Italien: Was sich hinter dem „Fall Boffo“ verbirgt
Der „Fall Dino Boffo“ hat in den letzten Wochen das Verhältnis zwischen Regierung
und Kirche in Italien einer starken Zerreißprobe ausgesetzt; manche – etwa der Christdemokrat
Rocco Buttiglione („UDC“) – glauben, dass sich das Verhältnis kaum noch davon erholen
wird. Italienische Medien spekulieren in diesen Tagen ausgiebig über die Hintergründe
der Verstimmungen. Stefan von Kempis mit einer Einschätzung:
Italienische
Skandale haben die Eigenschaft, sehr schnell sehr verwickelt zu werden – ja, nachgerade
unübersichtlich. Darum scheint es geraten, zunächst einmal aufzuzählen, was überhaupt
passiert ist: Die Zeitung „Il Giornale“, die der Familie von Ministerpräsident Silvio
Berlusconi gehört, hat schwere Vorwürfe gegen den Chefredakteur der Zeitung „Avvenire“
erhoben, die von der italienischen Bischofskonferenz herausgegeben wird. Regierungs-Blatt
gegen Bischofs-Blatt also. Dem Journalisten Dino Boffo wurde vom „Giornale“ vorgeworfen,
zu Beginn des Jahrhunderts eine junge Frau telefonisch belästigt zu haben; Boffo habe
der Frau ihren „fidanzato“, ihren Freund also, ausspannen wollen. Der so Angegriffene
trat zurück – und es wurde deutlich, dass die „Giornale“-Kampagne zunächst einmal
einfach von Rache-Gelüsten geleitet war. „Avvenire“ hatte nämlich, wenn auch nur sehr
zaghaft, im Sommer in den Chor der Berlusconi-Kritiker eingestimmt; der Regierungschef
steht wegen angeblich wilder Feten in seiner Villa auf Sardinien unter Druck. Nun
wurde also dem katholischen Journalisten Boffo vorgehalten, er habe selbst Dreck am
Stecken, solle also nicht den „supermoralista“ geben. So weit, so schmierenkomödig.
Natürlich
beschädigte die „Affäre Boffo“ die Beziehungen zwischen der Regierung und der italienischen
Kirche: Das wurde schon daran deutlich, dass ein eigentlich geplantes Abendessen Berlusconis
mit dem vatikanischen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone Anfang September platzte.
Nicht nur der „Fall Boffo“ steht derzeit zwischen Palazzo Chigi und Palazzo Apostolico,
sondern auch der italienische Umgang mit illegalen Einwanderern. In diesem Sommer
hat der neue Leiter des Päpstlichen Migrantenrates, Erzbischof Antonio Maira Vegliò,
die Behandlung von Bootsflüchtlingen durch Italien scharf kritisiert.
Die Medien
versuchen nun, Hintergründe der Verstimmungen auszuleuchten. Sie konzentrieren sich
dabei mittlerweile auf – vermutete oder tatsächliche – Meinungsunterschiede innerhalb
der italienischen Kirche: „Die Ära Ruini ist vorbei, jetzt kommandiert Bertone“, lautet
der Aufmacher von „Il Foglio“ an diesem Montag. Kardinal Camillo Ruini, das war bis
vor kurzem der politisch einflussreiche Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz;
Boffo wird zu seinen Vertrauten gezählt. Wer Boffo geschlagen habe, habe damit also
– so die Rechnung, die in einigen Blättern aufgemacht wird – eigentlich Ruini gemeint.
„Für Ruini ist das ein harter Schlag“, behauptet die Zeitung „Il Riformista“ – und
kündigt an: „Von jetzt an werden Avvenire und Boffo noch weniger zimperlich mit ihrer
Kritik an Berlusconi sein... Nach einer Phase der Ablenkung werden sie ihn noch direkter
wegen seiner Sexskandale angreifen.“
Teile der italienischen Kirche – für
die Ruini und Boffo stünden – hätten sich vom Premier abgewandt und träumten von der
Wiederauferstehung einer Partei der Mitte, wie es sie mit der „Democrazia Cristiana“
einmal gab und in der kleinen „UDC“ zumindest schemenhaft immer noch gibt. Sollten
sich die katholischen Wähler Italiens von Berlusconi abwenden, dann könnte seine Karriere,
die Italiens politische Bühne seit 1994 fast ohne Unterbrechungen beherrscht hat,
bald vorüber sein. Dieses Kalkül erklärt aus Sicht einiger Medien die Deutlichkeit,
mit der sich die Bischofszeitung „Avvenire“ etwa gegen die Linie der Regierung in
Sachen Immigration gewandt habe. Als ein Artikel des Blattes den Schiffsbruch von
Bootsflüchtlingen mit der Shoah verglich, wurde dem sogar im Vatikan widersprochen
– vom Chefredakteur des „Osservatore Romano“, Gian Maria Vian.
Im Vatikan nämlich,
so glauben viele Leitartikler, herrsche die Überzeugung vor, weiter mit der Regierung
zusammenarbeiten zu müssen. Für diese Linie stehe Kardinalstaatssekretär Bertone.
Ihm gehe es vor allem um zwei Themen, die er bei der jetzigen Regierung durchsetzen
wolle: ein Gesetz zum biologischen Testament, das der Euthanasie keine Hintertür öffnet,
und öffentliche Subventionen für die katholischen Privatschulen. Wenn Berlusconi ihm
das verschaffe, werde Bertone ihm keine Steine in den Weg legen. Im Übrigen stehe
der zweite Mann im Vatikan für einen politischen Pragmatismus: Er setze auf gute Zusammenarbeit
mit jedweder Regierung jedweder Couleur.
Was von alledem Dichtung, was Wahrheit
ist? Schwer zu sagen. Wie so oft bei politischen Skandalen und dem sie begleitenden
Ränkespiel hinter den Kulissen.