2009-11-15 14:46:02

D: Das Spiel um die Menschenwürde. Trauerfeier für Enke


RealAudioMP3 Das Stadion wird zur Kultstätte. Selten war die Verbindung zwischen Fußball und Religion so evident wie in diesen Tagen. Zehntausende Fans trauern um Nationaltorhüter Robert Enke und suchen Trost in Kerzen, Gebet und Gemeinschaft. Der 32-jährige, der jahrelang an Depressionen litt, hatte sich am Dienstagabend das Leben genommen. Ein Bericht von Birgit Pottler:

Nach der ökumenischen Andacht in der Marktkirche von Hannover am vergangenen Mittwoch folgte an diesem Sonntag die offizielle Trauerfeier im Stadion von Enkes Verein Hannover 96. Der Sarg von Robert Enke stand im Mittelkreis des Fußballfeldes. Unter den rund 40.000 Trauergästen waren Prominente und Politiker, Vertreter von Enkes Spielstationen im Ausland sowie die gesamte deutsche Fußballnationalmannschaft. Alle Redner würdigten die sportlichen Leistungen des Torwarts, würdigten aber auch seine menschlichen Qualitäten und seine große Beliebtheit. Der Tenor: Dieser Selbstmord muss Konsequenzen haben; die Gesellschaft, geprägt von Leistungsdruck und Erfolg, muss umdenken.

Die Andacht leitete der katholische Pfarrer Heinrich Plochg. Der Tod Enkes habe „unsere menschliche Substanz berührt“:
„Nicht nur Erfolg, nicht nur Leistung, Ruhe, Stabilität und Autorität, nicht nur Fröhlichkeit und positive Ausstrahlung machen den Menschen zum Menschen. Misserfolg, Krankheit.“
Plochg ist eng verbunden – mit der Familie und dem Fußball. Er begleitete die Familie seit dem Tod der Tochter 2006. Beim Bundesligaspiel vor einer Woche saß der Pfarrer noch in der Fankurve hinter dem Tor von Robert Enke:
„Niederlagen aber auch Schicksalsschläge gehören dazu. Das sind keine Schwächen, die man wegtrainieren kann, auch wenn unsere Gesellschaft das oft von uns verlangt. Aber dürfen wir uns nicht, so wie wir sind, in der Liebe unserer Angehörigen, unserer Freundinnen und Freunde und letztlich auch in der Liebe Gottes angenommen fühlen?“ 
Redner und Fans zollten Teresa Enke Anteilnahme und Anerkennung für ihr couragiertes Auftreten und ihre Offenheit in den vergangen Tagen. Sie hatte bei einer Pressekonferenz von der Krankheit ihres Mannes und dem Umgang damit berichtet. Es war der Wunsch von Enkes Ehefrau, dass sich die Fans in einem adäquaten Rahmen verabschieden könnten. Auf einem kleinen Friedhof wäre das nicht möglich gewesen. „Wir hoffen, dass der Rahmen würdig bleibt“, hatte der Pressesprecher von Hannover 96, Andreas Kuhnt, vorher betont.

Stille erfüllte am Sonntagvormittag das Stadion, ebenso wie klassische Musik, nachdenklich vorgetragene Fußballhymnen und Applaus. Die Trauerfeier war eine der größten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach den Amokläufen von Erfurt (2002) und Winnenden (2009) hatten jeweils mehrere Zehntausend an den öffentlichen Veranstaltungen teilgenommen, ebenso bei der Prozession zur Beisetzung von Konrad Adenauer.

Mehrere Fernsehsender übertrugen die Feier live, im Internet setzte sich parallel die die seit Tagen laufende Diskussion über das Tabuthema Depression fort. „Dass wir ausgerechnet den, der immer ein Auge für andere hatte, offenbar nicht richtig gesehen haben“, bekannte und beklagte ARD-Kommentator Reinhold Beckmann.

DFB-Präsident Theo Zwanziger würdigte den Torwart und appellierte gleichzeitig an Fans, Eltern und Spieler: Der Selbstmord Enkes hinterlasse einen Auftrag.

„Fußball ist nicht alles“, sagte Zwanziger und wiederholte die Worte der evangelischen Bischöfin Margot Käßmann vom Mittwochabend. „Fußball, meine Damen und Herren, liebe Trauergemeinde, darf nicht alles sein. Das Leben, das uns geschenkt ist, ist vielfältig. Es ist interessant, es ist lebenswert. Wir können auch auf das, was wir tun, ein Stück stolz sein. Wir können etwas leisten, aber wir erfüllen uns immer nur in der Vielfalt und in der Gemeinschaft. Fußball, darf nicht alles sein. Liebe Eltern, wenn ihr daran denkt, ob eure Kinder einmal Nationalspieler werden könnten: Denkt nicht nur an den Schein, an das, was sich dort zeigt über die Medien verbreitet. Denkt auch an das, was im Menschen ist: an Zweifeln und an Schwäche. Fußball ist nicht alles.“

Der DFB-Präsident sprach ohne Manuskript und traf mit seinen Worten ins Herz. Mitten auf dem Platz stellte er „überbordenden Ehrgeiz“ ins Abseits. Sieger solle nicht der Bessere sein, nicht der Stärkere, sondern die Menschenwürde.

„Fußball ist ein starkes Stück Leben“, sagte Zwanziger und erinnerte damit an einen Satz des damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber beim ökumenischen Eröffnungsgottesdienst der Fußball-Weltmeisterschaft in München. „Ja, Fußball kann ein starkes Stück Leben sein, wenn wir nicht nur wie Besessene hinter Höchstleistungen herjagen. Wir dürfen uns anstrengen, ja, aber nicht um jeden Preis, denn – so formulierte es der Bischof – den wirklichen Siegerpreis werden wir auf Erden nicht empfangen. Wir müssen uns diesem Preis würdig erweisen. Nach diesen schlimmen Tagen ein wenig mehr an die Würde des Menschen zu denken, in seiner Vielfalt und nicht nur in seiner Stärke, sondern auch in seiner Schwäche empfinde ich als Auftrag dieses an sich sinnlosen Sterbens. Wir alle sind dazu aufgerufen, unser Leben wieder zu gestalten, aber in ihm einen Sinn nicht nur in überbordendem Ehrgeiz zu finden. Maß, Balance, Werte wie Fairplay und Respekt sind gefragt.“
 
Zwanziger appellierte an alle „Bereiche des Systems Fußball“, an Funktionäre und Verbände, nahm sich selbst nicht aus, aber auch nicht die Fans.
„Ihr könnt unglaublich viel dazu tun, wenn ihr bereit seid, aufzustehen gegen Böses; wenn ihr bereit seid, euch zu zeigen, wenn Unrecht geschieht; wenn ihr bereit seid, das Kartell der Tabuisierer und Verschweiger einer Gesellschaft, die insofern nicht menschlich sein kann, zu brechen. Ihr könnt mithelfen mit eurem ganz besonderen Engagement. Ein Stück mehr Menschlichkeit, ein Stück mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen, des Nächsten, des anderen – das wird Robert Enke gerecht.“

Nicht nur zu diesen Worten standen die Trauergäste auf den Zuschauerrängen. „Er hat sein Dasein hier bei uns beendet. Aber nicht das Leben, das Gott ihm geschenkt hat“, sagte der katholische Pfarrer Plochg zum Ende der Feier. Alle – ausdrücklich „auch diejenigen, unter uns, die den christlichen Glauben nicht teilen“ – lud er ein zum Gebet. Und wo sonst gejubelt oder gepfiffen wird, erklang ein Vater Unser.

Die Mannschaftskollegen von Hannover 96 trugen den Sarg aus dem Stadion. Beigesetzt wurde Robert Enke im Familienkreis an seinem Wohnort Empede neben seiner Tochter Lara.

(rv/ard/pm/ 15.11.2009 bp)







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