Papst Benedikt: „Auch Jesus war ein Migrantenkind“
Kinder von Migranten sind besonders schutzlos: Sie leiden unter einem Leben ohne Bezugspunkt.
Darauf weist Papst Benedikt XVI in seiner Botschaft für den Welttag der Migranten
und Flüchtlinge hin. Er geht dabei besonders auf Kinder und Jugendliche ein, die ohne
Unterstützung der Familie und unter Entbehrungen und Schwierigkeiten aufwachsen müssen.
Beispiel für jeden Christen sei Jesus selbst, der als Kind selbst Migrant war und
auf der Flucht, so der Papst. Beim Schutz der Rechte des Kindes und gelungener Integration
könne diese Zugehörigkeit zu zwei Kulturen aber auch ein Schatz sein. - Die Kirche
begeht den Welttag der Migranten und Flüchtlinge jährlich am 17. Januar. Die Botschaft
des Papstes wurde an diesem Freitag im Vatikan vorgestellt.
Wir dokumentieren
hier den vollen Text der Papstbotschaft:
Liebe Brüder und Schwestern!
Die
Feier des Welttages der Migranten und Flüchtlinge bietet mir erneut die Gelegenheit,
die ständige Fürsorge der Kirche gegenüber all denen zum Ausdruck zu bringen, die
auf verschiedene Weise mit der Erfahrung der Migration konfrontiert sind. Es handelt
sich dabei um ein Phänomen, das uns – wie ich in der Enzyklika Caritas in veritate
geschrieben habe – erschüttert aufgrund der Menge der betroffenen Personen, aufgrund
der sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen Probleme,
die es aufwirft, und aufgrund der dramatischen Herausforderungen, vor die es die Nationen
und die internationale Gemeinschaft stellt. Jeder Migrant ist eine menschliche Person,
die als solche unveräußerliche Grundrechte besitzt, die von allen und in jeder Situation
respektiert werden müssen (vgl. Nr. 62).
Das diesjährige Thema, „Die minderjährigen
Migranten und Flüchtlinge“, berührt einen Aspekt, dem die Christen besondere Aufmerksamkeit
widmen, eingedenk der mahnenden Worte Christi, der beim Jüngsten Gericht all das,
was wir „für einen seiner geringsten Brüder“ getan oder aber nicht getan haben, so
beurteilen wird, als hätten wir es für ihn selbst getan (vgl. Mt 25,40.45). Und wie
könnten wir denn in den minderjährigen Migranten und Flüchtlingen nicht unsere „geringsten
Brüder“ erkennen? Jesus hat als Kind persönlich die Erfahrung der Migration durchlebt,
als er, wie es im Bericht des Evangeliums heißt, zusammen mit Josef und Maria nach
Ägypten fliehen musste, um den Drohungen des Herodes zu entkommen (vgl. Mt 2,14).
Obwohl
die Kinderrechtskonvention in aller Deutlichkeit hervorhebt, dass das Wohl des Kindes
vorrangig zu berücksichtigen ist (vgl. Art. 3) und dem Kind in gleicher Weise wie
einem Erwachsenen alle grundlegenden Rechte der Person zuerkannt werden müssen, ist
dies in der Realität bedauerlicherweise nicht immer der Fall. Während nämlich in der
öffentlichen Meinung das Bewusstsein dafür wächst, dass ein umfassendes und wirkungsvolles
Handeln zum Schutz der Minderjährigen notwendig ist, sind in Wirklichkeit viele von
ihnen sich selbst überlassen und laufen Gefahr, ausgebeutet zu werden. Diese dramatische
Situation, in der sie sich befinden, hat mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II.
in der Botschaft angesprochen, die er am 22. September 1990 aus Anlass des Weltgipfels
der Kinder an den Generalsekretär der Vereinten Nationen richtete. „Ich bin Zeuge“,
so schrieb er, „für die herzzerreißenden Schreie von Millionen von Kindern auf jedem
Kontinent. Sie sind am verwundbarsten, weil sie am wenigsten in der Lage sind, ihre
Stimme zu Gehör zu bringen“ (O.R. dt., Nr. 46, 16.11.1990, S. 15).
Es ist mein
aufrichtiger Wunsch, dass den minderjährigen Migranten die nötige Aufmerksamkeit entgegengebracht
werde, denn sie brauchen ein soziales Umfeld, das ihre physische, kulturelle, geistliche
und moralische Entwicklung ermöglicht und fördert.
In einem fremden Land ohne
feste Bezugspunkte aufzuwachsen bereitet vor allem denjenigen unter ihnen, die ohne
die Unterstützung der Familie aufwachsen müssen, zahlreiche und mitunter massive Entbehrungen
und Schwierigkeiten. Ein typischer Aspekt der Migration von Minderjährigen ist die
Situation der in den jeweiligen Gastländern geborenen Kinder sowie derjenigen, die
nicht mit den nach ihrer Geburt emigrierten Eltern zusammenleben, sondern erst zu
einem späteren Zeitpunkt mit ihnen zusammenkommen. Diese Heranwachsenden gehören zwei
Kulturen an und sind mit all den Vor- und Nachteilen konfrontiert, die mit dieser
zweifachen Zugehörigkeit verbunden sind, obgleich ihnen dieser Lebensumstand auch
die Gelegenheit geben kann, den Reichtum der Begegnung zwischen verschiedenen kulturellen
Traditionen zu erfahren. Es ist wichtig, dass ihnen der Schulbesuch und die spätere
Eingliederung in die Welt der Arbeit ermöglicht werden und sie durch angemessene Strukturen
im sozialen Bereich und im Bildungswesen in die Gesellschaft integriert werden. Dabei
darf nie vergessen werden, dass das Jugendalter eine grundlegende Etappe auf dem Bildungsweg
des Menschen darstellt. Eine besondere Gruppe von Minderjährigen sind die Asyl suchenden
Flüchtlinge, die aus verschiedenen Gründen ihr Land, in dem sie nicht den nötigen
Schutz erfahren, verlassen haben. Die Statistiken zeigen, dass ihre Zahl im Ansteigen
begriffen ist. Es handelt sich also um ein Phänomen, das aufmerksam untersucht und
mit koordinierten Aktionen angegangen werden muss. Anzuwenden sind dabei die geeigneten
Maßnahmen zur Vorbeugung, zum Schutz und zur Aufnahme, die auch in der Kinderrechtskonvention
vorgesehen sind (vgl. Art. 22).
In besonderer Weise wende ich mich nun an die
Pfarreien und die vielen katholischen Vereinigungen, die, beseelt vom Geist des Glaubens
und der Liebe, große Anstrengungen unternehmen, um den Nöten dieser unserer Brüder
und Schwestern abzuhelfen. Ich bringe meine Dankbarkeit zum Ausdruck für dieses mit
beeindruckender Großherzigkeit geleistete Werk und möchte alle Christen einladen,
sich der sozialen und pastoralen Herausforderung bewusst zu werden, vor die uns die
Situation der minderjährigen Migranten und Flüchtlinge stellt. In unseren Herzen hallen
die Worte Jesu wider: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“
(Mt 25,35) sowie das grundlegende Gebot, das er uns hinterlassen hat: Gott mit ganzem
Herzen, mit ganzer Seele und mit all unseren Gedanken zu lieben, was in untrennbarer
Verbindung zum Gebot der Nächstenliebe steht (vgl. Mt 22,37-39). Diese Worte regen
uns an, darüber nachzudenken, dass jede unserer konkreten Taten zuallererst vom Glauben
an das Wirken der Gnade und der göttlichen Vorsehung erfüllt sein muss. Auf diese
Weise wird auch die Gastfreundschaft und Solidarität gegenüber dem Fremden, vor allem
wenn es sich bei ihnen um Kinder handelt, zur Verkündigung des Evangeliums der Solidarität.
Die Kirche verkündet es, indem sie ihre Arme öffnet und sich dafür einsetzt, dass
die Rechte der Migranten und Flüchtlinge respektiert werden, wobei sie die Verantwortlichen
der Nationen, der internationalen Organisationen und Einrichtungen zur Schaffung geeigneter
Initiativen zugunsten dieser Menschen aufruft. Die selige Jungfrau Maria wache über
all diese Menschen und helfe uns, die Schwierigkeiten der Menschen, die fern von ihrer
Heimat leben, zu verstehen. Ich versichere all jene, die zu dieser weiten Welt der
Migranten und Flüchtlinge gehören, meines Gebets und erteile ihnen von Herzen meinen
Apostolischen Segen.