„Die Kirche verlangt keine Privilegien, sondern bittet nur darum, frei im Dienst aller
und im Geist des Evangeliums wirken zu können.“ Das hat Papst Benedikt XVI. am Samstag
bei einem Vespergottesdienst im Prager Veitsdom betont. Das Kirchenoberhaupt würdigte
die Opfer der Katholikenverfolgung unter dem kommunistischen Regime und ermunterte
gleichzeitig zu neuem Engagement in Caritas und Bildung.
Wir dokumentieren
hier die Ansprache des Papstes in einer deutschen Übersetzung:
Liebe Brüder
und Schwestern!
An euch alle richte ich den Gruß des heiligen Paulus, den
wir in der Kurzlesung gehört haben: Gnade und Friede von Gott, unserem Vater!
An erster Stelle gilt der Gruß dem Herrn Kardinal Erzbischof, dem ich für seine freundlichen
Worte danke. Weiters grüße ich die anderen anwesenden Kardinäle und Bischöfe, die
Priester und Diakone, die Seminaristen, die Ordensleute, die Katecheten und pastoralen
Mitarbeiter, die Jugendlichen und die Familien, die Vereinigungen und kirchlichen
Bewegungen.
Heute Abend sind wir an einem Ort versammelt, den ihr liebt und
der ein sichtbares Zeichen dafür ist, wie stark die göttliche Gnade ist, die im Herzen
der Gläubigen wirkt. Die Schönheit dieses tausendjährigen Gotteshauses ist in der
Tat ein lebendiges Zeugnis für die reiche Geschichte des Glaubens und der christlichen
Tradition eures Volkes – eine Geschichte, die insbesondere von der Treue derjenigen
erhellt wird, die ihre Zugehörigkeit zu Christus und zur Kirche mit dem Martyrium
besiegelt haben. Ich denke an die Gestalten der Heiligen Wenzel, Adalbert und Johannes
Nepomuk, Meilensteine des Weges eurer Kirche. Zu ihnen gesellen sich die Beispiele
des jungen heiligen Vitus, der lieber das Martyrium auf sich nahm, als Christus zu
verraten, des heiligen Mönches Prokop und der heiligen Ludmilla. Ich denke an die
Geschichte von zwei Erzbischöfen dieser Ortskirche im vorigen Jahrhundert, der Kardinäle
Josef Beran und František Tomášek, wie auch von vielen Bischöfen, Priestern, Ordensleuten
und Gläubigen, die mit heroischer Standhaftigkeit die kommunistische Verfolgung ertrugen
und sogar schließlich ihr Leben hingaben. Woher haben diese mutigen Freunde Christi
die Kraft genommen, wenn nicht aus dem Evangelium? Ja! Sie haben sich von Jesus faszinieren
lassen, der gesagt hat: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme
sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16,24). In der Stunde der Bedrängnis
haben sie in ihrem Herzen ein weiteres Wort von ihm gehört: „Wenn sie mich verfolgt
haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20).
Der Heldenmut
der Glaubenszeugen erinnert daran, dass nur aus der persönlichen Kenntnis Christi
und der tiefen Verbindung zu ihm die geistliche Kraft bezogen werden kann, um die
christliche Berufung voll zu verwirklichen. Nur die Liebe Christi macht das apostolische
Handeln wirksam, vor allem in den Augenblicken der Bedrängnis und der Prüfung. Christus
wie auch die Brüder und Schwestern zu lieben muss das Merkmal eines jeden Getauften
und einer jeden Gemeinschaft sein. In der Apostelgeschichte lesen wir: „Die
Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Und Tertullian,
ein Kirchenschriftsteller der ersten Jahrhunderte, schrieb, dass die Heiden beeindruckt
waren von der Liebe, die die Christen miteinander verband (vgl. Apologeticum XXXIX).
Liebe Brüder und Schwestern, ahmt den göttlichen Meister nach, der „nicht gekommen
ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als
Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Die Liebe erstrahle in jeder eurer Pfarreien
und Gemeinschaften, in den verschiedenen Vereinigungen und Bewegungen. Eure Kirche
sei, gemäß dem Bild des heiligen Paulus, ein wohl aufgebauter Leib, der Christus zum
Haupt hat und in dem jedes Glied einträchtig mit dem Ganzen handelt. Speist die Liebe
zu Christus mit dem Gebet und das Hinhören auf sein Wort; nährt euch von ihm in der
Eucharistie, und werdet mit seiner Gnade zu Stiftern von Einheit und Frieden in allen
Bereichen.
Nach dem langen Winter der kommunistischen Diktatur haben eure
christlichen Gemeinden vor 20 Jahren wieder begonnen, sich frei zu entfalten, als
euer Volk mit den Ereignissen, die in der Studentendemonstration am 17. November 1989
ihren Anfang nahmen, die eigene Freiheit wieder erlangt hat. Ihr merkt aber, dass
es auch heute nicht leicht ist, das Evangelium zu leben und dafür Zeugnis zu geben.
Die Gesellschaft trägt noch die Wunden, die von der atheistischen Ideologie verursacht
wurden, und sie ist oft von der modernen Mentalität des hedonistischen Konsums fasziniert,
die eine gefährliche Krise der menschlichen und religiösen Werte und das Abtriften
in einen grassierenden ethischen und kulturellen Relativismus mit sich bringt. In
diesem Zusammenhang ist ein neuer Einsatz seitens aller kirchlichen Glieder dringlich,
um die geistlichen und moralischen Werte im Leben der heutigen Gesellschaft zu stärken.
Ich weiß, dass eure Gemeinschaften sich schon auf vielen Gebieten einsetzen, vor allem
im karitativen Bereich mit den Caritas-Verbänden. Eure pastorale Tätigkeit
umfasse mit besonderem Eifer das Gebiet der Erziehung der jungen Generationen. Die
katholischen Schulen mögen die Achtung des Menschen fördern; auch außerhalb des schulischen
Bereichs möge man der Jugendpastoral Aufmerksamkeit widmen, ohne die anderen Kategorien
von Gläubigen zu vernachlässigen. Christus gehört allen! Von Herzen wünsche ich ein
stets wachsendes Einverständnis mit den anderen Institutionen, sowohl öffentlichen
wie privaten. Die Kirche – es ist immer nützlich, es zu wiederholen – verlangt keine
Privilegien, sondern bittet nur darum, frei im Dienst aller und im Geist des Evangeliums
wirken zu können.
Liebe Brüder und Schwestern, der Herr lasse euch wie das
Salz sein, von dem das Evangelium spricht, das dem Leben Geschmack verleiht. Seid
so treue Arbeiter im Weinberg des Herrn. An erster Stelle geht es euch an, liebe Bischöfe
und Priester, unermüdlich für das Wohl derer zu arbeiten, die eurer Sorge anvertraut
sind. Lasst euch stets vom Bild des Guten Hirten im Evangelium inspirieren, der seine
Schafe kennt, sie beim Namen ruft, sie auf sichere Weide führt und der bereit ist,
sich selbst für sie hinzugeben (vgl. Joh 10,1-19). Liebe Gottgeweihte, mit
dem Gelübde der evangelischen Räte erinnert ihr an den Vorrang, den Gott im Leben
eines jeden Menschen haben muss. Und durch das Leben in Gemeinschaft gebt ihr Zeugnis
dafür, wie bereichernd es ist, das Liebesgebot umzusetzen (vgl. Joh 13,34).
In Treue zu dieser Berufung werdet ihr den Männern und Frauen unserer Zeit helfen,
den Blick nach oben zu richten, sich von Gott und vom Evangelium seines Sohnes anziehen
zu lassen (vgl. Vita consacrata, 104). Und ihr, liebe junge Freunde in den
Seminaren oder Ausbildungshäusern, bemüht euch darum, eine solide kulturelle, geistliche
und pastorale Vorbereitung zu erwerben. In diesem Priesterjahr, das ich zum Gedenken
an den 150. Todestag des heiligen Pfarrers von Ars ausgerufen habe, sei euch die Gestalt
dieses Hirten ein Beispiel, der ganz Gott und den Seelen ergeben war und sich voll
bewusst war, dass gerade sein – vom Gebet beseelter – Dienst sein Weg der Heiligung
war.
Liebe Brüder und Schwestern, dankbar dem Herrn gedenken wir in diesem
Jahr verschiedener Anlässe: der 280 Jahre seit der Heiligsprechung des heiligen Johannes
Nepomuk, des 80. Weihetags dieser Kathedrale zu Ehren des heiligen Vitus und des 20.
Jahrestags der Heiligsprechung der heiligen Agnes von Böhmen, eines Ereignisses, das
die Befreiung eures Landes von der atheistischen Unterdrückung ankündigte. Es sind
viele Gründe, um mit Freude und Begeisterung den Weg der Kirche fortzusetzen im Vertrauen
auf die mütterliche Fürsprache Marias, der Mutter Gottes, und der Fürsprache aller
eurer heiligen Patrone. Amen!