Ruth Pfau: „Grundbedürfnisse der Menschen in Afghanistan sichern“
Eine Woche vor der
Bundestagswahl in Deutschland spielt das Thema Afghanistan eine immer größere Rolle.
Was bringt das deutsche Engagement am Hindukusch, wäre ein Abzug sinnvoll, oder würde
er den Taliban in die Hände spielen? Antje Dechert sprach darüber nicht mit einem
Militärexperten, sondern mit einer Ordensfrau und Ärztin: Es ist die Deutsche Ruth
Pfau, die sich seit Jahrzehnten in Pakistan gegen die Lepra engagiert. Hier ist unser
Interview der Woche.
Wie schätzen Sie die Situation denn ein? Wäre ein Abzug
der Truppen sinnvoll?
„Ich bin zu nahe dran um irgendetwas zu spekulieren,
ich weiß es einfach nicht. Ich bin andererseits nicht genügend nahe dran, um wirklich
etwas zu wissen. Im Allgemeinen meine ich immer, je weniger man sich einmischt, umso
weniger besteht die Gefahr einer aggressiven Reaktion. Aber im Bezug auf Afghanistan?
Ich wüsste es nicht.“
Wie ist die Lage der Zivilbevölkerung? Was bekommen
Sie im südpakistanischen Karachi von der Lage der Menschen in Afghanistan mit?
„Die
Lage der Zivilbevölkerung kennen wir gut, denn von Afghanistan kommen immer wieder
Flüchtlinge herüber. Wir arbeiten ja mit afghanischen Flüchtlingen in Pakistan, in
Karachi, und wenn wir sie fragen: ‚Warum seid ihr denn hergekommen?‘ Dann heißt es
immer wieder: ‚Drüben hat man nichts zu essen. Die Lage ist so unsicher. Wir haben
Angst um unsere Kinder, besonders aber, man kann in Afghanistan nicht genug verdienen,
um eine Familie zu unterhalten‘.“
Sprechen die Menschen mit Ihnen auch
über ihre Ideen, wie man die Lage verbessern könnte? Was erwarten sie jetzt, auch
gerade nach den Wahlen, von der Regierung Karsai?
„Also ich muss sagen,
mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe, die interessiert, wo sie ihr Mittagessen
und vielleicht noch ein Abendessen her bekommen und wie sie eine verhältnismäßig ruhige
Nacht verbringen können. Über Politik wird nicht geredet.“
Wie könnte sich,
Ihrer Meinung nach, Demokratie in Afghanistan durchsetzen?
„Demokratie haben
wir in Afghanistan nie gehabt. Ich war so beglückt und erstaunt, dass sie es überhaupt
bis zu einer Wahl gebracht haben. Das ist vorher noch nie passiert. Wenn ich denke,
wie lange es dauert, ehe sich eine Demokratie in einem Lande entwickelt hat. Ich meine,
man muss unendlich viel Geduld haben. Man muss versuchen, die Grundbedürfnisse der
Menschen zu sichern. Denn ehe jemand nicht genügend Sicherheit für sich und die eigene
Familie hat, ehe man nicht sein tägliches Essen hat, werden sich die Menschen kaum
für Demokratie interessieren. Die Tatsache, dass überhaupt eine Regierung gewählt
worden ist, ist ja schon ein Weg in die richtige, demokratische Richtung.“
Die
Grundbedürfnisse der Menschen sichern – für die Verwirklichung dieses Ziels haben
sie sich selbst in Afghanistan engagiert. Konkret haben sie dort 1984 eine Krankenstation
für Lepra- und Tuberkulose-Kranke namens LEPCO aufgebaut, haben Mitarbeiter ausgebildet…Wie
ist es heute um das Projekt bestellt?
„Was wir erreichen wollten war, eine
afghanische Organisation zu schaffen, die sich um diese Dinge, also medizinische Grundversorgung
– besonders Tuberkuloseversorgung – und Erziehung, kümmert; dass wir diese Dinge einer
afghanischen Organisation übergeben können. Und das, muss ich sagen, ist doch erstaunlich
gut gegangen. Alle Ausländer haben sich jetzt aus den Führungsstellen zurückgezogen.
Wir besuchen das Projekt zwar noch gelegentlich, aber das LEPCO ist gänzlich in afghanischen
Händen und arbeitet gut. Wir haben allerdings finanzielle Schwierigkeiten, weil der
Lepra rapide zurückgegangen ist, wie auch in Pakistan, und das deutsche Aussätzigenhilfswerk
nicht mehr zahlen kann. Das sind allerdings Krisen, die sich wirklich aus einem Erfolg
der Arbeit ergeben haben.“
Sie arbeiten hauptsächlich im Mary-Adelaide-Leprazentrum
(MALC) in der Metropole Karachi im Süden Pakistans. Wie erlebt man dort das Erstarken
der Taliban im Norden des Landes? Rund drei Millionen Menschen sind ja vor dem Konflikt
aus der Region geflohen…
„Das Talibanproblem ist jetzt schon ein gesamtpakistanisches
Problem. Um es anzugehen, vertreten wir nur einen Ansatz und der heißt „community
empowerment“, das heißt, Menschen soweit zu bringen, dass sie ihr eigenes Urteil bidlen
können. Dann kann man wohl auch hoffen, dass es mit der Kritik an den Taliban weitergeht
und da gibt es durchaus schon Ansätze. Sie werden wirklich von der Bevölkerung kaum
unterstützt. Da haben die Taliban sich zu sehr daneben benommen.“
Schwester
Pfau, Sie haben vor kurzem Ihren 80. Geburtstag gefeiert, sie haben unzählige Auszeichnungen
für Ihr Lebenswerk erhalten – was wünschen Sie sich für die Zukunft? Gibt es noch
etwas, was Sie unbedingt realisieren möchten?
„Also für die Zukunft wünsche
ich mir wirklich Frieden, damit das Land endlich mal nachdenken, planen und etwas
in Ruhe tun kann - das ist das Wichtigste. Für mich hier in Pakistan hoffe ich, dass
die Pakistani die Arbeit vollverantwortlich übernehmen. Das haben sie auch getan,
aber ich wünsche mir, dass sie dabei auch die Ideale weiter durchsetzen. Aber ich
glaube, dass wird sich doch so entwickeln.“