2009-10-27 11:36:46

Vatikan/USA: Meldungen und Hintergründe


Die Öffnung des Vatikans hin zu traditionellen Anglikanern hat vor allem in den USA zu einer Debatte in den Zeitungen geführt: Es ist der dortige Zweig der Anglikaner namens „episcopal church“, die mit liberalen Öffnungen zu einer Zerreißprobe innerhalb der anglikanischen Weltgemeinschaft geführt hat. Die „New York Times“ deutet die Papst-Entscheidung als Hinweis, dass Benedikt die Kräfte der Christen vereinen will, um vor allem gegen den Islam und dessen Wachstum auf dem afrikanischen Kontinent vorzugehen. In Afrika dominieren traditionellere Spielarten des anglikanischen Bekenntnisses, deren längerfristige Allianz mit den Katholiken zumindest nicht unvorstellbar ist; ihr Wortführer ist der nigerianische Erzbischof Peter Akinola. Allerdings hat am letzten Wochenende die traditionelle Gruppe „Global South“, die für fast die Hälfte der Anglikaner steht, dafür plädiert, das römische Werben zunächst einmal zu ignorieren und lieber zu versuchen, die Anglikaner von innen her auf Kurs zu halten. – Die „Washington Post“ sieht in Benedikts Entscheidung hingegen ein Zeichen, dass der Papst gar nicht so konservativ sei, wie oft behauptet werde: Durch sein Entgegenkommen gegenüber anderen habe er die Dinge bei den Anglikanern in Bewegung gebracht.

Auch in der letzten Enzyklika des Papstes, „Caritas in veritate“ (deren Rezeption ausgesprochen zögerlich verläuft), sehen Kenner ein erstaunliches ökumenisches Entgegenkommen des Papstes – diesmal gegenüber den Protestanten. Vatikan-Kardinal Paul Josef Cordes weist im Gespräch mit FAZ-Korrespondent Jörg Bremer darauf hin, dass Protestanten anders als Katholiken nie von „Soziallehre“ sprächen; sie orientierten sich mehr an der Bibel und sprächen von „Sozialethik“. Das habe Benedikt in seiner Enzyklika – zu deren „Gegenlesern“ Cordes zählte – in gewisser Weise nachvollzogen. Der Papst stelle in dem Text „die überkommene katholische Soziallehre vom Kopf auf die Füße des Glaubens“; als Theologe habe er dafür gesorgt, die Soziallehre, die sich bisher viel mit naturrechtlichen Prinzipien beschäftigt habe, ins Innere des Glaubens zu ziehen und mit Gottes Wort in Beziehung zu setzen. Diese neue Perspektive sehe den Menschen nicht mehr als „Objekt“, sondern als „Akteur“, „weil er Christus erkennen kann“. Eine Art „Umkehr in der katholischen Soziallehre“, schreibt die FAZ – und eine Annäherung an protestantische Sichtweisen.

Wenige Tage nach der Veröffentlichung von „Caritas in veritate“ konnte der Papst dem neuen US-Präsidenten Barack Obama eine Kopie des Textes im Vatikan in die Hand drücken. Das Verhältnis des Vatikans zu Obama ist auch ein Dreivierteljahr nach dessen Amtseid immer noch zwiespältig; auf der einen Seite stehen vorsichtige Würdigungen des Präsidenten durch den früheren päpstlichen Haustheologen Kardinal Georges Cottier oder den „Osservatore Romano“ (und übrigens auch durch zahlreiche afrikanische Bischöfe auf der jüngst zu Ende gegangenen Bischofssynode zu Afrika im Vatikan); auf der anderen Seite ist ein gerüttelt Maß Skepsis zu beobachten, besonders was Obamas Haltung zu Lebensschutz und Abtreibung betrifft. Der Papst selbst machte das deutlich, als er dem Präsidenten ein Vatikan-Dokument über Bioethik zur Lektüre schenkte. Die italienische Zeitschrift „Radici Cristiani“ veröffentlichte in ihrer Oktober-Ausgabe nun eine vernichtende Obama-Analyse, die auf der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften am 1. Mai dieses Jahres im Vatikan vorgetragen worden sei. Sie stammt aus der Feder des emeritierten Löwener Professors für Politische Philosophie und Zeitgenössische Ideologien, Mons. Michel Schooyans. Titel: „Obama und Blair, der neuinterpretierte Messianismus“.

Schooyans wirft Obama nicht nur – auf einer Linie mit den meisten US-Bischöfen – „Zweideutigkeiten in seinen Äußerungen zur Abtreibung“ vor: Der Präsident habe geradezu „das Recht eingeführt, einige Menschenwesen“ (nämlich die Ungeborenen) „zu diskriminieren und zu selektieren“: „In seiner vorgeburtlichen Version ist in den USA der Rassismus wieder eingeführt worden.“ Die USA seien unterwegs „in den Totalitarismus“; Obamas „Messianismus“ werde weltweit zu einem Anstieg der Abtreibungszahlen führen, und jetzt, wo Obamas Wille „Quelle des Rechts“ sei, werde er auch „andere subjektive Rechte“ stärken, nämlich „Euthanasie, Homosexualität, Drogen usw.“. „Bei diesen Programmen kann Obama auf die Hilfe des Ehepaars Tony Blair und Cherie Booth setzen. Der vom früheren britischen Premier gegründete Think Tank namens „Tony Blair Faith Foundation“ will nämlich die großen Religionen wiederbegründen, so wie sein Kollege Barack Obama die Weltgesellschaft neu aufbauen will.“ Blair war nach seinem Ausstieg aus der Spitzenpolitik vom anglikanischen zum katholischen Bekenntnis seiner Frau übergetreten. Nun ist er als erster Präsident des Europäischen Rates im Gespräch. Schooyans wirft Blairs Stiftung vor, die „neuen Rechte“ ausbreiten zu wollen „und sich zu diesem Zweck der Weltreligionen zu bedienen, die ihren neuen Aufgaben angepasst werden“. Ein neuer, politisch korrekter „Glaube“ solle „über allen Religionen stehen, als einigendes Band der Weltgesellschaft“. Genau besehen, sei Blairs „Bekehrung“ nicht zum Nennwert zu nehmen: „Ist er überhaupt katholisch?“ Blair stehe für einen „Deismus“ und dafür, „dass die bürgerliche Macht definiert, was jemand glauben soll“; das erinnere „eindeutig an die Geschichte des Anglikanismus“. „Inspirateurin der mondialistisch-synkretistischen Ideologie ihres Mannes“ sei Cherie Blair. Die Katholiken sollten sich gegen die Instrumentalisierung der Religion und gegen einen heraufziehenden „politisch-juridischen Terrorismus“ wehren, mahnte der Monsignore seine Zuhörer im Vatikan.

Von Stefan Kempis, Radio Vatikan

(rv 27.10.2009 sk)









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