2009-11-26 10:25:36

Deutschland: Dialog siegt


RealAudioMP3 An diesem Donnerstag wird nach einigem Hin und Her endlich der Hessische Kulturpreis verliehen. Die Verleihung war für Mai geplant; vier namhafte Vertreter aus Islam, Judentum sowie evangelischer und katholischer Kirche sollten für ihre Verdienste im interreligiösen Dialog ausgezeichnet werden.
Doch genau am Dialog haperte es scheinbar. Es kam zum Streit, als der auserkorene Preisträger und muslimische Schriftsteller, Navid Kermani, eine barocke Kreuzigungsdarstellung in einem Artikel für die Neue Züricher Zeitung als „Gotteslästerung“ bezeichnete. Danach werteten zwei der übrigen Preisträger, der Mainzer Kardinal Karl Lehman und der ehemalige Kirchenpräsident von Hessen-Nassau, Peter Steinacker, diese Äußerungen als Abbruch des Dialogs. Eine gemeinsame Entgegennahme der Auszeichnung mit Kermani käme nicht mehr in Frage. Dann wurden aber doch noch Gespräche geführt. Das Resultat: alle vier – neben Lehmann, Steinacker und Kermani noch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Salomon Korn – bekommen den hessischen Kulturpreis.

Ist der Kulturpreis als Auszeichnung für den Dialog überhaupt noch glaubwürdig? Ja, meint Pater Christian Troll. Der Theologe und Islamwissenschaftler ist Berater der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle, CIBEDO, bei der Deutschen Bischofskonferenz. Trotz des Debakels vom Frühjahr sei die Preisverleihung keine verpatzte Chance, meint Troll. Der Dialog der Religionen in Deutschland sei eben langwierig und nicht immer bequem:

„Er wird viele Jahrzehnte dauern. Da gibt es Ereignisse, die uns aufrütteln, die uns neue Fragen stellen, die vielleicht auch Ärgerliches bringen, aber in jedem Fall sehe ich das als einen Lernprozess und in dem Sinne als etwas sehr Positives.“

Die sehr persönliche und meditative Annäherung an das Kreuz von Schriftsteller Navid Kermani hatte provoziert: In seiner Bildmeditation über die Kreuzigungsdarstellung des Barockmalers Guido Reni in der Lucinakirche in Rom fielen die Worte „Gotteslästerung“ und „Bilderverehrung“. Das ging den Kirchenvertretern Lehman und Steinacker zu weit. Kermani trete den Dialog mit Füßen. Troll sieht das anders:
„Also, ich würde sagen, Kermani sagt: Ich bin eigentlich immer schon im Dialog gewesen mittels der deutschen Sprache und ich bin Deutscher, der aber als Muslim geboren wurde und sich als Muslim versteht. Mein ganzes Werk ist Dialog, kultureller, interkultureller Dialog. Denn ich versuche, als Muslim, der eben zweisprachig ist, einen Beitrag zu leisten, um die heutige deutsche Kultur weiterzuentwickeln, zu der eben das islamische Element dazu gehört.“

Der Streit um Kermani ist in eine breitere Debatte um die Sichtbarkeit religiöser Symbole einzuordnen, meint Troll. Egal ob Kreuze oder Minarette – die Empfindlichkeiten sind hier groß. Viereinhalb Millionen Muslime leben mittlerweile in Deutschland. Und das habe kulturelle Konsequenzen:
„Und eine ist die: Wie gestalten wir den öffentlichen Raum, wenn die Gesellschaft sich kulturell und religiös aus so vielen Elementen zusammensetzt? Wie weit kann man dann nur von einer kulturellen Tradition her den Raum gestalten? Und da wird immer stärker die Forderung kommen: Haltet den öffentlichen Raum frei von jeglichen religiösen Symbolen. Oder es wird ein Nachdenken darüber stattfinden, wie man denn diese Räume religiös gestalten kann, aber multireligiös, und das hieße dann statt des Kreuzes eine Reihe von religiösen Symbolen, also neben dem Kreuz vielleicht ein Halbmond und der Davidsstern; ich weiß es nicht, aber in diese Richtung werden dann einige wohl auch denken.“ 
Mehr Sichtbarkeit, nicht nur einer, sondern aller großen Religionen hält Troll für wichtig. Das würde vielleicht auch dem gegenseitigen „Fremdeln“ ein Ende bereiten. Die Verleihung des Kulturpreises an alle der vier Kandidaten ist immerhin ein erster Schritt.

(rv 26.11.2009 ad)







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