Pöttering: „Wünsche mir von Kirche weniger EU-Kritik“
Der EU-Politiker Hans-Gert
Pöttering (CDU) wünscht sich von der Kirche – auch vom Vatikan – „mehr Unterstützung“
für das europäische Projekt. Die Kirche solle begreifen, welche Chance der Lissaboner
Vertrag auch für sie bedeute, meinte der frühere Präsident des EU-Parlaments in Rom
im Gespräch mit Radio Vatikan. Pöttering hat diese Woche zahlreiche Gespräche im Vatikan
geführt. Hier lesen Sie den Volltext des Interviews; die Fragen stellte Stefan Kempis.
„Das
Entscheidende ist, dass der Vertrag von Lissabon Wirklichkeit wird! Und alle in unserer
katholischen Kirche sollten auch anerkennen, dass dies nicht nur politisch ein großer
Fortschritt ist. Erstmals überhaupt im europäischen Recht werden die Kirchen und Religionsgemeinschaften
in einem Artikel erwähnt und wird auch gefordert (und damit garantiert), dass es einen
Dialog zwischen den Kirchen/Religionsgemeinschaften und den europäischen Institutionen
gibt. Ich hätte mir auch von meiner eigenen, der katholischen Kirche gewünscht, dass
dies sehr viel mehr positiv hervorgehoben worden wäre und dass man nicht nur – wie
wir es in Teilen unserer Kirche sehen – immer Europa und das, was schiefläuft, kritisiert!
Die Politikerinnen und Politiker auch aus unserer Kirche brauchen Ermutigung und nicht
nur Kritik!“
Sie haben vor kurzem beinahe unwirsch zu erkennen gegeben,
dass die Nörgelei von Bischöfen am europäischen Projekt manchmal nervt. In Irland
haben sich kürzlich vor dem zweiten Referendum die Bischöfe nicht deutlich positioniert
– es hat noch nicht einmal dazu gereicht. Ist die Kirche vielleicht institutionell
zu schwerfällig oder zu ängstlich? Ist ein Teil des europäischen Geistes auch aus
der Kirche ausgefahren?
„Also, insgesamt muß man sagen, dass die Kirche
natürlich für die europäische Einigung ist. Dafür steht ja auch der Name Benedikt:
Benedikt XVI. hat ja seinen Namen vom heiligen Benedikt, dem Schutzpatron Europas
– das ist ja schon eine positive Symbolik für die europäische Einigung! Und Johannes
Paul II. war ein großer Europäer, weil ohne ihn die europäische Einigung gar nicht
möglich gewesen wäre. „Solidarnosc“ hat auch dazu beigetragen, dass Deutschland geeint
ist, und ich hoffe, dass meine Landsleute in Deutschland immer erkennen, wie sehr
sie auch die Einheit Deutschlands den Polen verdanken.
Die irische
Bischofskonferenz stand positiv zum Vertrag von Lissabon; dafür bin ich sehr dankbar.
Comece, die Europäische Bischofskonferenz, war positiv – aber ich hätte mir von der
einen oder anderen Stimme auch im Vatikan mehr Unterstützung und weniger Nörgelei,
wie Sie es nennen – weniger Kritik gewünscht. Aber wir Christen hoffen ja, und wir
glauben ja auch an den Heiligen Geist – insofern hoffe ich, dass der Heilige Geist
in Zukunft etwas stärker ist in unserer Kirche!“
Hoffnung auf Papstbesuch
im EU-Parlament
Eine Gelegenheit zu einer Neu-Positionierung des Vatikans
in Sachen Europa könnte ein Auftritt von Papst Benedikt XVI. im Europaparlament sein.
Aber wann? Gibt es da jetzt klarere Signale als vor ein paar Jahren, als noch kein
Besuch des Papstes vor der UNO zustandegekommen war? „Während meiner Zeit als
Präsident des Europäischen Parlaments, also von Januar 2007 bis Juli 2009, habe ich
ja eine Einladung an den Heiligen Vater ausgesprochen. Er hat sich dann nicht in der
Lage gesehen, diese Einladung anzunehmen – was ich bedaure. Aber er wird sicher seine
Gründe haben, und das respektiere ich voll. Ich habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben,
dass vielleicht in Zukunft ein Besuch des Heiligen Vaters möglich wird – doch das
ist dann nicht mehr meine Aufgabe, sondern die meines Nachfolgers Jerzy Buzek, der
eine hervorragende Aufgabe wahrnimmt und es wunderbar macht, bzw. seines Nachfolgers
oder seiner Nachfolgerin. Die Hoffnung haben wir nicht aufgegeben!“
Was
den Dialog mit den Religionsgemeinschaften und Kirchen betrifft, der im Lissaboner
Vertrag vorgesehen ist, hat vor kurzem auf einer Brüssel-Reise der Rottenburg-Stuttgarter
Bischof Gebhard Fürst fast erschrocken gesagt: Da müssen wir uns ja auch nochmal anders
aufstellen als Kirche! Was sollte die Kirche machen – noch eine Lobby in Brüssel gründen?
Davon gibt es allerdings schon einige.... Was sollten die Bischofskonferenzen tun?
„Bischof
Fürst ist ja ein sehr anerkannter Bischof, wie auch sein direkter Vorgänger Kardinal
Kasper, den ich hier in Rom – wie auch Kardinal Tauran und Erzbischof Mamberti, den
„Außenminister“, wie man sagt – getroffen habe. Wenn Bischof Fürst sagt, die katholische
Kirche solle sich noch stärker positionieren, dann begrüße ich das! Aber es verlangt
auch von uns Politikern, dass wir engagiert sind – vielleicht noch stärker als bisher.
Wir sind also nicht nur kritisch gegenüber anderen, sondern auch uns gegenüber...
Mir
geht es darum, dass wir unsere Werte in Europa stärker in den Mittelpunkt stellen:
Das ist die Würde des Menschen, die Menschenrechte, die Würde der Person. Person ist
ja ein christlicher Begriff: verantwortlich für sich selbst und für die Gemeinschaft.
Dieser Begriff hat auch Eingang gefunden in die „Charta der Grundrechte“ und damit
in den Vertrag von Lissabon. Dazu gehört die Freiheit, die Demokratie, die Solidarität,
auch die Subsidiarität und der Frieden – das sind alles auch christliche Werte! Ich
wünsche mir, dass die Politik und die Kirchen (nicht nur die katholische, sondern
die Kirchen in Europa insgesamt) diese Werte stärker verkörpern. Denn diese Europäische
Union ist nicht nur eine Wirtschaftsunion, obwohl auch das wichtig ist, sondern eine
Union, die sich auf Werte gründet. Das sollten wir, Kirche und Politik, gemeinsam
stärker betonen!“
„Für Kirchen in Saudi-Arabien eintreten!“
Worum
ging es in diesen Tagen in Ihren Gesprächen im Vatikan?
„Es ging natürlich
auch um den Dialog der Kulturen. Wie können wir es schaffen, mit der islamischen Welt,
dem Judentum und den Orthodoxen in ein besseres Verhältnis zu kommen? Insbesondere
ist es natürlich wichtig, dass wir mit der arabischen und der islamischen Welt in
Frieden leben – aber das bedeutet nicht nur, dass wir Toleranz
üben, dass wir Moscheen und Gebetshäuser bauen in Europa. Ich
bin durchaus dafür, aber wir müssen aber auch darauf bestehen, dass es christliche
Kirchen in der arabischen Welt gibt und dass die Christen in der arabischen Welt ebenso
ihren Glauben leben können, wie das in Europa der Fall ist. Wir wissen: In einigen
Ländern ist das möglich. Ich habe z.B. im letzten Jahr Oman besucht; dort gibt es
christliche Gemeinschaften, die ihren Glauben leben können; es gibt Kirchen. Es gibt
noch andere arabische Länder, in denen das ebenfalls der Fall ist, doch in Saudi-Arabien
gibt es nicht eine christliche Kirche! Hier sollten wir fordern, dass die Dinge sich
bewegen. Das braucht natürlich Zeit, aber wir müssen auch für unsere Werte eintreten!“
Glauben
Sie, dass es im Vatikan eine Präferenz gibt, wer EU-Ratspräsident werden sollte bzw.
lieber nicht?
„Da will ich mir den Kopf des Vatikans nicht zerbrechen. Positionen
in der Europäischen Union sind natürlich wichtig, aber sie sind nicht das Entscheidende.
Wichtig ist, dass wir die Institutionen haben! Der große Jean Monnet, einer der Gründungsväter
der europäischen Idee und der Europäischen Gemeinschaft, heute die Europäische Union,
hat einmal gesagt: Nichts ist möglich ohne die Menschen – nichts ist dauerhaft ohne
die Institutionen! Wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, nachdem der Präsident
Tschechiens hoffentlich unterschrieben hat, werden wir einen Präsidenten des Europäischen
Rates haben. Es gibt hinreichend geeignete Persönlichkeiten, so dass ich zuversichtlich
bin, dass dann die Aufgabe, die ein solcher Präsident zu erfüllen hat, auch gut erfüllt
wird.“