„Gott ist nicht nur Liebe, sondern auch Gerechtigkeit“
Wenn sich mehr als
600 Teilnehmer zu einem theologischen Studientag einfinden, kann der Anlass kein ganz
unbedeutender sein. Der Titel der Veranstaltung in Tübingen: „Rückbesinnung auf die
Opfer der Geschichte – Theologie aus Sicht der Armen.“ Die so genannte „Theologie
der Befreiung“ scheint in der theologischen Diskussion der letzten Jahre etwas aus
dem Blickfeld geraten zu sein - dabei sind ihre Anliegen aktuell wie nie. Ein Beitrag
von Dominik Skala.
Gott ist nicht einfach nur Liebe, Gott ist auch Gerechtigkeit.
Was das heißen kann, haben seit den 60er-Jahren Theologen immer wieder versucht deutlich
zu machen. In ihrer Arbeit nehmen sie dabei die Notleidenden auf der ganzen Welt in
den Blick. Sie fragen: Was heißt das Evangelium für die Armen? Wie kann die Botschaft
Jesu den Unterdrückten helfen? Ein prominenter Vertreter dieser so genannten „Theologie
der Befreiung“ ist Johann Baptist Metz. Albert Biesinger, Religionspädagoge in Tübingen,
sagt uns, mit was sich Theologen wie Metz auseinandersetzen:
Sie setzen
sich damit auseinander, dass das Reich Gottes ja in dieser Welt natürlich nur angebrochen
ist, aber dass es darum geht, dass es ein Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des
Friedens ist und deswegen hat Johann Baptist Metz, der Vater der poltischen Theologie,
bei dem Symposium in Tübingen jetzt ausdrücklich darauf hingewiesen: Gott ist nicht
einfach nur Liebe, Gott ist Gerechtigkeit. Das setzt er auch ganz bewusst in Dialog
zur Enzyklika von Papst Benedikt „Gott ist Liebe“, aber: Gott ist auch Gerechtigkeit
– wenn man das nicht durchzieht, dass das Reich Gottes geradezu nach Gerechtigkeit
schreit, dann meint er, dass man etwas Wesentliches übersieht. Das versteht Metz nicht
als Kritik am Papst, sondern als eine Dialogebene, um nach vorne weiterzukommen. Auf
dem Podium in Tübingen fanden sich auch umstrittene Vertreter der „Theologie der Befreiung“.
Unter anderem: der spanische Jesuit Jan Sobrino. Einige seiner Thesen wurden 2007
von der Kongregation für die Glaubenslehre beanstandet. Und bei Jan Sobrino
- da geht es darum, die riesigen Elendviertel Lateinamerikas in Lima, in Bolivien,
und auch in Kolumbien, wo man in der riesigen Not der Armut doch als Theologe auch
mal aufwachen muss und die gesamte Theologie aus der Sicht der Armen – deswegen sagt
man: Option für die Armen – buchstabieren sollte. Die Anliegen
haben sich dabei seit den Anfängen der sogenannten „Theologie der Befreiung“ in den
60er-Jahren nicht geändert. Im Gegenteil:
Das Finanzdebakel, die riesige
Armut, die Millionen Kinder, die dauernd sterben an Armut, an Unterernährung, auch
an Entwürdigung: Das ist doch ein Aufschrei der Armen. Und die Theologie der Befreiung
hat ja immer davon geredet: Hört vielleicht die römisch-katholische Kirche diesen
Aufschrei der Armen eines Tages auch mal… Die Entwürdigung müsse
auch jeden einzelnen ganz persönlich angehen, so Biesinger. Im Evangelium heißt es:
Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Unser Handeln an den Menschen
heute ist das Handeln an Christus. Die Armen und Unterdrückten in der Welt sind die
Gekreuzigten von heute. In ihnen wird Jesus Christus selbst immer wieder neu gekreuzigt,
in jedem einzelnen geknechteten Menschen geht auch die Kreuzigung Christi weiter,
... weil es ungeheuerliche Situationen auf dieser Welt gibt. Es ist ja
mehr als peinlich – mir ist das peinlich, dass in meiner Lebenszeit Millionen Kinder
einfach wegsterben müssen an Hunger, an Entwürdigung, und wir haben das nicht in den
Griff gekriegt. Und man kann nicht sagen: Wir haben nichts davon gewusst.
Diese
Anfragen müssen auch die Kirche treffen. Einiges tue der Vatikan auch, so Biesinger.
Doch zu oft scheint derzeit anderes im Vordergrund zu stehen:
In meinem
Umfeld, da sagen sehr viele Leute: Warum unterstützt der Papst nicht diese Theologen,
die ja prophetische Theologen sind und die wirklich eintreten gegen das Leid der vielen
Menschen? Im Augenblick kommt eben viel mehr rüber in der Öffentlichkeit: Für den
Papst ist die Piusbruderschaft sehr wichtig und so weiter. Da muss man gegensteuern,
weil nämlich sonst der Eindruck entsteht, in der Kirche geht es eigentlich um sekundäre
Probleme. Das Verhältnis zwischen dem Vatikan und einzelnen Befreiungstheologen
war nie einfach. Welchen Wunsch haben die Vertreter der Befreiungstheologie an die
Weltkirche und insbesondere an den Papst?
Also ich finde, dass man gerade
mit diesen Theologien – das sind ja ganz verschiedene Theologien, und diese Theologien
richten sich ja nicht gegen Rom! Umso mehr meine ich, dass Rom diese Theologien und
diese Theologen eben auch mal in Rom versammeln müsste und den Diskussionsprozess
würdigen müsste: Was diese Theologen als prophetische Theologien für die Kirche auch
an Glaubwürdigkeit erreichen! Dabei dürfe man allerdings nicht in einem rein
theologischen Gespräch stehenbleiben. Auch auf der Ebene von Anspruch und Wirklichkeit
könne die Kirchenleitung glaubwürdiger agieren:
Es ist für manche Menschen
ein Widerspruch, wenn aus Rom sehr gute Sozialenzykliken kommen, aber auf der anderen
Seite - wie es in Lateinamerika in manchen Ländern wie Peru passiert ist - dann Bischöfe
eingesetzt werden, die sich daran überhaupt nicht halten und die nun wirklich nicht
auf der Seite der Armen stehen.
Wie kann da zumindest im Bereich der Theologie
geholfen werden?
Aber Rom müsste sich mit den Befreiungstheologien mal besser
verbünden, dass Synergien entstehen und nicht immer so ein latentes Misstrauen läuft,
was ja niemandem hilft.