2009-10-11 11:37:16

Menschen in der Zeit: Kurienkardinal Paul Josef Cordes, 75 Jahre


RealAudioMP3 Kurienkardinal Paul Josef Cordes feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag. Der dienstälteste deutsche Kardinal steht seit rund 30 Jahren in päpstlichen Diensten. Zunächst als Vizepräsident des Laienrates, dann als Präsident des Rates ‘Cor unum’, der für die karitativen Aufgaben der katholischen Kirche zuständig ist und eine Art Entwicklungsministerium des Vatikans darstellt.
Seit 2007 gehört Cordes dem Kardinalskollegium an. Mit 75 Jahren erreichen die Kardinäle zwar die offizielle vatikanische Pensionsgrenze, doch gilt es als sehr wahrscheinlich, dass Papst Benedikt XVI. Kardinal Cordes bitten wird, noch im Amt zu bleiben. Cordes machte sich schon früh als einer der Gründer der Weltjugendtage einen Namen. Papst Johannes Paul II. machte sie zur festen Einrichtung. Als Präsident des Päpstlichen Rates ‘Cor unum’ koordiniert Kardinal Cordes weltweite Hilfstätigkeiten der katholischen Kirche. Regelmäßig reist er in  die Krisenregionen und Katastrophengebiete, aber auch in die politischen Machtzentralen, um Hilfe zu ermöglichen. Mit Kardinal Kasper und Bischof Clemens gehört Kardinal Paul Josef Cordes zu den wenigen Deutschen, die eine Führungsposition im Vatikan bekleiden. Hören und lesen Sie das Gespräch von Aldo Parmeggiani:

 
Herr Kardinal, das erste Gebot der Christenheit lautet: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Sie nehmen in der katholischen Weltkirche eine Aufgabe wahr, die diesem Gebot besonders nahe kommt: Sie praktizieren Nächstenliebe täglich, konkret und weltweit. Was ist für dieses Amt entscheidend?

‘Zunächst scheint mir, dass dieses Gebot der Nächstenliebe inzwischen ein Element westlicher Kultur geworden ist. Wir können uns darüber freuen, dass wohl keine Anregung, keine Verpflichtung des Herrn so nachdrücklich in die Menschheit gekommen ist, mindestens in der westlichen Welt, wie dieses Gebot ‘Liebe den Nächsten’. Es gehört heute fast schon zum guten Ton. Für mich ist in dieser Welt das wichtigste, dass wir angesichts dieses Gebotes der Nächstenliebe nicht die ursprüngliche Formulierung übersehen, wie sie von Jesus her kommt, Eigentlich redet Jesus vom Gebot der Nächstenliebe ja als von dem Zweiten, das dem Ersten gleich ist. Das heißt also: er beginnt damit, zu sagen, du sollst Gott deinen Herrn lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzer Kraft und mit all deinen Möglichkeiten. Dies ist das erste Gebot und dann zweitens: Liebe den Nächsten wie dich selbst. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir als Christen die Verbindung der Nächstenliebe mit der Gottesliebe in den Blick rücken. Damit auch in einer philantropischen, in einer humanitären Welt die Ermöglichung des Liebens von Gott her nicht aus dem Blick kommt.

Sie reisen in jene Gegenden der Welt, die von furchtbaren Katastrophen, Kriegen, Hungersnöten, Völkermorden heimgesucht werden. Sie begegnen dem Unheil der Welt sozusagen in erster Person. Wie gehen Sie mit der viel gestellten Frage um, warum Gott dies alles zulässt?

’Ja, diese Frage wird manchmal vorwurfsvoll, manchmal aber auch in ernster Bedrückung gegenüber Repräsentanten der Religion, gegenüber Christen gestellt. Zunächst rührt das Elend in der Welt sehr häufig aus der Tatsache, dass Gott den Menschen frei erschaffen hat. Als ich zum Beispiel im Iran war, nach dem Krieg, da sah man, dass das Leid, das dort entstanden war, auch dadurch entstanden ist, weil Menschen Menschen bekämpften. Dass sie in ihrer Freiheit den anderen niedermachen wollten. Dass Schmerz entsteht, weil Menschen andere hassen. Das ist die Folge des freien Menschen. Gott hat die Menschen nicht als jemanden geschaffen, der gezwungen wäre, das Gute zu tun, sondern er hat ihn frei geschaffen, weil die Liebe, die freie Antwort, nicht eine gezwungene Antwort will. Wir sind nicht wie die Tiere domestiziert, sondern wir müssen uns frei entscheiden, und damit ist Gott das Risiko eingegangen, dass der Mensch in seiner Freiheit auch das Böse tut. Angefangen eben schon bei Adam und Eva im Paradies. Aber es gibt noch eine zweite Dimension: Das Elend entsteht dadurch, dass die Natur zurückschlägt, dass sie in irgendeiner Weise den Menschen leiden lässt. Ich war jetzt gerade in Taiwan, wo vor kurzem ein Zyklon gehaust hat und eine große Überschwemmung und einen großen Erdrutsch zur Folge gehabt hat. Für diese Dinge kann man kaum - jedenfalls zunächst nicht – einen Menschen verantwortlich machen. Warum geschieht das alles? Und warum lässt Gott das zu? Diese Frage ist unendlich alt. Schon vom Beginn des Christentums an, ja darüber hinaus, schon vor über 2000 Jahren hat man sie sich gestellt. Darauf gibt es auch keine Antwort, die zufrieden stellen könnte, sodass man das Problem ablegt und sagt: das ist geregelt, darüber brauchen wir nicht mehr zu diskutieren. Aber ich habe, weil ich oft auch konfrontiert werde mit dem Elend, etwas gefunden beim Heiligen Augustinus: Augustinus hat sich schon mit diesem Problem auseinandergesetzt und er gibt eine überraschende Antwort. Er sagt nämlich ‘si comprendis non est deus’ (Wenn du ihn verstehst, dann ist er nicht Gott). Gott überragt uns also immer, wir können ihm nicht in die Karten gucken. Und wir können ihn noch viel weniger herunterziehen sozusagen auf unsere Augenhöhe, um ihn zu zwingen, dass er sich rechtfertigt. Gerade in den Taten, die wir nicht verstehen, zeigt er uns, dass wir zu ihm aufzuschauen haben, dass wir sein Geschick anzunehmen haben. Dann schlägt virulent zu Buche, dass Jesus uns diesen allmächtigen Gott, der manchmal auch im Dunkeln ist, als Vater geoffenbart hat. Er hat das Gesicht eines Vaters. Und dann tritt unser Glaube in Kraft. Dass wir, auch wenn wir ihn nicht verstehen, uns ihm anvertrauen, uns ihm übergeben und sagen: ich verstehe zwar nicht - so wie Job ihn auch nicht verstanden hat – aber ich vertraue dir. Ich liefere mich dir aus, ich vertrau mich dir an’.


Wie wird diese Botschaft von jenen Menschen aufgenommen, die mit der Kirche, mit dem katholischen Glauben nichts zu tun haben?

‘Schon mal kommt es dazu, dass man anfängt, darüber zu reden. Ich glaube, auch für uns gläubige Christen ist es schwer, diesen Schritt zu tun. Manchmal ist die Tatsache, dass man diesen Schritt nicht tun kann, gerade für solche, die nicht glauben, ein Hinweis darauf, dass sie eigentlich nicht in der vollen Wahrheit stehen. Dass die Wahrheit des Glaubens ihnen zum Leben verhelfen würde, wenn sie diese Wahrheit des Glaubens annehmen würden. Von daher ist – glaube ich – das Elend in der Welt eine Provokation für die Menschen. Man kann darauf reagieren wie Nietzsche – der Gott angeklagt hat - wie auch viele moderne Dichter Gott anklagen. Man kann es in Zeitungen immer wieder lesen. Aber wir können nicht leben - scheint mir – ohne dass wir Hoffnung haben. Ohne dass wir auf Zukunft setzen. Und diese Zukunft ist nur dann zum Guten für uns sichergestellt, wenn da ein allmächtiger Gott ist, der das Gesicht eines Vaters hat’.


Ich denke, ein wichtiger Punkt Ihres Arbeitsfeldes ist auch der, dass Sie den Bedürftigen jeweils das Gefühl weitergeben, dass der Papst sie nicht alleine lässt. Das Sachliche ist zwar wichtig, aber es kommt auch darauf an, dass die Menschen die Anteilnahme spüren. Merken Sie das auf Ihren zahlreichen Reisen, Herr Kardinal?

’Ja, das ist eigentlich das, was uns am meisten ausfüllt. Niemand kann seinen Dienst tun, wenn er nicht eine Resonanz spürt. Diese Resonanz ist zunächst gegeben, in der materiellen Hilfe, die wir bringen. Unsere Abteilung im Vatikan versteht sich ja auch als die Caritas des Papstes. Nun, kann man heute Geld leicht weiterschicken über die Bank in die allermeisten Zonen der Erde. Aber es ist noch wichtiger, dass diese bedürftigen Menschen ein Gesicht sehen, sodass sie spüren: da steht eine Person dahinter. Wenn ich zurückdenke an die vielen Reisen, die ich gemacht habe, dann war das eigentlich immer der springende Punkt. Wenn ich sagen kann, ich komme vom Papst. Da spürt man, dass die Reaktion gegen das Unheil, gegen das Elend, gegen das Böse, mehr als materielle Hilfe fordert. Dass diese Reaktion eine emotionale Reaktion hat, die in den Blick kommt, wenn man Gesamtkirche und damit Papsttum repräsentiert. Wenn man in gewisser Weise den Menschen klarmachen kann: ihr seid nicht allein gelassen. Heute komme ich, aber es gibt viele andere, die an euch denken und die euch gegebenenfalls auch helfen werden. Ich würde sagen, dass gerade die Bedürftigen, die die im Elend sind – nicht nur die Gläubigen - aufleben, wenn jemand kommt, der von dem „weißen Mann in Rom“ geschickt worden ist. Von daher versuchen wir immer auch gegenüber den Hilfsorganisationen deutlich zu machen, dass Hilfe mehr beinhalten muss als nur materielle Elemente. Dass sie eine emotionale Dimension hat und dass die Hilfe erst dann vollkommen ist, wenn Vertrauen entsteht. Und wenn der Glaube ins Spiel kommt: dass Gott, der Vater im Himmel, die Zukunft in der Hand hat. Das zu artikulieren, muss mit großer Diskretion geschehen. In unseren Trostworten muss deutlich werden: Wir haben euch etwas gegeben, wir repräsentieren die Kirche, aber darüber hinaus gibt es den Vater im Himmel, dem ihr euch anvertrauen könnt  und in dessen Namen wir auch kommen. Wir lieben andere, weil wir geliebt sind. Das ist das wichtigste an dem Dienst, den ‘Cor unum’ tun kann’.

Wenn ich Sie recht verstehe, heißt das: die Kirche wird von den Menschen, die kirchlich nicht gebunden sind, in erster Linie wahrgenommen als Institution des Helfens. Was unterscheidet ‘Cor unum’ dann von anderen großen Hilfsorganisationen wie das ‘Rote Kreuz’ oder ähnliche staatliche Entwicklungshilfen?

Zu helfen ist heute, wie gesagt, ein Element der westlichen Kultur. Wir müssen darüber sehr dankbar sein. Es gab vor zwei Jahren eine Umfrage der Evangelischen Kirche in Hannover, eine soziale Umfrage unter kirchlich nicht Gebundenen in Ostdeutschland, und eine der Fragen war: was halten Sie von der Kirche? Ein Großteil der Befragten antwortete: ‘Die Kirche ist eine gute Sache, denn sie hilft den Menschen’. Es ist also ein Charakteristikum auch von Außenstehenden, dass Kirche eine Hilfs-Institution ist. Das Helfen ist das Fenster, durch das die Kirche wahrgenommen wird. Das ist eine sehr wichtige Sache. Worin liegt nun das Spezifische? Das Spezifische liegt darin, dass das Gebot der Nächstenliebe von Christus her an das Gebot der Gottesliebe gebunden worden ist. Die erste Enzyklika des Papstes ‘Gott ist die Liebe’ bringt das in wunderbarer Weise zum Ausdruck. Der Heilige Vater hat den ersten Teil geschrieben, nur über die Liebe zu Gott. Und wenn diese Liebe auch die karitative Tätigkeit in den Blick nimmt und orientieren will, dann gelingt die Orientierung der karitativen Liebe, die Nächstenliebe, nur indem man auch immer wieder daran denkt: wo sind die Quellen unserer Liebesmöglichkeit? Was liegt dem zugrunde? Deshalb hat der Heilige Vater eben den ersten Teil der Enzyklika nur der Gottesliebe gewidmet. Es ist unsere große Aufgabe, dass wir in einer Welt der Philanthropie, in einer Welt, in der das Helfen mindestens als Theorie unbestritten ist, dass wir in dieser Welt als Christen die Wurzeln und die Ermöglichung des Liebens von Gott her in den Blick nehmen, im Blick behalten, und von da her die kirchliche Liebensweise vom Tun - beispielsweise von Unicef oder vom Roten Kreuz - fundamental unterscheiden.


 Priester, Weihbischof, Erzbischof, Kardinal: vollkommener und zielgerader könnte sich eine kirchliche Laufbahn, wie die Ihre, gar nicht präsentieren. Es wäre schön, wenn Sie hier die einzelnen Phasen Ihrer Lebensstationen kurz definieren würden. Das Priesterjahr, das von Papst Benedikt XVI. feliciter regnans in diesem Jahr ausgerufen wurde, könnte ein guter Anlass für die erste Frage dazu sein. Wie lautet der ureigne Auftrag des Priesters?

‘Zunächst muss ich sagen, dass meine Berufslaufbahn, wenn ich das mal so ansprechen soll, sehr kurvenreich war. Es war nicht das Anpeilen irgendeines besonderen Zieles, sondern es ergaben sich immer wieder neue Umstände. Ich habe mich zunächst ziemlich schwer getan, Theologie zu studieren und Priester zu werden. Ich habe auch nicht von ungefähr ein Jahr Medizinstudium vorgeschaltet. Im Hintergrund waren offenbar fromme Menschen, die viel für mich gebetet haben. Und die mir dann diese Tür zum Priestertum geöffnet haben. Schon als ich zum Priester geweiht war, hat mich die Theologie des Priestertums sehr interessiert. Als mein Regens in Paderborn mir dann sagte: ‘Wollen Sie noch eine Promotion schreiben?’, habe ich mich eigentlich diesem Thema zugewandt. Und habe promoviert bei dem jetzigen Kardinal Lehmann – ich war sein erster Doktorand in Mainz - zum Thema prespitorum ordinis – zum Dekret des II. Vatikanums über den priesterlichen Dienst. Ich bin sehr dankbar, dass Benedikt in diesen etwas konfusen Zeiten für den priesterlichen Dienst die Identität des Priesters noch einmal in den Blick rücken will. Mir scheint, dass durch manche Faktoren gesellschaftlicher Art – vielleicht auch durch neue technische Strukturen, wenn ich an die verschiedenen Räte denke – die Identität des Priesters sich in einigen Zonen der Erde, nicht zuletzt auch in Deutschland, verdunkelt hat. Wenn ich höre, dass es im deutschsprachigen Raum Laien gibt, die Gemeinden leiten und dass der Priester, salopp ausgedrückt, eigentlich nur noch der ‘Sakramententäter’ ist, der von einer Gemeinde zur anderen zu rasen hat, dann halte ich das für eine problematische Entwicklung. Nicht nur, weil sie den Priester überfordert, sondern weil zum Wesen des Priestertums eben diese dreifache Sendung gehört: dass er das Wort verkündet, dass er die Liturgie feiert und dass er die Hauptverantwortung für die Gemeinde hat. Das heißt, für den Aufbau der Gemeinde. Und ich glaube, dass es manchmal auch deshalb an Berufungen fehlt, weil die Identität des Priesters nicht mehr klar genug ist. Wenn die Gemeinde geleitet wird von nicht Geweihten, dann bedeutet das schon eine Reduzierung der Verantwortung des Priesters. Ich bin dankbar, dass der Heilige Vater das Jubiläum des Pfarrers von Ars zum Anlass nimmt, um ein Jahr des Priesters auszurufen, um den priesterlichen Dienst wieder in den Blick zu nehmen. Andererseits muss man sagen, dass ich immer wieder glückliche Priester gefunden habe. Wenn man jetzt sozusagen den Priester zum Märtyrer der Gegenwart macht, dann wird man ihm auch nicht gerecht. Erstens verliert er dadurch an Attraktion, und zum zweiten glaube ich auch, dass es wirklich erfüllte Priesterleben gibt. Ich bin ja auch nicht mehr der Allerjüngste und habe also wunderschöne Briefe bekommen von Priestern, die ihren Dienst voll und ganz getan haben, die jetzt vielleicht auch an der Altersgrenze sind und die sehr, sehr glücklich zurückblicken auf ihr Leben. Priesterlicher Dienst lebt nicht vom Opfer, sondern er lebt auch von der Erfüllung, die wir alle brauchen, und diese Erfüllung gelingt. Man muss ihm seine von Gott gegebene Verantwortung belassen. Er muss seine Kompetenz behalten. Wenn man ihm das belässt und wenn er das behält, dann kann er ein sehr glückliches Leben führen’.

Nach der Tradition, die auf Jesus zurückgeht, überträgt die Kirche nur Männern das Priesteramt. In der lateinischen Tradition ist die Zulassung der Weihe überdies an die Bedingung geknüpft, dass der Priester die Ehelosigkeit, den Zölibat verspricht. Diese beiden Aspekte sind immer wieder Anlass für Diskussionen.

Zunächst einmal scheint mir, dass uns ein Blick auf christliche Glaubensgemeinschaften, die diese Bedingungen nicht voraussetzen, wenn jemand zum Priester geweiht wird, nicht ermutigt. Ich habe kürzlich gelesen, dass unter den fünf Bischöfinnen, die wir in Deutschland haben, vier geschieden sind. Ich will hier über niemanden den Stab brechen, aber wenn man bestimmte Bedingungen, die gegeben sind und an denen Anstoß genommen wird, beseitigen würde, dann wäre die Zukunft einer überzeugenden Glaubensverkündigung nicht unbedingt gewährleistet. Ich habe mich häufig unterhalten mit dem früheren Seelsorger am Flughafen in Frankfurt – weil ich auch sehr viel unterwegs bin – Pater Mader. Der ist 15 Jahre in Frankfurt Flughafen-Seelsorger gewesen. Er erzählte immer wieder, dass seine evangelischen Kollegen, sehr, sehr häufig gewechselt haben. Aus allen möglichen, auch persönlichen Gründen. Wie können wir die von Ihnen genannten Bedingungen überwinden? Dass Jesus selber positiv von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches Willen redet, ist eine biblische Tatsache. Mir scheint, dass die Verkündigung des Reiches Gottes mit der endgültigen Erfüllung in der Anschauung Gottes, dass die glaubwürdiger ist, wenn die Prediger solcher Wahrheit, selber in ihrem Leben darauf hinweisen, dass diese endgültige Erfüllung, die Glücksverheißung die darin liegt, von ihnen geglaubt wird und dass sie infolgedessen auf das Gut der Ehe verzichten, damit diese Verkündigung der Erfüllung des Menschen in Gottes Seligkeit glaubwürdiger wird. Mir scheint also da eine der tiefsten Gründe zu liegen. Dass die Frauen gegebenenfalls auch zum priesterlichen Dienst geweiht werden sollten, darüber gibt es viele theologische Abhandlungen, ich denke zum Beispiel an Hans Urs von Balthasar aber auch an den gegenwärtigen Papst, die uns deutlich machen, dass die Repräsentanz Christi, des Mannes gegenüber der Gemeinde, gegenüber der Kirche, die das frauliche Element in der Heilsgeschichte darstellt, dass diese Repräsentanz Christi sozusagen sinnvollerweise an den Mann gebunden ist.

Das Bischofsamt ist göttlichen Rechts und kann durch keine menschliche Macht, auch nicht durch den Papst, aufgehoben werden. Das hört sich für einen Laien beinahe überirdisch an. In was besteht im Allgemeinen die Zentralaufgabe eines katholischen Bischofs?

Das, was Sie vom Bischof gesagt haben, beträfe auch schon den Priester, beträfe alle priesterlichen Weihen, sogar auch den Diakon. Der Bischof ist derjenige, der einmal im Bezug auf den Aufbau der Gemeinde der eigentlich Verantwortliche ist. Richtig verstanden ist der Priester also in diesem Sinn des Gemeindeaufbaus ein Mitarbeiter des Bischofs. Darüber hinaus ist aber der Bischof auch derjenige, der sich die Katholizität erstellt. Man ist ja zum Bischof geweiht durch drei Repräsentanten des Episkopats. Das heißt: man tritt ein – theologisch gesprochen – in die communio des Gesamtepiskopats. Und diese communio ist ja in II. Vatikanum sehr stark herausgestellt worden, selbstverständlich immer unter der Betonung communio unter den Bischöfen, unter der Verantwortung des Papstes. Bischof bedeutet also – die Augen aufmachen auch über die eigene Diözese hinaus – in die Weltkirche hinein. Ich persönlich habe viel zu tun mit den großen Hilfswerken, mit Adveniat, Misereor, Caritas, Kirche in Not. All diese Hilfswerke sind Initiativen der Bischöfe gewesen und sind nach wie vor Initiativen der Bischöfe. Weil die Bischöfe die Verantwortung für die Weltkirche haben. Und daran zeigt sich, dass der Priester sicher stärker für die eigene Gemeinde da zu sein hat, dass der Bischof aber nicht nur für seine Diözese da zu sein hat, sondern auch die Belange der Weltkirche in den Blick nehmen muss. Wir stehen jetzt gerade vor der Synode zu Afrika, da kommen eben die afrikanischen Bischöfe und andere Berater zusammen, um nachzudenken über die Situation der Pastoral und der Not in Afrika. Daran zeigt sich wieder, dass der Papst sich die Bischöfe heranholt, wenn es darum geht, Weichenstellungen zu finden, für bestimmte weltkirchliche Bereiche und dass der Bischof gebunden ist an die Sendung der Universalkirche.

Ein Kardinal ist in besonderer Weise und Stellung der Kirche von Rom zugeordnet und steht dem Papst bei seiner Sorge für die Gesamtkirche zur Seite. In Ihrem Fall ist das die Caritas. In Ihrem Buch ‘Helfer fallen nicht vom Himmel’ schreibt Papst Benedikt das Geleitwort und weist darin vergleichend auf seine Enzyklika ‘Deus caritas est’ hin. Kann man daraus den Schluss ziehen, dass Sie der maßgebende Ratgeber für die Texte seiner ersten Enzyklika waren?

Absolut nicht. Ich will zwar nicht verheimlichen, dass es schon vor dem Pontifikat von Benedikt XVI. Überlegungen gab, dass man zur Frage der Caritas weltweit Impulse setzen müsste, vielleicht auch Orientierung geben müsste, dass Kardinal Ratzinger um diese Arbeiten wusste und dass ich auch beteiligt war an diesen Arbeiten. Aber wer Kardinal Ratzinger kennt, Joseph Ratzinger als Schreibenden, der sieht sofort, dass diese Enzyklika die Handschrift des Papstes trägt, oder von Joseph Ratzinger trägt. Der ganze erste Teil ist also lupenrein Ratzinger. Der zweite Teil hat das eine oder andere von früheren Überlegungen übernommen, aber in irgendeiner Weise zu meinen, dass Kardinal Ratzinger sich da bemüßigt gefühlt hat, andere Studien mit heran zu ziehen, weil er selber diese Gedanken nicht hätte, wäre schrecklich unrealistisch.

Abschließend: Wenn man zuerst Kardinal Joseph Ratzinger und dann Papst Benedikt XVI. so lange so nahe steht wie Sie, kann man annehmen, dass sich eine Form der besonderen, auch menschlichen Verbundenheit, herausgebildet hat. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Papst, Wie erleben Sie ihn persönlich?

Zunächst scheint mir, dass die Kardinäle den besten gewählt haben, den sie finden konnten. Wenn ich mir das erlauben darf. Zum zweiten bewundere ich ihn als Lehrer und als Führer der Kirche, weil seine Botschaften, seine Predigten und seine Schriften immer in die Mitte zielen. Er predigt wie Jesus Christus. Einmal hat er gesagt in einer Ansprache an die Kurie: Ich bin nach Bayern gefahren, um Gott zu verkünden. Er, der hoch gescheit ist, und sicher einen langen Exkurs hätte machen können über seine Motive nach Bayern zu gehen, bringt das in diesem ganz einfaches Satz. Oder er sagt uns, die wir mit der Veritas zu tun haben: ‘Wer Gott nicht gibt, gibt zu wenig’. Er kann also diesen Grundimpuls seines Pontifikats auf sehr einfache und sehr zentrale Formen bringen und deshalb bin ich also ungemein dankbar, gerade für seine Verkündigung. Persönlich ist das Verhältnis auch durch seine Wahl zum Papst nicht getrübt, es ist natürlich inzwischen viel schwieriger, dass wir uns treffen, dass wir uns sehen. Er war, jetzt letzthin noch einmal bei meinem Namenstag – weil er das früher ständig gemacht hat – bei mir zu Hause zum Essen und schon mal sehen wir uns, aber es wäre völlig unrealistisch zu meinen, dass die persönlichen Beziehungen, die früher bestanden haben, in einer gewissen Dichte fortbestehen könnten. Wer die Last des Papsttums ein bisschen unter die Lupe nimmt und das Programm, dem er gewachsen sein muss, beachtet, der weiß, dass die persönlichen Beziehungen, die man einmal gehabt hat und sich weiterhin erhofft, dann sehr relativiert werden.

Welches Mosaiksteinchen würden Sie zu dem Bild hinzufügen, das wir durch das Gespräch mit Ihnen heute unseren Hörerinnen und Hörern weitergeben konnten? Gibt es in Ihrem langen Priester-Bischofs-Kardinalsleben etwas, was sie in der Kirche anders sehen möchten, ändern möchten? Welche Empfehlungen würden Sie der römisch-katholischen Kirche gerne weitergeben?

Ich bin kürzlich zwei Tage in Assisi und Perugia gewesen. Ich habe dort das Proto-Monastero der Klarissen mit dem Sarkophag der Heiligen Chiara besucht, habe mich mit den Klarissinnen unterhalten. Ich habe in Perugia die Eucharistie gefeiert und stehe vielleicht noch unter diesem Eindruck. Was man unserer Kirche wünschen muss: mir scheint, man muss heute die kontemplative Dimension in der Aktivität der Kirche stärken. Wir haben Exerzitien angeboten, für die Präsidenten und Mitarbeiter der Caritas in Nord- und Südamerika, für Asien in Taiwan und ich muss immer wieder sehen, dass die kirchliche Aktivität sich einer politischen Effizienz anschließt. Und weil die kontemplative Dimension politisch nicht zu Buche schlägt, wird das Kontemplative relativiert. Ich will nicht sagen, dass es ausfällt, aber wenn Papst Benedikt so sehr die Christus-, die Theozentrik des kirchlichen Handelns so stark unterstreicht, dann kann ich das eigentlich nur übernehmen und noch einmal ausdrücken, und der Kirche wünschen, dass sie immer wieder neu in einer hektischen Welt die Stille und die Begegnung mit Gott sucht und die Sakramente, die die Kirche uns anbietet, mit Tiefgang und nicht aus Routine feiert. Dass Eucharistie, dass die Beichte wieder ein Element der Praxis wird. Ich glaube, dass die Kirche in dieser Welt ist und dass die Mittel der Kirche mit den Mitteln der Welt sehr oft übereinstimmen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir anders sind. Die Kirche repräsentiert den auferstandenen Herrn: das bedeutet, dass sie ihm verbunden bleiben muss durch eine besondere Zuwendung zu ihm.

Aldo Parmeggiani

(rv 11.10.2009 ap)








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