2009-11-15 14:54:43

Der Papst und der Nahost-Friede - Gespräch mit Avi Primor


RealAudioMP3 Der frühere Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, glaubt, dass der Papstbesuch im Heiligen Land ein Erfolg war. Stefan Kempis sprach mit dem Publizisten Primor, der u.a. zum Club of Rome gehört, nicht nur über die Reise Benedikts nach Israel vor genau sechs Monaten, sondern auch über die Chancen auf einen Frieden in Nahost.

„Es gibt eine ganze Menge von Friedensprojekten und –entwürfen: Fast jedes Jahr wird irgendein Friedensentwurf veröffentlicht. Aber wenn Sie diese Entwürfe alle miteinander vergleichen, werden Sie sehen, dass sie alle vollkommen gleich sind. Alle wiederholen die gleichen Prinzipien, alle haben dieselben Komponenten – es gibt nur eine Lösung und nicht zwei! Alle Friedensprojekte wiederholen mit anderen Formulierungen oder in anderer Reihenfolge genau dieselben Ideen und dieselben Prinzipien.

Warum kann man das nicht in die Tat umsetzen? Da sollte man zunächst die Frage stellen: Will das etwa die Bevölkerung nicht? Also, Meinungsumfragen zufolge gibt es eine ganz solide und permanente Mehrheit auf beiden Seiten, die alle Komponenten dieser Friedensentwürfe akzeptiert. Es wird nicht in die Tat umgesetzt, weil ein Element fehlt – ein entscheidendes Element, das für die israelische Bevölkerung das Allerwichtigste ist, ja vielleicht das einzig Wichtige ist: die Sicherheit. Es gibt keine Sicherheitskomponenten in diesen verschiedenen Friedensentwürfen, die die Israelis befriedigen können – nur Versprechungen usw.

Wir haben mit Ägypten und Jordanien Frieden geschlossen, wir haben Gebiete geräumt und Siedlungen geräumt, obwohl es eine Minderheit bei uns gab, die sich dem widersetzte und sogar mit Bürgerkrieg drohte. Wir haben es doch getan, weil die Mehrheit der Bevölkerung davon ausgegangen ist, dass wir für diese Zugeständnisse Sicherheit bekommen! Und wir haben sie auch bekommen – von Ägypten und Jordanien, nicht von den Palästinensern, nachdem wir den Gazastreifen geräumt haben. Wir haben ja auch gravierende Fehler gemacht, aber einmal abgesehen davon haben wir ein Gebiet und Siedlungen geräumt… und dafür Raketenbeschuss und Bombardierungen bekommen. Das können wir uns im Westjordanland nicht leisten, denn das Westjordanland befindet sich am Rande aller Zentren des Staates Israel; in unserer Region ist ja alles winzig klein. Großstädte, Hochtechnologie-Industrie, der Flughafen und Seehäfen – alle sind in der Reichweite der primitivsten Raketen der Palästinenser! Wenn wir aus dem Westjordanland beschossen werden sollten wie aus dem Gazastreifen, könnten wir das nicht ertragen.

Also: Der ägyptische Präsident konnte uns Sicherheit versprechen und uns davon überzeugen; der jordanische König auch. Und das hat sich auch als richtig erwiesen, dass wir denen vertraut haben. Die Palästinenser können es nicht. Nicht dass sie es nicht wollten; man vertraut dem Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schon. Nur: Man weiß, dass er keine Mittel zur Verfügung hat, um tatsächlich Sicherheit zu gewährleisten, und das ist das Problem.

Sollten wir irgendein Mittel finden, das uns überzeugen kann ,dass wir nach dem Abzug aus dem Westjordanland Sicherheit bekommen, dann würde nicht die gesamte Bevölkerung, aber doch die Mehrheit der Israelis das unterstützten, und dann könnte sich die Regierung so etwas leisten. Heute gibt es so ein Element nicht!“

Läuft aber eine solche Herausbildung einer Palästinenser-Autorität, die auch Sicherheit nicht nur versprechen, sondern auch verschaffen kann, nicht auch über den Dialog bzw. die Einbindung der Hamas?

„Ich gebe Ihnen meine private Meinung, denn ich vertrete ja heute nicht mehr die Regierung. Ich glaube, dass man so etwas nicht ohne die Hamas tun kann! Ich glaube, dass die Hamas heute eine Regierung ist, die auch vollkommen demokratisch gewählt wurde; sie regiert in der Tat; sie hat eine Bevölkerung von anderthalb Millionen Einwohnern; sie hat ein Territorium… Wir konnten die Hamas nicht beseitigen, obwohl wir es wollten und versucht haben – also ist das eine Realität, mit der wir uns abfinden müssen.

Nun will die Hamas eigentlich nicht mit uns sprechen, weil sie ja eine fanatische Theorie hat: Israel zu vernichten und einen Sharia-Staat zu gründen usw. Aber eine Regierung, die einen Staat, Territorium und Bevölkerung hat, muss auch mit Staatsräson rechnen: Anders geht es nicht. Also, es ist eine Frage der Interessen. Und letzten Endes hat die Hamas auch Interesse, mit uns irgendeine Vereinbarung zu finden. Nur: Wegen ihrer „Ideologie“ kann sie mit uns nicht verhandeln. Also glaube ich, wir sollten irgendeine Föderation zwischen den beiden palästinensischen Regierungen anstreben – oder sagen wir: eine Verständigung zwischen den beiden palästinensischen Regierungen, die in Ramallah und die im Gazastreifen. Dann könnte diese Föderation der Regierung in Ramallah die Genehmigung geben, um zu verhandeln, ohne dass die Hamas selber mit uns verhandelt, aber auch ohne dass sie die Verhandlungen torpediert! Das könnte eine Möglichkeit sein.

Auf jeden Fall: Ohne Hamas kann man nicht mehr rechnen. Geht nicht.“

Vor genau einem halben Jahr war Papst Benedikt XVI. in Israel und den Autonomiegebieten. Hat die Reise rein politisch etwas gebracht, oder war das vor allen Dingen ein innerkirchliches Ereignis?

„Erstens einmal hat das eine Sache gebracht, die unheimlich wichtig ist – das ist bei uns zumindest eine Entkrampfung unserer Beziehungen zur Kirche. Wir sind nicht mehr so verkrampft! Wissen Sie: Die Beziehungen der Israelis bzw. der Juden zur Kirche war immer verkrampft und vielleicht auch mit Geschichte, sogar mit Ängsten beladen. Das kann ich Ihnen aus persönlicher Erfahrung sagen: Die Kirche war für uns immer ein Gespenst aus der Vergangenheit, das Angst gemacht hat. Ich glaube, in diesem Sinne sind wir nach dem Besuch des Papstes erheblich gelassener geworden. Der Papst hat das sehr gut gemacht!

Man kann natürlich sagen, dass sein Vorgänger es auch gut gemacht, ja sogar viel besser gemacht hat, aber sein Vorgänger war ein Pole, der die Juden in Polen gekannt hat, der den Holocaust persönlich erlebt hat, und man hat das als etwas Persönliches empfunden – nicht unbedingt als „die“ katholische Kirche. Das war der Papst – der Mann. Das war Wojtyla… Johannes Paul II. hat unsere Herzen erobert – klar. Aber damit hat er die Beziehungen zwischen der Kirche und dem Volk noch nicht so entkrampft, wie der heutige Papst Benedikt XVI. es gemacht hat. Unter anderem ausgerechnet auch, weil Benedikt ein Deutscher ist! Das hat auch eine Rolle gespielt. Ein Deutscher und die katholische Kirche gemeinsam, der zu uns kommt.

Er ist zu uns gekommen und zunächst nicht an die Heiligen Stätten gefahren, sondern zum israelischen Staatspräsidenten! Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass der Vatikan uns überhaupt nicht anerkennen wollte als Staat. Das hat schon sehr viel Gutes getan…

Ob es politisch geholfen hat? Ich glaube: Ja, denn Israelis sind insgesamt verkrampft, nicht nur der Kirche gegenüber, sondern auch politisch. Weil sie immer meinen: Die ganze Welt ist gegen uns, alle versuchen uns zu vernichten usw. Wenn man den Israelis zeigen kann, dass nicht alle gegen uns sind, sondern dass wir auch Freunde haben – besonders so eine bedeutende Macht wie die Kirche, eine Macht der Köpfe und der Gefühle der Menschen –, dann entkrampft es uns auch in politischem Sinne.“

Es bleiben aber weiter große Fragen und Schwierigkeiten: die Rolle von Pius XII. während des Holocaust, die Öffnung der vatikanischen Archive usw. Besteht nicht ständig die Gefahr, dass das, was Benedikt XVI. jetzt durch seine Reise erreicht hat, durch den nächsten vatikanischen Schritt z.B. zur Aufwertung von Pius XII. wieder kaputt gemacht wird?

„Das wird natürlich die Dinge nicht verbessern… aber ich würde die Sachen voneinander unterscheiden. Das Problem Pius XII. ist ein echtes Problem, aber ein historisches Problem. Es hat eine große Bedeutung – doch das ist die Kirche in der Vergangenheit, nicht unbedingt die Kirche heute. Wenn Sie sehen, wie die Kirche in Deutschland in den letzten Jahrzehnten Stellung zum Holocaust genommen hat – sehr, sehr wichtig! Und das gilt auch für die letzten Päpste. Da haben wir Meinungsverschiedenheiten bzgl. Pius XII., und das ist auch emotional, das stimmt; und das wird bestimmt nicht behilflich sein. Aber ich glaube nicht, dass das diese Fortschritte, die man letztens erzielt hat, noch rückgängig machen kann!“

(rv 14.11.2009 sk)







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