2009-12-05 10:52:06

Papst beim Konzert: „Menschen sollen Mittler sein“


An diesem Freitag erinnerte ein Konzert in der sixtinischen Kapelle an die friedliche Revolution vor zwanzig Jahren. Papst Benedikt XVI. und der deutsche Bundespräsident Horst Köhler kamen dazu in die Sixtinische Kappelle. Der Ehrenabend ist Teil der offiziellen Feierlichkeiten „60 Jahre Bundesrepublik Deutschland und 20 Jahre Mauerfall“. Die Augsburger Domsingknaben und das Residenz-Kammerorchester München brachten dabei das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach zur Aufführung.

Wir dokumentieren hier die Papstansprache am Ende des Konzertes.

„Liebe Freunde!
 
Noch ganz erfüllt von den zu Herzen gehenden Weisen des Bachschen Weihnachtsoratoriums grüße ich Sie alle hier in der Sixtinischen Kapelle. Zunächst sage ich dem Herrn Bundespräsidenten und seiner verehrten Frau Gemahlin Dank, dass sie uns heute Abend mit ihrer Anwesenheit beehren. Herr Bundespräsident, Ihr Besuch freut mich sehr. Sie bringen damit die Verbundenheit des deutschen Volkes mit dem Nachfolger Petri, der Ihr Landsmann ist, zum Ausdruck. Ein herzliches Vergelt’s Gott für Ihre aufmerksamen Worte und dafür, dass Sie uns diesen Abend mit ermöglicht haben. Ebenso danke ich Herrn Domkapellmeister Reinhard Kammler, den Augsburger Domsingknaben und dem Residenz-Kammerorchester München von Herzen für die meisterliche Darbietung dieses großartigen Oratoriums. Danke für das Geschenk dieser wunderbaren Musik!
Der Anlass für diesen festlichen Abend ist ein zweifacher: Zum einen feiern wir in diesem Jahr das sechzigjährige Bestehen der Bundesrepublik Deutschland mit der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949; zum anderen begehen wir den zwanzigsten Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, jener Todesgrenze, die viele Jahre unser deutsches Vaterland geteilt und Menschen, Familien, Nachbarn und Freunde auseinander gerissen hatte. Die Ereignisse des 9. November 1989 empfanden zahlreiche Zeitgenossen als die unerwartete Morgenröte der Freiheit nach einer langen durchlittenen Nacht der Gewalt und Unterdrückung durch ein totalitäres System, das letztlich auf einen Nihilismus, auf eine Entleerung der Seelen, hinauslief. In der kommunistischen Diktatur gab es keine Handlung, die als in sich schlecht und immer unmoralisch angesehen worden wäre. Was den Zielen der Partei diente, war gut, wie unmenschlich es auch sein mochte. Heute fragen sich manche, ob denn die westliche Gesellschaftsordnung so viel besser und menschenfreundlicher sei. In der Tat ist die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dafür der Beweis. Und dies haben wir zum guten Teil unserem Grundgesetz zu verdanken. Diese Verfassung hat wesentlich zur friedlichen Entwicklung Deutschlands in den letzten sechs Jahrzehnten beigetragen. Denn sie mahnt die Menschen, in Verantwortung vor Gott, dem Schöpfer, der Menschenwürde den Vorrang in jeder staatlichen Rechtsetzung zu geben, die Ehe und die Familie als Grundlage jeder Gemeinschaft zu achten sowie Rücksicht und Ehrfurcht vor dem zu üben, was dem anderen heilig ist. Mögen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands in Verpflichtung vor dem Auftrag der geistig-politischen Erneuerung nach Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, die im Grundgesetz ihren Ausdruck gefunden hat, am Aufbau einer freien und sozialen Gesellschaft weiter mitarbeiten.
Meine lieben Freunde, wenn wir die Geschichte unseres Vaterlands in den letzten sechzig Jahren betrachten, haben wir Grund, Gott aus tiefster Seele zu danken. Wir sind uns bewusst, dass diese Entwicklung nicht unser Verdienst ist. Sie wurde ermöglicht durch Menschen, die aus einer tiefen christlichen Überzeugung in der Verantwortung vor Gott handelten und damit Prozesse der Versöhnung eröffneten, die ein neues Zueinander und Miteinander der europäischen Länder möglich machten. Die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass Verantwortung vor Gott für rechtes politisches Handeln von entscheidender Bedeutung ist (vgl. die Enzyklika Caritas in veritate). Gott führt die Menschen zu einer wahren Gemeinschaft zusammen, und er macht dem einzelnen bewusst, daß in der Gemeinschaft mit den anderen noch ein Größerer gegenwärtig ist, welcher der Urgrund unseres Lebens und unseres Miteinander ist. In besonderer Weise wird uns dies auch im Weihnachtsgeheimnis deutlich, wo dieser Gott uns mit seiner Liebe nahe kommt und als Kind um unsere Liebe bittet.
Sehr schön veranschaulicht eine Stelle im Weihnachtsoratorium diese in der Liebe gründende und auf die ewige Liebe hinzielende Gemeinschaft: Da verweilt Maria an der Krippe und hört die Worte der Hirten, die zu Zeugen und Verkündigern der Botschaft der Engel über dieses Kind geworden sind. Diesen Moment, wo sie alles, was geschehen war, in ihrem Herzen bewegt und darüber nachdachte (vgl. Lk 2, 19), macht Bach in einer wunderbaren Alt-Arie zu einem Anruf an jeden einzelnen von uns:
Schließe, mein Herze, dies selige Wunder
fest in deinem Glauben ein!
Lasse dies Wunder, die göttlichen Werke,
immer zur Stärke deines schwachen Glaubens sein.
Jeder Mensch kann für den anderen in der Gemeinschaft mit Jesus Christus Mittler zu Gott sein. Keiner glaubt für sich allein, jeder lebt in seinem Glauben auch von menschlichen Vermittlungen. Keine davon würde von sich her ausreichen, um die Brücke zu Gott hinüber zu schlagen, weil kein Mensch aus Eigenem absolute Gewähr für Gottes Existenz und für seine Nähe übernehmen kann. Aber in der Gemeinschaft mit dem, der selbst diese Nähe ist, können Menschen einander Mittler sein, und sie sind es auch. Als solche werden sie auch fähig sein, ein neues Denken anzuregen und neue Kräfte im Dienst eines ganzheitlichen Humanismus hervorzubringen. (rv) 







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