Am letzten Tag seiner Tschechien-Reise ist Papst Benedikt XVI. in den Wallfahrtsort
Altbunzlau bei Prag gereist. Dort stand am Vormittag eine Messe zum Gedenken an den
Nationalheiligen Wenzel auf dem Programm. Vor dem Gottesdienst auf einem Freigelände
besuchte der Papst die Wenzelskirche und verehrte die dort ausgestellten Reliquien
des ersten böhmischen Königs. Anschließend begrüßte er in der Kirche einige alte und
kranke Priester. Für die tschechische Kirche ist der Gedenktag des heiligen Wenzel
am 28. September mit einer traditionellen Wallfahrt nach Altbunzlau verbunden. In
dem 35 Kilometer von Prag entfernten Ort wurde König Wenzel im Jahr 935 von seinem
Bruder ermordet. Wir dokumentieren die Predigt in einer deutschen Übersetzung:
Meine
Herren Kardinäle! Verehrte Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst! Liebe
Brüder und Schwestern! Liebe Jugendliche!
Es ist für mich eine große Freude,
euch heute vormittag, gegen Ende meiner Apostolischen Reise in die geliebte Tschechische
Republik zu treffen. Euch allen gilt mein herzlicher Gruß, besonders dem Herrn Kardinalerzbischof,
dem ich für die Worte danke, die er zu Beginn der Eucharistiefeier im Namen von euch
allen an mich gerichtet hat. Mein Gruß richtet sich auch an die anderen Kardinäle,
die Bischöfe, die Priester, die Ordensleute, die Vertreter der geistlichen Bewegungen
wie der Laienverbände und besonders an die Jugendlichen. Mit Wertschätzung grüße ich
auch den Herrn Präsidenten, dem ich zu seinem heutigen Namenstag herzliche Glückwünsche
ausspreche; diese Gratulation richte ich gerne auch an alle anderen, die den Namen
Wenzel tragen, und an das ganze tschechische Volk zum Fest seines Landespatrons. Heute
morgen führt uns das selige Angedenken des heiligen Märtyrers Wenzel, dessen Reliquien
ich vor der heiligen Messe in der ihm geweihten Basilika verehren konnte, um den Altar
zusammen. Er hat sein Blut auf eurer Erde vergossen, und sein Adler, den ihr als Emblem
für den heutigen Besuch gewählt habt – wie es euer Kardinalerzbischof anfangs erklärt
hat –, ist das historische Wappenzeichen des edlen tschechischen Volkes. Dieser große
Heilige, den ihr gerne den „ewigen“ Fürsten der Tschechen nennt, lädt uns dazu ein,
Christus stets in Treue nachzufolgen; er lädt uns ein, heilig zu sein. Er selbst ist
ein Vorbild der Heiligkeit für alle, besonders für jene, welche die Geschicke der
Menschen und der Völker lenken. Aber es stellt sich uns die Frage: Ist in unseren
Tagen die Heiligkeit noch aktuell? Ist das nicht vielmehr ein wenig attraktives und
unwichtiges Thema? Sucht man heute nicht eher den Erfolg und das Ansehen bei den Menschen?
Aber wie lange bleibt der irdische Erfolg bestehen und was ist er wert? Das vergangene
Jahrhundert hat – und euer Land war Zeuge dieser Ereignisse – nicht wenige Machthaber
fallen sehen, die scheinbar fast unerreichbare Höhen erklommen hatten. Plötzlich standen
sie ohne ihre Macht da. Wer Gott geleugnet hat und ihn weiter leugnet und deshalb
auch den Menschen nicht achtet, scheint ein leichtes Leben zu haben und materiellen
Erfolg zu erzielen. Aber es genügt, an der Oberfläche zu kratzen, um festzustellen,
daß in diesen Menschen Traurigkeit und Unzufriedenheit herrscht. Nur wer im Herzen
die heilige „Gottesfurcht“ bewahrt, hat auch Vertrauen in den Menschen und setzt sein
Leben für den Aufbau einer gerechten und brüderlichen Welt ein. Wir brauchen heute
Menschen, die „gläubig“ und „glaubwürdig“ sind, dazu bereit, in jedem Bereich der
Gesellschaft jene christlichen Prinzipien und Ideale zu verbreiten, von denen sie
sich in ihrem Handeln leiten lassen. Das ist die Heiligkeit, eine allgemeine Berufung
aller Getauften, die uns anspornt, unsere Pflicht in Treue und mit Mut zu erfüllen
und dabei nicht auf unseren eigenen Vorteil, sondern auf das Gemeinwohl zu schauen
sowie in allen Situationen den Willen Gottes zu suchen. Im Evangelium haben wir
diesbezüglich sehr klare Worte gehört: „Was nützt es einem Menschen“, sagt Jesus,
„wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?“ (Mt 16,26). Er regt
uns an, darüber nachzudenken, daß der wahre Wert des Lebens eines Menschen nicht nur
in irdischen Gütern und vergänglichen Interessen gemessen wird. Denn es sind nicht
die materiellen Dinge, die den tiefen Durst nach Sinn und Glück stillen, den es im
Herzen eines jeden Menschen gibt. Darum zögert Jesus nicht, seinen Jüngern den „schmalen“
Weg der Heiligkeit vor Augen zu stellen: „Wer sein Leben um meinetwillen verliert,
wird es gewinnen“ (V. 25). Und mit Entschiedenheit sagt er uns heute morgen erneut:
„Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und
folge mir nach“ (V. 24). Das sind gewiß harte Worte, die schwer anzunehmen und in
die Tat umzusetzen sind, aber das Zeugnis der Heiligen belegt, daß es allen Menschen
möglich ist, wenn sie auf Christus vertrauen und sich ihm anvertrauen. Das Beispiel
der Heiligen ermutigt jeden, der sich Christ nennt, glaubwürdig zu sein, das heißt
in Übereinstimmung mit den Prinzipien und mit dem Glauben zu leben, den er bekennt.
Es reicht nicht, einen guten und ehrlichen Eindruck zu machen; man muß es wirklich
sein. Gut und ehrlich ist der, der nicht mit seinem Ich das Licht Gottes verdeckt,
der sich nicht selbst in den Vordergrund stellt, sondern Gott durchscheinen läßt.
Das ist die Lehre aus dem Leben des heiligen Wenzel, der den Mut hatte, „das himmlische
Reich höher zu schätzen als die irdische Herrschaft“ (Tagesgebet). Er hat seinen Blick
nie von Christus abgewandt, der für uns gelitten und uns ein Beispiel gegeben hat,
damit wir seinen Spuren folgen, wie wir es vorhin in den Worten des heiligen Petrus
in der zweiten Lesung gehört haben. Als gelehriger Jünger des Herrn, hielt der junge
Herrscher Wenzel treu an den Lehren des Evangeliums fest, in denen ihn seine heilige
Großmutter, die Märtyrerin Ludmilla, unterwiesen hatte. Er befolgte, was er gelernt
hatte, und noch bevor er sich um ein friedliches Zusammenleben in seiner Heimat und
mit den Nachbarländern bemühte, setzte er sich dafür ein, den christlichen Glauben
im Volk zu verbreiten, indem er Priester ins Land holte und Kirchen baute. Im ersten
altslawischen Lebensbericht ist zu lesen: „Er war ein Diener der Diener Gottes und
stattete auch viele Kirchen aus. [...] Allen Armen erwies er Gutes, kleidete die Nackten,
speiste die Hungernden und nahm die Obdachlosen auf, wie es das Evangelium sagt. Er
duldete nicht, daß den Witwen Unrecht geschah, und liebte alle Menschen, arme und
reiche.“ Er hat vom Herrn gelernt, „gütig und barmherzig“ zu sein (Antwortpsalm),
und erfüllt vom Geist des Evangeliums, vergab er sogar seinem Bruder, der nach seinem
Leben getrachtet hat. Ihr ruft ihn daher zurecht als „Erbe“ eures Landes an und in
einem euch wohlbekannten Lied bittet ihr ihn darum, daß er nicht zulasse, daß eure
Nation zugrunde geht. Wenzel ist als Märtyrer für Christus gestorben. Es ist interessant,
darauf hinzuweisen, daß sich sein Bruder Boleslav durch seine Ermordung des Prager
Throns bemächtigt hat, aber die Krone, die seinen Nachfolgern auf ihr Haupt gesetzt
wurde, trug nicht seinen Namen, sondern den Namen Wenzels, als Zeugnis dafür, daß
„der Thron des Königs, der die Armen in Wahrhaftigkeit richtet, wird für ewig gefestigt“
(vgl. Lesung der Stundenliturgie des heutigen Festtags). Diese Tatsache gilt als wundersamer
Eingriff Gottes, der seine Getreuen nicht verläßt: Der besiegte Unschuldige hat, ähnlich
wie Christus am Kreuz, den grausamen Sieger besiegt (vgl. Legende vom hl. Wenzel),
und das Blut des Märtyrers hat nicht Haß und Rache hervorgerufen, sondern Vergebung
und Frieden.Liebe Brüder und Schwestern, danken wir in dieser Eucharistiefeier gemeinsam
dem Herrn, daß er eurem Vaterland und der Kirche diesen heiligen Herrscher geschenkt
hat. Beten wir zugleich, daß auch wir wie er mit schnellem Schritt der Heiligkeit
entgegengehen. Es ist gewiß nicht einfach, denn der Glaube hat immer vielfältige Herausforderungen
zu bestehen, aber wenn wir uns von Gott, der die Wahrheit ist, anziehen lassen, schreiten
wir entschieden auf dem Weg voran, weil wir die Kraft der göttlichen Liebe erfahren.
Die Fürsprache des heiligen Wenzels und der anderen Schutzheiligen der tschechischen
Lande erwirke uns diese Gnade. Der Schutz und Beistand der seligen Jungfrau Maria,
der Königen des Friedens und der Mutter der Liebe, begleite uns allezeit. Amen.