D: Marx im Landtag, „Religion ist keine Privatsache“
„Religionsausübung ist keine Privatsache“. Das hat der Erzbischof von München und
Freising, Reinhard Marx, bei einem Vortrag im Bayerischen Landtag betont. Dort sprach
Marx am Dienstagabend zum Thema „Staat und Kirche im säkularen und multireligiösen
Spannungsfeld“. Dabei unterstrich der Erzbischof, Religion sei eine öffentliche Angelegenheit.
Denn sie trage zu den Grundlagen von Staat und Gesellschaft bei. „Die Idee einer positiven
Neutralität des Staates gegenüber der Religion geht davon aus, dass der säkulare Rechtsstaat
sich nicht aus sich selbst begründen kann, sondern auf andere Sinnstifter angewiesen
ist.“
Der freiheitliche Verfassungsstaat sei auf Religion angewiesen, denn
sie schaffe seine Wertebasis, so Marx: „Denn die weltanschauliche Neutralität des
Staates meint keineswegs eine Wertneutralität des Staates.“
Kirche und
Staat seien aufeinander bezogen zu betrachten. Das stelle ihre Trennung jedoch nicht
in Frage, stellte Marx klar. „Die weltanschauliche Neutralität des Staates ist vielmehr
auch im Interesse der Kirche und der Religion. Auch die Kirche tritt für die Religionsfreiheit
anderer Religionen ein“, sagte der Erzbischof. Nicht zuletzt habe die Deutsche Bischofskonferenz
im September 2008 hervorgehoben, dass den Muslimen in Deutschland der Bau von würdigen
Moscheen ermöglicht werden müsse.
Der Staat ist nach Meinung von Marx
dennoch nicht verpflichtet, alle Religionen völlig identisch zu behandeln. „Bei der
Ausgestaltung des staatlichen Verhältnisses zu den verschiedenen Religionsgemeinschaften
sind die verschiedenen Religionen an ihrem konstruktiven Beitrag zu Staat und Gesellschaft
zu messen, wenn der Staat seine Grundlagen und seine Freiheitsfähigkeit langfristig
sichern will“, betonte Marx.
Der Erzbischof zeigte sich besorgt über das
intellektuelle Niveau der zunehmenden Kritik am Staatskirchenrecht. „Eine kämpferische
Gegnerschaft zur Kooperation von Staat und Kirche gibt es seit jeher; verheerend ist
jedoch die zunehmende Unkenntnis über die Funktion von Religion im freiheitlichen
Rechtsstaat und über das Verhältnis von Staat und Kirche, die eine angemessene Einordnung
solcher Kritik am Staatskirchenrecht verhindert“ erklärte Marx.
Vor diesem
Hintergrund solle in Deutschland die im Grundsatz positive Ausgestaltung des Kooperationsverhältnisses
von Staat und Kirche verdeutlicht werden, forderte Marx: „Das entpflichtet den Staat
und die Religionen nicht, sich auch im Staatskirchenrecht den Herausforderungen zu
stellen, die sich durch Säkularisierung und religiöse Pluralisierung ergeben.“ Die
Kirche scheue eine solche Diskussion nicht; sie sei vielmehr auch aus kirchlicher
Sicht durchaus wünschenswert, um einerseits das Verhältnis des Staates gegenüber den
verschiedenen Religionen deutlich zu machen sowie um andererseits das Verständnis
für das bestehende Verhältnis von Staat und Kirche zu schärfen.
In der
neuen Reihe „Landtag im Gespräch“ sollen aktuelle Gegenwarts-Themen aus verschiedenen
Blickwinkeln diskutiert werden. Landtagspräsidentin Barbara Stamm will dazu Gastredner
einladen, die neben ihrer Sachkompetenz über Integrationskraft, Weitsicht und Visionen
verfügen, teilte der Bayerische Landtag mit. Den Anfang dieser Reihe machte Erzbischof
Marx. Er sei für die Premiere eingeladen worden, weil das Verhältnis von Staat und
Kirche seit Jahrhunderten immer wieder für Diskussionsstoff in ganz unterschiedlichen
Ausprägungen sorge, sagte Stamm am Dienstagabend. Dank der Trennung von Staat und
Kirche sei unser Staat heute weltanschaulich offen, was aber nicht mit Beliebigkeit
verwechselt werden dürfe. Angesichts der Herausforderungen von unterschiedlichen
Religionen bestehe ein großes Potential an Gesprächs- und Diskussionsbedarf über die
Stellung von Kirche und Staat, erklärte die Landtagspräsidentin.