2009-10-09 10:45:39

Zum Gedenken an den 9. Oktober:
„Wir wollen nicht schießen“


RealAudioMP3 Mit einem Festakt wird an diesem Freitag in Leipzig an die friedliche Revolution in der DDR vor 20 Jahren erinnert. Im Beisein von Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel soll die entscheidende Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 gewürdigt werden. Damals waren in Leipzig rund 70.000 Menschen für mehr Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen. Vier Wochen später fiel die Mauer. - Gut 100 Kilometer von Leipzig entfernt, in Dresden, war am 9. Oktober 1989 etwas ganz anderes geschehen, nicht weniger außergewöhnlich und ebenso bahnbrechend: Ein SED-Funktionär wurde zum Bittsteller bei der katholischen Kirche. Sein Anliegen betraf auch Leipzig. Mehr in diesem Beitrag von Birgit Pottler:

Die Vorgeschichte: Am 8. Oktober wurden mehrere Tausend Demonstranten auf der Prager Straße in Dresden eingekesselt. Unter ihnen zwei katholische Kapläne, die mit der Volkspolizei schließlich einen friedlichen Ausgang aushandelten. Die Demonstranten gründeten die Gruppe der 20; 20 Vertreter, die am folgenden Tag mit dem damaligen Oberbürgermeister Dresdens sprechen sollten. Das Ziel: erste Signale eines Dialogs in der SED. Die Demonstranten forderten, die Gesprächsergebnisse genau 24 Stunden später wieder der Öffentlichkeit auf der Prager Straße bekannt zu geben. Bürgermeister und Volkspolizei verlangten jedoch aus Angst vor neuen Demonstrationen Versammlungen in vier Kirchen Dresdens.


SED wurde zum Bittsteller
Am 9. Oktober kam folglich erstmals ein Regierungsvertreter als Bittsteller zu Bischof Joachim Reinelt: „Das war natürlich eine ganz neue Erfahrung. Er bat mich darum, klar zu machen, dass die SED nun endlich sähe, wie viele Fehler sie gemacht hätte, dass es zu ganz neuen Entscheidungen in der Reisefreiheit käme und dass auf das Volk gehört werde, wie das leider in der Geschichte der DDR vorher nicht geschehen sei. Ich habe dem Mann gesagt: .Wissen sie, das glaubt mir niemand, weil die Leute das Ihnen nicht glauben. Sie haben in der Geschichte immer schöne Aussagen gemacht, und sobald Ruhe eingetreten ist, alles wieder zurück genommen.’ Der SED-Mann hat mich geradezu angebettelt: ,Bitte helfen Sie mir, wir haben eine Angst: Wenn heute, am 9. Oktober, in Dresden irgendjemand Gewalt anwendet, müssen wir schießen. Und wir haben uns gerade abgesprochen, zwischen den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Dresden, dass wir heute Abend in Leipzig nicht schießen wollen.’ ,Und die Berliner wissen auch Bescheid’, war so eine ganz läppische Bemerkung.“ Bischof Reinelt lenkte ein, nicht ohne Bedingung: „Wenn es darum geht, dann mache ich diese Ansage. Aber ich verlange, dass im weiten Umkreis um alle Kirchen kein Volkspolizist zu sehen ist. An Militär hab’ ich damals noch gar nicht geglaubt, das war mindestens in Dresden nicht der Fall, in Leipzig aber anders.“


„Hier dürfen wir uns nicht schonen“
Reinelt sprach sich mit dem evangelischen Landesbischof ab. Der sollte die „Wir wollen nicht schießen“-Losung in Leipzig verbreiten, Reinelt blieb in der Dresdner Hofkirche und informierte über die Ergebnisse der ersten Verhandlungen zwischen Demonstranten und Regime. „Und ich muss sagen, das war ein Höhepunkt in meinem Bischofsleben“, sagt der fast 73-Jährige 20 Jahre später.
Eine politische Veranstaltung in der katholischen Kirche? „Ich habe eine politische Versammlung ganz bewusst in der Kirche zugelassen, weil ich gesagt habe, hier müssen wir den Menschen helfen, hier dürfen wir uns nicht schonen, dürfen auch nicht Prinzipien eisern durchhalten, hier muss alles für die Menschen getan werden, die ja wirklich auch durch die Stadt gejagt worden sind.“


Die Stadt sei vereint gewesen, über Konfessionen und Weltanschauungen hinweg, erinnert sich der Bischof. Zweimal musste die Veranstaltung hintereinander abgehalten werden, zu groß war der Andrang. Unter den 8.000 Menschen, die in der Hofkirche in der ersten Runde Platz fanden, war auch der heutige Bischof von Görlitz, Konrad Zdarsa, vor 20 Jahren Pfarrer im nahen Freital. Als er Richtung Dresden fuhr, hatten Polizisten am Straßenrand noch sein Autokennzeichen aufgeschrieben: „So ging das, um Dresden möglichst klein zu halten. Aber aussichtslos. In der Hofkirche rief einer: ,Da muss ich erst in die Kirche gehen, um Informationen zu bekommen!’“


Der Durchbruch
Der 9. Oktober war der Durchbruch. Bischof Reinelt: „Da war wirklich eine derartige Stimmung, dass man merkte: Jetzt beginnt es, jetzt geht was los.“ Mindestens 20.000 Menschen waren bei den Informationsveranstaltungen in Dresden, 70.000 bei der Montagsdemonstration in Leipzig - trotz Angst vor Waffeneinsatz. Reinelt sagt heute: „Ich habe dann von Leipzig von dem guten Ausgang gehört und habe nicht gewusst, dass man den Leipzigern die Absprache mit dem SED-Funktionär nicht vorher mitgeteilt hat. Die sind also noch zitternd auf die Straße gegangen.“


(rv 02/09.10.2009 bp)







All the contents on this site are copyrighted ©.