„Im Markus-Evangelium
von diesem Sonntag kommen Jakobus und Johannes zu Jesus und bitten ihn um Kabinettsposten.
Bei Matthäus ist es die Mutter, die die Söhne gerne als Minister sähe.“ So beginnt
der Jesuit Oskar Wermter seine aktuelle Betrachtung zum Sonntag für Radio Vatikan.
Seine Fragen und Denkanstöße sind geprägt von der Realität Simbabwes, er lebt dort
seit mehreren Jahrzehnten. Über das Evangelium vom 29. Sonntag im Jahreskreis sagt
Wermter: „Ein hochpolitischer Text“ Eine sehr menschliche Szene, möchte
man meinen, besonders von meiner afrikanischen Perspektive aus. Mit Ministerposten
kauft sich der Präsident die Loyalität seiner wichtigsten Anhänger, sie werden zu
seinen Kreaturen und abhängig von ihm. Jesus spielt nicht dieses Spiel und er nimmt
den Vorfall nicht leicht. Offensichtlich haben die zwei noch nicht viel verstanden.
Das Reich Gottes, die Gottesherrschaft, die Jesus verkündet, hat ganz andere Spielregeln.
Es geht Jesus nicht um die Macht im üblichen Sinne, etwa darum die Mächtigen vom Thron
zu stoßen und sich selber darauf zu setzen, was das übliche, im Grunde genommen monotone
Spiel durch die Jahrhunderte und Jahrtausende gewesen ist, sondern er wollte Macht
und Autorität selber völlig verwandeln und auf den Kopf zu stellen. Bei unserem
autoritären Regime hier in Simbabwe, im südlichen Afrika, wird jede unabhängige Kraft
mit Argwohn angesehen, weswegen die Frage nach der Rolle der Kirche in der Politik
hier sehr brisant ist. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich Journalisten und diversen
Reportern auf diese Frage Antwort geben musste. Selbstverständlich hat die Kirche
etwas zu Politik zu sagen, auch wenn sie selber als Kirche, etwa durch ihre Hirten
und Seelsorger, nicht nach Macht und Positionen der Macht strebt. Die Antwort Jesu
an die Jünger ist ein hoch-politischer Text, mit dramatischen Folgen für die Politik,
würde man ihn wirklich verstehen und ernst nehmen. „Ihr wisst, dass die, die als
Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die
Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß
sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der
Sklave aller sein.” (Markus 10, 42-44) Kirche als Gegenkultur „Bei euch
aber soll es nicht so sein.“ Das ist wie ein Paukenschlag! Er gilt aber gar nicht
den bösen Politikern und ihren ehrgeizigen Anhängern, sondern der Kirche. „Bei euch“:
Die Kirche soll das Reich Gottes bereits vorwegnehmen und jedenfalls im Ansatz darstellen,
soweit das der Kirche, die bekanntlich die „Kirche der Sünder“ ist, möglich ist.
Die Kirche darf also nicht ein Abklatsch des Staates sein und wie ein Machtapparat
funktionieren, sondern muss eine Art Gegenkultur sein und glaubhaft darstellen, dass
es möglich ist, das Leitungsamt als Dienst auszuüben. Das ist nicht nur notwendig,
wenn die Kirche wirklich Kirche, Leib Christi und Volk Gottes sein will, es ist auch
ein Zeugnis, das die Kirche der Welt und globalen Öffentlichkeit schuldet. In
unserer Gemeinde, einer Arbeiter- oder vielmehr Arbeitslosen-Gemeinde in Mbare/Harare,
halten wir zurzeit die Wahlen für den Pfarrgemeinderat ab. Die Leute kennen sich mit
Wahlen aus. Die letzte, die Wahl des Staatspräsidenten 2008, endete blutig. Manch
einer in der Gemeinde wurde blutig geprügelt von den Schlägertrupps der so genannten
„herrschenden Partei“. Die Sache ist keineswegs ausgestanden. Die Wunden sind noch
da. Da ist noch viel Bitternis in den Herzen. Die Leute kennen ihre Feinde. In
einer Hinsicht sollen unsere Wahlen innerhalb der Kirchengemeinde anders sein, einen
echten Kontrast bieten: Niemand darf für sich selber werben. Ehrgeizige sind ipso
facto disqualifiziert. Nur die, die von anderen vorgeschlagen worden sind, sich aber
selber nicht vorgeschoben haben, sind wählbar. Und was ist der tiefste Grund,
warum die Gemeinde Jesu, die Kirche Gottes, anders sein und einen Kontrast bieten
muss? Weil Jesus anders ist. „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um
sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld
für viele.“ (Markus 10,45) Dienen – was heißt das? Er ließ sich von den
Menschen, den Armen und Geplagten, den Kranken und Besessenen, gebrauchen. Er war
nicht mehr Herr seiner Zeit. Sie belagerten ihn mit ihren Bitten und Wünschen, Nöten
und Krankheiten, bis zur Erschöpfung. So geht es einem Dienenden, er ist nicht mehr
Herr seiner selbst, seiner Zeit, seiner Kraft. Es gehört anderen. „Jesus ging
in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht
einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf
den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“ (Markus
3,20-21) Nur Markus berichtet diese anstößige Bemerkung. Die Armen und Bedürftigen,
die Kranken, die Obdachlosen und Verwahrlosten, die ehrlichen Bittsteller und die
nicht immer so ehrlichen professionellen Bettler, die unser Pfarrhaus belagern, können
außerordentlich zäh und unnachgiebig sein. Ich kann die Verwandten Jesu gut verstehen,
die ihn vor diesen Plagegeistern schützen wollten. Paulus, der Christus „angezogen“
hat, spricht von dem „täglichen Andrang“ und der „Sorge für alle Gemeinden“ des Apostels.
(2 Kor 11,28). „Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag
für Tag erneuert“ (2 Kor 4,16), sagt er im zweiten Korintherbrief. Jesus „diente“
auch in einer anderen Hinsicht. Er konnte sehr wohl mit Gelehrten diskutieren, aber
er predigte den Armen, das heißt den Normalbürgern, in ihrer Sprache, mit Bildern
aus ihrer Vorstellungswelt, er verlangte nicht, dass sie zu seinem Niveau heraufklettern.
Er verachtete sie nicht – wie die Schriftgelehrten – als ungebildet und roh. Er sprach
in Gleichnissen aus ihrer Welt der Landwirtschaft, des Fischfangs, des Haushalts,
des Handels, und familiärer Sitten zu ihnen. Er passte sich ihnen an, war ihnen auch
als Lehrer zu Diensten. Der Missionar erinnert sich an seine eigenen Plagen mit
fremden Sprachen und ungewohnten Vorstellungswelten, seinen eigenen unbeholfenen Versuchen
sich anzupassen, über die die Leute nur deshalb nicht lachen, weil sie zu höflich
und gut erzogen sind. So hat Jesus schon durch die aufreibende Arbeit und Sorge
um die Menschen sein „Leben dahingegeben“. Diese Lebenshingabe findet ihre Vollendung
in dem Zusammenstoß mit der geballten Kraft der Sünde in der Welt, die ihn hinwegrafft,
in seinem Leiden und Tod. Jesaja spricht davon in der ersten Lesung von morgen.
„Er lädt ihre Schuld auf sich“ (Jes 53,11). Kardinal Newman spricht davon, dass Jesus
diese Last nicht etwa leichter tragen konnte wegen seiner Göttlichkeit und seinem
göttlichen Wissen, sondern dass im Gegenteil seine Heiligkeit und Nähe zum Vater
und Einheit mit dem Vater ihn unendlich sensibilisierte für das Böse und die Sünde,
die ihn umsomehr schmerzt, als uns Dickhäuter; dass seine vom Geiste erleuchteten
inneren Augen ihn das Grauen der Sünde viel genauer sehen und erfassen lassen, und
so die Last der Sünde unendlich schwerer auf ihm lastet als etwa auf uns mit unserem
sehr oberflächlichen Sündenbewusstsein. Die Lesung aus dem Hebräerbrief sagt, dass
„er wie wir in allem in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr
4,15). Auch diese Last hat er getragen. Kupferstiche und frühe Photographien des
19. Jahrhunderts zeigen uns europäische Reisende, Kolonialbeamte, Kaufleute, auch
Missionare, die in Sänften getragen werden, während afrikanische Diener und Sklaven
schwere Lasten schleppen. Jesus war so ein Lastenträger, so ein Diener und Sklave. Führung
heißt Verantwortung Die Jünger und Jüngerinnen Jesu können eigentlich nichts
anderes sein. Gewiss gibt es Autorität und Führungsaufgaben in der Kirche. Das heißt
zunächst einmal Verantwortung und Sorge um das Wohl aller. Das haben so viele in
unseren Führungsschichten, den so genannten „Eliten“, noch nicht begriffen. Für allzu
viele ist ein Ministeramt oder sonstige politische Verantwortung Zugang zu Reichtum
und Wohlstand, Sicherheit und Prestige. Freilich, Korruption gibt es nicht nur
in Harare und Kinshasa, Nairobi und Lagos, sondern, vielleicht besser verkleidet,
auch in Washington und London, Berlin und Paris. Und Raubritter gab es nicht nur
im Mittelalter, die gibt es in den Chefetagen der Banken, wie sich herausgestellt
hat, auch heute noch. Deswegen ist das Gelübde der Armut, wenn es denn wirklich
gelebt wird, so absurd es auch dem Zeitgenossen klingen mag, ein notwendiges Zeugnis
und ein Zeichen des Widerstands gegen den Götzendienst des Reichtums und der Macht. Afrika
wartet In diesen Tagen geht die zweite Afrikanische Bischofssynode in Rom zu
Ende. Ihr Thema war „Die Kirche in Afrika im Dienst an Versöhnung, Gerechtigkeit
und Frieden“. In der Tat warten die Christen und alle Menschen guten Willens in Afrika
auf ein klares Wort, ein Wort der Wahrheit, denn Wahrheit ist Mangelware in Afrika,
angesichts des Medienmonopols diktatorischer Regime, die schamlos ihre Lügenpropaganda
verbreiten können. Wahrheit kommt vor Versöhnung. Versöhnung muss auf Wahrheit,
auf ehrlichen Eingeständnissen von Sünden und Verbrechen gründen. Aber Worte allein
tun es nicht. Sie müssen auf Taten, auf Lebenswirklichkeit, auf gelebter Gerechtigkeit
gründen. Deswegen ist die Arbeit der Ordensfrau in einem Buschkrankenhaus genauso
wichtig wie der Hirtenbrief des Bischofs. Die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern
auf eine wirklich dienende Kirche hin wird genauso wichtig sein wie die mit Sehnsucht
erwarteten klärenden Worte des Papstes und der Bischöfe für ein neues Afrika. Christen
sollten daran erkennbar sein, dass sie den Dienst suchen, nicht die Karriere, die
„Taufe“, mit der Jesus getauft worden ist, nicht das „Sitzen zu seiner Rechten oder
Linken“. So hat Jesus Jakobus und Johannes belehrt. Wir haben noch nicht ausgelernt. Oskar
Wermter SJ (rv 17.10.2009 bp)