2009-11-25 16:34:34

Vatikan: Künstlertreffen - eine Nachbetrachtung


RealAudioMP3 So etwas hat es im Vatikan seit 45 Jahren nicht gegeben. Papst Benedikt hat vergangenen Samstag in der Sixtinischen Kapelle 250 Künstler empfangen. Der Dialog zwischen Kirche und Kunst, einem alten, aber getrennt lebenden Paar, sollte damit einen neuen Anknüpfungspunkt bekommen – das war erklärtes Ziel der Begegnung. Gudrun Sailer berichtet.

Nur die besten Künstler der Zeit waren dazu eingeladen, in der Sixtinischen Kapelle Hand anzulegen. Perugino, Botticelli, Domenichino, vor allen Dingen Michelangelo machten die Sixtina zu dem, was sie heute ist. Unter ihren gewaltigen Fresken versammelte sich am Samstag – ja, vielleicht tatsächlich das, was die Creme de la Creme heutigen Kunstschaffens ist. Nun sind 500 Jahre ins Land und in die Kirche gegangen, und so bringen die besten Künstler von heute nicht nur Reisepässe aus allen Kontinenten mit, sondern auch verschiedenste Credos und Weltanschauungen. Und sie arbeiten in den verschiedensten Kunstformen. Vom Dichter zur Architektin, vom Schlagersänger zur Videokünstlerin, vom Tänzer bis zur Regisseurin war alles vertreten. Worüber spricht der Papst vor einem derart heterogenen Publikum? Benedikt XVI. hielt eine Meditation über Schönheit.

„Die Welt, in der wir leben, braucht Schönheit, um nicht in Verzweiflung zu versinken“, wandte sich der Papst an die versammelten Künstler. Als „Treuhänder des Schönen“ könnten sie gerade in Krisenzeiten wie heute neuen Mut und Hoffnung wecken:

„Was, wenn nicht die Kunst, kann den Enthusiasmus und die Zuversicht wiederherstellen, den menschlichen Geist ermutigen, seinen Weg zu finden…und von einem Leben, das seiner Berufung würdig ist, zu träumen?“ 
Allzu oft ginge es in der Gesellschaft allein um eine oberflächliche Schönheit, die letztlich enttäuschend sei, sagte Benedikt und erklärte, was seiner Meinung nach „authentische Schönheit“ ausmache. Ausgehend vom Schönheitsbegriff großer Denker wie Platon, Dostojewski und Braque machte Benedikt klar: Authentische Schönheit stört, lässt uns nicht in Ruhe und antwortet auf das Sehnen der Menschen, auf „ihr Verlangen zu wissen, zu lieben“ und „auf den Anderen zuzugehen“:

„Wenn wir zugeben, dass Schönheit uns berührt, dass sie uns verwundet, unsere Augen öffnet, dann entdecken wir die Freude des Sehens neu und verstehen die tiefe Bedeutung unserer Existenz, das Geheimnis dessen Teil wir sind.“
 
Kunst könne also auch eine religiöse Qualität annehmen, nämlich dort, wo sie die großen Fragen der menschlichen Existenz anspreche und so einen Weg zum Spirituellen weise. Die Kirche brauche Kunst, um ihre Botschaft zu verkünden, denn die Kunst rühre „am Herzen der Menschheit“ und erweitere ihren Horizont. Andererseits sei auch die Religion über Jahrhunderte hinweg eine Inspirationsquelle für die Künste gewesen, betonte Benedikt und lud die anwesenden Künstler zum Dialog ein:

„Durch Eure Kunst seid Ihr selbst Boten und Zeugen der Hoffnung für die Menschheit! Und fürchtet Euch nicht, Euch der ersten und letzten Quelle der Schönheit zu nähern und in den Dialog mit den Gläubigen zu treten, mit denen, die wie Ihr glaubt, dass sie Pilger in dieser Welt und in der Geschichte sind, auf dem Weg zu unendlicher Schönheit!“ 
Zeit für jeden einzelnen Künstler konnte sich Papst Benedikt leider nicht nehmen. Denn nur eine halbe Stunde später war die Audienz mit dem anglikanischen Erzbischof Rowan Williams angesetzt. Schade auch, dass die Rede offenbar akustisch nicht ankam. Der deutsche Theatermacher Peter Stein, den wir im Anschluss um eine Reflexion zu den Inhalten der Papstrede baten, zeigte sich denn auch etwas verschnupft:

„Ich kann mich dazu nicht konkret äußern, weil ich kein Wort verstanden habe. Die akustische Anlage war miserabel! Ich verstehe italienisch und spreche italienisch mindestens so gut wie Herr Ratzinger. Aber ich hab mitnehmen können, dass ich zweieinhalb Stunden lang Gelegenheit hatte, die Cappella Sistina zu studieren und meinen Michelangelo zu studieren. Davon bin ich sehr angetan.“  
Dem kann sich der Videokünstler Christoph Brech anschließen:

„Mich hat wieder einmal die Dynamik dieser Bilder total beeindruckt – wie Michelangelo Christus darstellt. Ich saß in der fünften Reihe und hatte das Jüngste Gericht direkt vor Augen. Das ist wie ein Strudel, fast im 3D-Effekt, das erhält so eine Räumlichkeit, geht ganz weit nach hinten und dann wieder nach vorne, das atmet, das bekommt eine derart intensive Atmosphäre, das kann man eben nicht erleben, wenn tausend redende Leute darin sind.“ 
Vier Fünftel der Künstler, die zum Papst kamen, waren Italiener. Dennoch fehlten auch große Namen der internationalen Kunstszene nicht. Der Architekt Daniel Libeskind etwa. Ihm gefiel besonders Benedikts Aussage, wie wichtig Kunst und Kreativität in einer Welt voller Hässlichkeit und Brutalität ist – ein großes Lob des jüdischen, in New York stationieren Libeskind für die Papstrede.
„Dabei ging seine Botschaft weit über bloß ästhetische Konzepte von Schönheit und Hässlichkeit hinaus. Der Papst hat damit die Situation der Menschheit heute angesprochen, und ich habe seine Rede als sehr tiefgründig empfunden. Er hat vor allem den spirituellen Aspekt der Kunst hervorgehoben und klar gemacht, dass Kunst nicht irgendein kommerzielles Bestreben ist, die Welt zu dekorieren, sondern ein Schlüssel, um die Bedeutung des Lebens auszudrücken.“

Peter Stein, streitbarer Theaterregisseur, pocht demgegenüber auf der Relativität des Begriffs Schönheit.

„Viele Leute finden etwas schön, was andere nicht schön finden. Natürlich, ein Repräsentant einer so gewaltigen Institution wie der katholischen Kirche hat die Tendenz zur Vereinfachung und zur Simplifizierung. Wir Künstler dagegen habe die Aufgabe der Differenzierung. Wir müssen Schönheit sehen, wo sie vielleicht Herr Ratzinger nicht sieht. Wir müssen auch Hässlichkeiten verteidigen als Künstler, weil sie Abbild der Realität sind, in der wir leben, die Herr Ratzinger vielleicht nicht so gerne sehen mag. Aber grundsätzlich ist es so, dass ich persönlich eigentlich gerne möchte, dass die Sachen, die ich herstelle, den Leuten ästhetisch gefallen, würde ich vorsichtig ausdrücken; nicht genauso hässlich sind wie das meiste, was mich umgibt. Wobei das ja schon gar nicht stimmt. Uns umgibt ja unglaublich viel Schönheit. Aber nicht nur. In dieser Zwiespältigkeit würde ich das mit dem Schönheitsbegriff lieber lassen, als so eindeutige Dinge sagen, die so offensichtlich der Herr Ratzinger gesagt hat.“ 
Nun, vielleicht hat auch Herr Stein die Rede Papst Benedikts in der Zwischenzeit schon gelesen. Ohnehin sei er hier nur quasi als Ehemann eingeladen gewesen; da blitzt bei dem trotzigen Theatermann fast ein wenig Demut auf.

„Maddalena Crippa, eine der bedeutendsten Schauspielerinnen Italiens, gehört selbstverständlich hierher, wenn man die Künstler einlädt. Ich nicht unbedingt.“  
Noch ein Steinscher Nachsatz – im Wechsel mit Ehefrau Crippa –, den wir Ihnen nicht vorenthalten möchten:

„Dialog ist gut! Aber Dialog ist auch Polemik! Ohne Polemik ist Dialog langweilig“.  
Anders sieht es die Starachitektin Zaha Hadid. Sie lobte das Treffen als Möglichkeit, unterschiedlichste Ideen aus verschiedenen Kulturen zu verknüpfen. Durch die Begegnung seien die Künstler dem Papst und er ihnen näher gekommen, sagte Hadid. Positiv wertete sie auch die interreligiöse Ausrichtung des Treffens:

„Ich bin beispielsweise als Muslimin geboren, ging dann auf eine christliche Schule in Bagdad. Und auch das Treffen heute macht deutlich, dass unterschiedliche Religionen nebeneinander existieren können und dass die Bereitschaft besteht, Unterschiede zu akzeptieren. Ich denke, die Tatsache, dass der Papst all diese Leute eingeladen hat, um sich mit ihnen über Kunst auszutauschen, ist eine sehr befreiende Idee.“
 
500 Künstler hatte der Vatikan eingeladen, die Hälfte sagte zu. Die Lücken auf der Gästeliste waren für viele Journalisten mindestens so interessant wie die Liste der Zusagen. Warum fehlte aus Deutschland der Schriftsteller Martin Mosebach, der streitbare Kämpfer für die Alte Messe? Warum fehlte sein genaues Gegenstück Christoph Schlingensief, das, wenn auch gerade noch katholische, enfant terrible der Theaterszene? Warum fehlte das Dreigestirn der bildenden Kunst, Kiefer, Richter, Baselitz? Eingeladen waren die drei – so war zu hören. Für die großen internationalen Namen sei freilich die Einladung aus dem Vatikan schlicht zu spät eingetroffen. So hätten auch die Dirigenten Riccardo Muti und Daniel Barenboim mit dem Ausdruck des Bedauerns und dem Hinweis auf längst eingegangene Verpflichtungen absagen müssen.

Gekommen ist hingegen trotz vieler internationaler Verpflichtungen der US-amerikanische Videokünstler Bill Viola. Dass er einen Draht zu den großen, existentiellen Themen der Menschheit hat, ist vielen seiner Werke anzusehen. Er sagte uns nach dem Treffen mit dem Papst:

„Künstler sind Erhalter von Visionen. Dies ist die Zeit, Dinge zu heilen und zueinander zu bringen. Und das geschieht auf viele Arten gleichzeitig. Ich denke, was wir gerade brauchen, ist nicht, auf die Unterschiede zwischen uns oder unseren Glaubensauffassungen zu blicken, sondern auf die Ähnlichkeiten. Wir sind alle Menschen. Und diese Idee, Leute zueinander zu bringen, ist nicht bloß eine nette Idee, Sie wissen schon, aus der Hippie-Zeit! Sondern es ist unerlässlich für unsere Zukunft auf dieser Erde.“  
Nicht selten schöpft Bill Viola bei seinen Videos sogar direkt aus dem christlichen Repertoire. So handelt eine seiner berühmtesten Arbeiten von der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth. Im Moment bereitet Viola zwei große Altarbilder für die Saint Pauls Cathedral in London vor. Es handelt sich um Arbeiten auf permanent installierten Flachbildschirmen. Viola sieht den Künstler in einer ganz spezifischen Verantwortung.
„Ich habe die Verantwortung, aufrichtig zu sein. Und authentisch zu verfahren mit dem Geschenk, das ich empfangen habe: Umgang mit Schönheit, mit der Bedeutung der Schönheit. Schönheit, das ist einer dieser ganz, ganz großen Begriffe: Als meine Mutter starb und ich buchstäblich sehen konnte, wie sie ihr Leben aushauchte, da sah sie ganz schrecklich aus. Das war für meinen Bruder und mich sehr schlimm. Aber ich habe dennoch die Schönheit darin gesehen. Schönheit hat nichts zu tun mit einem hübschen Gesicht. Schönheit ist innen. Sie geht ganz tief. Und der Tod meiner Mutter, ihr letzter Atemzug, ihr eingesunkenes Gesicht, war eines der schönsten Bilder, die ich je sah.“ 
Treibende Kraft hinter dem Treffen zwischen Papst und Künstlern war der unermüdliche Vatikan-Erzbischof Gianfranco Ravasi. Ein Mann von sagenhafter Belesenheit, den Künsten zugewandt, und zwar auch den heutigen, an sich Bibelwissenschaftler und vor zwei Jahren vom Papst zum Präsidenten seines Kulturrates ernannt. Wie ist denn das Treffen mit den Künstlern gelaufen? Habe ich den Erzbischof gefragt, als er aus der Sixtina trat…

„Gut ist es gelaufen, aus zwei Gründen: einerseits wegen der offensichtlichen Anteilnahme des Papstes an diesem Thema. Er ist ja beispielsweise ein großer Musikliebhaber und hat bestimmte Ausdrucksformen der Kunst immer gemocht. Andererseits ist es auch gut gelaufen auf der Seite der Künstler. Die konnten heute vor allem ein Wort wieder finden, das in der letzten Periode der zeitgenössischen Kunst vollkommen ins abseits geraten war: nämlich Schönheit. Da geht es nicht um Ästhetizismus um seiner selbst willen, sondern um die Schönheit des Seins und der Existenz.“  
Papst Benedikt hat an einer Stelle seiner Rede gewarnt vor einer künstlerischen Auffassung von Schönheit, die nur den Skandal und damit letztlich eine Art von Zerstörung im Blick hat. Es waren teilweise aber auch Künstler vertreten, die zu so einer Auffassung von Schönheit neigen.

„Die Kunst war in letzter Zeit die Darstellung der Krise, der inneren Leere der Gesellschaft. Auf diese Art hat sie ein Werk geschaffen, das zwar künstlerisch war, aber eben Ausdruck einer Verneinung, einer Verletzung, eines Bruchs der Harmonie. Diese ,Verneinungskunst’ hatte ihre Funktion, das will ich nicht bezweifeln, doch am Ende verlor die Kunst damit ihre Fähigkeit, einen anderen Horizont zu öffnen. Viele derer, die diese Form von Kunst geschaffen hatten, haben das erkannt und wollen jetzt offenbar die Herausforderung annehmen, sich auf einem anderen Feld zu versuchen: dem der positiven Schönheit, des Lichts, des Symbols, der großen Erzählung, des großen Ausdrucks der Existenz. In diesem Sinn war auch die Anwesenheit jener Künstler wichtig, die früher dieser ,anderen Welt’ angehörten – und sie waren vielleicht sogar in der Überzahl.“ 
Peter Stein sagte im Interview mit uns, er halte es auch für die Aufgabe des Künstlers, gegebenenfalls auch Hässliches abzubilden und es dem menschlichen Geist in Erinnerung zu halten. Welchen Platz hat das Hässliche, das Böse, aus Ihrer Sicht in der zeitgenössischen Kunst?

„Eines ist klar: Das Böse ist von seiner Natur her eine Grundkomponente in der Kunstgeschichte. Ein französischer Dichter sagte, dass die Gesänge der Verzweiflung die schönsten sind. Wir waren in der Sixtinischen Kapelle vor dem Meisterwerk Michelangelos, dem Jüngsten Gericht, der ultimativen Verurteilung des Bösen. Es ist also nicht das Böse in sich, die Leere, die Verzweiflung, sondern die Darstellung als Selbstzweck und sozusagen bloß als Wahrgenommenes des Bösen, ohne erkennen zu wollen, dass selbst im Bösen der Keim, der Funken des Unendlichen steckt, der die letzte Erwartung der Hoffnung ist.“ 
(rv 25.11.2009 gs)







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