2009-09-02 14:22:40

Vatikan/Israel: Ein Botschafter als Historiker


RealAudioMP3 Mordechay Lewy ist derzeit Botschafter Israels beim Vatikan, und darum ist es nicht erstaunlich, wenn in der Vatikanzeitung „L`Osservatore Romano“ mal ein Artikel von ihm erscheint. Allerdings ging es in Lewys Aufsatz, dem der „Osservatore“ vor ein paar Tagen eine Doppelseite freiräumte, nicht etwa um die Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan: Stattdessen schrieb Tel Avivs Spitzendiplomat am Tiber über ein historisches Thema, nämlich das „Kreuz von Jerusalem“.
Lewy hat Geschichte studiert, bekam dafür von der Hebräischen Universität in Jerusalem 1974 seinen Abschluß „summa cum laude“ – und interessiert sich besonders für das Christentum des Mittelalters. In der Vatikanzeitung stellte er nun eine These über die Herkunft und Bedeutung des Kreuzes von Jerusalem vor – des Kreuzes also, das man bei der jüngsten Papstreise ins Heilige Land oft, vor allem in Jerusalem, auf Fahnen oder Altardekorationen gesehen hat. Das Kreuz von Jerusalem besteht aus einem so genannten griechischen Kreuz, also beide Balken gleich lang, umgeben von vier kleinen Kreuzen jeweils in den vier Ecken. Es wird heute nicht nur von den Franziskanern im Heiligen Land, vom Lateinischen Patriarchat Jerusalems oder den Grabesrittern als Signet verwendet, sondern findet sich auch in der Landesflagge von Georgien oder dem Wappen von Aix-en-Provence.
In populären Filmen über die Kreuzfahrer ist dieses Jerusalemer Kreuz oft zu sehen, als hätten es sich die christlichen Angreifer auf ihre Fahnen geschrieben. Doch das ist, wie Lewy betont, ein Irrtum: Während der hohen Zeit der Kreuzzüge ist das Jerusalemer Kreuz nämlich gar nicht belegt. Woher kommt es dann aber, wenn es mit den Kreuzzügen nichts zu tun hat?
Im 9. Jahrhundert, also noch vor dem Aufruf zum Ersten Kreuzzug, taucht das Jerusalemer Kreuz auf einem Reliquiar im Aachen Karls des Großen auf. Ob es schon einen Bezug zu Jerusalem hat, ist ungewiß. Dann verschwindet es über Jahrhunderte – um auf einmal im Jahr 1300 in einer italienischen Kapelle wieder zu erscheinen. Im „Jüngsten Gericht“ des Giotto in Padua schwenken zwei Engel, rechts und links vom richtenden Christus, jeweils eine weiße Fahne mit dem Kreuz von Jerusalem darauf. Der Kontext hat mit Kreuzfahrern nichts zu tun – aber schon mit Jerusalem als dem Ort der Letzten Wiederkunft Jesu.
Es vergeht ein halbes Jahrhundert, bis das Jerusalemer Kreuz in einer Miniatur auch einmal das Schiff von Kreuzfahrern schmückt – und auf den Münzen von christlichen Herrschern auftaucht, die gerne auch über Jerusalem regieren würden. Allerdings: Die großen Kreuzzüge sind da längst vorüber, Jerusalem ist schon lange verloren, selbst Akko, letzte Festung der christlichen Ritter, ist 1291 gefallen. Also: Den Sturm auf Jerusalem bedeutet das rätselhafte Kreuz nicht, oder nicht in erster Linie. Was aber dann?
Botschafter Lewy zitiert in seinem Aufsatz Thomas von Aquin, ein Messbuch und eine Züricher Wappenrolle des 14. Jahrhunderts, um eine eigene Theorie zu entwickeln: Danach bedeuten die insgesamt fünf Kreuze die fünf Wunden Jesu am Kreuz. Viel wichtiger als der heraldische sei also der theologische Gehalt des Zeichens.
Mitte des 14. Jahrhunderts werden dann die Franziskaner vom Papst zu den Hauptverantwortlichen für Pilgerfahrten und Pilgerbetreuung im Heiligen Land ernannt – und sie sind sehr angetan vom Bild der fünf Kreuze, das an die Wunden des Gekreuzigten erinnert. Trug nicht auch ihr Ordensgründer, der heilige Franz von Assisi, fünf Stigmata, die den Wunden Jesu entsprachen? Von nun an sind es also die Franziskaner, die für die Verbreitung des Kreuzes von Jerusalem sorgen, vor allem für Pilgerfahrten von Europa aus. Schon Ende des 14. Jahrhunderts ist das Kreuz eine Art Abzeichen für Pilger, die die Wallfahrt in die Heilige Stadt absolviert haben; was den Jakobspilgern die Muschel, ist den Heilig-Land-Pilgern das Fünferkreuz.
Eine interessante These, die Israels Botschafter beim Vatikan über das Jerusalemer Kreuz entwickelt. Ein ungewöhnliches Beispiel für Kulturaustausch ist es obendrein.
(or 02.09.2009 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.