D: „Zu schön, um nicht wahr zu sein“ – „Die Päpstin“ im Kino
Über Jahrhunderte
hat sie sich hartnäckig gehalten: Die Legende über eine Frau auf dem Petrusstuhl,
die Päpstin Johanna. Seit dem 13. Jahrhundert stricken Chronisten und Literaten an
ihrer Legende und fügen immer wieder neuen Stoff hinzu. In dieser Woche ist erstmals
ein Film über die Päpstin in den Kinos angelaufen. Der deutsche Regisseur Sönke Wortmann
hat die Geschichte nach dem gleichnamigen Bestsellerroman von Donna W. Cross verfilmt.
Aber was ist eigentlich der historische Kern dieser Legende? Ein Beitrag von Antje
Dechert
„Ihre Identität war ein Geheimnis, ihre Existenz ein Rätsel, ihr
Leben wurde zur Legende. Die unglaubliche Reise einer Frau, die vor über 1000 Jahren
begann.“
So der Filmtrailer über die Päpstin Johanna. In Wortmanns Film
wird sie als Tochter eines Dorfpriesters in Ingelheim geboren. Bildungshungrig, begabt
und burschikos schleicht sie sich im frauenfeindlichen Klima des neunten Jahrhunderts.
Von dort aus startet Johanna – alias Bruder Johannes – eine kirchliche Traumkarriere:
Ordensmann, Heiler und schließlich Papst. Der ideale Stoff für einen Film – meint
der Wiener Kirchenhistoriker, Rupert Klieber:
„Die Geschichte ist einfach
zu schön, um nicht wahr zu sein. Und das ist ja sicherlich auch sehenswert, ein versuch
in die Zeit zu blicken, aber es ist einfach eine Legende, es ist ein Märchen und mehr
kann man fast nicht dazu sagen.“
Eine Frau, die sich in Männerkleidung
in gesellschaftliche Positionen vorwagt, die ihrem Geschlecht normalerweise nicht
zugänglich sind – das ist ein typisches Motiv vieler Legenden, wie sie oft in Epochen
vorkommen, in denen überwiegend Männer das Sagen haben. Varianten des Päpstinnen-Stoffes
gibt es auch in anderen Glaubenstraditionen, erklärt Kirchenhistoriker Klieber.
„Es
gibt auch zum Beispiel eine Legende, eine Frau habe es geschafft, Patriarchin von
Konstantinopel zu werden und vieles mehr oder eben auch die Yentl-Geschichte: Einer
Frau gelingt es, Rabbiner zu werden, obwohl das eigentlich nicht geht.“
Überliefert
ist die Mär von der Frau auf dem Papstthron seit dem 13. Jahrhundert, und das in verschiedenen
Varianten. Zunächst berichten Chronisten von einer namenlosen Päpstin, die im 11.
Jahrhundert amtiert haben soll. Der Dominikaner-Mönch Martin von Troppau schließlich
spricht in seiner Chronik 1277 erstmals von einer Johanna, die angeblich im 9. Jahrhundert
als Johannes Anglicus zum Papst gekrönt wurde. – Warum aber tauchten ausgerechnet
damals erste Berichte über die Päpstin auf? Historiker Klieber:
„Die großen
Scholastiker haben damals begonnen, Wissen systematisch zu sammeln, das gesicherte,
aber auch das legendäre. So sind auch Papstfabeln und Papstlegenden mit in die Geschichtsschreibung
mit hinein gewoben worden. Man wollte möglichst vollständige, möglichst umfangreiche
und auch erschöpfende Chroniken aufstellen können.“
Mit der hochmittelalterlichen
Scholastik formte sich auch das Kirchenrecht aus und wurde nach und nach in Gesetzesform
gegossen. In diesem geistigen Umfeld finden sich stichhaltige Motive für die Erfindung
einer Päpstinnen-Legende, erklärte Klieber. Sie könnte einfach als Lehrexempel gedient
haben, mit dem Kirchenrechtler den theologischen Supergau durchspielten:
„Was
ist, wenn es einen trifft, der gar nicht papstfähig ist, wenn er nicht getauft, eine
Frau oder häretisch ist? Kann der- oder diejenige dann legitim Papst werden, oder
nicht? Das waren damals so Diskussionsfragen.“
Fast drei Jahrhunderte lang
nahmen die Päpste die sage von Johanna von Ingelheim für bare Münze. Gelegen kam sie
auch vielen protestantischen Führern in der ersten heißen Phase der reformation, so
Klieber, „als Beweis für die Verkommenheit des Papsttums oder welche Unfälle es
da auch immer gab oder gar als Unterbrechung der Sukzessionsreihe.“
Zweifel
an der Echtheit der Päpstin kamen schon in der frühen Neuzeit auf. Nach ausgiebigen
Studien sind sich selbst vatikankritische Historiker heute einig: Die Päpstin ist
reine Efindung. Sönke Wortmanns Film folgt da freilich einer anderen These: Die römische
Kurie habe Johannas Namen aus dem Verzeichnis der Päpste, dem Liber Pontificalis,
gelöscht. Eine Verschwörungstheorie, die laut Klieber keinen Sinn macht:
„Die
Legende stand ja schon fast vier Jahrhunderte in allen offiziellen Kirchengeschichtsbüchern.
Niemand hätte das löschen können, in dem Sinn, dass man ein solches Pontifikat völlig
vergessen macht. Das heißt die Legende war ein geläufiges Traditionsgut, das man aber
ab einem gewissen Zeitpunkt als legendär erkannt hat und deshalb auch aus der professionellen
Geschichtsschreibung wieder hinausgenommen hat.“
Die Päpstin nährte auch
weitere Legenden, etwa die von dem Papststuhl mit dem Loch in der Mitte. Durch dieses
sei nach jeder Papstwahl die Männlichkeit des Kandidaten befühlt und sichergestellt
worden. Ganz richtig ist auch das nicht erklärt der Kirchenhistoriker:
„Es
gab da so ein Ritual, dass der zu krönende Kandidat hintereinander auf mehrere Stühle
gesetzt worden ist: erst einmal auf einem ganz niedrigen, despektierlichen Stuhl –
einen Kotstuhl eigentlich, der unten eine Öffnung für die Ausscheidungen hatte –,
um die Niedrigkeit der Ausgangslage anzusteigen und dann erst auf Porphyrstühle und
schließlich den Papstthron gesetzt wurde. Also dieses Erheben aus dem Nichts sollte
damit rituell hier angedeutet werden. Und das hat offenbar Phantasien und Assoziationen
ausgelöst als müsste bei diesem Kotstuhl überprüft werden, ob das überhaupt ein Mann
ist.“
Zurück zum Film: Gut unterhalten mag der Historienschinken trotz
mangelnder Historizität. Und ein nach wie vor aktuelles Thema verweist die Päpstin
allemal – die Rolle der Frau in der katholischen Kirche.
(Das Interview mit
Rupert Klieber führte Johannes Tanzler von Radio Stephansdom.)