2009-09-27 17:53:36

Sonntag: Ansprache an Ökumene-Vertreter im Wortlaut


Christen sind nach Worten von Papst Benedikt XVI. zur Ökumene verpflichtet, um «Europa seine Wurzeln in Erinnerung zu rufen». Ein europäisches Verständnis von Gerechtigkeit, Freiheit und sozialer Verantwortung sei vom christlichen Erbe geprägt, sagte der Papst bei einem Ökumenetreffen mit Vertretern zehn christlicher Bekenntnisse am Sonntag in der Prager Burg. Nachdrücklich wandte sich Benedikt XVI. gegen eine Verbannung des Christentums aus dem öffentlichen Leben.

Wir dokumentieren die Ansprache in einer deutschen Übersetzung:

Meine sehr verehrten Herren Kardinäle und Mitbrüder im Bischofsamt!
Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich danke dem allmächtigen Gott für die Gelegenheit, mit Ihnen, den Vertretern der verschiedenen christlichen Gemeinschaften dieses Landes, zusammenzukommen. Ich danke Herrn Doktor Černý, dem Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen in der Tschechischen Republik, für die freundlichen Begrüßungsworte, die er in Ihrer aller Namen an mich gerichtet hat.

Meine lieben Freunde, Europa durchlebt weiterhin viele Veränderungen. Es ist kaum zu glauben, dass erst zwei Jahrzehnte vergangen sind, seitdem der Zusammenbruch der damaligen Regime den Weg für einen schwierigen, aber fruchtbaren Übergang zu einer demokratischen politischen Struktur geebnet hat. Während dieser Zeit haben sich Christen mit anderen Menschen guten Willens zusammengeschlossen, um zum Aufbau eines gerechten politischen Gefüges beizutragen, und sie stehen weiterhin im Dialog miteinander, um neue Wege für gegenseitiges Verständnis, Mitwirkung am Frieden und Förderung des Gemeinwohls zu bahnen.

Nichtsdestoweniger wurden neue Versuche unternommen, den Einfluss des Christentums auf das öffentliche Leben zurückzudrängen – zuweilen unter dem Vorwand, dass seine Lehre schädlich sei für das Wohl der Gesellschaft. Dieses Phänomen gibt uns zu denken. Wie ich in meiner Enzyklika über die christliche Hoffnung dargelegt habe, soll uns die künstliche Trennung des Evangeliums vom intellektuellen und öffentlichen Leben veranlassen, sowohl eine „Selbstkritik der Neuzeit“ als auch eine „Selbstkritik des neuzeitlichen Christentums“ vorzunehmen, vor allem in Bezug auf die Hoffnung, die das Denken der Neuzeit und das Christentum der Menschheit anbieten können (vgl. Spe salvi, 22). Fragen wir uns, was das Evangelium der Tschechischen Republik und ebenso auch ganz Europa heute zu sagen hat – in einer Zeitepoche, die durch ein Anwachsen verschiedenster Weltanschauungen geprägt ist?

Das Christentum hat auf der sozialen und ethischen Ebene viel zu bieten; denn das Evangelium hört nie auf, Menschen anzuregen, sich selbst in den Dienst ihrer Brüder und Schwestern zu stellen. Nur wenige würden dies bestreiten. Außerdem wissen jene, die mit den Augen des Glaubens ihren Blick auf Jesus von Nazaret gerichtet haben, dass Gott uns eine tiefere Wirklichkeit zeigt, die jedoch untrennbar mit der „Ökonomie“ der Liebe verbunden ist, die in dieser Welt erfahrbar wird (vgl. Caritas in veritate, 2): Er schenkt Heil.

Der Begriff des Heils hat verschiedene Bedeutungen, und doch drückt er etwas Grundlegendes und Universales über die Sehnsucht des Menschen nach Wohlergehen und Ganzheit aus. Das Heil bezieht sich auf das sehnliche Verlangen nach Versöhnung und Gemeinschaft, das wie von selbst in der Tiefe des menschlichen Geistes erwacht. Es ist die zentrale Wahrheit des Evangeliums und das Ziel, auf das jegliche Evangelisierung und pastorale Tätigkeit hingeordnet sind. Und es ist der Maßstab, an dem die Christen immer wieder neu ihren Blick orientieren, wenn sie sich bemühen, die Wunden vergangener Spaltungen zu heilen.

In dem Zusammenhang hat der Heilige Stuhl – wie Herr Dr. Černý erwähnte – im Jahre 1999 zu einem Internationalen Symposium über Jan Hus eingeladen, welches die Erörterung der komplexen und turbulenten Religionsgeschichte dieses Landes und Europas im allgemeinen weiterführt (vgl. Johannes Paul II., Grußwort an die Teilnehmer eines internationalen Hus-Symposiums an der Lateran-Universität, 17. 12.1999). Ich bete dafür, dass solche ökumenischen Initiativen Frucht tragen nicht nur im Bemühen um die Einheit der Christen sondern auch um das Wohl aller Europäer.

Es erfüllt uns mit Zuversicht zu wissen, dass die kirchliche Verkündigung des Heils in Christus Jesus immer alt und immer neu ist; sie gründet in der Weisheit der Vergangenheit und ist überreich gefüllt mit Hoffnung für die Zukunft. Wenn Europa die Geschichte des Christentums vernimmt, hört es seine eigene Geschichte. Sein Verständnis von Gerechtigkeit, Freiheit und sozialer Verantwortung wie auch die kulturellen und rechtlichen Institutionen, die dazu geschaffen wurden, dieses Gedankengut zu bewahren und den zukünftigen Generationen zu übermitteln, sind vom christlichen Erbe geprägt. Tatsächlich belebt seine Rückbesinnung auf die Vergangenheit seine Erwartungen für die Zukunft.

Daher stützen sich die Christen auf das Beispiel bedeutender Persönlichkeiten, wie die des heiligen Adalberts und der heiligen Agnes von Böhmen. Ihr Einsatz für die Verkündigung des Evangeliums war von der Überzeugung getragen, dass Christen nicht ängstlich vor der Welt zurückzuschrecken brauchen, sondern dass sie furchtlos den Schatz der ihnen anvertrauten Wahrheit mit anderen teilen sollen. Ebenso müssen die Christen heute, wenn sie den gegenwärtigen Gegebenheiten offen begegnen und all das anerkennen, was in der Gesellschaft gut ist, auch den Mut haben, die Menschen zu einer radikalen Umkehr einzuladen, die sich aus einer Begegnung mit Christus ergibt und in ein neues Leben der Gnade führt.

Aus dieser Sicht verstehen wir besser, warum Christen verpflichtet sind, sich mit anderen zu vereinen, um Europa seine Wurzeln in Erinnerung zu rufen. Das ist nicht deshalb nötig, weil diese Wurzeln schon längst vertrocknet wären. Ganz im Gegenteil! Es ist nötig, weil diese Wurzeln weiterhin – auf unscheinbare, aber doch fruchtbare Weise – die geistige und moralische Grundlage des Kontinents liefern, damit dieser in einen sinnvollen Dialog mit Menschen anderer Kulturen und Religionen treten kann. Gerade weil das Evangelium keine Ideologie ist, beabsichtigt es nicht, die entstehenden sozial-politischen Gegebenheiten in ein starres Schema zu pressen. Vielmehr steht es über den Veränderungen dieser Welt und wirft in jeder Zeitepoche neues Licht auf die Würde der menschlichen Person. Liebe Freunde, bitten wir den Herrn, er möge uns den Geist der Stärke eingießen, damit wir die unvergängliche Wahrheit des Heils verkünden, die den sozialen und kulturellen Fortschritt des Kontinents geprägt hat und ihn weiterhin prägen wird.

Durch das Heil, das uns durch Jesu Leiden, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt geschenkt ist, werden wir, die wir an ihn glauben, nicht nur erneuert, sondern es drängt uns auch, die Frohe Botschaft mit anderen zu teilen. Die Geistesgaben der Erkenntnis, der Weisheit und der Einsicht (vgl. Is 11,1-2; Ex 35,31), die uns erleuchten und befähigen, die von Jesus Christus gelehrte Wahrheit zu verstehen, mögen uns anregen, uns unermüdlich für die Einheit einzusetzen, die er für all seine in der Taufe wiedergeborenen Kinder wie auch für die ganze Menschheit ersehnt.

Mit diesen Wünschen und in brüderlicher Zuneigung Ihnen und allen Mitgliedern Ihrer jeweiligen Gemeinschaften gegenüber möchte ich Ihnen meinen herzlichen Dank aussprechen und empfehle Sie dem Allmächtigen Gott, der unsere Burg, unsere Festung und unser Retter ist (vgl. Ps 144,2). Amen.

(rv 27.09.2009 red)







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