2009-11-13 11:52:52

„Gott ist nicht nur Liebe, sondern auch Gerechtigkeit“


RealAudioMP3 Wenn sich mehr als 600 Teilnehmer zu einem theologischen Studientag einfinden, kann der Anlass kein ganz unbedeutender sein. Der Titel der Veranstaltung in Tübingen: „Rückbesinnung auf die Opfer der Geschichte – Theologie aus Sicht der Armen.“ Die so genannte „Theologie der Befreiung“ scheint in der theologischen Diskussion der letzten Jahre etwas aus dem Blickfeld geraten zu sein - dabei sind ihre Anliegen aktuell wie nie. Ein Beitrag von Dominik Skala.

Gott ist nicht einfach nur Liebe, Gott ist auch Gerechtigkeit. Was das heißen kann, haben seit den 60er-Jahren Theologen immer wieder versucht deutlich zu machen. In ihrer Arbeit nehmen sie dabei die Notleidenden auf der ganzen Welt in den Blick. Sie fragen: Was heißt das Evangelium für die Armen? Wie kann die Botschaft Jesu den Unterdrückten helfen? Ein prominenter Vertreter dieser so genannten „Theologie der Befreiung“ ist Johann Baptist Metz. Albert Biesinger, Religionspädagoge in Tübingen, sagt uns, mit was sich Theologen wie Metz auseinandersetzen:

Sie setzen sich damit auseinander, dass das Reich Gottes ja in dieser Welt natürlich nur angebrochen ist, aber dass es darum geht, dass es ein Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens ist und deswegen hat Johann Baptist Metz, der Vater der poltischen Theologie, bei dem Symposium in Tübingen jetzt ausdrücklich darauf hingewiesen: Gott ist nicht einfach nur Liebe, Gott ist Gerechtigkeit. Das setzt er auch ganz bewusst in Dialog zur Enzyklika von Papst Benedikt „Gott ist Liebe“, aber: Gott ist auch Gerechtigkeit – wenn man das nicht durchzieht, dass das Reich Gottes geradezu nach Gerechtigkeit schreit, dann meint er, dass man etwas Wesentliches übersieht. Das versteht Metz nicht als Kritik am Papst, sondern als eine Dialogebene, um nach vorne weiterzukommen.
 
Auf dem Podium in Tübingen fanden sich auch umstrittene Vertreter der „Theologie der Befreiung“. Unter anderem: der spanische Jesuit Jan Sobrino. Einige seiner Thesen wurden 2007 von der Kongregation für die Glaubenslehre beanstandet.
Und bei Jan Sobrino - da geht es darum, die riesigen Elendviertel Lateinamerikas in Lima, in Bolivien, und auch in Kolumbien, wo man in der riesigen Not der Armut doch als Theologe auch mal aufwachen muss und die gesamte Theologie aus der Sicht der Armen – deswegen sagt man: Option für die Armen – buchstabieren sollte.
 
Die Anliegen haben sich dabei seit den Anfängen der sogenannten „Theologie der Befreiung“ in den 60er-Jahren nicht geändert. Im Gegenteil:

Das Finanzdebakel, die riesige Armut, die Millionen Kinder, die dauernd sterben an Armut, an Unterernährung, auch an Entwürdigung: Das ist doch ein Aufschrei der Armen. Und die Theologie der Befreiung hat ja immer davon geredet: Hört vielleicht die römisch-katholische Kirche diesen Aufschrei der Armen eines Tages auch mal…
 
Die Entwürdigung müsse auch jeden einzelnen ganz persönlich angehen, so Biesinger. Im Evangelium heißt es: Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Unser Handeln an den Menschen heute ist das Handeln an Christus. Die Armen und Unterdrückten in der Welt sind die Gekreuzigten von heute. In ihnen wird Jesus Christus selbst immer wieder neu gekreuzigt, in jedem einzelnen geknechteten Menschen geht auch die Kreuzigung Christi weiter,

... weil es ungeheuerliche Situationen auf dieser Welt gibt. Es ist ja mehr als peinlich – mir ist das peinlich, dass in meiner Lebenszeit Millionen Kinder einfach wegsterben müssen an Hunger, an Entwürdigung, und wir haben das nicht in den Griff gekriegt. Und man kann nicht sagen: Wir haben nichts davon gewusst.

Diese Anfragen müssen auch die Kirche treffen. Einiges tue der Vatikan auch, so Biesinger. Doch zu oft scheint derzeit anderes im Vordergrund zu stehen:

In meinem Umfeld, da sagen sehr viele Leute: Warum unterstützt der Papst nicht diese Theologen, die ja prophetische Theologen sind und die wirklich eintreten gegen das Leid der vielen Menschen? Im Augenblick kommt eben viel mehr rüber in der Öffentlichkeit: Für den Papst ist die Piusbruderschaft sehr wichtig und so weiter. Da muss man gegensteuern, weil nämlich sonst der Eindruck entsteht, in der Kirche geht es eigentlich um sekundäre Probleme.  
Das Verhältnis zwischen dem Vatikan und einzelnen Befreiungstheologen war nie einfach. Welchen Wunsch haben die Vertreter der Befreiungstheologie an die Weltkirche und insbesondere an den Papst?

Also ich finde, dass man gerade mit diesen Theologien – das sind ja ganz verschiedene Theologien, und diese Theologien richten sich ja nicht gegen Rom! Umso mehr meine ich, dass Rom diese Theologien und diese Theologen eben auch mal in Rom versammeln müsste und den Diskussionsprozess würdigen müsste: Was diese Theologen als prophetische Theologien für die Kirche auch an Glaubwürdigkeit erreichen! 
Dabei dürfe man allerdings nicht in einem rein theologischen Gespräch stehenbleiben. Auch auf der Ebene von Anspruch und Wirklichkeit könne die Kirchenleitung glaubwürdiger agieren:

Es ist für manche Menschen ein Widerspruch, wenn aus Rom sehr gute Sozialenzykliken kommen, aber auf der anderen Seite - wie es in Lateinamerika in manchen Ländern wie Peru passiert ist - dann Bischöfe eingesetzt werden, die sich daran überhaupt nicht halten und die nun wirklich nicht auf der Seite der Armen stehen.

Wie kann da zumindest im Bereich der Theologie geholfen werden?

Aber Rom müsste sich mit den Befreiungstheologien mal besser verbünden, dass Synergien entstehen und nicht immer so ein latentes Misstrauen läuft, was ja niemandem hilft.

(rv 13.11.2009 ds)







All the contents on this site are copyrighted ©.