2009-09-07 12:26:00

Italien: Was sich hinter dem „Fall Boffo“ verbirgt


Der „Fall Dino Boffo“ hat in den letzten Wochen das Verhältnis zwischen Regierung und Kirche in Italien einer starken Zerreißprobe ausgesetzt; manche – etwa der Christdemokrat Rocco Buttiglione („UDC“) – glauben, dass sich das Verhältnis kaum noch davon erholen wird. Italienische Medien spekulieren in diesen Tagen ausgiebig über die Hintergründe der Verstimmungen. Stefan von Kempis mit einer Einschätzung:

Italienische Skandale haben die Eigenschaft, sehr schnell sehr verwickelt zu werden – ja, nachgerade unübersichtlich. Darum scheint es geraten, zunächst einmal aufzuzählen, was überhaupt passiert ist: Die Zeitung „Il Giornale“, die der Familie von Ministerpräsident Silvio Berlusconi gehört, hat schwere Vorwürfe gegen den Chefredakteur der Zeitung „Avvenire“ erhoben, die von der italienischen Bischofskonferenz herausgegeben wird. Regierungs-Blatt gegen Bischofs-Blatt also. Dem Journalisten Dino Boffo wurde vom „Giornale“ vorgeworfen, zu Beginn des Jahrhunderts eine junge Frau telefonisch belästigt zu haben; Boffo habe der Frau ihren „fidanzato“, ihren Freund also, ausspannen wollen. Der so Angegriffene trat zurück – und es wurde deutlich, dass die „Giornale“-Kampagne zunächst einmal einfach von Rache-Gelüsten geleitet war. „Avvenire“ hatte nämlich, wenn auch nur sehr zaghaft, im Sommer in den Chor der Berlusconi-Kritiker eingestimmt; der Regierungschef steht wegen angeblich wilder Feten in seiner Villa auf Sardinien unter Druck. Nun wurde also dem katholischen Journalisten Boffo vorgehalten, er habe selbst Dreck am Stecken, solle also nicht den „supermoralista“ geben. So weit, so schmierenkomödig.

Natürlich beschädigte die „Affäre Boffo“ die Beziehungen zwischen der Regierung und der italienischen Kirche: Das wurde schon daran deutlich, dass ein eigentlich geplantes Abendessen Berlusconis mit dem vatikanischen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone Anfang September platzte. Nicht nur der „Fall Boffo“ steht derzeit zwischen Palazzo Chigi und Palazzo Apostolico, sondern auch der italienische Umgang mit illegalen Einwanderern. In diesem Sommer hat der neue Leiter des Päpstlichen Migrantenrates, Erzbischof Antonio Maira Vegliò, die Behandlung von Bootsflüchtlingen durch Italien scharf kritisiert.

Die Medien versuchen nun, Hintergründe der Verstimmungen auszuleuchten. Sie konzentrieren sich dabei mittlerweile auf – vermutete oder tatsächliche – Meinungsunterschiede innerhalb der italienischen Kirche: „Die Ära Ruini ist vorbei, jetzt kommandiert Bertone“, lautet der Aufmacher von „Il Foglio“ an diesem Montag. Kardinal Camillo Ruini, das war bis vor kurzem der politisch einflussreiche Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz; Boffo wird zu seinen Vertrauten gezählt. Wer Boffo geschlagen habe, habe damit also – so die Rechnung, die in einigen Blättern aufgemacht wird – eigentlich Ruini gemeint. „Für Ruini ist das ein harter Schlag“, behauptet die Zeitung „Il Riformista“ – und kündigt an: „Von jetzt an werden Avvenire und Boffo noch weniger zimperlich mit ihrer Kritik an Berlusconi sein... Nach einer Phase der Ablenkung werden sie ihn noch direkter wegen seiner Sexskandale angreifen.“

Teile der italienischen Kirche – für die Ruini und Boffo stünden – hätten sich vom Premier abgewandt und träumten von der Wiederauferstehung einer Partei der Mitte, wie es sie mit der „Democrazia Cristiana“ einmal gab und in der kleinen „UDC“ zumindest schemenhaft immer noch gibt. Sollten sich die katholischen Wähler Italiens von Berlusconi abwenden, dann könnte seine Karriere, die Italiens politische Bühne seit 1994 fast ohne Unterbrechungen beherrscht hat, bald vorüber sein. Dieses Kalkül erklärt aus Sicht einiger Medien die Deutlichkeit, mit der sich die Bischofszeitung „Avvenire“ etwa gegen die Linie der Regierung in Sachen Immigration gewandt habe. Als ein Artikel des Blattes den Schiffsbruch von Bootsflüchtlingen mit der Shoah verglich, wurde dem sogar im Vatikan widersprochen – vom Chefredakteur des „Osservatore Romano“, Gian Maria Vian.

Im Vatikan nämlich, so glauben viele Leitartikler, herrsche die Überzeugung vor, weiter mit der Regierung zusammenarbeiten zu müssen. Für diese Linie stehe Kardinalstaatssekretär Bertone. Ihm gehe es vor allem um zwei Themen, die er bei der jetzigen Regierung durchsetzen wolle: ein Gesetz zum biologischen Testament, das der Euthanasie keine Hintertür öffnet, und öffentliche Subventionen für die katholischen Privatschulen. Wenn Berlusconi ihm das verschaffe, werde Bertone ihm keine Steine in den Weg legen. Im Übrigen stehe der zweite Mann im Vatikan für einen politischen Pragmatismus: Er setze auf gute Zusammenarbeit mit jedweder Regierung jedweder Couleur.

Was von alledem Dichtung, was Wahrheit ist? Schwer zu sagen. Wie so oft bei politischen Skandalen und dem sie begleitenden Ränkespiel hinter den Kulissen.

(rv 07.09.2009 sk)








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