Schweiz/Vatikan: Minarett-Debatte stellt vor neue Fragen
Das Schweizer Nein
zu einem Bau weiterer Minarette sorgt international weiterhin für Befremden und Kritik
aus der islamischen Welt. Der Präsident der Organisation der Islamischen Konferenz,
ein zwischenstaatlicher Verbund von 57 mehrheitlich islamisch geprägten Ländern, äußerte
jetzt „lebhafte Besorgnis“.
Der amtierende Präsident der islamischen Organisation,
Abdoulaye Wade, ist Präsident des Senegals. In der wöchentlichen Ministerrunde erinnerte
er an die UNO-Resolution gegen die öffentliche Diffamierung von Religionen aus dem
Jahr 2007. Die islamischen Länder hatten diese angeregt, um einer wachsenden Islamophobie
in der westlichen Welt zu begegnen. Initiativen wie die Abstimmung in der Schweiz
vom 29. November seien diskriminierend und widersprächen dem Prinzip des friedlichen
Miteinanders von Volksgruppen und Religionen, so Wade. Das internationale Recht garantiere
Kultfreiheit.
Auch nach Meinung von Schweizer Rechtsprofessoren verstößt ein
Minarettverbot gegen das Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit. Das Bundesgericht
müsse das Völkerrecht anwenden und die Anwendung untersagen, sobald in einem konkreten
Fall beim höchsten Schweizer Gericht Beschwerde dagegen erhoben wird. Artikel 190
der Schweizer Bundesverfassung hält fest, dass neben den Bundesgesetzen auch das Völkerrecht
für alle rechtsanwendenden Behörden maßgebend ist. Es sei jedoch schwierig zu beurteilen,
ob sich die Gerichte trauen, sich für die Menschenrechtskonvention und gegen den Volkswillen
auszusprechen, sagte der Berner Völkerrechtler Jörg Künzli gegenüber der Neuen Luzerner
Zeitung.
Der Verantwortliche für den Interreligiösen Dialog im Vatikan, Kardinal
Jean-Louis Tauran, kritisierte das Abstimmungsergebnis. Die Frage nach den Minaretten
sei vor allem eine Frage der Religionsfreiheit, sagte der Präsident des päpstlichen
Rats für Interreligiösen Dialog gegenüber Radio Vatikan. Gleichzeitig erinnerte er
an die Prinzipien Gegenseitigkeit und Integration:
„Wer in einem Land mit
islamischer Bevölkerungsmehrheit eine Kirche baut, oder wer in einem mehrheitlich
christlichen Land eine Moschee baut, muss darauf achten, dass das Gebäude sich harmonisch
in den städtebaulichen und kulturellen Kontext der Gesellschaft einfügt. Darüber hinaus
glaube ich aber, dass uns das Problem vor die Frage des Rechtsstatus des Islam in
Europa stellt. Die Problematik geht also weit hinaus über das, was wir jetzt diskutieren.“ In
der Schweiz wurde das Wort „Minarettverbot“ zum Wort des Jahres 2009 bestimmt. Es
habe das Potenzial, sich als neuer Sprachexport helvetischen Ursprungs zu etablieren,
analog dem Wort Birchermüesli, schrieb die siebenköpfige Jury. Während die Regierungen
in Europa das Nein der Schweizer zu weiteren Minaretten größtenteils verurteilten,
reagierten die Bevölkerungen Umfragen zufolge positiv: Laut der deutschen Tageszeitung
„Die Welt“ halten 87 Prozent eine derartige Abstimmung für demokratisch; 83 Prozent
laut französischem „L’Express“ und 79 Prozent laut „El Mundo“ in Spanien. Die niedrigste
Zustimmung kommt aus Österreich: „Die Presse“ zählte 54 Prozent Ja-Stimmen zur Durchführung
einer Anti-Minarett-Initiative.