Lange Zeit galt sie
als Häretikerin. Zu Lebzeiten wurde sie von der Inquisition beobachtet, landete im
Gefängnis. In Rom musste sie die Exkommunikation, wenn nicht gar den Scheiterhaufen
fürchten. Kein Zweifel: Die Vision der Ordensgründerin Mary Ward von Bildung für Frauen
und von einem Leben mitten in der Welt für Ordensschwestern war für ihre Zeit revolutionär.
Dass Mary Ward eine „unvergleichliche Frau“ war, „die das katholische England der
Kirche geschenkt hat“, wie Papst Pius XII. sagte – diese Erkenntnis setzte sich in
den Spitzen der katholischen Welt erst im 20. Jahrhundert durch. Heute ist Mary Ward
der Seligsprechung nahe. Und der von ihr gegründete Orden, die Congregatio Jesu, auch
bekannt als „Englische Fräulein“, feiert nächste Woche in Rom 400 Jahre Gründungsjubiläum.
Gudrun Sailer sprach mit der Generaloberin der Gemeinschaft, der Deutschen Sr. Mechthild
Meckl:
„Normalerweise wird so ein Jubiläum wegen eines Geburts- oder Todestages
einer Gründerin gefeiert, und bei uns ist es ein Gründungsjubiläum. Es ist in dem
Fall, denke ich, auch wirklich angemessener, weil Maria Ward eine Pionierin war –
und zwar für alle apostolischen Frauenorden, und darüber hinaus die Voraussetzung
geschaffen hat für die apostolische Tätigkeit von Frauen in der Kirche überhaupt.
Also auch die Laien können sich auf Maria Ward beziehen. Sie hat einen ganz neuen
Weg gezeigt, den es vorher nicht gegeben hat.“
Wenn heute von geweihtem
Leben die Rede ist, überwiegt die apostolische Form vor der monastischen. Die Ordensleute,
die in der Welt wirken, sind häufiger als jene, die sich, zurückgezogen in der Klausur,
Gebet und Arbeit widmen. Im frühen 17. Jahrhundert, zu Maria Wards Zeiten, war das
anderes. Ordensleute lebten in der Klausur – etwas anderes gab es nicht.
„Mary
Ward war in England und hat den inneren Ruf gespürt, dass sie zwar ein kontemplatives
Leben mit Gelübden und Gemeinschaft möchte, aber dass sie zur selten Zeit unter den
Menschen sein möchte, aktiv leben und so Verkündigung darstellen möchte. Und dann
kamen einige jungen Frauen plötzlich auf sie zu und wollten mit ihr diesen Weg gehen.“
In
Flandern – denn in England wurden Katholiken schwer verfolgt – gründete Mary Ward
1609 mit ihren Gefährtinnen das Institut der englischen Fräulein. Sie lebten zwar
wie Ordensschwestern, und zwar mit der Ordensregel der Jesuiten, doch gleichzeitig
bewegten sie sich frei in der Stadt. „Sie war eine Frau mit der
Vorstellung, dass die Schwestern gebildete Leute sind, die Kirche und die Gesellschaft
mitgestalten. Und sie hat das über die Schulen auch weithin erreicht. Sie wollte über
die Schwestern auf die Schüler wirken, und die Schüler sollten ebenso gebildet sein
und die Gesellschaft mit verändern.“
Das Konzept ging auf – die Arbeit
der Schwestern wurde allseits geschätzt. Freilich war das Frauenbild in Nordeuropa
schon damals ein anderes als in Südeuropa, wo die Zentrale der katholischen Kirche
sitzt.
„Interessant, dass sie, sowie sie gewirkt hat in den Schulen und
auch außerhalb, anerkannt wurde von den Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens,
von Maximilian I. in München etwa, oder Kaiser Ferdinand, der die Englischen Fräulein
nach Wien holte. Diese Leute haben gesehen: Maria Ward bewirkt etwas. Sie hat eine
neue Perspektive, weil es notwendig ist, dass Frauen Bildung haben, dass Frauen Familienleben
gestalten über den christlichen Glauben. Die Politiker damals wollten den katholischen
Glauben festigen. Sie waren auf der Liga-Seite im 30jährigen Krieg, denn Mary Ward
war in Europa während des 30jährigen Krieges aktiv und hat viel für die Kirche gearbeitet.
Und während sie vom öffentlichen Leben Anerkennung bekommen hat, wurde sie von der
Kirche abgelehnt.“
Genau darüber wollte die mutige Ordensgründerin mit
dem Papst reden. Sie wünschte sich die Anerkennung für ihr Werk nicht nur durch die
Welt, sondern auch durch ihre Kirche. Und so reiste Maria Ward mitten während des
30-jährigen Krieges dreimal nach Rom – zu Fuß über die Alpen, mit etlichen Gefährtinnen.
Unterwegs errichtete sie mehrere Institute, eines davon sogar in Rom selbst. Direkt
unter den Augen der Päpste wollte sie ihnen beweisen, was ihre Vision taugte.
„Sie
hat beim Campo de Fiori eine Schule für arme Mädchen aufgemacht. 120 Schülerinnen
wurden dort kostenlos unterrichtet, und die Eltern waren froh, dass ihre Kinder lesen
und schreiben lernen. Sie erwartete sich eine Bestätigung, aber es zeigte sich, dass
nach zwei Jahren ein Dekret verfasst wurde, dass die Schule geschlossen werden muss.“
Mit
drei Päpsten hatte Maria Ward es zu tun. Von allen blieb sie unverstanden. Sie warfen
der Engländerin und ihren Gefährtinnen einen unsittlichen Lebenswandel vor.
„Aber
man muss sehen, was das war. Das hat sich dann später in den Anklageschriften gezeigt.
Sie hatten ja in ihrem Schulkonzept einen Lehrplan erarbeitet, da gab es Unterrichtsfächer
wie Latein, Rhetorik, Theaterspielen – diese Mädchen sollten befähigt werden, öffentlich
aufzutreten und für sich zu sprechen. Und das war undenkbar in der damaligen Zeit!“
Dabei
gingen die Ideen Mary Wards über die Verbreitung des Glaubens sogar noch weit über
den Horizont von Mädchenschulen hinaus. Sr. Mechthild Meckl:
„Maria Ward
hatte als Vision, Glauben zu verkünden und zwar in der ganzen Welt. Wo immer die Not
ist, dort wollte sie hingehen und auf diese Not antworten, immer im Sinn der Glaubensverkündigung.
Sie hat gemerkt, Schule ist ein Mittel, um Glauben zu verkünden. 3.27 das hat sich
dann bei uns so zugespitzt, dass wir nur zu einem Schulorden geworden sind. Sie aber
hat nebenbei viele andere Wege gesehen, Glauben zu verkünden, also die Pastoral, soziale
Arbeitsfelder, die Arbeit in den Pfarreien – es gab viele Möglichkeiten, die sie damals
schon gesehen hat.“
1631 zerschlug Urban VIII. die „Englischen Fräulein“
mit einer der härtesten Bullen, die in der Kirchengeschichte bekannt sind. Die Gründerin
wurde unter dem Verdacht der Häresie von 1632 bis 1637 in Rom festgehalten, davon
neun Wochen inhaftiert, und von der Inquisition überwacht. Mary Wards Vision von Bildung
für Frauen und einem Ordensleben ohne Klausur schien dem Untergang geweiht.
„Aber
nach ihrem Tod haben ihre Gefährtinnen an dieser Idee festgehalten. Und sie haben
im gleichen Lebensstil wieder angefangen, ohne die Erwartung, dass sie als Ordensleute
von der Kirche anerkannt wurden.“
Erst 1909, vor 100 Jahren, wurde Mary
Ward offiziell rehabilitiert. Seither dürfen die „Englischen Fräulein“ sie wieder
als ihre Gründerin nennen. Und der Mary-Ward-Orden "Congregatio Jesu", dem heute 2000
Schwestern angehören, hat längst auch anderswo Früchte getragen. Die Institute der
Englischen Fräulein sind auf allen Kontinenten vertreten. Und für Maria Ward läuft
seit 1928 ein Seligsprechungsverfahren.
„Im Mai dieses Jahres 2009 wurde
die Theologenkommission einberufen, sie hat sich für Mary Ward ausgesprochen, und
zwar sehr positiv: Mary Ward als charismatische Frau, als eine Frau, die unserer Zeit
etwas zu sagen hat, eine Frau, die in der Kirche für Frauen wichtig ist. Und jetzt
warten wir, dass der Papst das letzte Wort spricht!“
Jener Papst, der als
kleiner Joseph Ratzinger übrigens einen Kindergarten der Englischen Fräulein besuchte.
„Wir hoffen, jetzt im November oder Dezember könnte die Verkündigung des
nächsten Schrittes erfolgen, nämlich Maria Ward als verehrungswürdig anzuerkennen.“
Damit
wäre eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Seligsprechung für diese große Frau Englands
genommen. (rv 04.10.2009 gs)