Menschen in der Zeit: Kurienkardinal Paul Josef Cordes, 75 Jahre
Kurienkardinal Paul
Josef Cordes feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag. Der dienstälteste deutsche
Kardinal steht seit rund 30 Jahren in päpstlichen Diensten. Zunächst als Vizepräsident
des Laienrates, dann als Präsident des Rates ‘Cor unum’, der für die karitativen Aufgaben
der katholischen Kirche zuständig ist und eine Art Entwicklungsministerium des Vatikans
darstellt. Seit 2007 gehört Cordes dem Kardinalskollegium an. Mit 75 Jahren erreichen
die Kardinäle zwar die offizielle vatikanische Pensionsgrenze, doch gilt es als sehr
wahrscheinlich, dass Papst Benedikt XVI. Kardinal Cordes bitten wird, noch im Amt
zu bleiben. Cordes machte sich schon früh als einer der Gründer der Weltjugendtage
einen Namen. Papst Johannes Paul II. machte sie zur festen Einrichtung. Als Präsident
des Päpstlichen Rates ‘Cor unum’ koordiniert Kardinal Cordes weltweite Hilfstätigkeiten
der katholischen Kirche. Regelmäßig reist er in die Krisenregionen und Katastrophengebiete,
aber auch in die politischen Machtzentralen, um Hilfe zu ermöglichen. Mit Kardinal
Kasper und Bischof Clemens gehört Kardinal Paul Josef Cordes zu den wenigen Deutschen,
die eine Führungsposition im Vatikan bekleiden. Hören und lesen Sie das Gespräch von
Aldo Parmeggiani:
Herr Kardinal, das erste Gebot der Christenheit
lautet: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Sie nehmen in der katholischen Weltkirche
eine Aufgabe wahr, die diesem Gebot besonders nahe kommt: Sie praktizieren Nächstenliebe
täglich, konkret und weltweit. Was ist für dieses Amt entscheidend?
‘Zunächst
scheint mir, dass dieses Gebot der Nächstenliebe inzwischen ein Element westlicher
Kultur geworden ist. Wir können uns darüber freuen, dass wohl keine Anregung, keine
Verpflichtung des Herrn so nachdrücklich in die Menschheit gekommen ist, mindestens
in der westlichen Welt, wie dieses Gebot ‘Liebe den Nächsten’. Es gehört heute fast
schon zum guten Ton. Für mich ist in dieser Welt das wichtigste, dass wir angesichts
dieses Gebotes der Nächstenliebe nicht die ursprüngliche Formulierung übersehen, wie
sie von Jesus her kommt, Eigentlich redet Jesus vom Gebot der Nächstenliebe ja als
von dem Zweiten, das dem Ersten gleich ist. Das heißt also: er beginnt damit, zu sagen,
du sollst Gott deinen Herrn lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzer
Kraft und mit all deinen Möglichkeiten. Dies ist das erste Gebot und dann zweitens:
Liebe den Nächsten wie dich selbst. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir als Christen
die Verbindung der Nächstenliebe mit der Gottesliebe in den Blick rücken. Damit auch
in einer philantropischen, in einer humanitären Welt die Ermöglichung des Liebens
von Gott her nicht aus dem Blick kommt.
Sie reisen in jene Gegenden der
Welt, die von furchtbaren Katastrophen, Kriegen, Hungersnöten, Völkermorden heimgesucht
werden. Sie begegnen dem Unheil der Welt sozusagen in erster Person. Wie gehen Sie
mit der viel gestellten Frage um, warum Gott dies alles zulässt?
’Ja, diese
Frage wird manchmal vorwurfsvoll, manchmal aber auch in ernster Bedrückung gegenüber
Repräsentanten der Religion, gegenüber Christen gestellt. Zunächst rührt das Elend
in der Welt sehr häufig aus der Tatsache, dass Gott den Menschen frei erschaffen hat.
Als ich zum Beispiel im Iran war, nach dem Krieg, da sah man, dass das Leid, das dort
entstanden war, auch dadurch entstanden ist, weil Menschen Menschen bekämpften. Dass
sie in ihrer Freiheit den anderen niedermachen wollten. Dass Schmerz entsteht, weil
Menschen andere hassen. Das ist die Folge des freien Menschen. Gott hat die Menschen
nicht als jemanden geschaffen, der gezwungen wäre, das Gute zu tun, sondern er hat
ihn frei geschaffen, weil die Liebe, die freie Antwort, nicht eine gezwungene Antwort
will. Wir sind nicht wie die Tiere domestiziert, sondern wir müssen uns frei entscheiden,
und damit ist Gott das Risiko eingegangen, dass der Mensch in seiner Freiheit auch
das Böse tut. Angefangen eben schon bei Adam und Eva im Paradies. Aber es gibt noch
eine zweite Dimension: Das Elend entsteht dadurch, dass die Natur zurückschlägt, dass
sie in irgendeiner Weise den Menschen leiden lässt. Ich war jetzt gerade in Taiwan,
wo vor kurzem ein Zyklon gehaust hat und eine große Überschwemmung und einen großen
Erdrutsch zur Folge gehabt hat. Für diese Dinge kann man kaum - jedenfalls zunächst
nicht – einen Menschen verantwortlich machen. Warum geschieht das alles? Und warum
lässt Gott das zu? Diese Frage ist unendlich alt. Schon vom Beginn des Christentums
an, ja darüber hinaus, schon vor über 2000 Jahren hat man sie sich gestellt. Darauf
gibt es auch keine Antwort, die zufrieden stellen könnte, sodass man das Problem ablegt
und sagt: das ist geregelt, darüber brauchen wir nicht mehr zu diskutieren. Aber ich
habe, weil ich oft auch konfrontiert werde mit dem Elend, etwas gefunden beim Heiligen
Augustinus: Augustinus hat sich schon mit diesem Problem auseinandergesetzt und er
gibt eine überraschende Antwort. Er sagt nämlich ‘si comprendis non est deus’ (Wenn
du ihn verstehst, dann ist er nicht Gott). Gott überragt uns also immer, wir können
ihm nicht in die Karten gucken. Und wir können ihn noch viel weniger herunterziehen
sozusagen auf unsere Augenhöhe, um ihn zu zwingen, dass er sich rechtfertigt. Gerade
in den Taten, die wir nicht verstehen, zeigt er uns, dass wir zu ihm aufzuschauen
haben, dass wir sein Geschick anzunehmen haben. Dann schlägt virulent zu Buche, dass
Jesus uns diesen allmächtigen Gott, der manchmal auch im Dunkeln ist, als Vater geoffenbart
hat. Er hat das Gesicht eines Vaters. Und dann tritt unser Glaube in Kraft. Dass wir,
auch wenn wir ihn nicht verstehen, uns ihm anvertrauen, uns ihm übergeben und sagen:
ich verstehe zwar nicht - so wie Job ihn auch nicht verstanden hat – aber ich vertraue
dir. Ich liefere mich dir aus, ich vertrau mich dir an’.
Wie wird diese
Botschaft von jenen Menschen aufgenommen, die mit der Kirche, mit dem katholischen
Glauben nichts zu tun haben?
‘Schon mal kommt es dazu, dass man anfängt,
darüber zu reden. Ich glaube, auch für uns gläubige Christen ist es schwer, diesen
Schritt zu tun. Manchmal ist die Tatsache, dass man diesen Schritt nicht tun kann,
gerade für solche, die nicht glauben, ein Hinweis darauf, dass sie eigentlich nicht
in der vollen Wahrheit stehen. Dass die Wahrheit des Glaubens ihnen zum Leben verhelfen
würde, wenn sie diese Wahrheit des Glaubens annehmen würden. Von daher ist – glaube
ich – das Elend in der Welt eine Provokation für die Menschen. Man kann darauf reagieren
wie Nietzsche – der Gott angeklagt hat - wie auch viele moderne Dichter Gott anklagen.
Man kann es in Zeitungen immer wieder lesen. Aber wir können nicht leben - scheint
mir – ohne dass wir Hoffnung haben. Ohne dass wir auf Zukunft setzen. Und diese Zukunft
ist nur dann zum Guten für uns sichergestellt, wenn da ein allmächtiger Gott ist,
der das Gesicht eines Vaters hat’.
Ich denke, ein wichtiger Punkt Ihres
Arbeitsfeldes ist auch der, dass Sie den Bedürftigen jeweils das Gefühl weitergeben,
dass der Papst sie nicht alleine lässt. Das Sachliche ist zwar wichtig, aber es kommt
auch darauf an, dass die Menschen die Anteilnahme spüren. Merken Sie das auf Ihren
zahlreichen Reisen, Herr Kardinal?
’Ja, das ist eigentlich das, was uns
am meisten ausfüllt. Niemand kann seinen Dienst tun, wenn er nicht eine Resonanz spürt.
Diese Resonanz ist zunächst gegeben, in der materiellen Hilfe, die wir bringen. Unsere
Abteilung im Vatikan versteht sich ja auch als die Caritas des Papstes. Nun, kann
man heute Geld leicht weiterschicken über die Bank in die allermeisten Zonen der Erde.
Aber es ist noch wichtiger, dass diese bedürftigen Menschen ein Gesicht sehen, sodass
sie spüren: da steht eine Person dahinter. Wenn ich zurückdenke an die vielen Reisen,
die ich gemacht habe, dann war das eigentlich immer der springende Punkt. Wenn ich
sagen kann, ich komme vom Papst. Da spürt man, dass die Reaktion gegen das Unheil,
gegen das Elend, gegen das Böse, mehr als materielle Hilfe fordert. Dass diese Reaktion
eine emotionale Reaktion hat, die in den Blick kommt, wenn man Gesamtkirche und damit
Papsttum repräsentiert. Wenn man in gewisser Weise den Menschen klarmachen kann: ihr
seid nicht allein gelassen. Heute komme ich, aber es gibt viele andere, die an euch
denken und die euch gegebenenfalls auch helfen werden. Ich würde sagen, dass gerade
die Bedürftigen, die die im Elend sind – nicht nur die Gläubigen - aufleben, wenn
jemand kommt, der von dem „weißen Mann in Rom“ geschickt worden ist. Von daher versuchen
wir immer auch gegenüber den Hilfsorganisationen deutlich zu machen, dass Hilfe mehr
beinhalten muss als nur materielle Elemente. Dass sie eine emotionale Dimension hat
und dass die Hilfe erst dann vollkommen ist, wenn Vertrauen entsteht. Und wenn der
Glaube ins Spiel kommt: dass Gott, der Vater im Himmel, die Zukunft in der Hand hat.
Das zu artikulieren, muss mit großer Diskretion geschehen. In unseren Trostworten
muss deutlich werden: Wir haben euch etwas gegeben, wir repräsentieren die Kirche,
aber darüber hinaus gibt es den Vater im Himmel, dem ihr euch anvertrauen könnt und
in dessen Namen wir auch kommen. Wir lieben andere, weil wir geliebt sind. Das ist
das wichtigste an dem Dienst, den ‘Cor unum’ tun kann’.
Wenn ich Sie recht
verstehe, heißt das: die Kirche wird von den Menschen, die kirchlich nicht gebunden
sind, in erster Linie wahrgenommen als Institution des Helfens. Was unterscheidet
‘Cor unum’ dann von anderen großen Hilfsorganisationen wie das ‘Rote Kreuz’ oder ähnliche
staatliche Entwicklungshilfen?
Zu helfen ist heute, wie gesagt, ein Element
der westlichen Kultur. Wir müssen darüber sehr dankbar sein. Es gab vor zwei Jahren
eine Umfrage der Evangelischen Kirche in Hannover, eine soziale Umfrage unter kirchlich
nicht Gebundenen in Ostdeutschland, und eine der Fragen war: was halten Sie von der
Kirche? Ein Großteil der Befragten antwortete: ‘Die Kirche ist eine gute Sache, denn
sie hilft den Menschen’. Es ist also ein Charakteristikum auch von Außenstehenden,
dass Kirche eine Hilfs-Institution ist. Das Helfen ist das Fenster, durch das die
Kirche wahrgenommen wird. Das ist eine sehr wichtige Sache. Worin liegt nun das Spezifische?
Das Spezifische liegt darin, dass das Gebot der Nächstenliebe von Christus her an
das Gebot der Gottesliebe gebunden worden ist. Die erste Enzyklika des Papstes ‘Gott
ist die Liebe’ bringt das in wunderbarer Weise zum Ausdruck. Der Heilige Vater hat
den ersten Teil geschrieben, nur über die Liebe zu Gott. Und wenn diese Liebe auch
die karitative Tätigkeit in den Blick nimmt und orientieren will, dann gelingt die
Orientierung der karitativen Liebe, die Nächstenliebe, nur indem man auch immer wieder
daran denkt: wo sind die Quellen unserer Liebesmöglichkeit? Was liegt dem zugrunde?
Deshalb hat der Heilige Vater eben den ersten Teil der Enzyklika nur der Gottesliebe
gewidmet. Es ist unsere große Aufgabe, dass wir in einer Welt der Philanthropie, in
einer Welt, in der das Helfen mindestens als Theorie unbestritten ist, dass wir in
dieser Welt als Christen die Wurzeln und die Ermöglichung des Liebens von Gott her
in den Blick nehmen, im Blick behalten, und von da her die kirchliche Liebensweise
vom Tun - beispielsweise von Unicef oder vom Roten Kreuz - fundamental unterscheiden.
Priester,
Weihbischof, Erzbischof, Kardinal: vollkommener und zielgerader könnte sich eine kirchliche
Laufbahn, wie die Ihre, gar nicht präsentieren. Es wäre schön, wenn Sie hier die einzelnen
Phasen Ihrer Lebensstationen kurz definieren würden. Das Priesterjahr, das von Papst
Benedikt XVI. feliciter regnans in diesem Jahr ausgerufen wurde, könnte ein guter
Anlass für die erste Frage dazu sein. Wie lautet der ureigne Auftrag des Priesters?
‘Zunächst
muss ich sagen, dass meine Berufslaufbahn, wenn ich das mal so ansprechen soll, sehr
kurvenreich war. Es war nicht das Anpeilen irgendeines besonderen Zieles, sondern
es ergaben sich immer wieder neue Umstände. Ich habe mich zunächst ziemlich schwer
getan, Theologie zu studieren und Priester zu werden. Ich habe auch nicht von ungefähr
ein Jahr Medizinstudium vorgeschaltet. Im Hintergrund waren offenbar fromme Menschen,
die viel für mich gebetet haben. Und die mir dann diese Tür zum Priestertum geöffnet
haben. Schon als ich zum Priester geweiht war, hat mich die Theologie des Priestertums
sehr interessiert. Als mein Regens in Paderborn mir dann sagte: ‘Wollen Sie noch eine
Promotion schreiben?’, habe ich mich eigentlich diesem Thema zugewandt. Und habe promoviert
bei dem jetzigen Kardinal Lehmann – ich war sein erster Doktorand in Mainz - zum Thema
prespitorum ordinis – zum Dekret des II. Vatikanums über den priesterlichen Dienst.
Ich bin sehr dankbar, dass Benedikt in diesen etwas konfusen Zeiten für den priesterlichen
Dienst die Identität des Priesters noch einmal in den Blick rücken will. Mir scheint,
dass durch manche Faktoren gesellschaftlicher Art – vielleicht auch durch neue technische
Strukturen, wenn ich an die verschiedenen Räte denke – die Identität des Priesters
sich in einigen Zonen der Erde, nicht zuletzt auch in Deutschland, verdunkelt hat.
Wenn ich höre, dass es im deutschsprachigen Raum Laien gibt, die Gemeinden leiten
und dass der Priester, salopp ausgedrückt, eigentlich nur noch der ‘Sakramententäter’
ist, der von einer Gemeinde zur anderen zu rasen hat, dann halte ich das für eine
problematische Entwicklung. Nicht nur, weil sie den Priester überfordert, sondern
weil zum Wesen des Priestertums eben diese dreifache Sendung gehört: dass er das Wort
verkündet, dass er die Liturgie feiert und dass er die Hauptverantwortung für die
Gemeinde hat. Das heißt, für den Aufbau der Gemeinde. Und ich glaube, dass es manchmal
auch deshalb an Berufungen fehlt, weil die Identität des Priesters nicht mehr klar
genug ist. Wenn die Gemeinde geleitet wird von nicht Geweihten, dann bedeutet das
schon eine Reduzierung der Verantwortung des Priesters. Ich bin dankbar, dass der
Heilige Vater das Jubiläum des Pfarrers von Ars zum Anlass nimmt, um ein Jahr des
Priesters auszurufen, um den priesterlichen Dienst wieder in den Blick zu nehmen.
Andererseits muss man sagen, dass ich immer wieder glückliche Priester gefunden habe.
Wenn man jetzt sozusagen den Priester zum Märtyrer der Gegenwart macht, dann wird
man ihm auch nicht gerecht. Erstens verliert er dadurch an Attraktion, und zum zweiten
glaube ich auch, dass es wirklich erfüllte Priesterleben gibt. Ich bin ja auch nicht
mehr der Allerjüngste und habe also wunderschöne Briefe bekommen von Priestern, die
ihren Dienst voll und ganz getan haben, die jetzt vielleicht auch an der Altersgrenze
sind und die sehr, sehr glücklich zurückblicken auf ihr Leben. Priesterlicher Dienst
lebt nicht vom Opfer, sondern er lebt auch von der Erfüllung, die wir alle brauchen,
und diese Erfüllung gelingt. Man muss ihm seine von Gott gegebene Verantwortung belassen.
Er muss seine Kompetenz behalten. Wenn man ihm das belässt und wenn er das behält,
dann kann er ein sehr glückliches Leben führen’.
Nach der Tradition, die
auf Jesus zurückgeht, überträgt die Kirche nur Männern das Priesteramt. In der lateinischen
Tradition ist die Zulassung der Weihe überdies an die Bedingung geknüpft, dass der
Priester die Ehelosigkeit, den Zölibat verspricht. Diese beiden Aspekte sind immer
wieder Anlass für Diskussionen.
Zunächst einmal scheint mir, dass uns ein
Blick auf christliche Glaubensgemeinschaften, die diese Bedingungen nicht voraussetzen,
wenn jemand zum Priester geweiht wird, nicht ermutigt. Ich habe kürzlich gelesen,
dass unter den fünf Bischöfinnen, die wir in Deutschland haben, vier geschieden sind.
Ich will hier über niemanden den Stab brechen, aber wenn man bestimmte Bedingungen,
die gegeben sind und an denen Anstoß genommen wird, beseitigen würde, dann wäre die
Zukunft einer überzeugenden Glaubensverkündigung nicht unbedingt gewährleistet. Ich
habe mich häufig unterhalten mit dem früheren Seelsorger am Flughafen in Frankfurt
– weil ich auch sehr viel unterwegs bin – Pater Mader. Der ist 15 Jahre in Frankfurt
Flughafen-Seelsorger gewesen. Er erzählte immer wieder, dass seine evangelischen Kollegen,
sehr, sehr häufig gewechselt haben. Aus allen möglichen, auch persönlichen Gründen.
Wie können wir die von Ihnen genannten Bedingungen überwinden? Dass Jesus selber positiv
von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches Willen redet, ist eine biblische Tatsache.
Mir scheint, dass die Verkündigung des Reiches Gottes mit der endgültigen Erfüllung
in der Anschauung Gottes, dass die glaubwürdiger ist, wenn die Prediger solcher Wahrheit,
selber in ihrem Leben darauf hinweisen, dass diese endgültige Erfüllung, die Glücksverheißung
die darin liegt, von ihnen geglaubt wird und dass sie infolgedessen auf das Gut der
Ehe verzichten, damit diese Verkündigung der Erfüllung des Menschen in Gottes Seligkeit
glaubwürdiger wird. Mir scheint also da eine der tiefsten Gründe zu liegen. Dass die
Frauen gegebenenfalls auch zum priesterlichen Dienst geweiht werden sollten, darüber
gibt es viele theologische Abhandlungen, ich denke zum Beispiel an Hans Urs von Balthasar
aber auch an den gegenwärtigen Papst, die uns deutlich machen, dass die Repräsentanz
Christi, des Mannes gegenüber der Gemeinde, gegenüber der Kirche, die das frauliche
Element in der Heilsgeschichte darstellt, dass diese Repräsentanz Christi sozusagen
sinnvollerweise an den Mann gebunden ist.
Das Bischofsamt ist göttlichen
Rechts und kann durch keine menschliche Macht, auch nicht durch den Papst, aufgehoben
werden. Das hört sich für einen Laien beinahe überirdisch an. In was besteht im Allgemeinen
die Zentralaufgabe eines katholischen Bischofs?
Das, was Sie vom Bischof
gesagt haben, beträfe auch schon den Priester, beträfe alle priesterlichen Weihen,
sogar auch den Diakon. Der Bischof ist derjenige, der einmal im Bezug auf den Aufbau
der Gemeinde der eigentlich Verantwortliche ist. Richtig verstanden ist der Priester
also in diesem Sinn des Gemeindeaufbaus ein Mitarbeiter des Bischofs. Darüber hinaus
ist aber der Bischof auch derjenige, der sich die Katholizität erstellt. Man ist ja
zum Bischof geweiht durch drei Repräsentanten des Episkopats. Das heißt: man tritt
ein – theologisch gesprochen – in die communio des Gesamtepiskopats. Und diese communio
ist ja in II. Vatikanum sehr stark herausgestellt worden, selbstverständlich immer
unter der Betonung communio unter den Bischöfen, unter der Verantwortung des Papstes.
Bischof bedeutet also – die Augen aufmachen auch über die eigene Diözese hinaus –
in die Weltkirche hinein. Ich persönlich habe viel zu tun mit den großen Hilfswerken,
mit Adveniat, Misereor, Caritas, Kirche in Not. All diese Hilfswerke sind Initiativen
der Bischöfe gewesen und sind nach wie vor Initiativen der Bischöfe. Weil die Bischöfe
die Verantwortung für die Weltkirche haben. Und daran zeigt sich, dass der Priester
sicher stärker für die eigene Gemeinde da zu sein hat, dass der Bischof aber nicht
nur für seine Diözese da zu sein hat, sondern auch die Belange der Weltkirche in den
Blick nehmen muss. Wir stehen jetzt gerade vor der Synode zu Afrika, da kommen eben
die afrikanischen Bischöfe und andere Berater zusammen, um nachzudenken über die Situation
der Pastoral und der Not in Afrika. Daran zeigt sich wieder, dass der Papst sich die
Bischöfe heranholt, wenn es darum geht, Weichenstellungen zu finden, für bestimmte
weltkirchliche Bereiche und dass der Bischof gebunden ist an die Sendung der Universalkirche.
Ein
Kardinal ist in besonderer Weise und Stellung der Kirche von Rom zugeordnet und steht
dem Papst bei seiner Sorge für die Gesamtkirche zur Seite. In Ihrem Fall ist das die
Caritas. In Ihrem Buch ‘Helfer fallen nicht vom Himmel’ schreibt Papst Benedikt das
Geleitwort und weist darin vergleichend auf seine Enzyklika ‘Deus caritas est’ hin.
Kann man daraus den Schluss ziehen, dass Sie der maßgebende Ratgeber für die Texte
seiner ersten Enzyklika waren?
Absolut nicht. Ich will zwar nicht verheimlichen,
dass es schon vor dem Pontifikat von Benedikt XVI. Überlegungen gab, dass man zur
Frage der Caritas weltweit Impulse setzen müsste, vielleicht auch Orientierung geben
müsste, dass Kardinal Ratzinger um diese Arbeiten wusste und dass ich auch beteiligt
war an diesen Arbeiten. Aber wer Kardinal Ratzinger kennt, Joseph Ratzinger als Schreibenden,
der sieht sofort, dass diese Enzyklika die Handschrift des Papstes trägt, oder von
Joseph Ratzinger trägt. Der ganze erste Teil ist also lupenrein Ratzinger. Der zweite
Teil hat das eine oder andere von früheren Überlegungen übernommen, aber in irgendeiner
Weise zu meinen, dass Kardinal Ratzinger sich da bemüßigt gefühlt hat, andere Studien
mit heran zu ziehen, weil er selber diese Gedanken nicht hätte, wäre schrecklich unrealistisch.
Abschließend:
Wenn man zuerst Kardinal Joseph Ratzinger und dann Papst Benedikt XVI. so lange so
nahe steht wie Sie, kann man annehmen, dass sich eine Form der besonderen, auch menschlichen
Verbundenheit, herausgebildet hat. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Papst,
Wie erleben Sie ihn persönlich?
Zunächst scheint mir, dass die Kardinäle
den besten gewählt haben, den sie finden konnten. Wenn ich mir das erlauben darf.
Zum zweiten bewundere ich ihn als Lehrer und als Führer der Kirche, weil seine Botschaften,
seine Predigten und seine Schriften immer in die Mitte zielen. Er predigt wie Jesus
Christus. Einmal hat er gesagt in einer Ansprache an die Kurie: Ich bin nach Bayern
gefahren, um Gott zu verkünden. Er, der hoch gescheit ist, und sicher einen langen
Exkurs hätte machen können über seine Motive nach Bayern zu gehen, bringt das in diesem
ganz einfaches Satz. Oder er sagt uns, die wir mit der Veritas zu tun haben: ‘Wer
Gott nicht gibt, gibt zu wenig’. Er kann also diesen Grundimpuls seines Pontifikats
auf sehr einfache und sehr zentrale Formen bringen und deshalb bin ich also ungemein
dankbar, gerade für seine Verkündigung. Persönlich ist das Verhältnis auch durch seine
Wahl zum Papst nicht getrübt, es ist natürlich inzwischen viel schwieriger, dass wir
uns treffen, dass wir uns sehen. Er war, jetzt letzthin noch einmal bei meinem Namenstag
– weil er das früher ständig gemacht hat – bei mir zu Hause zum Essen und schon mal
sehen wir uns, aber es wäre völlig unrealistisch zu meinen, dass die persönlichen
Beziehungen, die früher bestanden haben, in einer gewissen Dichte fortbestehen könnten.
Wer die Last des Papsttums ein bisschen unter die Lupe nimmt und das Programm, dem
er gewachsen sein muss, beachtet, der weiß, dass die persönlichen Beziehungen, die
man einmal gehabt hat und sich weiterhin erhofft, dann sehr relativiert werden.
Welches
Mosaiksteinchen würden Sie zu dem Bild hinzufügen, das wir durch das Gespräch mit
Ihnen heute unseren Hörerinnen und Hörern weitergeben konnten? Gibt es in Ihrem langen
Priester-Bischofs-Kardinalsleben etwas, was sie in der Kirche anders sehen möchten,
ändern möchten? Welche Empfehlungen würden Sie der römisch-katholischen Kirche gerne
weitergeben?
Ich bin kürzlich zwei Tage in Assisi und Perugia gewesen.
Ich habe dort das Proto-Monastero der Klarissen mit dem Sarkophag der Heiligen Chiara
besucht, habe mich mit den Klarissinnen unterhalten. Ich habe in Perugia die Eucharistie
gefeiert und stehe vielleicht noch unter diesem Eindruck. Was man unserer Kirche wünschen
muss: mir scheint, man muss heute die kontemplative Dimension in der Aktivität der
Kirche stärken. Wir haben Exerzitien angeboten, für die Präsidenten und Mitarbeiter
der Caritas in Nord- und Südamerika, für Asien in Taiwan und ich muss immer wieder
sehen, dass die kirchliche Aktivität sich einer politischen Effizienz anschließt.
Und weil die kontemplative Dimension politisch nicht zu Buche schlägt, wird das Kontemplative
relativiert. Ich will nicht sagen, dass es ausfällt, aber wenn Papst Benedikt so sehr
die Christus-, die Theozentrik des kirchlichen Handelns so stark unterstreicht, dann
kann ich das eigentlich nur übernehmen und noch einmal ausdrücken, und der Kirche
wünschen, dass sie immer wieder neu in einer hektischen Welt die Stille und die Begegnung
mit Gott sucht und die Sakramente, die die Kirche uns anbietet, mit Tiefgang und nicht
aus Routine feiert. Dass Eucharistie, dass die Beichte wieder ein Element der Praxis
wird. Ich glaube, dass die Kirche in dieser Welt ist und dass die Mittel der Kirche
mit den Mitteln der Welt sehr oft übereinstimmen. Aber wir dürfen nicht vergessen,
dass wir anders sind. Die Kirche repräsentiert den auferstandenen Herrn: das bedeutet,
dass sie ihm verbunden bleiben muss durch eine besondere Zuwendung zu ihm.