2009-09-20 09:30:01

Ruth Pfau: „Grundbedürfnisse der Menschen in Afghanistan sichern“


RealAudioMP3 Eine Woche vor der Bundestagswahl in Deutschland spielt das Thema Afghanistan eine immer größere Rolle. Was bringt das deutsche Engagement am Hindukusch, wäre ein Abzug sinnvoll, oder würde er den Taliban in die Hände spielen? Antje Dechert sprach darüber nicht mit einem Militärexperten, sondern mit einer Ordensfrau und Ärztin: Es ist die Deutsche Ruth Pfau, die sich seit Jahrzehnten in Pakistan gegen die Lepra engagiert. Hier ist unser Interview der Woche.

Wie schätzen Sie die Situation denn ein? Wäre ein Abzug der Truppen sinnvoll?

„Ich bin zu nahe dran um irgendetwas zu spekulieren, ich weiß es einfach nicht. Ich bin andererseits nicht genügend nahe dran, um wirklich etwas zu wissen. Im Allgemeinen meine ich immer, je weniger man sich einmischt, umso weniger besteht die Gefahr einer aggressiven Reaktion. Aber im Bezug auf Afghanistan? Ich wüsste es nicht.“

Wie ist die Lage der Zivilbevölkerung? Was bekommen Sie im südpakistanischen Karachi von der Lage der Menschen in Afghanistan mit?

„Die Lage der Zivilbevölkerung kennen wir gut, denn von Afghanistan kommen immer wieder Flüchtlinge herüber. Wir arbeiten ja mit afghanischen Flüchtlingen in Pakistan, in Karachi, und wenn wir sie fragen: ‚Warum seid ihr denn hergekommen?‘ Dann heißt es immer wieder: ‚Drüben hat man nichts zu essen. Die Lage ist so unsicher. Wir haben Angst um unsere Kinder, besonders aber, man kann in Afghanistan nicht genug verdienen, um eine Familie zu unterhalten‘.“

Sprechen die Menschen mit Ihnen auch über ihre Ideen, wie man die Lage verbessern könnte? Was erwarten sie jetzt, auch gerade nach den Wahlen, von der Regierung Karsai?

„Also ich muss sagen, mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe, die interessiert, wo sie ihr Mittagessen und vielleicht noch ein Abendessen her bekommen und wie sie eine verhältnismäßig ruhige Nacht verbringen können. Über Politik wird nicht geredet.“

Wie könnte sich, Ihrer Meinung nach, Demokratie in Afghanistan durchsetzen?

„Demokratie haben wir in Afghanistan nie gehabt. Ich war so beglückt und erstaunt, dass sie es überhaupt bis zu einer Wahl gebracht haben. Das ist vorher noch nie passiert. Wenn ich denke, wie lange es dauert, ehe sich eine Demokratie in einem Lande entwickelt hat. Ich meine, man muss unendlich viel Geduld haben. Man muss versuchen, die Grundbedürfnisse der Menschen zu sichern. Denn ehe jemand nicht genügend Sicherheit für sich und die eigene Familie hat, ehe man nicht sein tägliches Essen hat, werden sich die Menschen kaum für Demokratie interessieren. Die Tatsache, dass überhaupt eine Regierung gewählt worden ist, ist ja schon ein Weg in die richtige, demokratische Richtung.“

Die Grundbedürfnisse der Menschen sichern – für die Verwirklichung dieses Ziels haben sie sich selbst in Afghanistan engagiert. Konkret haben sie dort 1984 eine Krankenstation für Lepra- und Tuberkulose-Kranke namens LEPCO aufgebaut, haben Mitarbeiter ausgebildet…Wie ist es heute um das Projekt bestellt?

„Was wir erreichen wollten war, eine afghanische Organisation zu schaffen, die sich um diese Dinge, also medizinische Grundversorgung – besonders Tuberkuloseversorgung – und Erziehung, kümmert; dass wir diese Dinge einer afghanischen Organisation übergeben können. Und das, muss ich sagen, ist doch erstaunlich gut gegangen. Alle Ausländer haben sich jetzt aus den Führungsstellen zurückgezogen. Wir besuchen das Projekt zwar noch gelegentlich, aber das LEPCO ist gänzlich in afghanischen Händen und arbeitet gut. Wir haben allerdings finanzielle Schwierigkeiten, weil der Lepra rapide zurückgegangen ist, wie auch in Pakistan, und das deutsche Aussätzigenhilfswerk nicht mehr zahlen kann. Das sind allerdings Krisen, die sich wirklich aus einem Erfolg der Arbeit ergeben haben.“

Sie arbeiten hauptsächlich im Mary-Adelaide-Leprazentrum (MALC) in der Metropole Karachi im Süden Pakistans. Wie erlebt man dort das Erstarken der Taliban im Norden des Landes? Rund drei Millionen Menschen sind ja vor dem Konflikt aus der Region geflohen…

„Das Talibanproblem ist jetzt schon ein gesamtpakistanisches Problem. Um es anzugehen, vertreten wir nur einen Ansatz und der heißt „community empowerment“, das heißt, Menschen soweit zu bringen, dass sie ihr eigenes Urteil bidlen können. Dann kann man wohl auch hoffen, dass es mit der Kritik an den Taliban weitergeht und da gibt es durchaus schon Ansätze. Sie werden wirklich von der Bevölkerung kaum unterstützt. Da haben die Taliban sich zu sehr daneben benommen.“

Schwester Pfau, Sie haben vor kurzem Ihren 80. Geburtstag gefeiert, sie haben unzählige Auszeichnungen für Ihr Lebenswerk erhalten – was wünschen Sie sich für die Zukunft? Gibt es noch etwas, was Sie unbedingt realisieren möchten?

„Also für die Zukunft wünsche ich mir wirklich Frieden, damit das Land endlich mal nachdenken, planen und etwas in Ruhe tun kann - das ist das Wichtigste. Für mich hier in Pakistan hoffe ich, dass die Pakistani die Arbeit vollverantwortlich übernehmen. Das haben sie auch getan, aber ich wünsche mir, dass sie dabei auch die Ideale weiter durchsetzen. Aber ich glaube, dass wird sich doch so entwickeln.“

 
(rv 19.09.2009 ad)
 







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