2009-10-17 10:55:37

Sonntagsbetrachtung: „Ehrgeiz und Macht“


RealAudioMP3 „Im Markus-Evangelium von diesem Sonntag kommen Jakobus und Johannes zu Jesus und bitten ihn um Kabinettsposten. Bei Matthäus ist es die Mutter, die die Söhne gerne als Minister sähe.“ So beginnt der Jesuit Oskar Wermter seine aktuelle Betrachtung zum Sonntag für Radio Vatikan. Seine Fragen und Denkanstöße sind geprägt von der Realität Simbabwes, er lebt dort seit mehreren Jahrzehnten. Über das Evangelium vom 29. Sonntag im Jahreskreis sagt Wermter:
„Ein hochpolitischer Text“
Eine sehr menschliche Szene, möchte man meinen, besonders von meiner afrikanischen Perspektive aus. Mit Ministerposten kauft sich der Präsident die Loyalität seiner wichtigsten Anhänger, sie werden zu seinen Kreaturen und abhängig von ihm.
Jesus spielt nicht dieses Spiel und er nimmt den Vorfall nicht leicht. Offensichtlich haben die zwei noch nicht viel verstanden. Das Reich Gottes, die Gottesherrschaft, die Jesus verkündet, hat ganz andere Spielregeln. Es geht Jesus nicht um die Macht im üblichen Sinne, etwa darum die Mächtigen vom Thron zu stoßen und sich selber darauf zu setzen, was das übliche, im Grunde genommen monotone Spiel durch die Jahrhunderte und Jahrtausende gewesen ist, sondern  er wollte Macht und Autorität selber völlig verwandeln und auf den Kopf zu stellen.
Bei unserem autoritären Regime hier in Simbabwe, im südlichen Afrika, wird jede unabhängige Kraft mit Argwohn angesehen, weswegen die Frage nach der Rolle der Kirche in der Politik hier sehr brisant ist. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich Journalisten und  diversen Reportern auf diese Frage Antwort geben musste. Selbstverständlich hat die Kirche etwas zu Politik zu sagen, auch wenn sie selber als Kirche, etwa durch ihre Hirten und Seelsorger, nicht nach Macht und Positionen der Macht strebt.  Die Antwort Jesu an die Jünger ist ein hoch-politischer Text, mit dramatischen Folgen für die Politik, würde man ihn wirklich verstehen und ernst nehmen.
„Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht  über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.”  (Markus 10, 42-44)
Kirche als Gegenkultur
„Bei euch aber soll es nicht so sein.“ Das ist wie ein Paukenschlag! Er gilt aber gar nicht den bösen Politikern  und  ihren ehrgeizigen Anhängern, sondern der Kirche. „Bei euch“: Die Kirche soll das Reich Gottes bereits vorwegnehmen und  jedenfalls im Ansatz darstellen, soweit das der Kirche, die bekanntlich die „Kirche der Sünder“ ist,  möglich ist.  Die Kirche darf also nicht ein Abklatsch des Staates sein und  wie ein Machtapparat funktionieren, sondern muss eine Art Gegenkultur sein und glaubhaft darstellen, dass es möglich ist, das Leitungsamt als Dienst auszuüben.  Das ist nicht nur notwendig, wenn die Kirche wirklich Kirche, Leib Christi und Volk Gottes sein will, es ist auch ein Zeugnis, das die Kirche  der Welt und globalen Öffentlichkeit schuldet.
In unserer Gemeinde, einer Arbeiter- oder vielmehr Arbeitslosen-Gemeinde in Mbare/Harare, halten wir zurzeit die Wahlen für den Pfarrgemeinderat ab. Die Leute kennen sich mit Wahlen aus. Die letzte, die Wahl des Staatspräsidenten  2008, endete blutig. Manch einer in der Gemeinde  wurde blutig geprügelt von den Schlägertrupps der so genannten „herrschenden Partei“. Die Sache ist keineswegs ausgestanden.  Die Wunden sind noch da. Da ist noch viel Bitternis in den Herzen. Die Leute kennen ihre Feinde.
In einer Hinsicht sollen unsere Wahlen innerhalb der Kirchengemeinde anders sein, einen echten Kontrast bieten: Niemand darf für sich selber werben. Ehrgeizige sind ipso facto disqualifiziert. Nur die, die von anderen vorgeschlagen worden sind, sich aber selber nicht vorgeschoben haben, sind wählbar.
Und was ist der tiefste Grund, warum die Gemeinde Jesu, die Kirche Gottes, anders sein und einen Kontrast bieten muss? Weil Jesus anders ist.
„Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen  und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Markus 10,45)
Dienen – was heißt das?
Er ließ sich von den Menschen, den Armen und Geplagten, den Kranken  und Besessenen, gebrauchen. Er war nicht mehr Herr seiner Zeit. Sie belagerten ihn mit ihren Bitten und Wünschen, Nöten und Krankheiten, bis zur Erschöpfung. So geht es einem Dienenden, er ist nicht mehr Herr seiner  selbst, seiner Zeit, seiner Kraft. Es gehört anderen.
„Jesus ging in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“ (Markus 3,20-21)
Nur Markus berichtet diese anstößige Bemerkung. Die Armen und Bedürftigen, die Kranken, die Obdachlosen und Verwahrlosten,  die ehrlichen Bittsteller und die nicht immer so ehrlichen professionellen Bettler, die unser Pfarrhaus belagern,  können außerordentlich zäh und unnachgiebig sein.  Ich kann die Verwandten Jesu gut verstehen, die ihn vor diesen Plagegeistern schützen wollten.
Paulus, der Christus „angezogen“ hat, spricht von dem „täglichen Andrang“ und der „Sorge für alle Gemeinden“ des Apostels. (2 Kor 11,28). „Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“ (2 Kor 4,16), sagt er im zweiten Korintherbrief.
Jesus „diente“ auch in einer anderen Hinsicht. Er konnte sehr wohl mit Gelehrten  diskutieren, aber er predigte den Armen, das heißt den Normalbürgern, in ihrer Sprache, mit Bildern aus ihrer Vorstellungswelt, er verlangte nicht, dass sie zu seinem Niveau heraufklettern. Er verachtete sie nicht – wie die Schriftgelehrten – als ungebildet und roh. Er sprach in Gleichnissen aus ihrer Welt der Landwirtschaft, des Fischfangs, des Haushalts, des Handels, und  familiärer Sitten zu ihnen. Er passte sich ihnen an, war ihnen auch als Lehrer zu Diensten.
Der Missionar erinnert sich an seine eigenen Plagen mit fremden Sprachen und ungewohnten Vorstellungswelten, seinen eigenen unbeholfenen Versuchen sich anzupassen, über die die Leute nur deshalb nicht lachen, weil sie zu höflich und gut erzogen sind.
So hat Jesus schon durch die aufreibende Arbeit und Sorge um die Menschen sein „Leben dahingegeben“.  Diese Lebenshingabe findet ihre Vollendung  in dem Zusammenstoß mit der geballten Kraft der Sünde in der Welt, die ihn hinwegrafft, in seinem Leiden und Tod.  Jesaja spricht davon in der ersten Lesung von morgen.  „Er lädt ihre Schuld auf sich“ (Jes 53,11).  Kardinal Newman spricht davon, dass Jesus diese Last nicht etwa leichter tragen konnte wegen seiner Göttlichkeit und seinem göttlichen Wissen, sondern dass im Gegenteil seine Heiligkeit und Nähe zum Vater  und Einheit mit dem Vater ihn unendlich sensibilisierte für das Böse und die Sünde, die ihn umsomehr schmerzt, als uns Dickhäuter; dass seine vom Geiste erleuchteten inneren Augen ihn das Grauen der Sünde viel genauer sehen und erfassen lassen, und so die Last der Sünde unendlich schwerer auf ihm lastet als etwa auf uns mit unserem sehr oberflächlichen Sündenbewusstsein.  Die Lesung aus dem Hebräerbrief sagt, dass „er wie wir in allem in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr 4,15). Auch diese Last hat er getragen.
Kupferstiche und frühe Photographien des 19. Jahrhunderts zeigen uns europäische Reisende, Kolonialbeamte,  Kaufleute, auch Missionare, die in Sänften getragen werden, während afrikanische Diener und Sklaven schwere Lasten schleppen. Jesus war so ein Lastenträger, so ein Diener und Sklave.
Führung heißt Verantwortung
Die Jünger und Jüngerinnen Jesu können eigentlich nichts anderes sein. Gewiss gibt es Autorität und Führungsaufgaben in der Kirche.  Das heißt zunächst einmal Verantwortung und Sorge um das Wohl aller.  Das haben so viele in unseren Führungsschichten, den so genannten „Eliten“, noch nicht begriffen.  Für allzu viele ist ein Ministeramt oder sonstige politische Verantwortung Zugang zu Reichtum und Wohlstand, Sicherheit und Prestige.
Freilich, Korruption gibt es nicht nur in Harare und Kinshasa, Nairobi und Lagos, sondern, vielleicht besser verkleidet, auch  in Washington und London, Berlin und Paris.  Und Raubritter gab es nicht nur im Mittelalter, die gibt es in den Chefetagen der Banken, wie sich herausgestellt hat, auch heute noch.
Deswegen ist das Gelübde  der Armut, wenn es denn wirklich gelebt wird, so absurd es auch dem Zeitgenossen klingen mag, ein notwendiges Zeugnis und ein Zeichen des Widerstands gegen den Götzendienst des Reichtums und der Macht.
Afrika wartet
In diesen Tagen geht die zweite Afrikanische Bischofssynode in Rom zu Ende.  Ihr Thema war „Die Kirche in Afrika im Dienst an Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden“.  In der Tat warten die Christen und alle Menschen guten Willens in Afrika auf ein klares Wort, ein Wort der Wahrheit, denn Wahrheit ist Mangelware in Afrika, angesichts des Medienmonopols diktatorischer Regime, die schamlos ihre Lügenpropaganda verbreiten können.  Wahrheit kommt vor Versöhnung. Versöhnung  muss auf Wahrheit, auf ehrlichen Eingeständnissen von Sünden und Verbrechen gründen.
Aber Worte allein tun es nicht. Sie müssen auf Taten, auf Lebenswirklichkeit, auf gelebter Gerechtigkeit gründen.  Deswegen ist die Arbeit der Ordensfrau in einem Buschkrankenhaus genauso wichtig wie der Hirtenbrief des Bischofs. Die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern auf eine wirklich dienende Kirche hin wird genauso wichtig sein wie die mit Sehnsucht erwarteten klärenden Worte des Papstes und der  Bischöfe für ein neues Afrika.  Christen sollten daran erkennbar sein, dass sie den Dienst suchen, nicht die Karriere,  die „Taufe“, mit der Jesus getauft worden ist, nicht das „Sitzen zu seiner Rechten oder Linken“.  So hat Jesus Jakobus und Johannes belehrt. Wir haben noch nicht ausgelernt.
Oskar Wermter SJ
(rv 17.10.2009 bp)







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