Prof. Dieter Stolte
arbeitete bereits 1961 beim Aufbau des Saarländischen Rundfunks mit, wechselte dann
zum ZDF in Mainz und ging als Fernsehdirektor zum Südwestfunk nach Baden-Baden. 1981
wurde Stolte Intendant des ZDF. Mit ihm trat der erste Medienpraktiker an die Spitze
des Mainzer Senders, eine der größten europäischen Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks. Dieter Stolte leitete dieses Amt 20 Jahre lang. Dann wurde der herausragende
Medienmann Herausgeber der Axel-Springer Zeitung “Welt” und ‘Berliner Morgenpost’
und ist als Berater dieser Gruppe bis heute tätig. Aldo Parmeggiani hat Prof. Stolte
in der Reihe „Menschen in der Zeit“ für uns interviewt.
Herr Professor
Stolte, Sie waren lange Zeit Intendant einer der größten Fernehanstalten Europas.
Verantwortlich fùr den journalistischen Bereich, verantwortlich für gesellschaftspolitiche
Entwicklungen, für die Kultur, die Kunst, das Theater, die Musik, die Unterhaltung
und natürlich für den finanziellen und wirtschaftlichen Bereich eines bedeutenden
Medienunternehmens. Zu welcher dieser jeweils grundverschiedenen Aufgaben fühlten
Sie sich innerlich am meisten hingezogen?
’Innerlich habe ich mich am meisten
zu allen philosophischen, religiösen und gesellschaftlichen Fragen hingezogen gefühlt.
Das Fernsehen ist ein Medium von Menschen für Menschen gemacht. Ich habe immer gespürt,
dass das eine besondere Verantwortung ist.’
Wann haben Sie frühestens erkannt,
dass Sie über ein besonderes Talent für eine allumfassende Öffentlichkeitsarbeit verfügen?
Gab es da einen besonderen, entscheidenden Augenblick, in dem Ihnen bewusst wurde:
das ist mein Weg?
‘Nein, es gab keine Berufsplanung, ich wollte nicht in
die Medien gehen.Ich habe während meines Studiums für Zeitungen, Zeitschriften und
Hörfunkanstalten gearbeitet, nicht aber um dort meine endgültige Berufsausbildung
zu finden und meinen Berufsweg zu gehen, sondern um Geld zu verdienen. Mein eigentliches
Ziel war, Professor für Philosophie zu werden’.
Sie konnten sich nach Beobachter-Meinung
bei Ihrem Ausscheiden beim ZDF, das Sie 20 Jahre geleitet haben, mit Recht als der
Mann würdigen lassen, der dem Fernsehen einen sicheren Platz in der deutschen Medienlandschaft
gesichert hat. Was hat sich seither geändert? Was denken Sie über das Fernsehen heute?
Ist es besser, ist es schlechter geworden?
‘Also, die Veränderungen, die
eingetreten sind, sind technikbedingt. Das Medium Fernsehen ist immer ein technikgetriebenes
Medium gewesen. Es ist mit dem Jahre 1982, - Bernhard Vogel, der Ministerpräsident
von Rheinland-Pfalz, hat dies einmal als Ur-Knall bezeichnet- , das duale Rundfunksystem
eingeführt worden. Das hat einen Wettbewerb herbeigeführt und dieser Wettbewerb hat
sich nicht segensreich auf die Entwicklung des Fernsehens ausgewirkt’.
Der
Ondine-Dienst ist ja für beide Bereiche – Fernsehen und Printmedien – zu einem nicht
mehr wegzudenkenden Instrument geworden. Sie waren auch auf dieser Ebene ein Pionier.
Herr Professor Stolte: Internet, quo vadis?
‘Das Internet wird das Fernsehen
grundlegend verändern. Es wird erstens die Konkurrenz weiter anheizen, Es wird neben
dem Kabel-, neben dem Satellitenbereich eine weitere Plattform sein, auf der man Programme
verbreiten kann. Hinzu kommt, dass ein nur unzureichend regulierter Internetmarkt
entsteht, auf dem sich jeder tummeln kann, ohne dass er dafür die entsprechende moralische
Kompetenz hat. Das wird zu einer ziemlich komplizierten Konfusion führen’.
Für
einen öffentlich-rechtlichen Sender sind kritisches Bewusstsein, Weitsicht, Toleranz,
Überparteilichkeit besonders wichtig. Welche Grundlinie würden Sie noch hinzufügen,
und welche würden Sie als die wichtigste erachten?
‘Ich glaube, dass, wer
ein solche Medium in der Hand hat – sei es als Intendant, Programmdirektor, Chefredakteur
oder Moderator – über eine moralische Kompetenz verfügen muss. Diese moralische Kompetenz
erwirbt man sich dadurch, dass man auch sich selbst gegenüber ganz bestimmte Werte
abfordert und auch versucht, diese Werte zu realisieren’.
Laut mehreren
Umfragen steht der Journalismus in einer Vertrauenskrise. Haben wir es heute nicht
nur mit einer zunehmenden Politikerverdrossenheit, sondern auch mit einer Journalismusverdrossenheit
zu tun? Wenn ja, warum?
‘Richtig ist, dass Politik und Journalismus aufeinander
bezogene Pole sind, die beide für die Öffentlichkeit und für die Gesellschaft arbeiten.
Je mehr die eine Seite in einem schlechten Ruf steht, desto größer wäre die Verantwortung
der Journalisten, das entsprechend zu moderieren und auch zu korrigieren. Da muss
ich zugeben: das findet heute nicht ausreichend statt. Auch der Jornalismus ist heute
sehr stark wettbewerbsgetrieben so wie die Parteien auch schon immer wettbewerbsgetrieben
waren. Das eine bedingt das andere - und das hat sich durch den Wettbewerb beschleunigt
und leider nicht verbessert’.
Welchen Einfluss haben die Medien auf die
junge Generation? Die Medien sind im Allgemeinen keine moralischen Anstalten, sondern
Wirtschaftsunternehmen, deren Bilanzen stimmen müssen. Umfragen besagen, dass das
Fernsehen weit mehr Einfluss auf Jugendliche ausübt, als etwa Eltern oder Lehrer und
Schule.
‘Ich glaube, dass der Einfluss der Medien auf junge Menschen nicht
kausaler Natur ist, sondern dass die Medien auf die Sprache, auf das habituelle Verhalten,
auf die Verhaltensweise, auf die Moral eine besondere Wirkung haben. Leider nicht
immer in einem positiven, sondern negativen Sinne’.
Ist das Angebot der
rechtlich-öffentlichen Sendeanstalten in Deutschland für den katholischen Bereich
hinreichend? Könnten Sie sich vorstellen, dass ein eigener TV-Kirchensender in Deutschland
Erfolg haben könnte?
‘Lezteres glaube ich nicht. Ich habe mich immer dafür
eingesetzt, dass öffentlich-rechtliche Anstalten die Botschaft der beiden großen Kirchen
in Deutschland zur Geltung bringen und dass es nicht notwendig ist, dass ein eigenes
katholisches Fernsehprogramm in der Trägerschaft der Kirchen –sei es der katholischen
oder der evangelischen Kirche – angeboten wird. Das ist viel zu kostenintensiv und
zu mühsam.’
Ich darf, da es sich um ein Geburtstagsgespräch handelt, Ihnen
jetzt bitte auch ein paar persönliche Fragen stellen.Was verdanken Sie Ihren Eltern,
Ihrer Familie?
‘Ich verdanke meinen Eltern vor allem eine sehr klare religiöse,
nicht frömmelnde, aber religiöse und moralische, an Werte gebundene Erziehung.’
Welche
prägenden Eindrücke haben Sie aus Ihrer Jugendzeit mit ins spätere Leben genommen?
‘Ich
bin ein Kind der Kriegs- und Nachkriegszeit gewesen, das durch Flucht, Vertreibung
und Bombenschaden geprägt ist. Ich habe von 1944 bis 1953 in der DDR, also in einem
politischen Unrechtssystem gelebt. Diese Jahre haben mich außerordentlich geprägt,
im Sinne auch der entschiedenen Positionen gegenüber allen Gruppen und Menschen, die
versuchen, einen unzulässigen Einfluss auf Menschen und Gesellschaft zu nehmen’.
Sie
werden im Munzinger-Archiv als römisch-katholisch angegeben. Tragen Sie diese Bezeichnung
außer auf dem Papier auch in Ihrem Herzen?
‘Das kann ich mit Ja beantworten!’
Zu
welchen christlichen Werten fühlen Sie sich besonders hingezogen oder vielleicht sogar
verpflichtet?
‘Ich fühle mich besonders hingezogen zu dem, was die katholische
Kirche Caritas nennt und was wir heute in unserer Gesellschaft Solidarität nennen.
Meine persönliche Arbeit – die jetzt gar nicht mit zusätzlichem Geldverdienen zu tun
hat - ist immer eine Arbeit des sozialen Engagements sowohl bezogen auf einzelne Menschen,
wie auf das Gesamtgesellschaftliche. Ich versuche – wann immer es möglich ist – irgendjemanden
der, ob zu recht oder zu unrecht, am Straßenrand der U- oder S-Bahn hier in Berlin
die Hand aufhält, nicht zu übersehen und wegzuschauen, sondern einen kleinen Obulus
zu geben, immer in der Hoffnung, dass er in die richtige Hand kommt’.
’Der
Geist weht wo er will, und Du hörst sein Wehen wohl, aber Du weißt nicht, woher er
kommt und wohin er geht’, heißt es im Neuen Testament. Welcher Geist weht in unserer
Zeit und wohin wird er gehen?
‘Also wehen tut der Geist des Egoismus, der
Gedankenlosigkeit und der zunehmenden Interesselosigkeit. Wohin das führt? Ich weiß
es nicht. Wahrscheinlich muss jede Gesellschaft – und das ist ja nicht etwas, was
man wünschen kann – alle Jahrzehnte durch eine besondere Belastung oder Erschütterung
hindurch, damit sie aufgerüttelt wird und weiß, um was es geht. Ich bin schon sehr
besorgt über das Ausmaß an Gedankenlosigkeit, Interesselosigkeit und Egoismus, das
in unserer Gesellschaft feststellbar ist’.
Wie hat man sich so eine besondere
Belastung, Erschütterung und daraus resultierende Katharsis vorzustellen?
‘Vielleicht
führt die weltwirtschaftliche Krise, in der wir uns befinden und die internationale
Finanzlage auch dazu, dass wir uns über die moralischen Bedingungen, das ist ja auch
eine Form von Erschütterung, die im Augenblick nur als ein leichtes Beben innerhalb
unserer einzelnen Völker erkennbar wird – vielleicht führt diese Krise dann auch dazu,
schon jetzt in dieser Form, wie wir es wahrnehmen, dass wir uns über die moralischen
Grundsätze unseres Handelns, und zwar auch im politischen, wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen
Bereich, sowohl als Individuum, aber auch als Gruppe stärker bewußt werden’.
Herr
Professor Stolte: Sie haben von Ihren Mitarbeitern beim ZDF ein ganz besonderes Abschiedsgeschenk
bekommen: Sie wurden mit einem Astroiden – einem im Oktober 1990 entdeckten Himmelskörper
- beschenkt, der nun auf den Namen ‘Stolte’ registriert ist. Denken Sie schon an ein
außerirdisches Fernsehen?
‘Ich muss sagen, ich bin damals sehr verblüfft
gewesen: ich wußte, was Astroiden sind, ich wußte aber nicht, wie die Namensgebung
dieser Sterne erfolgt. Nur derjenige, der den Stern entdeckt hat, verfügt auch über
das Recht, diesem Stern einen Namen zu geben. Meine Mitarbeiter hatten meine Tätigkeit
beobachtet, auch meinen Einsatz für den grenzüberschreitenden Satellitenempfang im
deutschsprachigen Kulturraum. Dadurch ist mir diese Ehre zuteil geworden, neben anderen
Persönlichkeiten unserer Zeit – ich erinnere mich zum Beispiel an Einstein, mit dem
ich mich wahrlich nicht zu vergleichen wage. Aber an ein außerirdisches Fernsehen
habe ich noch nie gedacht!’
Sie bleiben lieber hier auf unserer schönen
Erde…. ‘Ich bleibe lieber hier auf unserer schönen Erde. Ich habe
auch das Gefühl, hier gibt es genügend zu tun und ich freue mich, dass ich dieses
auch in meiner jetztigen Lebensphase noch tun kann.’