2009-11-29 09:56:23

Aktenzeichen: Joseph Haydn – ein Heiliger?


RealAudioMP3 2009 ist das Jahr von Joseph Haydn – weltberühmt durch seine „Schöpfung“, durch seine „Jahreszeiten“, durch seine Oratorien, seine Sinfonien, seine zahlreichen Messen, seine geistliche und weltliche Musik. Und nicht zuletzt durch die Komposition der deutschen Nationalhymne, obwohl er kein Deutscher, sondern Österreicher war. Aldo Parmeggiani geht in dieser Sendung der Religiosität Haydns auf die Spur.


Josef Haydn wurde 1732 in Österreich geboren und starb dort auch vor 200 Jahren, am 31. Mai 1809. Er wurde also 77 Jahre alt. Seine sterblichen Überreste liegen in der Haydnkirche in Eisenstadt. Dort hatte er viele Jahre als Hofkapellmeister des Fürsten Esterhazy gewirkt. Doch nicht sein musikalisches Oeuvre steht heute im Vordergrund, vielmehr wollen wir der Spur der Religiosität dieses in der ganzen Welt anerkannten, großen Ton-Künstlers nachgehen. Anlass dazu ist sein eben erwähntes Jubiläumsjahr sowie ein in diesem Jahr erschienenes Buch mit dem Titel „Josef Haydn – ein Heiliger?“, dessen Autor Jakob Johannes Koch jetzt mit uns am Telefon verbunden ist.

Herr  Dr. Koch, Sie haben ein Buch über die Religiosität des Komponisten Josef Haydn geschrieben. Wir wollen dieser Religiosität heute ein bisschen nachspüren. Heiliger Haydn? mit Fragezeichen lautet der Titel ihres Buches. Dass Joseph Haydn religiös war, ist historisch belegt. Was er glaubte und wie er glaubte blieb bis heute doch eher weitgehend offen. Meine erste Frage also: Wer war dieser Joseph Haydn wirklich? Lebte er in dem Glauben oder aus dem Glauben? Fides quae oder fides qua?

„Der Titel meines Buches ,Heiliger Haydn?’ markiert ein Spannungsfeld. Es wird schon aus dem Titel deutlich: Wir haben es in der Haydn-Rezeption mit einer großen Verklärung auf der einen Seite und mit einer deutlichen Skepsis auf der anderen Seite zu tun. Das sind ja die beiden Extreme des Haydn-Bildes. Haydns Biografen bezeichnen den Komponisten als ein Muster von Bescheidenheit mit einem sanften und menschenfreundlichen Charakter mit moralischen Sitten. Er sei also mildtätig gewesen, er habe Spenden an Klöster, Arme und Kranke gemacht. Es gibt sogar Wunderlegenden, in denen berichtet wird, dass Joseph Haydn Menschen vor Unglücken bewahrt habe.“

Das ist die eine Seite, wie lautet die andere?

„Ja, Joseph Haydn war auch – da dürfen wir uns nichts vormachen – ein knallharter Geschäftemacher mit doch zuweilen recht zweifelhaften Praktiken, bis hin zum Betrug. Und man muss auch erwähnen, dass der kirchlich verheiratete Joseph Haydn eine mehrjährige Liebesaffäre mit einer ebenfalls verheirateten Mitarbeiterin hatte. Möglicherweise hatte er sogar einen außerehelichen Sohn: Das heißt, Joseph Haydn war ein Mensch mit Licht und Schatten, mit Tugenden und Schwächen. Er war sicher kein Heiliger, aber Joseph Haydn selbst wusste das auch.“

Kann man über die Religiosität Joseph Haydns überhaupt sprechen, ohne sie im Spiegel seines musikalischen Schaffens zu betrachten? Oder anders gefragt: Wie steht das religiöse Leben und Erleben dieses großen Komponisten mit seinen Werken in Verbindung?

„Musik war für Joseph Haydn ein Sprachrohr des Himmels, durch das er, wenn ich das bildlich ausdrücken darf, das Echo der Transzendenz erlauschte. Die Musik war für Joseph Haydn das einzige Medium, um seine persönliche Frömmigkeit nach Außen zum Ausdruck zu bringen. Wäre Haydn nicht Komponist gewesen, wüssten wir heute über seine Frömmigkeit kaum etwas. Denn im Hinblick auf seine eigenen Gefühle war Joseph Haydn maulfaul. Er war ein Mann, kerniger, ländlicher Prägung. Weder mündlich noch schriftlich hatte er sich über seine Religiosität geäußert.“

Es ist bekannt, dass Joseph Haydn – wie viele seiner Zeitgenossen, man denke nur an Mozart – einer Freimaurerloge angehörte. In welchem Maße – wenn überhaupt – wurde dadurch seine Religiosität beeinträchtigt? Welche innere, welche äußere Motivation mag ihn dazu bewogen haben, der Freimaurerei beizutreten?

„Bei den Freimaurern spielte die handwerkliche Tätigkeit in der Symbolik eine große Rolle: Joseph Haydn war Sohn eines Wagners, das hat ihn vielleicht äußerlich angesprochen. Und auch, dass in den Freimaurerlogen viel Musik gemacht wurde. Aber viel interessanter ist, dass man in Haydns privatem kleinen Buchbestand acht freimaurerische Bücher gefunden hat; das waren damals von den staatlichen Behörden verbotene Bücher. Unter anderem die so genannte freimaurerische Verräterschrift. Das heißt, Joseph Haydn hat sich doch sehr intensiv mit der Freimaurerei auseinandergesetzt. Man hat unter seinen Büchern keinerlei römisch-katholische Erbauungsliteratur gefunden. Haydn war kein intensiv praktizierender Freimaurer, für ihn hat die Freimaurerei keine Abkehr vom Katholizismus bedeutet, aber er hat sich doch mit deren Gedankengut auseinandergesetzt.“

Hat Josef Haydn sein außergewöhnliches Talent selbst erkannt? Ich meine: War er sich dessen überhaupt bewusst, dass er ein Genie war, und hat er sich dazu jemals geäußert?

„Ja, das hat er. Haydn hat einmal gesagt: ,Ich weiß, dass mir Gott einen Anteil verliehen hat. Und ich anerkenne es mit Dank. Ich glaube, auch meine Schuldigkeit getan und durch meine Arbeiten genützt zu haben. Mögen nur andere dasselbe tun.’ Soweit Haydn wörtlich. Darin zeigt sich doch eine ganz gesunde Mischung aus Selbstbewusstsein und Frömmigkeit. Aber Joseph Haydn war sich immer bewusst, dass seine Begabung ohne die täglich neu gewählte Gnade Gottes aus sich heraus keine Wirkung hätte. Er hat immer gebetet, bevor er komponiert hat. Das macht deutlich: Joseph Haydn genoss seinen Ruhm, seine Schaffenskraft, aber er war sich immer bewusst, dass er all das seinem Schöpfer verdankte.“

Wie hat Joseph Haydn die katholische Liturgie und den christlichen Kult erlebt und miterlebt, die er durch seine geistlichen Kompositionen, durch seine Messen, Oratorien, Sinfonien selbst so stark mitgeprägt hat? Wie als praktizierender Katholik, wie als professioneller Kirchenmusiker, wie als Mensch?

„Joseph Haydn ist im Grenzland zwischen Niederösterreich und dem Burgenland aufgewachsen. Das ist eine durch und durch katholisch durchsättigte Region. Schon der kleine Seppl ist in diese intensive Katholizität hineingewachsen. Später wird er Sängerknabe am Stephansdom in Wien, in dem jährlich 54.000 Messen und 400 Pontifikalämter zelebriert wurden. Haydn war also vollkommen von katholischer Liturgie umgeben. Er erlebte eine Liturgiereform, die mindestens so radikal war wie die Liturgiereform des 20. Jahrhunderts. Es war die kaiserliche Liturgiereform des Josephinismus. Und da prallten zwei liturgische Welten aufeinander: auf der einen Seite die überladene Prunkliturgie des fürstlichen Hofes und auf der anderen Seite diese kopflastige, schnörkellose Reformliturgie des Staates. Ich kann mir vorstellen, dass es für Joseph Haydn schon eine herbe Umstellung war. Persönlich war Joseph Haydn fest von der Wirkung des eucharistischen Sakraments überzeugt. Er ließ für sich selbst Messen lesen. Er hat in seinem Testament vermacht, dass Stipendien für Votivmessen gezahlt werden. Er glaubte fest daran, dass durch die Wirkung des Messopfers der Seele ein Beistand erwächst, der auch gegenüber des Diesseits ins Jenseits hineinwächst.“

Sie haben dem äußeren und inneren Wesen Joseph Haydns wissenschaftlich nachgeforscht, Herr Dr. Koch. Welche sind nun aus Ihrer Sicht zusammenfassend die wichtigsten, die eindringlichsten Charaktereigenschaften dieses großen Künstlers?

„Haydn war ein sehr wacher Geist. Er nimmt nichts einfach als gegeben hin, und er reibt sich an der manchmal starren Verpackung von Glaubensinhalten, um dann zu ihrer inneren Substanz vorzudringen. Dabei experimentiert er mit dem freimaurischen Gedankengut und er reibt sich am Getümmel der vielen gesellschaftlichen, philosophischen und theologischen Entwürfe im gewaltigen Spannungsbogen zwischen Spätbarock und Romantik. Und diese Reibung erzeugt Wärme, diese Herzenswärme Joseph Haydns. Das ,sentire cum ecclesia’, das ist bei Joseph Haydn eine aktive, innere von Vernunft und Gefühl getragene Solidarisierung mit der Kirche. Ich möchte als letzte Eigenschaft diese frohe Heilszuversicht Joseph Haydns nennen, die keine Beschränktheit seiner Weltdeutung ist, sondern von einem aufgeklärten, aus dem Glauben heraus lebendem Denken geprägt ist.“

Herr Dr. Koch, ich möchte Sie bei unserer Hörerschaft noch kurz vorstellen: Sie sind seit zehn Jahren Kulturreferent im Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz in Bonn. Sie haben Theologie und Musik studiert, in diesen beiden Disziplinen abgeschlossen und auch in Liturgiewissenschaft promoviert. Und Sie haben obendrein als Meisterschüler von Dietrich Fischer-Diskau, dem weltberühmten deutschen Liedersänger, solistische Gesangstätigkeit ausgeübt. Und Sie haben mehrere Bücher geschrieben. Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für Ihre Mitgestaltung zu dieser Sendung.

Joseph Haydn, ein Mensch also mit Licht und Schatten, mit Tugenden und Schwächen. Er war ein musikalisches, aber kein moralisches Genie. Er war kein Heiliger im kirchlichen Sinne, aber eine gute Seele im menschlichen Sinne. Und er war ein Mensch, der vieles mit den großen Heiligengestalten gemein hatte: Sie alle waren Originale, die ihrer Sendung treu geblieben sind. Die Kraft dazu schöpften sie aus ihrer Religiosität. Das war auch bei Joseph Haydn so. Heiliger Haydn, also? Diese Frage kann man nicht nur biographisch, sondern auch und vor allem am musikalischen Werk messen und mit Ja beantworten.

Aldo Parmeggiani







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