Sixtinischen Kapelle. Zunächst sage ich dem Herrn Bundespräsidenten
und seiner verehrten Frau Gemahlin Dank, dass sie uns heute Abend mit ihrer Anwesenheit
beehren. Herr Bundespräsident, Ihr Besuch freut mich sehr. Sie bringen damit die Verbundenheit
des deutschen Volkes mit dem Nachfolger Petri, der Ihr Landsmann ist, zum Ausdruck.
Ein herzliches Vergelt’s Gott für Ihre aufmerksamen Worte und dafür, dass Sie uns
diesen Abend mit ermöglicht haben. Ebenso danke ich Herrn Domkapellmeister Reinhard
Kammler, den Augsburger Domsingknaben und dem Residenz-Kammerorchester München von
Herzen für die meisterliche Darbietung dieses großartigen Oratoriums. Danke für das
Geschenk dieser wunderbaren Musik! Der Anlass für diesen festlichen Abend
ist ein zweifacher: Zum einen feiern wir in diesem Jahr das sechzigjährige Bestehen
der Bundesrepublik Deutschland mit der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai
1949; zum anderen begehen wir den zwanzigsten Jahrestag des Falls der Berliner Mauer,
jener Todesgrenze, die viele Jahre unser deutsches Vaterland geteilt und Menschen,
Familien, Nachbarn und Freunde auseinander gerissen hatte. Die Ereignisse des 9. November
1989 empfanden zahlreiche Zeitgenossen als die unerwartete Morgenröte der Freiheit
nach einer langen durchlittenen Nacht der Gewalt und Unterdrückung durch ein totalitäres
System, das letztlich auf einen Nihilismus, auf eine Entleerung der Seelen, hinauslief.
In der kommunistischen Diktatur gab es keine Handlung, die als in sich schlecht und
immer unmoralisch angesehen worden wäre. Was den Zielen der Partei diente, war gut,
wie unmenschlich es auch sein mochte. Heute fragen sich manche, ob denn die westliche
Gesellschaftsordnung so viel besser und menschenfreundlicher sei. In der Tat ist die
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dafür der Beweis. Und dies haben wir zum
guten Teil unserem Grundgesetz zu verdanken. Diese Verfassung hat wesentlich zur friedlichen
Entwicklung Deutschlands in den letzten sechs Jahrzehnten beigetragen. Denn sie mahnt
die Menschen, in Verantwortung vor Gott, dem Schöpfer, der Menschenwürde den Vorrang
in jeder staatlichen Rechtsetzung zu geben, die Ehe und die Familie als Grundlage
jeder Gemeinschaft zu achten sowie Rücksicht und Ehrfurcht vor dem zu üben, was dem
anderen heilig ist. Mögen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands in Verpflichtung
vor dem Auftrag der geistig-politischen Erneuerung nach Nationalsozialismus und Zweitem
Weltkrieg, die im Grundgesetz ihren Ausdruck gefunden hat, am Aufbau einer freien
und sozialen Gesellschaft weiter mitarbeiten. Meine lieben Freunde, wenn
wir die Geschichte unseres Vaterlands in den letzten sechzig Jahren betrachten, haben
wir Grund, Gott aus tiefster Seele zu danken. Wir sind uns bewusst, dass diese Entwicklung
nicht unser Verdienst ist. Sie wurde ermöglicht durch Menschen, die aus einer tiefen
christlichen Überzeugung in der Verantwortung vor Gott handelten und damit Prozesse
der Versöhnung eröffneten, die ein neues Zueinander und Miteinander der europäischen
Länder möglich machten. Die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass
Verantwortung vor Gott für rechtes politisches Handeln von entscheidender Bedeutung
ist (vgl. die Enzyklika Caritas in veritate). Gott führt die Menschen zu einer wahren
Gemeinschaft zusammen, und er macht dem einzelnen bewusst, daß in der Gemeinschaft
mit den anderen noch ein Größerer gegenwärtig ist, welcher der Urgrund unseres Lebens
und unseres Miteinander ist. In besonderer Weise wird uns dies auch im Weihnachtsgeheimnis
deutlich, wo dieser Gott uns mit seiner Liebe nahe kommt und als Kind um unsere Liebe
bittet. Sehr schön veranschaulicht eine Stelle im Weihnachtsoratorium diese
in der Liebe gründende und auf die ewige Liebe hinzielende Gemeinschaft: Da verweilt
Maria an der Krippe und hört die Worte der Hirten, die zu Zeugen und Verkündigern
der Botschaft der Engel über dieses Kind geworden sind. Diesen Moment, wo sie alles,
was geschehen war, in ihrem Herzen bewegt und darüber nachdachte (vgl. Lk 2, 19),
macht Bach in einer wunderbaren Alt-Arie zu einem Anruf an jeden einzelnen von uns: Schließe,
mein Herze, dies selige Wunder fest in deinem Glauben ein! Lasse
dies Wunder, die göttlichen Werke, immer zur Stärke deines schwachen Glaubens
sein. Jeder Mensch kann für den anderen in der Gemeinschaft mit Jesus Christus
Mittler zu Gott sein. Keiner glaubt für sich allein, jeder lebt in seinem Glauben
auch von menschlichen Vermittlungen. Keine davon würde von sich her ausreichen, um
die Brücke zu Gott hinüber zu schlagen, weil kein Mensch aus Eigenem absolute Gewähr
für Gottes Existenz und für seine Nähe übernehmen kann. Aber in der Gemeinschaft mit
dem, der selbst diese Nähe ist, können Menschen einander Mittler sein, und sie sind
es auch. Als solche werden sie auch fähig sein, ein neues Denken anzuregen und neue
Kräfte im Dienst eines ganzheitlichen Humanismus hervorzubringen. (rv)