2009 ist das Jahr
von Joseph Haydn – weltberühmt durch seine „Schöpfung“, durch seine „Jahreszeiten“,
durch seine Oratorien, seine Sinfonien, seine zahlreichen Messen, seine geistliche
und weltliche Musik. Und nicht zuletzt durch die Komposition der deutschen Nationalhymne,
obwohl er kein Deutscher, sondern Österreicher war. Aldo Parmeggiani geht in dieser
Sendung der Religiosität Haydns auf die Spur.
Josef Haydn wurde 1732 in
Österreich geboren und starb dort auch vor 200 Jahren, am 31. Mai 1809. Er wurde also
77 Jahre alt. Seine sterblichen Überreste liegen in der Haydnkirche in Eisenstadt.
Dort hatte er viele Jahre als Hofkapellmeister des Fürsten Esterhazy gewirkt. Doch
nicht sein musikalisches Oeuvre steht heute im Vordergrund, vielmehr wollen wir der
Spur der Religiosität dieses in der ganzen Welt anerkannten, großen Ton-Künstlers
nachgehen. Anlass dazu ist sein eben erwähntes Jubiläumsjahr sowie ein in diesem Jahr
erschienenes Buch mit dem Titel „Josef Haydn – ein Heiliger?“, dessen Autor Jakob
Johannes Koch jetzt mit uns am Telefon verbunden ist.
Herr Dr. Koch, Sie haben
ein Buch über die Religiosität des Komponisten Josef Haydn geschrieben. Wir wollen
dieser Religiosität heute ein bisschen nachspüren. Heiliger Haydn? mit Fragezeichen
lautet der Titel ihres Buches. Dass Joseph Haydn religiös war, ist historisch belegt.
Was er glaubte und wie er glaubte blieb bis heute doch eher weitgehend offen. Meine
erste Frage also: Wer war dieser Joseph Haydn wirklich? Lebte er in dem Glauben oder
aus dem Glauben? Fides quae oder fides qua?
„Der Titel meines Buches ,Heiliger
Haydn?’ markiert ein Spannungsfeld. Es wird schon aus dem Titel deutlich: Wir haben
es in der Haydn-Rezeption mit einer großen Verklärung auf der einen Seite und mit
einer deutlichen Skepsis auf der anderen Seite zu tun. Das sind ja die beiden Extreme
des Haydn-Bildes. Haydns Biografen bezeichnen den Komponisten als ein Muster von Bescheidenheit
mit einem sanften und menschenfreundlichen Charakter mit moralischen Sitten. Er sei
also mildtätig gewesen, er habe Spenden an Klöster, Arme und Kranke gemacht. Es gibt
sogar Wunderlegenden, in denen berichtet wird, dass Joseph Haydn Menschen vor Unglücken
bewahrt habe.“
Das ist die eine Seite, wie lautet die andere?
„Ja, Joseph
Haydn war auch – da dürfen wir uns nichts vormachen – ein knallharter Geschäftemacher
mit doch zuweilen recht zweifelhaften Praktiken, bis hin zum Betrug. Und man muss
auch erwähnen, dass der kirchlich verheiratete Joseph Haydn eine mehrjährige Liebesaffäre
mit einer ebenfalls verheirateten Mitarbeiterin hatte. Möglicherweise hatte er sogar
einen außerehelichen Sohn: Das heißt, Joseph Haydn war ein Mensch mit Licht und Schatten,
mit Tugenden und Schwächen. Er war sicher kein Heiliger, aber Joseph Haydn selbst
wusste das auch.“
Kann man über die Religiosität Joseph Haydns überhaupt sprechen,
ohne sie im Spiegel seines musikalischen Schaffens zu betrachten? Oder anders gefragt:
Wie steht das religiöse Leben und Erleben dieses großen Komponisten mit seinen Werken
in Verbindung?
„Musik war für Joseph Haydn ein Sprachrohr des Himmels, durch
das er, wenn ich das bildlich ausdrücken darf, das Echo der Transzendenz erlauschte.
Die Musik war für Joseph Haydn das einzige Medium, um seine persönliche Frömmigkeit
nach Außen zum Ausdruck zu bringen. Wäre Haydn nicht Komponist gewesen, wüssten wir
heute über seine Frömmigkeit kaum etwas. Denn im Hinblick auf seine eigenen Gefühle
war Joseph Haydn maulfaul. Er war ein Mann, kerniger, ländlicher Prägung. Weder mündlich
noch schriftlich hatte er sich über seine Religiosität geäußert.“
Es ist bekannt,
dass Joseph Haydn – wie viele seiner Zeitgenossen, man denke nur an Mozart – einer
Freimaurerloge angehörte. In welchem Maße – wenn überhaupt – wurde dadurch seine Religiosität
beeinträchtigt? Welche innere, welche äußere Motivation mag ihn dazu bewogen haben,
der Freimaurerei beizutreten?
„Bei den Freimaurern spielte die handwerkliche
Tätigkeit in der Symbolik eine große Rolle: Joseph Haydn war Sohn eines Wagners, das
hat ihn vielleicht äußerlich angesprochen. Und auch, dass in den Freimaurerlogen viel
Musik gemacht wurde. Aber viel interessanter ist, dass man in Haydns privatem kleinen
Buchbestand acht freimaurerische Bücher gefunden hat; das waren damals von den staatlichen
Behörden verbotene Bücher. Unter anderem die so genannte freimaurerische Verräterschrift.
Das heißt, Joseph Haydn hat sich doch sehr intensiv mit der Freimaurerei auseinandergesetzt.
Man hat unter seinen Büchern keinerlei römisch-katholische Erbauungsliteratur gefunden.
Haydn war kein intensiv praktizierender Freimaurer, für ihn hat die Freimaurerei keine
Abkehr vom Katholizismus bedeutet, aber er hat sich doch mit deren Gedankengut auseinandergesetzt.“
Hat
Josef Haydn sein außergewöhnliches Talent selbst erkannt? Ich meine: War er sich dessen
überhaupt bewusst, dass er ein Genie war, und hat er sich dazu jemals geäußert?
„Ja,
das hat er. Haydn hat einmal gesagt: ,Ich weiß, dass mir Gott einen Anteil verliehen
hat. Und ich anerkenne es mit Dank. Ich glaube, auch meine Schuldigkeit getan und
durch meine Arbeiten genützt zu haben. Mögen nur andere dasselbe tun.’ Soweit Haydn
wörtlich. Darin zeigt sich doch eine ganz gesunde Mischung aus Selbstbewusstsein und
Frömmigkeit. Aber Joseph Haydn war sich immer bewusst, dass seine Begabung ohne die
täglich neu gewählte Gnade Gottes aus sich heraus keine Wirkung hätte. Er hat immer
gebetet, bevor er komponiert hat. Das macht deutlich: Joseph Haydn genoss seinen Ruhm,
seine Schaffenskraft, aber er war sich immer bewusst, dass er all das seinem Schöpfer
verdankte.“
Wie hat Joseph Haydn die katholische Liturgie und den christlichen
Kult erlebt und miterlebt, die er durch seine geistlichen Kompositionen, durch seine
Messen, Oratorien, Sinfonien selbst so stark mitgeprägt hat? Wie als praktizierender
Katholik, wie als professioneller Kirchenmusiker, wie als Mensch?
„Joseph Haydn
ist im Grenzland zwischen Niederösterreich und dem Burgenland aufgewachsen. Das ist
eine durch und durch katholisch durchsättigte Region. Schon der kleine Seppl ist in
diese intensive Katholizität hineingewachsen. Später wird er Sängerknabe am Stephansdom
in Wien, in dem jährlich 54.000 Messen und 400 Pontifikalämter zelebriert wurden.
Haydn war also vollkommen von katholischer Liturgie umgeben. Er erlebte eine Liturgiereform,
die mindestens so radikal war wie die Liturgiereform des 20. Jahrhunderts. Es war
die kaiserliche Liturgiereform des Josephinismus. Und da prallten zwei liturgische
Welten aufeinander: auf der einen Seite die überladene Prunkliturgie des fürstlichen
Hofes und auf der anderen Seite diese kopflastige, schnörkellose Reformliturgie des
Staates. Ich kann mir vorstellen, dass es für Joseph Haydn schon eine herbe Umstellung
war. Persönlich war Joseph Haydn fest von der Wirkung des eucharistischen Sakraments
überzeugt. Er ließ für sich selbst Messen lesen. Er hat in seinem Testament vermacht,
dass Stipendien für Votivmessen gezahlt werden. Er glaubte fest daran, dass durch
die Wirkung des Messopfers der Seele ein Beistand erwächst, der auch gegenüber des
Diesseits ins Jenseits hineinwächst.“
Sie haben dem äußeren und inneren Wesen
Joseph Haydns wissenschaftlich nachgeforscht, Herr Dr. Koch. Welche sind nun aus Ihrer
Sicht zusammenfassend die wichtigsten, die eindringlichsten Charaktereigenschaften
dieses großen Künstlers?
„Haydn war ein sehr wacher Geist. Er nimmt nichts
einfach als gegeben hin, und er reibt sich an der manchmal starren Verpackung von
Glaubensinhalten, um dann zu ihrer inneren Substanz vorzudringen. Dabei experimentiert
er mit dem freimaurischen Gedankengut und er reibt sich am Getümmel der vielen gesellschaftlichen,
philosophischen und theologischen Entwürfe im gewaltigen Spannungsbogen zwischen Spätbarock
und Romantik. Und diese Reibung erzeugt Wärme, diese Herzenswärme Joseph Haydns. Das
,sentire cum ecclesia’, das ist bei Joseph Haydn eine aktive, innere von Vernunft
und Gefühl getragene Solidarisierung mit der Kirche. Ich möchte als letzte Eigenschaft
diese frohe Heilszuversicht Joseph Haydns nennen, die keine Beschränktheit seiner
Weltdeutung ist, sondern von einem aufgeklärten, aus dem Glauben heraus lebendem Denken
geprägt ist.“
Herr Dr. Koch, ich möchte Sie bei unserer Hörerschaft noch kurz
vorstellen: Sie sind seit zehn Jahren Kulturreferent im Sekretariat der deutschen
Bischofskonferenz in Bonn. Sie haben Theologie und Musik studiert, in diesen beiden
Disziplinen abgeschlossen und auch in Liturgiewissenschaft promoviert. Und Sie haben
obendrein als Meisterschüler von Dietrich Fischer-Diskau, dem weltberühmten deutschen
Liedersänger, solistische Gesangstätigkeit ausgeübt. Und Sie haben mehrere Bücher
geschrieben. Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für Ihre Mitgestaltung zu dieser
Sendung.
Joseph Haydn, ein Mensch also mit Licht und Schatten, mit Tugenden
und Schwächen. Er war ein musikalisches, aber kein moralisches Genie. Er war kein
Heiliger im kirchlichen Sinne, aber eine gute Seele im menschlichen Sinne. Und er
war ein Mensch, der vieles mit den großen Heiligengestalten gemein hatte: Sie alle
waren Originale, die ihrer Sendung treu geblieben sind. Die Kraft dazu schöpften sie
aus ihrer Religiosität. Das war auch bei Joseph Haydn so. Heiliger Haydn, also? Diese
Frage kann man nicht nur biographisch, sondern auch und vor allem am musikalischen
Werk messen und mit Ja beantworten.