„Wie ein angeschlagener Boxer“ - EKD-Papier im Wortlaut
Eine Vorlage für die 251. Sitzung der EKD-Kirchenkonferenz am 2. Juli 2009 zur Lage
der katholischen Kirche und den Auswirkungen auf das ökumenische Verhältnis sorgt
in kirchlichen Kreisen für Unruhe. Der Text liegt den Medien seit geraumer Zeit vor.
Hier der Wortlaut des Textes aus dem EKD-Kirchenamt Hannover: Begründungen/Erläuterungen Schon
während des 32. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Bremen richteten sich die Blicke
auf den 2. Ökumenischen Kirchentag 2010 in München. Dieser Blick ist einerseits durch
Vorfreude und hohes Engagement vieler ökumenischer Initiativen und Foren geprägt,
er ist aber auch getrübt durch einige Unsicherheiten, die entstanden sind. Um diese
einschätzen zu können und in ihrer Bedeutung für den evangelisch-katholischen Dialog
auszuloten, sollen im Folgenden drei Klärungsschritte erfolgen: Nach einer ersten
Orientierung im Blick auf die Frage (1.), Wo steht der ökumenische Dialog? folgt sodann
(2.) ein Wahrnehmen der Irritationen, die von Rom ausgehen. Zuletzt soll der Frage
nachgegangen werden, welche (3.) Auswirkungen auf das ökumenische Verhältnis der beiden
Kirchen vor dem 2. Ökumenischen Kirchentag dies zeitigen könnte. 1. Wo steht der
ökumenische Dialog? Alle Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der evangelisch-katholischen
Ökumene können von einer breiten, stabilen und zuversichtlich stimmenden Grundlage
ausgehen. Es ist nicht nur die zu Recht vielgelobte stabile Basis Ökumene in Deutschland,
die nach wie vor an sehr vielen Orten eng zusammenarbeitet, gemeinsame Herausforderungen
wahrnimmt und kaum Entmutigungszeichen kennt. Es sind auch die faktisch breite Grundübereinstimmung
zwischen den beiden Kirchen und die vielen verlässlichen Kontakte und stabilen Gesprächsebenen,
die ein weitgehend sachlich orientiertes und partnerschaftlich ausgerichtetes Verhältnis
prägen. Der Kontaktgesprächskreis, aber auch viele geregelte Kontaktformen in den
Landeskirchen lassen kaum die Sorge zu, es könnten sich wirkliche tiefgreifende, substanzielle
Infragestellungen der ökumenischen Beziehungen ankündigen. Auch wird man festhalten
können, dass die große ökumenische Aufbruchswelle nach dem 2. Weltkrieg in der Verabschiedung
der „Gemeinsamen offiziellen Feststellung“ bzw. der „Gemeinsamen Rechtfertigungserklärung“
1999 in Augsburg zweifellos ihren symbolischen Höhepunkt und vorläufigen Schlussstein
fand. Trotz der zum Teil sehr heftigen evangelischen Kritik an diesen Dokumenten sind
diese Texte zu Recht als Ergebnis einer „höheren Choreographie“ angesehen worden,
denn die Rechtfertigungslehre war in der Reformationszeit der entscheidende Streitpunkt,
der viele gegenseitige Verurteilungen und theologische Verwerfungen mit sich gebracht
hatte. Es ist gut, wenn die Rechtfertigungslehre auch der Ort ist, an dem dieses gegenseitige
Verurteilen zu einem gewissen Ende gekommen ist. Allerdings ist es bedauerlich, dass
es bisher noch keine offizielle Rezeption der Texte in der römisch-katholischen Kirche
gegeben hat es ist daher gut und richtig, wenn besonders die VELKD für dieses Jahr
2009 eine Erinnerungsfeier zum 10jährigen Jahrestag der Unterzeichnung in Augsburg
plant, auch als Erinnerung an das noch Unabgeschlossene dieses ökumenischen Schlüsselereignisses. Seit
1999 aber sind die Signale der Verschiedenheit und der Andersartigkeit stärker geworden.
Den Auftakt machte das Dokument Dominus Jesus aus dem Jahr 2000, das mit der berühmt-berüchtigten
Formulierung von den Reformationskirchen, die nicht Kirchen „im eigentlichen Sinne
seien“, einen Klang in die ökumenischen Beziehungen eintrug, der in dieser Deutlichkeit
für große Verwunderung und Enttäuschung gerade bei denen sorgte, die mit Herz und
Engagement jene gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre vorangetrieben hatten.
Man wird zwar nicht sagen können, dass die evangelische Seite mit ihrem Text „Kirchengemeinschaft
nach evangelischem Verständnis. Ein Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener
Kirchen“ (EKD Texte 69 aus dem Jahre 2001) eine unmittelbare Reaktion auf Dominus
Jesus veröffentlicht hat (dazu haben solche Texte eine viel zu lange Vorbereitungszeit),
gleichwohl wurde in der ökumenischen Landschaft dieser Text als Antwort auf Dominus
Jesus verstanden und zum Teil gutgeheißen, zum Teil als eine überzogene Reaktion eingeschätzt.
Seither aber tauchte immer häufiger das Stichwort von der „ökumenischen Eiszeit“ bzw.
dem „ökumenischen Stillstand“ auf, und dies trotz der 2001 auf der KEK-Ebene beschlossene
„Charta oecumenica“ und ihrer feierlichen Unterzeichnung durch die Partner in Deutschland
auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003. Wie wenig allerdings diese Texte Wirkung zeigen
können, zeigt die Tatsache, dass im Jahre 2007 die Glaubenskongregation mit dem Text
„Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ faktisch
eine Wiederholung der „Dominus Iesus“-Positionen vorlegte, die einen gewissen Stillstand
in der ökumenischen Entwicklung zu belegen vermochte. Man wird daher sagen können,
dass der evangelisch-katholische Dialog seit 2000 nicht schlechter geworden ist, allerdings
auch nicht besser. 2. Wahrnehmungen römischer Irritationen Seit
dem Amtsantritt Benedikt XVI. am 19. April 2005 sind insgesamt Irritationen zu spüren,
die keineswegs nur auf interne Dimensionen der römisch-katholischen Weltkirche bezogen
bleiben, sondern die Grundfrage auslösen, ob die römisch-katholische Kirche mit diesem
Papst ihr Verhältnis zum 2. Vaticanum neu justieren will: Nach dem zweitlängsten
Pontifikat in der Geschichte des Papstamtes von Johannes Paul II. (16. 10. 1978 2.
4.2005 = fast 26, 5 Jahre) ist mit Joseph Kardinal Ratzinger nicht nur ein hochgebildeter
Theologe in das Papstamt gewählt worden, sondern auch nach 482 Jahren (Hadrian VI.)
erstmals wieder ein „deutscher Papst“. Die Begeisterung für diese Entwicklung fand
anfangs keineswegs nur Unterstützung in den Reihen der Mitglieder der römisch-katholischen
Kirche; die öffentlich rechtlichen Medien waren ebenso „verzaubert“ wie die Boulevardpresse
(BILD: „Wir sind Papst“), was sich nicht zuletzt bei den beiden Deutschlandbesuchen
des neuen Papstes (XX. Weltjugendtag in Köln August 2005 und Besuch seiner bayerischen
Heimat im September 2006) durch ausführliche Medienberichte zeigte. Die Begeisterung
aber wich bald einem irritierten Grundgefühl, das sich an den verschiedenen „diplomatischen
Faux pas“ festmachen lässt; erinnert man nur die weltweit beobachtbaren Irritationen,
ergibt sich ein doch bedrückendes Bild: Bei seinem zweiten Besuch im Sommer 2006
hielt Benedikt XVI. vor Wissenschaftlern an der Universität Regensburg eine Vorlesung
und zitierte darin eine Aussage des spätmittelalterlichen byzantinischen Kaisers Manuel
II. zur Rolle der Gewalt im Islam. Das als „Papstzitat von Regensburg“ bekanntgewordene
Diktum wurde als Hasspredigt bezeichnet und heftig kritisiert. Eine korrigierende
Interpretation Benedikts XVI., wie dieses Zitat gemeint sei, folgte wenig später. Bei
der Eröffnung der lateinamerikanischen Bischofskonferenz im brasilianischen Aparecida
am 13. Mai 2007 äußerte sich Benedikt zur Christianisierung Lateinamerikas, die keine
Oktroyierung einer fremden Kultur, sondern von den Ureinwohnern unbewusst herbeigesehnt
worden sei. Die Empörung war groß. Am 26. Juni 2007 hat Papst Benedikt XVI, das
Motu proprio „De aliquibus mutationibus in nonnis de electione Romani Pontificis“
erlassen, durch das die Apostolische Konstitution „Universi Dominici Gregis“ teilweise
rückgängig gemacht wird. Auf die nach Benedikts Motu proprio „Summorum Pontificum“
laut gewordene Kritik an der Verwendung der früheren Karfreitagsfürbitte für die Juden
reagierte der Papst mit der Abfassung und Verordnung einer Neuformulierung dieser
Bitte allein für die forma extraordinaria. Die Verstimmung über diese Neuformulierung
hält bis heute an. Im Juli 2007 erteilte Benedikt XVI. die Erlaubnis zur begrenzten
neuerlichen Benutzung der letzten, vor dem Konzil erschienenen liturgischen Bücher,
darunter des Messbuchs. Im Apostolischen Schreiben „Summorum Pontificum“ erklärte
er, dass neben der Normalform (forma ordinaria) des Römischen Ritus nach dem Messbuch
Pauls Vl. die Heilige Messe nach dem unter Johannes XXIII. 1962 gedruckten Messbuch
(sog. Tridentinische Messe) unter bestimmten Bedingungen als außerordentliche Form
(forma extraordinaria) des Römischen Ritus gefeiert werden dürfe, Auch diese Freigabe
zu einer liturgischen Vielfalt setzte nicht unerhebliche Irritationen frei. Den
größten „Schaden“ aber löste wohl die im Januar 2009 erfolgte Aufhebung der 1988 ausgesprochene
Exkommunikation von vier durch Marcel Lefebvre ohne Einwilligung des damaligen Papstes
geweihten Bischöfen aus, die der Priesterbruderschaft St. Pius X. angehören. Zu diesen
Bischöfen gehörte auch der kurz zuvor durch Holocaustleugnung aufgefallene Richard
Williamson. Die Aufregung und Empörung war gerade in Deutschland besonders groß; die
Deutsche Bischofskonferenz hat sich in ihrer Frühjahrstagung 2009 in einer selten
zu lesenden Klarheit von dieser Rehabilitierung distanziert. Die Empörung führte dazu,
dass Papst Benedikt XVI. in einem Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche
am 10. März 2009 bedauerte, dass „die Aufhebung der Exkommunikation überlagert wurde
von dem Fall Williamson. Der leise Gestus der Barmherzigkeit gegenüber vier gültig,
aber nicht rechtmäßig geweihten Bischöfen erschien plötzlich als etwas ganz anderes:
als Absage an die christlich-jüdische Versöhnung“. Weiter erkannte der Papst, dass
„aufmerksames Verfolgen der im Internet zugänglichen Nachrichten es ermöglicht hätte,
rechtzeitig von dem Problem Kenntnis zu erhalten. Ich lerne daraus, dass wir beim
Heiligen Stuhl auf diese Nachrichtenquelle in Zukunft aufmerksamer achten müssen.“
Dieses „Entschuldigungsschreiben“ wurde wiederum zum Anlass genommen, auf die Unverträglichkeit
solcher Schreiben mit dem Papstamt zu verweisen. Natürlich ließen sich nun neben
diese Irritationen noch all jene beschämenden Dimensionen stellen, die unabhängig
von Benedikts Pontifikat auf der „Seele der römisch-katholischen Kirche“ lasten, also
zum Beispiel ihre unerwiderte Sehnsucht nach engerer Verständigung mit der orthodoxen
Kirche, ihre weltweit einzuräumenden Abgründe im Blick auf den Missbrauch von Kindern
durch Priester (Kalifornien und Irland), ihre Defensive gegenüber der pentekostalen
Frömmigkeit in Lateinamerika, ihre europaweiten Nachwuchssorgen und Mitgliederverluste
usw., aber diese weltkirchlichen Probleme sind grundsätzlich und betreffen zum Teil
auch andere Kirchen. Nimmt man daher nur jene gleichsam „hausgemachten, Irritationen“
seit Amtsantritt Benedikts XVI. in den Blick, dann bieten sich zwei grundverschiedene
Deutungen an: Entweder man vermutet eine gewisse Inkompetenz der Vatikanführung, die
sich zwar theologisch außerordentlich präzise und kenntnisreich zu äußern versteht,
die aber die diplomatischen Empfindlichkeiten und potenziellen politischen Störungen
nicht angemessen einzuschätzen vermag, oder aber man nimmt Absicht und Strategie an
und vermutet, dass der Vatikan eine Distanzierungspolitik von den wesentlichen Errungenschaften
des 2. Vaticanum anstrebt. Während erstere Deutung auf die entschuldigenden und relativierenden
Äußerungen aus dem Vatikan selbst verweisen können, haben letztere immer wieder Fundstellen
aus früheren Werken von Joseph Kardinal Ratzinger aufzubieten, die diese Kurskorrektur
im Blick auf das 2. Vaticanum belegen könnten. Besonders imposant sind diese Belege
im Blick auf die Liturgie: Das „erzwungene Angebot“ einer „forma extraordinaria“ lässt
sich gerade nicht als Eröffnung einer Wahlmöglichkeit für das betende Volk Gottes
verstehen, weil die Zuwendung des Priesters zum Volk ansonsten bei Benedikt XVI. durchweg
als Wurzel der (liturgischen) Krise betrachtet wird. Insofern bleibt es unklar, welchen
theologischen Kurs gegenüber dem 2. Vaticanum das Pontifikat Benedikts XVI. eingeschlagen
hat. Und eben dies sorgt für eine Verunsicherung, die sich auch in der Situation der
deutschen Katholiken widerspiegelt. 3. Auswirkungen auf die innerdeutsche
Ökumene Die Verunsicherungen in der Weltkirche spiegeln sich auch in der römisch-katholischen
Kirche in Deutschland wider; auch hier lassen sich einige irritierende Phänomene in
Erinnerung rufen: Der Wechsel im Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz war ein
Überraschungsakt, der den Erzbischof von Freiburg an die Spitze der Bischofskonferenz
als einen umstrittenen und daher geschwächten Kandidaten kennzeichnete. Seine ersten
Aussagen in den Interviews musste er bald zurücknehmen, er ist insgesamt sehr viel
vorsichtiger geworden, eine orientierende und prägende Kraft geht nicht von ihm aus. Bei
der Einführung von Bischof Marx als Erzbischof in München und Freising sind erstmals
in der Geschichte der Deutschen Bischofskonferenz keineswegs alle bayerischen Bischöfe
zugegen gewesen; ein Hinweis auf ernste Differenzen im deutschen Episkopat. Der
Wechsel an der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom Präsidenten
Hans Joachim Meyer zum designierten Nachfolger Heinz Wilhelm Brockmann scheiterte
erstmals in der Geschichte der deutschen Bischofskonferenz an einer fehlenden 2/3
Mehrheit. Die katholische Universität Eichstätt bemüht sich seit mehr als einem
Jahr, einen Präsidenten zu finden; der erste Kandidat wurde von dem zuständigen Bischof
Hanke nicht akzeptiert, der zweite Kandidat (aus den USA) nahm die auf ihn gefallene
Wahl nicht an. Die Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Bruderschaft
Pius X. - besonders von Bischof Williamson hat zu tiefen Irritationen im deutschen
Katholizismus geführt, Selten hat dieser sich so frühzeitig, einhellig und eindeutig
von einer Entscheidung des Vatikans distanziert. Neben diesen vielleicht noch als
„handwerkliche Fehler“ und „vorübergehende Irritationen“ deutbaren Ereignissen finden
sich einige Indizien, die auf grundlegendere Unsicherheiten hinweisen: So ist die
römisch-katholische Kirche in Deutschland gegenüber dem von der evangelische Kirche
ausgerufenen und in Ansätzen transparent geplanten Reformationsjubiläum 2017 und der
auf dieses Datum hinführenden Lutherdekade (einschließlich ihrer Jahresthemen) doch
insoweit irritiert, als sie keinen Ort für sich selbst in diesem Reformationsgedenken
erkennen kann. Sie fürchtet zu Unrecht eine antikatholische Profilierung. Soweit diese
Irritation an der sich erst allmählich klärenden Konzeption der Lutherdekade und der
Jubiläumsgestaltung liegt, kann man eine gewisse Verunsicherung verstehen. Soweit
diese aber auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Kirchen der Reformation ihre
Entstehung überhaupt zu würdigen und zu feiern gedenken, zeigt es einen etwas angstvollen
ökumenischen Partner. Die intellektuelle und positionelle Präsenz in gesellschaftlich
relevanten und politisch heiklen Fragen wird in den letzten Jahren deutlich von der
evangelischen Kirche dominiert und geprägt. Die inhaltliche Profilierung der christlich-kirchlichen
Positionen im Diskurs der Gesellschaft verantwortet nicht selten die evangelische
Kirche, die zum Teil aufgrund ihrer Flexibilität auch gemeinsame Positionen mit der
römisch-katholischen Kirche modifiziert hat, um nicht in eine prinzipielle Verweigerung
gegenüber neueren Entwicklungen und Einsichten zu geraten (Stichwort Stichtagsverschiebung).
In den Augen der römisch katholischen Geschwister sieht dies mitunter aus wie ein
„unsicherer Kantonist“, im Selbstverständnis der evangelischen Kirche ist die Lernbereitschaft
und Kompromissfähigkeit im Blick auf das relativ Beste stärker ausgeprägt.
Die
pastoralen Herausforderungen einer schrumpfenden Kirche sind in der römischkatholischen
Kirche mindestens so groß wie in der evangelischen Kirche. Doch ist der Umgang damit
sehr verschieden: Während die evangelische Kirche einerseits in einer großangelegten
und offenen Diskussion über den notwendigen Reformprozess ein transparentes und strategisch
unter den Landeskirchen abgestimmtes Vorgehen anstrebt, handelt im römisch-katholischen
Bereich jede Diözese für sich und bestärkt damit ein eher diffuses Bild in der Öffentlichkeit.
Während manche Diözese radikale Schnitte vornimmt und die Schaffung von pastoralen
Räumen mit der Schließung von vielen kleinen Gemeinden verbindet, suchen andere Diözesen
das Gespräch mit allen Engagierten. Die Verunsicherung durch diese sehr unterschiedlichen
Modernisierungsbemühungen kann kaum überschätzt werden. 4. Resümee Versucht
man nun diese verschiedenen Phänomene als Ausdruck einer zugrundeliegenden Situation
zu interpretieren, kann man sich dem Gedanken kaum entziehen, dass der deutsche (ebenso
wie der weltweite) Katholizismus erhebliche Mühe hat, die notwendigen und unabwendbaren
Pluralisierungen intern aufzufangen und zu rekonstruieren. Die nicht bewältigte, aber
wachsende interne Pluralisierung führt in der römisch-katholischen Kirche zu mindestens
zwei grundverschiedenen, sich gegenseitig ausschließenden und daher auch massiv bekämpfenden
Richtungen auf allen Ebenen: Auf die wachsende Pluralisierung kann man entweder
durch Profilierung der Grenzen oder durch Weitung der Zugänge reagieren. Beide Strategien
sind keine Garantie für die Integration der Pluralität, insofern sie beide echte Risiken
in sich bergen: Während die Profilierung immer auch eine Ab- und Ausgrenzungsstrategie
ist, bietet die Öffnung für die Pluralität die Gefahr einer Diffusität. Die innere
Konfliktlinie auch des deutschen Katholizismus dürfte an dieser Linie entlang laufen:
Die vorläufig noch in der Minderheit seiende Richtung, die eine Rückkehr „hinter das
Vaticanum II“ für eine angemessene Profilierungsstrategie hält, und die gegenwärtig
wohl noch die Mehrheit habende Richtung, die geprägt von Kardinal Lehmann die Errungenschaften
des 2. Vaticanums für eine unaufgebbare Öffnung der katholischen Kirche für die Gegenwart
hält. Entsprechend zu diesen Einschätzungen kann die eine Seite davon sprechen, dass
das 2. Vaticanum keine Neuerung gegenüber der Tradition sei (Bischof Müller), während
die andere Seite eben dieses 2. Vaticanum als eine wesentliche Neuausrichtung der
römisch-katholischen Kirche verteidigt (Kardinal Lehmann). Das Ringen dieser beiden
Positionen bzw. Strategien wird das Verhältnis der römischkatholischen Kirche zur
evangelischen Kirche in Deutschland auch in naher Zukunft prägen. Wie ein angeschlagener
Boxer wird die katholische Kirche schwanken zwischen öffnenden Gesten und ruppiger
Abgrenzung, zwischen ökumenischen Einladungen und profilierender Abgrenzung. Da die
evangelische Kirche dieses interne Ringen zwischen Profil und Öffnung ebenfalls sehr
gut kennt, wird sie Verständnis und Geduld für die römisch katholischen Geschwister
aufbringen und mit Dankbarkeit die Gesprächsfäden aufgreifen, die sich anbieten (zum
Beispiel nicht nur die Vorbereitung des 2. Ökumenischen Kirchentags, sondern auch
die bilateralen Lehrgespräche zwischen der VELKD und der DBK). Zugleich aber wird
die evangelische Kirche sich daran erinnern, dass sie etwas erfahrener ist in der
Anerkennung der Verschiedenheit und in der gegenseitigen Achtung des Unterschiedenen,
so dass sie gelassener im Umgang mit Vielfalt und Pluralität ist. Sie wird aber auch
nicht vergessen, dass sie grundsätzlich in dem gleichen Dilemma zwischen Profilierung
und Öffnung steckt und durchaus Jahre hinter sich hat, in der sie ähnlich wie die
römisch-katholischen Geschwister gegenwärtig schwere innere Zerreißproben zu bestehen
hatte. Einen Grund zur Überhebung hat sie daher auf keinen Fall, denn eine verunsicherte
römisch-katholische Kirche schwächt das gemeinsam Christliche in einer Gesellschaft,
die sich nach Geborgenheit und Zuversicht sehnt in Zeiten der Sorgen. i.v. gez.
Thies Gundlach