1. September: Vor siebzig Jahren begann der Zweite Weltkrieg
Vor genau siebzig Jahren begann der Zweite Weltkrieg – auch viele kirchliche Stimmen
erinnern in diesen Stunden daran. In Hamburg haben die Kirchen mit einem ökumenischen
Gottesdienst in der Ruine der Nikolai-Kirche an den Kriegsbeginn erinnert. Der Gottesdienst
wurde gehalten von Bischöfin Maria Jepsen, Weihbischof Hans-Jochen Jaschke und Hauptpastor
Johann Hinrich Claussen.
Der katholische Weihbischof Jaschke sagte in seiner
Predigt: „Deutsche und Polen vergessen die Verbrechen in deutschem Namen nicht. Aber
sie erinnern auch an die unschuldigen Flüchtlinge und Vertriebenen in der Folge des
Krieges.“ Er wünsche sich, „dass die Polen die jetzt begonnene Arbeit am neuen Zentrum
für Flucht, Vertreibung und Versöhnung unterstützen. Das soll ein gutes Zeichen sein.“
Gerade das deutsch-polnische Verhältnis dürfe nicht nur „eine Zweckgemeinschaft sein.“ Der
Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, ruft zu unbedingtem Friedenswillen
und Respekt vor der Würde jedes Menschen auf. Er mahnt zur Trauer über die Abermillionen
Toten, die dem verbrecherischen Angriffskrieg Hitler-Deutschlands zum Opfer gefallen
sind. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick rät, den Ruf „Nieder wieder Krieg!“ ernst
zu nehmen. Der Gedenk- und Denktag sollte genutzt werden, um über die Gründe von Kriegen
nachzudenken. Diese würden von Menschen verursacht und geführt. Der Zweite Weltkrieg
war die „Stunde der Dunkelheit“ – zu dieser Formulierung fand Papst Johannes Paul
II., Zeitzeuge von Hitlers Überfall auf Polen. Vor genau zwanzig Jahren widmete
Johannes Paul dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein eigenes Apostolisches Schreiben
– bis heute der vatikanische Schlüsseltext zum 1. September. Papst Wojtyla schrieb
aus eigener Erfahrung über den „Abgrund der Unmenschlichkeit und der Trostlosigkeit“,
der sich nach dem deutschen Einmarsch in Polen aufgetan habe. Die Menschheit habe
die Pflicht, sich an die Kriegsgeschehnisse zu erinnern und „aus dieser Vergangenheit
eine Lehre zu ziehen: auf dass sich das Bündel der Ursachen nie wiederholen kann,
die imstande wären, einen ähnlichen Weltbrand neu zu entfachen“. Und weiter heißt
es in dem Text: „Wir wissen es inzwischen aus Erfahrung, dass die willkürliche Teilung
von Nationen, die zwangsweise Umsiedlung von Volksgruppen, die unbegrenzte Wiederaufrüstung,
der unkontrollierte Gebrauch hochtechnisierter Waffen, die Verletzung der Grundrechte
der Personen und Völker, die Nichtbeachtung der internationalen Verhaltensregeln sowie
die Auferlegung von totalitären Ideologien nur zum Ruin der Menschheit führen können.“
Johannes
Paul II. beklagt in dem Schreiben den Tod der 55 Millionen Todesopfer und zeigt die
verheerenden Folgen für die späteren Generationen auf. Es müsse eine Lehre aus dem
„düsteren Bild“ des Krieges sein, künftig auf einen Lebensstil zu setzen, der „von
Solidarität und Achtung vor dem Nächsten getragen“ sei. Das Christentum müsse in dieser
Hinsicht eine Quelle ständiger Inspiration sein: „Seine Lehre von der Person, die
nach dem Bilde Gottes erschaffen ist, kann gewiss zum Erstarken eines erneuerten Humanismus
beitragen“. „Wahre Zivilisation“ entstehe nicht durch Gewalt, sondern als „Frucht
des Sieges über sich selbst…, über die Mächte von Ungerechtigkeit, Egoismus und Hass,
die den Menschen ganz und gar entstellen können“.
Die Katholiken lud der Papst
damals zu einer „Gewissensprüfung über die Qualität der Evangelisierung Europas“ ein.
Die Verkündigung des Evangeliums beziehungsweise die Förderung der christlichen Werte
als „Beitrag zum Kommen einer brüderlicheren Welt“ seien von entscheidender Bedeutung.
Wo nämlich der Mensch „denkt, lebt und wirkt, als ob es Gott nicht gebe“, dort liege
„dieselbe Gefahr“ wie in den Jahren des Zweiten Weltkriegs: „der Mensch, der Macht
des Menschen ausgeliefert“. Allerdings: Man dürfe nicht am Menschen verzweifeln, denn
auch Gott tue das nicht. Der Mensch sei immer größer als seine Irrtümer und Fehler.
Groß sei er in dem Maß, in dem er „aus seinem Leben eine Antwort auf die Liebe Gottes
macht und sich dem Dienst an seinen Brüdern widmet“.