D: Zollitsch würdigt „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“
Der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, würdigt die Gemeinsame Erklärung
zur Rechtfertigungslehre, die vor zehn Jahren in Augsburg unterzeichnet wurde. Im
Gespräch mit Stefan Kempis meinte der Freiburger Erzbischof:
„Es ist zweifellos
einerseits ein Meilenstein und ein Durchbruch – ja, ich möchte fast sagen: ein Mutationssprung.
Denn es ist uns damals gelungen, gerade in der Rechtfertigungslehre, die ja der Haupt-Anlass
der Trennung im Blick auf Martin Luther war, eine gemeinsame Stellung zu finden und
auch verständlich zu machen, worum es wirklich geht – nämlich, dass wir in Jesus Christus
von Gott angenommen sind ohne unser Verdienst, und Gott hat uns unwiderruflich seine
versöhnende Hand entgegengestreckt – das ist wirklich etwas Großes und Wichtiges.
Natürlich sind damit nicht alle Fragen geklärt; vor zehn Jahren haben wir schon gewußt,
dass weitere Fragen noch anstehen, wie etwa: Wie geht es im Bereich des Kirchenverständnisses
weiter? Wie verständigen wir uns, nähern wir uns an im Amtsverständnis, und wie ist
es mit dem Verständnis der Sakramente? Diese Fragen stehen an, wie schon vor zehn
Jahren – und vielleicht haben wir tatsächlich zu wenig getan, um das Gespräch fortzuführen.
Insofern ist solch ein Anlaß, dass wir auf zehn Jahre zurückschauen, natürlich auch
ein Anlaß, um diese Fragen erst recht neu anzugehen.
Natürlich hat
es auch in der Zwischenzeit Schwierigkeiten gegeben; diese Verständigung erfolgte
ja mit den Theologen der lutherischen Kirchen und nicht mit allen protestantischen
Kirchen, so dass in Deutschland auch in Theologenkreisen Einwürfe und Einsprüche kamen;
manchen sind doch noch nicht alle Fragen zur Genüge geklärt. Aber aus meiner Sicht
war es ein wichtiger Meilenstein und ein wichtiger Schritt, der uns nach vorne geführt
und auch Vertrauen geschaffen hat. Und seit dieser Zeit ist das Gespräch mit den evangelischen
und methodistischen Kirchen doch um vieles einfacher und selbstverständlicher geworden!
Manchmal entdecke ich bei großen ökumenischen Versammlungen, dass Lutheraner und Methodisten
sehr stark auf uns Katholiken zukommen, weil sie doch spüren: In vielem sind wir doch
näher als zu anderen Konfessionen...“
Die Frage Martin Luthers „Wie schaffe
ich mir einen gnädigen Gott“ war damals so etwas wie der Urknall der Reformation –
aber das, was damals die Kirchenspaltung bestimmte, nämlich die so genannte Rechtfertigungslehre,
ist heute für viele Christen kaum noch verständlich an der viel beschworenen Basis.
Da sagt mancher: Ja gut, hat uns das denn überhaupt noch getrennt?
„Sie
fragen mit Recht, was etwa für uns Katholiken die Rechtfertigungslehre bedeutet. Es
ist ja auch ein Begriff, der bei uns in der katholischen Kirche sehr wenig gebraucht
wird; wir sprechen dann eher von Gnade, von Vergebung, von Annahme durch Gott. Da
ist tatsächlich auch das Lebensgefühl der Katholiken – und ich möchte sagen, vieler
Protestanten – weit darüberhinaus gekommen, als dass diese Kernfrage Martin Luthers
„Wie finde ich einen gnädigen Gott“, wirklich und tatsächlich kirchenspaltend wäre.
Natürlich haben wir erlebt, dass natürlich im Lauf dieser vierhundert Jahre die Kirchen
leider nicht zusammengewachsen sind, sondern die Trennung noch deutlicher sichtbar
wurde und dass wir uns dann auch in anderen Teilen – Kirchenverständnis, Amtsverständnis,
Sakramentenverständnis – auseinandergelebt haben und nicht aufeinander zugegangen
sind.
Gerade vor zehn Jahren war das ein großer Schritt, aufeinander
zuzugehen und das Gemeinsame zu suchen – und in der Frage einer Konsensökumene nicht
nachzulassen, sondern wirklich weiterzugehen. Und da bedarf es, meine ich, eines neuen
Anstoßes. Ich bin froh, wenn unsere Basis auf katholischer wie evangelischer Seitesagt:
Nein, die Rechtfertigungslehre – das ist heute nicht mehr der Casus knaxus!“
Es
gibt auch kritische Stimmen zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre – die
sagen in etwa: Da hat sich Rom durchgesetzt; die haben verschwiegen, was alles noch
nicht erreicht wurde, um einen Formelkompromiß zu schließen, und der wurde noch nicht
einmal richtig in der katholischen Kirche rezipiert. Wie steht es denn bei uns mit
der Rezeption dieser Erklärung zur Rechtfertigung?
„Es ist ja klar, dass
von katholischer Seite diese Erklärung vom Päpstlichen Rat für die Förderung der Einheit
der Christen unterschrieben worden ist, vom Kardinal, der dafür zuständig ist, und
damit ist sie von katholischer Seite offiziell als Grundlage anerkannt – es braucht
da keine weiteren Anerkennungen mehr! Aber natürlich die Frage der Umsetzung und der
Rezeption in der Breite der Theologie... die konnte aber auch in diesen zehn Jahren
noch nicht genügend geschehen. Da ist noch eine ganze Reihe von Fragen offen, die
ich auch schon genannt habe.
Man kann natürlich auch umgekehrt sagen:
Ich spieße mal alles auf, wo wir uns noch nicht bis zum Letzten einig sind! Das wäre
für mich notwendig für das theologische Gespräch, das dort zu klären – aber immerunter dem Vorzeichen, dass wir das Gemeinsame sehen und von dort auch schauen,
ob nicht viele Punkte nicht auch einfach Frage der Begrifflichkeit, der Terminologie,
sind, weil wir natürlich im Lauf von vierhundert Jahren auch in der Theologie verschiedene
Verständnisse und Begriffe entwickelt haben. Und da müssen wir uns tatsächlich annähern.
Ich habe nicht den Eindruck, dass die katholische Kirche sich da „durchgesetzt“ hat
und die evangelische „untergegangen“ wäre: Wir haben auf gleicher Augenhöhe miteinander
gesprochen und auf gleicher Augenhöhe das Eigene eingebracht, das Gemeinsame festgestellt!
Es
ist richtig: Das, was noch nicht aufgearbeitet ist, steht noch an. Wir sollten den
Mut haben, da dranzubleiben und, wo wir nicht genügend dran sind, nochmals dranzugehen.
Das scheint mir auch die Position von Kardinal Kasper, dem Präsidenten des Einheitsrates,
zu sein.“