Köhler beim Konzert: „Gemeinsames Handeln für eine lebenswerte Welt“
Die Zukunft Europas und Deutschlands ist das Hauptthema des Staatsbesuchs des deutschen
Bundespräsidenten Horst Köhler in Rom. Am Freitagabend stand eine Besonderheit an:
Ein Konzert in der Sixtinischen Kapelle. Und an diesem Samstagmittag traf Köhler mit
Papst Benedikt XVI. zu einer Privataudienz zusammen.
Wir dokumentieren hier
das Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler vor dem Konzert Änderungen
vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort. Deutschland hat in diesem Jahr
allen Grund zur Dankbarkeit. Wir sind dankbar für 60 Jahre geglückte Demokratie. Wir
sind dankbar dafür, dass vor 20 Jahren in einer friedlichen Revolution die Mauer fiel
und sich der Weg für die deutsche Einheit in Freiheit öffnete. Und da sind unsere
Gedanken natürlich auch bei Papst Johannes Paul II. Er hat den Menschen vor mehr als
30 Jahren zugerufen: „Habt keine Angst! Öffnet, ja, reißt die Tore weit auf für Christus.
Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die
weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden
Macht!“ Johannes Paul II. hat sich nicht an einzelne Staatsmänner gewandt, sondern
direkt an die Völker. „Habt keine Angst!“ Wie viel Kraft hat er den Menschen damit
gegeben. Seine Worte waren eine große Ermutigung für die Freiheitsbewegungen in Mittel-
und Osteuropa. Für mich bleibt auch das folgende Wort von Johannes Paul II. eine
bleibende Wegweisung: „Es ist Gottes Wille, der Deutschland und Polen zu Nachbarn
gemacht hat.“ Ich verstehe dieses Wort als Verpflichtung, gerade auch die gute Zusammenarbeit
und Versöhnung mit unseren polnischen Nachbarn voran zu bringen. Wir haben auf diesem
Weg schon viel Gutes erreicht. Und unsere gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen
Union erleichtert die weiteren Fortschritte. Vor 20 Jahren schwammen die Völker
Europas auf einer Welle der Euphorie. Doch nicht alle Erwartungen von damals haben
sich erfüllt. Probleme, die der Ost-West-Konflikt in den Hintergrund gedrängt hatte,
fordern jetzt unsere Aufmerksamkeit. Ich nenne Armut, Hunger und Unterentwicklung.
Und ich nenne neue Herausforderungen wie den Klimawandel und eine nachhaltige Bewältigung
der Finanzkrise. Sie, Eure Heiligkeit, haben die Staaten der Welt aufgefordert,
bei diesen Fragen gemeinsam zu handeln. „Die Entwicklung der Völker hängt vor allem
davon ab, sich als eine einzige Familie zu erkennen, die in einer echten Gemeinschaft
zusammenlebt (...)“, heißt es in Ihrer Sozialenzyklika. In einer echten Familiengemeinschaft
muss niemand beiseite stehen, und alle achten und helfen einander. Für die Völkergemeinschaft
heißt das: Afrika muss sich mit den gleichen Rechten und Pflichten in sie einbringen
können. Sie haben das schon oft hervorgehoben, Eure Heiligkeit, und ich bin dankbar
dafür. Uns eint der Wunsch und die Forderung, eine „echte politische Weltautorität“
zu schaffen, damit alle Menschen unserer Erde ein gutes Leben haben können. Vernunft
und Glaube begründen eine kooperative Weltpolitik. Der Kampf gegen Armut und der Kampf
gegen den Klimawandel sind ein gemeinsamer Kampf für Frieden und für eine lebenswerte
Welt. Denken wir an unsere gemeinsamen Verpflichtungen. Denken wir an das Glück, das
der Mauerfall und die europäische Einigung uns gebracht haben. Denken wir daran, wenn
wir gleich die Augsburger Domsingknaben und das Münchner Residenzorchester spielen
hören. Mit den Kantaten aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach entbieten
wir Ihnen, Eure Heiligkeit, zugleich die besten Grüße aus der Heimat. Wir wünschen
Ihnen Gesundheit und Kraft. Mit Ihrem Wirken tragen Sie zum Zusammenhalt der Welt
bei. Das macht uns froh und dankbar.