Mit einem ökumenischen
Gottesdienst haben an diesem Montag Vertreter von Kirche und Politik des Mauerfalls
am 9. November 1989 gedacht. An dem Gottesdienst nahmen unter anderem Bundespräsident
Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teil. Der Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, warnte in seiner Predigt vor neuen,
geistigen Mauern und erinnerte an die Verantwortung Deutschlands in Europa. Birgit
Pottler berichtet:
In der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg erklang
„In dir ist Freude“ von Johann Sebastian Bach; Freude über den Fall der Mauer und
die Erfahrung der friedlichen Revolution. Die Gethsemanekirche war Schauplatz, war
Ort des Widerstands in Berlin. Tausende Oppositionelle kamen ab Anfang Oktober 1989
zu Gebeten und zu Solidaritätsaktionen für inhaftierte Demonstranten. Die evangelische
Kirche am Prenzlauer Berg sei nicht nur Zeugin für Jubelszenen, betonte der Berliner
Landesbischof Wolfgang Huber und erinnerte an Unterdrückung und Repressalien in der
DDR: „Hier gab es auch – wie im Garten Gethsemane – Stunden der Verzweiflung.
Hart trafen Zivilcourage und Freiheitsgeist auf die rohe Reaktion der DDR-Staatsgewalt.
Mehr als fünfhundert Menschen wurden hier verhaftet und zum Teil mehrere Wochen festgehalten.“ In
der vollbesetzten Kirche am Prenzlauer Berg saßen am Montagmorgen ehemalige DDR-Bürgerrechtler
und katholische wie evangelische Organisatoren von Friedensgebeten, unter ihnen der
damalige Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer. Über dem Eingangsportal
der Kirche steht heute und stand vor zwanzig Jahren das Motto „Wachet und betet“. Bischof
Huber: „Damals haben Menschen die Zeichen der Zeit verstanden, Zivilcourage gezeigt,
der Einschüchterung Widerstand entgegengesetzt. Und das ohne Gewalt, mit Kerzen und
Gebeten. Schließlich war der Weg frei. Heute wollen wir die Freiheit bewahren, die
damals erkämpft wurde.“ Diese Freiheit verpflichtet. Sie dürfe nicht zur „bloßen
Floskel“ verkommen und müsse sich in Politik und Gesellschaft von heute realisieren.
„Gerade im Osten Deutschlands finden wir uns deshalb mit einer verbreiteten
Arbeitslosigkeit nicht ab. Denn sie ist nicht die Freiheit, zu der die Menschen aufbrechen
wollten. Wachsam achten wir darauf, unter welchen Mänteln sich rechtsextremes Gedankengut
tarnt. Wachsam sind wir auch, wenn dem Unrecht des SED-Staats der Mantel der Verharmlosung
umgehängt wird.“
20 Jahre nach dem Mauerfall sei deutlicher, was dieses
Ereignis damals bedeutete, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
Erzbischof Robert Zollitsch rief in seiner Predigt zur Solidarität mit Menschen und
Völkern auf, „die in Unfreiheit leben müssen“. Deutschland habe die Aufgabe, als größer
gewordenes Land „zu einem Europa beizutragen, das verlässlich der Verständigung unter
den Völkern und Staaten dient“.
„Die Erinnerung an den 9. November 1989
und nicht weniger die Erinnerung an die schrecklichen Geschehnisse der Reichspogromnacht
am 9. November lehren uns unmissverständlich: Mauern – ob real oder in den Köpfen
der Menschen – lösen keine Probleme. Im Gegenteil: Sie schaffen Probleme. Sie verbauen
Zukunft.“
Gleichzeitig warnte Zollitsch vor „potentiellen Mauerbauern“,
die es auch heute noch gebe. „Sie sollten nicht das Sagen haben, weder in der
Gesellschaft noch in den Kirchen. Und zudem gilt: Der Wille zur Verständigung und
zur Vertiefung der Einheit ist keine Einbahnstrasse. Wir sind gemeinsam in Ost und
West aufgerufen, in Geduld und Ausdauer weiter Brücken zueinander zu bauen.”
„Vertraut
den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist…“ Im August 1989 entstand dieser Text
anlässlich einer Hochzeit. Doch die Verse trafen den Zeitgeist, die Liedblätter wurden
kopiert und bei den Friedensgebeten verteilt. Heute stehen die drei Strophen im bundesweiten
evangelischen Gesangbuch, viele Menschen in der Berliner Gethsemanekirche sangen am
Montag auswendig: „Vertraut den neuen Wegen… Die Tore stehen offen. Das Land ist hell
und weit.“
Erzbischof Zollitsch erinnerte an den „Ruf der Massen nach Freiheit“
und betonte die Rolle der Kirchen beim Mauerfall. „Das Montagsgebet gab vielen – auch
Kirchenfernen und Ungetauften – die Kraft und den Mut für die Montagsdemonstrationen.”
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz erinnerte an den langjährigen ideellen
Einsatz von Johannes Paul II. aber auch an die „vielen Väter und Mütter” der Einheit,
die „nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen“.
Der Gottesdienst zum
Jahrestag – Bestandteil des offiziellen Programms und mit Beteiligung der großen Kirchen
in Deutschland sowie Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen – spiegelte
die großen und kleinen Beiträge wider, die das DDR-Regime zu Fall brachten. Posaunenklänge
und Jubelrufe waren nicht die einzigen Töne. Vor dem lautstarken „Großer Gott wir
loben Dich“ erklang leise – wie 1989 in stetem Crescendo – das Friedensgebet: „Dona
nobis pacem“. (rv/pm 09.11.2009 bp)