Der Papst und der Nahost-Friede - Gespräch mit Avi Primor
Der frühere Botschafter
Israels in Deutschland, Avi Primor, glaubt, dass der Papstbesuch im Heiligen Land
ein Erfolg war. Stefan Kempis sprach mit dem Publizisten Primor, der u.a. zum Club
of Rome gehört, nicht nur über die Reise Benedikts nach Israel vor genau sechs Monaten,
sondern auch über die Chancen auf einen Frieden in Nahost.
„Es gibt eine ganze
Menge von Friedensprojekten und –entwürfen: Fast jedes Jahr wird irgendein Friedensentwurf
veröffentlicht. Aber wenn Sie diese Entwürfe alle miteinander vergleichen, werden
Sie sehen, dass sie alle vollkommen gleich sind. Alle wiederholen die gleichen Prinzipien,
alle haben dieselben Komponenten – es gibt nur eine Lösung und nicht zwei! Alle Friedensprojekte
wiederholen mit anderen Formulierungen oder in anderer Reihenfolge genau dieselben
Ideen und dieselben Prinzipien.
Warum kann man das nicht in die Tat umsetzen?
Da sollte man zunächst die Frage stellen: Will das etwa die Bevölkerung nicht? Also,
Meinungsumfragen zufolge gibt es eine ganz solide und permanente Mehrheit auf beiden
Seiten, die alle Komponenten dieser Friedensentwürfe akzeptiert. Es wird nicht in
die Tat umgesetzt, weil ein Element fehlt – ein entscheidendes Element, das für die
israelische Bevölkerung das Allerwichtigste ist, ja vielleicht das einzig Wichtige
ist: die Sicherheit. Es gibt keine Sicherheitskomponenten in diesen verschiedenen
Friedensentwürfen, die die Israelis befriedigen können – nur Versprechungen usw.
Wir
haben mit Ägypten und Jordanien Frieden geschlossen, wir haben Gebiete geräumt und
Siedlungen geräumt, obwohl es eine Minderheit bei uns gab, die sich dem widersetzte
und sogar mit Bürgerkrieg drohte. Wir haben es doch getan, weil die Mehrheit der Bevölkerung
davon ausgegangen ist, dass wir für diese Zugeständnisse Sicherheit bekommen! Und
wir haben sie auch bekommen – von Ägypten und Jordanien, nicht von den Palästinensern,
nachdem wir den Gazastreifen geräumt haben. Wir haben ja auch gravierende Fehler gemacht,
aber einmal abgesehen davon haben wir ein Gebiet und Siedlungen geräumt… und dafür
Raketenbeschuss und Bombardierungen bekommen. Das können wir uns im Westjordanland
nicht leisten, denn das Westjordanland befindet sich am Rande aller Zentren des Staates
Israel; in unserer Region ist ja alles winzig klein. Großstädte, Hochtechnologie-Industrie,
der Flughafen und Seehäfen – alle sind in der Reichweite der primitivsten Raketen
der Palästinenser! Wenn wir aus dem Westjordanland beschossen werden sollten wie aus
dem Gazastreifen, könnten wir das nicht ertragen.
Also: Der ägyptische Präsident
konnte uns Sicherheit versprechen und uns davon überzeugen; der jordanische König
auch. Und das hat sich auch als richtig erwiesen, dass wir denen vertraut haben. Die
Palästinenser können es nicht. Nicht dass sie es nicht wollten; man vertraut dem Palästinenserpräsident
Mahmud Abbas schon. Nur: Man weiß, dass er keine Mittel zur Verfügung hat, um tatsächlich
Sicherheit zu gewährleisten, und das ist das Problem.
Sollten wir irgendein
Mittel finden, das uns überzeugen kann ,dass wir nach dem Abzug aus dem Westjordanland
Sicherheit bekommen, dann würde nicht die gesamte Bevölkerung, aber doch die Mehrheit
der Israelis das unterstützten, und dann könnte sich die Regierung so etwas leisten.
Heute gibt es so ein Element nicht!“
Läuft aber eine solche Herausbildung einer
Palästinenser-Autorität, die auch Sicherheit nicht nur versprechen, sondern auch verschaffen
kann, nicht auch über den Dialog bzw. die Einbindung der Hamas?
„Ich gebe Ihnen
meine private Meinung, denn ich vertrete ja heute nicht mehr die Regierung. Ich glaube,
dass man so etwas nicht ohne die Hamas tun kann! Ich glaube, dass die Hamas heute
eine Regierung ist, die auch vollkommen demokratisch gewählt wurde; sie regiert in
der Tat; sie hat eine Bevölkerung von anderthalb Millionen Einwohnern; sie hat ein
Territorium… Wir konnten die Hamas nicht beseitigen, obwohl wir es wollten und versucht
haben – also ist das eine Realität, mit der wir uns abfinden müssen.
Nun will
die Hamas eigentlich nicht mit uns sprechen, weil sie ja eine fanatische Theorie hat:
Israel zu vernichten und einen Sharia-Staat zu gründen usw. Aber eine Regierung, die
einen Staat, Territorium und Bevölkerung hat, muss auch mit Staatsräson rechnen: Anders
geht es nicht. Also, es ist eine Frage der Interessen. Und letzten Endes hat die Hamas
auch Interesse, mit uns irgendeine Vereinbarung zu finden. Nur: Wegen ihrer „Ideologie“
kann sie mit uns nicht verhandeln. Also glaube ich, wir sollten irgendeine Föderation
zwischen den beiden palästinensischen Regierungen anstreben – oder sagen wir: eine
Verständigung zwischen den beiden palästinensischen Regierungen, die in Ramallah und
die im Gazastreifen. Dann könnte diese Föderation der Regierung in Ramallah die Genehmigung
geben, um zu verhandeln, ohne dass die Hamas selber mit uns verhandelt, aber auch
ohne dass sie die Verhandlungen torpediert! Das könnte eine Möglichkeit sein.
Auf
jeden Fall: Ohne Hamas kann man nicht mehr rechnen. Geht nicht.“
Vor genau
einem halben Jahr war Papst Benedikt XVI. in Israel und den Autonomiegebieten. Hat
die Reise rein politisch etwas gebracht, oder war das vor allen Dingen ein innerkirchliches
Ereignis?
„Erstens einmal hat das eine Sache gebracht, die unheimlich wichtig
ist – das ist bei uns zumindest eine Entkrampfung unserer Beziehungen zur Kirche.
Wir sind nicht mehr so verkrampft! Wissen Sie: Die Beziehungen der Israelis bzw. der
Juden zur Kirche war immer verkrampft und vielleicht auch mit Geschichte, sogar mit
Ängsten beladen. Das kann ich Ihnen aus persönlicher Erfahrung sagen: Die Kirche war
für uns immer ein Gespenst aus der Vergangenheit, das Angst gemacht hat. Ich glaube,
in diesem Sinne sind wir nach dem Besuch des Papstes erheblich gelassener geworden.
Der Papst hat das sehr gut gemacht!
Man kann natürlich sagen, dass sein Vorgänger
es auch gut gemacht, ja sogar viel besser gemacht hat, aber sein Vorgänger war ein
Pole, der die Juden in Polen gekannt hat, der den Holocaust persönlich erlebt hat,
und man hat das als etwas Persönliches empfunden – nicht unbedingt als „die“ katholische
Kirche. Das war der Papst – der Mann. Das war Wojtyla… Johannes Paul II. hat unsere
Herzen erobert – klar. Aber damit hat er die Beziehungen zwischen der Kirche und dem
Volk noch nicht so entkrampft, wie der heutige Papst Benedikt XVI. es gemacht hat.
Unter anderem ausgerechnet auch, weil Benedikt ein Deutscher ist! Das hat auch eine
Rolle gespielt. Ein Deutscher und die katholische Kirche gemeinsam, der zu uns kommt.
Er ist zu uns gekommen und zunächst nicht an die Heiligen Stätten gefahren,
sondern zum israelischen Staatspräsidenten! Dabei ist es noch gar nicht so lange her,
dass der Vatikan uns überhaupt nicht anerkennen wollte als Staat. Das hat schon sehr
viel Gutes getan…
Ob es politisch geholfen hat? Ich glaube: Ja, denn Israelis
sind insgesamt verkrampft, nicht nur der Kirche gegenüber, sondern auch politisch.
Weil sie immer meinen: Die ganze Welt ist gegen uns, alle versuchen uns zu vernichten
usw. Wenn man den Israelis zeigen kann, dass nicht alle gegen uns sind, sondern dass
wir auch Freunde haben – besonders so eine bedeutende Macht wie die Kirche, eine Macht
der Köpfe und der Gefühle der Menschen –, dann entkrampft es uns auch in politischem
Sinne.“
Es bleiben aber weiter große Fragen und Schwierigkeiten: die Rolle
von Pius XII. während des Holocaust, die Öffnung der vatikanischen Archive usw. Besteht
nicht ständig die Gefahr, dass das, was Benedikt XVI. jetzt durch seine Reise erreicht
hat, durch den nächsten vatikanischen Schritt z.B. zur Aufwertung von Pius XII. wieder
kaputt gemacht wird?
„Das wird natürlich die Dinge nicht verbessern… aber ich
würde die Sachen voneinander unterscheiden. Das Problem Pius XII. ist ein echtes Problem,
aber ein historisches Problem. Es hat eine große Bedeutung – doch das ist die Kirche
in der Vergangenheit, nicht unbedingt die Kirche heute. Wenn Sie sehen, wie die Kirche
in Deutschland in den letzten Jahrzehnten Stellung zum Holocaust genommen hat – sehr,
sehr wichtig! Und das gilt auch für die letzten Päpste. Da haben wir Meinungsverschiedenheiten
bzgl. Pius XII., und das ist auch emotional, das stimmt; und das wird bestimmt nicht
behilflich sein. Aber ich glaube nicht, dass das diese Fortschritte, die man letztens
erzielt hat, noch rückgängig machen kann!“