Allerheiligen: „Das reine Herz und die weißen Kleider“
Das Evangelium von
den Seligpreisungen prägt liturgisches dieses Hochfest Allerheiligen, ebenso wie der
Gedanke an Tod und die Hoffnung auf Auferstehung, wenn viele in diesen Tagen an den
Gräbern ihrer Verstorbenen stehen. Hören und lesen Sie Gedanken von Pater Eberhard
von Gemmingen: In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen
sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine
Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er
sagte:
Selig, die arm sind vor Gott; denn
ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet
werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das
Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn
sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden
Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden
Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne
Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn
ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft
und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut
euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Mt 5,1-12a)
Die
Seligpreisungen sind nach meiner Ansicht Weltliteratur. Wir haben sie so oft gehört,
dass wir vielleicht nicht so hinhören wie ein Mensch, der etwas von Sprache versteht
und sie zum ersten Mal hört. Auch würde ich sagen: Die Seligpreisungen muss man vor
allem hören, man darf sie nicht nur lesen. Wenn wir einen guten Schauspieler kennen,
sollten wir ihn vielleicht einmal bitten, uns die Seligpreisungen so vorzutragen,
wie man sie auf einer Bühne sprechen müsste.
Also, als erstes gilt fest zu
halten: Allein schon die Sprache ist ein Kunstwerk. Und dann der Inhalt. Für mich
persönlich ist die wichtigste der Seligpreisungen das Wort „Selig, die ein reines
Herz haben, denn sie werden Gott schauen.“ In dieser Seligpreisung wird dem Menschen
das Schönste und Höchste versprochen, was ein Mensch erreichen kann: Gott schauen.
Letztlich können wir uns wohl gar nicht vorstellen, was das bedeutet: Gott schauen.
Denn Gott ist ja nicht eine Person wie wir Menschen, auch nicht ein Schatz wie irgendein
menschlicher Schatz, auch nicht etwas Herrliches und Großes wie etwas im menschlichen
Bereich Herrliches und Großes. Gott schauen muss wohl bedeuten, dass der Mensch unvorstellbar
über sich hinaus gehoben wird. Oder sollten wir in Richtung Buddhismus denken? Hier
streben ja Menschen zu einer tiefen inneren Schau und Einsicht und Erkenntnis. Aber
ich möchte auf jeden Fall festhalten: Die Schau Gottes muss nach christlichem Verständnis
etwas sein, was der Mensch nicht mit irgendwelchen Techniken erreichen kann. Die Schau
Gottes ist Geschenk, unverdientes und nicht verdienbares Geschenk Gottes. Und dies
Geschenk wird von Jesus dem Menschen versprochen, der ein reines Herz hat.
Ist
es möglich ein reines Herz zu haben? Und was ist ein reines Herz? Wenn wir Jesus
ernst nehmen, müssen wir wohl annehmen, dass nur Kinder ein reines Herz haben können.
Jesus sagt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich
eingehen.“ Wir können aber durchaus auch davon ausgehen, dass Jesus realistisch war
in der Beurteilung von Kindern: Auch er wird gesehen haben: Kinder sind von Natur
aus egoistisch. Ihr Instinkt gebietet ihnen, das für sich zu nehmen, was ihnen der
unmittelbare Impuls eingibt. Aber Kinder können schnell lernen. Wenn man sie durch
Wort und Beispiel lehrt, das, was sie haben wollen, zu teilen, dann lernen sie schnell.
Kinder lernen, dass die Anerkennung durch Vater und Mutter ebenso viel wert ist wie
das gewünschte Spielzeug. Kinder sind unmittelbar egoistisch, aber ihr Herz ist so
offen, dass sie leicht lernen. Kinder haben ein formbares Herz, ein Herz, das man
bilden kann. Es ist wie eine Tafel, die man gleichsam beschreiben kann. In diesem
Sinn haben sie ein reines Herz. Es wird nur leider im Lauf des Lebens oft verunreinigt.
Wenn
wir nun aber weiter graben in den Schätzen dieser Seligpreisungen, dann hören wir,
dass Jesus nicht etwa Utopist ist und irreal von Kindern schwärmt. Denn die meisten
Seligpreisungen zeigen: Das Leben ist nicht einfach, es läuft nicht so, wie man es
sich wünscht. Jesus kennt Armut, Hunger, Gewalt, Tränen, Ungerechtigkeit, Unfrieden.
Und er verspricht all denen, die darunter leiden, dass Gott ihr Leiden überwindet,
wegnimmt, ins Gegenteil kehrt. Arme bekommen das Himmelreich, Hungrige werden satt,
Gewaltlose erben das Land, Barmherzige erfahren Barmherzigkeit.
Aber das führt
unsere Aufmerksamkeit auf die Lesung aus der Geheimen Offenbarung, die wir auch gehört
haben. Dort heißt es, dass die Heiligen ihre Kleider im Blut des Lammes gewaschen
haben. Erstaunliches Bild: Kleider waschen im Blut, im Blut des Lammes, das zur Sühne
geschlachtet worden ist. Offenbar war ein Waschen, eine Reinigung nötig. Und nötig
war das Blut eines Geopferten. Ein Geopferter ist einer der Hingegeben ist, der hergegeben
worden ist, der geschenkt wurde, und: der sich selbst geschenkt hat.
Diese
Bilder und Gedanken dürfen uns in der heutigen Zeit durchaus fremd erscheinen. Sie
sind so weit weg von unserer pragmatischen Welt. Sie gehören in eine sakrale Welt,
eine Welt, in der auf jeden Fall Gott herrscht, Gott die erste Geige spielt, Gott
etwas gegeben werden muss. Das Waschen der Kleider im Blut des Lammes sollte unsere
praktische, pragmatische Welt aufreißen. Und sie können uns auch daran erinnern, was
wir leicht vergessen oder verdrängen: Leben ist Kampf, Auseinandersetzung. Leben kostet
das Leben. Wer ganz menschlich, wirklich leben will, muss das Leben loslassen, darf
sein eigenes Leben nicht festhalten. Was für jedes Leben gilt, gilt erst recht für
das Leben eines Christen. Wer sein Leben festhält, wird es verlieren, sagt Jesus.
Und die Menschen in weißen Gewändern, die am Thron Gottes stehen, haben ihr Leben
hingegeben, haben es nicht festgehalten. In der Kraft des Lammes, das geschlachtet
wurde, haben sie es nicht festgehalten. Weil Er, der für uns Geschlachtete sein Leben
gegeben hat, konnten sie es geben.
Ich möchte hier an einen Mann erinnern,
der in unsere Zeit, vor nicht allzu vielen Jahren in diesem Sinne nicht nur geschrieben,
sondern gelebt hat: Pater Alfred Delp. Für ihn wurde als Vordenker immer mehr klar,
die der Mensch nur sich selbst findet, wenn er sich verliert, dass er gleichzeitig
aber nur er selbst sein kann, wenn er Gott in seinem Leben mitspielen lässt und Gott
in die Mitte seines Lebens stellt. In äußerst dichter, konzentrierter Weise bringt
er es auf den Punkt: Gott gehört in die Definition des Menschen. Also: Wenn der Mensch
sich selbst ohne Gott verstehen will, dann wird er sich nie verstehen. Ein Mensch,
der Gott bewusst aus seinem Leben ausschließen will, verliert sein Eigenstes, sein
wahres Ich. Und weil Pater Delp dies gelebt hat in einer gottlosen Diktatur, wurde
er im Gestapo-Gefängnis blutig geprügelt. Seine Kleider wurden im Blut des Lammes
gewaschen. Christsein ist Kampf, Kampf gegen sich selbst und gegen falsche Propheten,
wie man an Pater Delp erkennen kann. Es gibt sie auch heute noch.
Ich betone
dies, weil wir uns vielleicht im Zug der Zeit unbewusst daran gewöhnt haben, zu meinen,
Religion sei primär eine Versenkung in sich selbst, in das All oder das Nichts, Religion
sei Verinnerlichung, Vertiefung, mystische Versenkung, Selbstauflösung ins All hinein
– oder ähnlich. All das mag christliche Religion ja auch sein. Vor allem aber ist
es auch ein Kampf. Davor sollten wir nicht die Augen verschließen. Es handelt sich
zunächst einmal um einen Kampf mit uns selbst oder auch gegen uns selbst. Christlicher
Glaube fordert einen Kampf gegen unseren angeborenen Egoismus. Tatsächlich hängen
wir ja seit der Erbsünde in ungeordneter Weise an uns selbst. Nichts gegen ein normales
Stehen zu sich selbst, nichts gegen eine normale Selbstverteidigung, alles aber gegen
die Versuchung, dass wir uns in uns selbst abschließen. Wenn wir ganze Menschen und
vor allem ganze Christen sein wollen, müssen wir uns zum anderen Menschen hin öffnen,
müssen wir offen sein zum Anderen. Das ist ein Kampf gegen uns selbst. In den letzten
Jahren wurde dies vielleicht da und dort ein wenig vergessen. Christenleben ist
aber auch ein Kampf gegen die gottwidrigen Geister in dieser Welt. Leider gibt es
diese auch heute in großer Zahl. Es sind Vergnügungssucht, Bequemlichkeit, Selbstabsicherung.
Ja es gibt eine Menge böser Hilfsgeister, z. B. Oberflächlichkeit, Dummheit, Gedankenlosigkeit.
Es gibt leider auch Unheilspropheten, die weise zu sein scheinen, in Wirklichkeit
aber die Menschen in die Irre führen. Wir leben mitten unter ihnen. Geschäftswerbung
ist eine großartige Sache. Sie kann ebenso hilfreich sein für den Menschen wie verderblich.
Sie führt uns oft an der Nase herum, macht uns zu dummen Verbrauchern, statt zu weisen,
reifen Zeitgenossen.
Wichtiger: Das Leben ist ein Kampf. Nur wer den guten
Kampf gekämpft hat, erhält den Siegespreis. Nur wer mit Jesus sein Leben eingesetzt
und notfalls hingegeben hat, erhält den Siegespreis.
Darf ich mit einem persönlichen
Bekenntnis schließen. Man fragt mich oft, was für mich die wichtigsten und schönsten
Momente in meinem Leben in Rom gewesen sind. Und man verweist dann auf die Interviews,
die ich mit Papst Benedikt führen durfte. Ich muss verneinen: Sie waren nicht die
bewegendsten Ereignisse. Vielleicht war für mich einer der bewegendsten Augenblicke,
als ich an einem schönen Mittagstisch saß mit der Witwe des Märtyrers Franz Jägerstätter
und mit seinen drei Töchtern. Ich durfte mit der Frau und den Töchtern eines selig
gesprochenen Martyrers unserer Zeit zusammen essen. Das war für mich wirklich sehr
bewegend. Das fand in der österreichischen Botschaft beim Vatikan statt. Er hat sein
Leben nicht festgehalten, sondern gewaschen im Blut des Lammes. Vielleicht hatte er
die Kraft, den Eid auf den Führer zu verweigern, weil er ein reines Herz hatte. In
diesem Herzen wird es unmöglich gewesen sein, auf Hitler zu schwören. Vermutlich weil
er –wie ein Kind – ein reines Herz hatte, konnte er nicht den Kompromiss schließen,
den viele – wenigstens aus Angst, wenn nicht aus Überzeugung – andere geschlossen
hatten. Herr schenke uns ein reines Herz, damit wir den klaren Blick eines Jägerstätters
haben und dann am Ende unseres Lebens Dich schauen können. Amen.